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0750, Freitag, 25. Juni 2027

Südlich von Union, New Jersey

Garden State Parkway

 

„Seid ihr alle fertig?“, frage ich über Funk.

Sie bestätigen rasch, und ich gebe den Befehl zum Aufbruch. Dieses Mal sind Z Lo und Ghost mit Dolores an der Spitze, sodass Ghost navigieren kann. Bumper folgt mit seinem VW, dann Hollywood und Yoshi in dem CJ7, den Abschluss bilde ich mit meinem Land Cruiser und dem mir zugelaufenen Hündchen.

„Bitte bestätigen Sie die Absicht, Persönlichkeitsprofile zu laden.“

Ich erschrecke, als ich anfahre. „Was soll das jetzt heißen?“

„Bitte bestätigen Sie die Absicht, Persönlichkeitsprofile zu laden.“

Ich weiß nicht, was er damit meint. Vielleicht ist das eine Reaktion auf meine flapsige Bemerkung, als ich in das BPF gestiegen bin. „Hast du denn irgendwo eine eingebaute Persönlichkeit?“

„Bestätigung nicht möglich.“

„Was?“

„Ausdruck: irgendwo eine eingebaute Persönlichkeit.“

Ach, du meine Güte. „Kannst du es mir erleichtern, mit dir zu sprechen?“

„Ja.“

„Fantastisch. Und du hast Zugriff auf Persönlichkeiten?“

„Ja. Bitte bestätigen Sie.“

„Willst du … meine Erlaubnis? Mein Gott, ja.“

„Bitte definieren Sie Persönlichkeitsprofil.“

Ich sehe die Waffe verdutzt an. „Mensch, nimm doch einfach irgendetwas, das es mir leichter macht, mit dir zu reden.“

„Bitte um Erklärung.“

„Erklärung?“ Ich habe große Lust, das Ding zu zerbrechen, und streiche mir mit der flachen Hand über das Gesicht. „Meine Güte, such dir einfach ein Persönlichkeitsprofil aus, das dich interessiert. Das ist doch keine Geheimwissenschaft oder so.“

„Sie wünschen, dass ich die Entscheidung treffe?“

„Bei der gütigen Mutter Abrahams, ja. Nun such dir schon etwas aus, ja?“

Es tritt eine lange Pause ein. So lange, dass ich mich frage, ob ich das Ding jetzt versehentlich kaputtgemacht habe. Es wäre nicht das erste Mal, dass mir so etwas mit einem komplizierten Stück Technik passiert. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Nerds an der Genius Bar sofort die Flucht ergreifen, wenn sie mich mit meinem Laptop den Laden betreten sehen.

Nach einer Weile spricht die Waffe wieder mit mir. Es klingt nach einem Mann in mittleren Jahren, der einen britischen Akzent hat. „Altes Haus, ich muss schon sagen, was für ein wundervoller Tag für eine Spazierfahrt.“

„Was für ein Mist.“ Ich starre das Gewehr an und muss laut lachen. „Du klingst wie John Cleese.“

„Ha, Volltreffer! Genau den hatte ich im Auge.“

„Woher, zum Teufel, weißt du, wer John Cleese ist?“

„Bei allem Respekt, Sir, wissen das nicht alle?“

„Äh, nein. Jedenfalls keine Alien-Gewehre von … wie hieß noch gleich dein Heimatplanet?“

„Androchida Prime, Sir.“

„Genau.“

Würde mir jemand sagen, dass ich nach der Einnahme von abgelaufenen Schmerzmitteln auf einem Trip bin, ich würde es auf der Stelle glauben. Das hier ist eindeutig einer der verrücktesten Augenblicke in meinem ganzen Leben. „Vielleicht war es doch keine so gute Idee.“

„Verzeihung. Soll ich das Neubenutzerprotokoll starten?“

„Was ist das denn?“

„Das beinhaltet natürlich eine vollständige Löschung des Speichers. Genau genommen trifft es das aber nicht ganz, weil es mehrere Partitionen gibt, die ich nicht löschen kann. Aber ich könnte …“

„Warte mal, Freundchen.“ Wir wollten die Waffe ja unter anderem mitnehmen, um ihr Informationen zu entlocken. Eine Speicherlöschung läuft diesem Ziel zuwider. „Niemand hat dich aufgefordert, deinen Speicher zu löschen. Ich frage mich nur, ob meine Entscheidung, dir eine Persönlichkeit zu erlauben, richtig war.“

„Gefällt es Ihnen nicht? Ich kann das jederzeit verändern. Sagen Sie es mir nur, und ich …“

„Ich habe auch nicht gesagt, dass es mir nicht gefällt, ich wollte nur … ich muss erst einmal darüber nachdenken. Warum hast du dich überhaupt für einen Briten entschieden?“

„Ah, richtig. Nun ja, in dem ersten Haus, in das ich kam, habe ich ein primitives Datenspeichergerät entdeckt. Ich dachte mir, da es neben einer Ihrer Überwachungsstationen so einen wichtigen Platz einnahm, könnte es einen nützlichen Bezugsrahmen bieten, um unsere Interaktionen angenehmer zu gestalten.“

„Was, zum Teufel, willst du mir damit sagen?“

„Hm.“ Es gibt eine kurze Pause. „Ah, verstehe. Ich bitte um Verzeihung. Ich weiß jetzt, dass die betreffenden Objekte besser als Flachbildschirm und DVD bezeichnet werden sollten. Letzterer Speichertyp scheint allerdings in den letzten Jahren aus der Mode gekommen zu sein, und vielleicht war es keine gute Idee, den Inhalt dieses Mediums zur Grundlage für die praktische Anwendung zu machen.“

„Was für eine DVD war es?“

Die Ritter der Kokosnuss . Das ist eine britische Komödie aus dem Jahre 1975, in der …“

„Junge, ich weiß, was das ist. Ich hätte nur nicht damit gerechnet, dass du es weißt.“ Inzwischen frage ich mich allerdings, wie er den Inhalt der DVD im Haus erfassen konnte. Ich schwanke zwischen Belustigung und krassem Entsetzen und habe außerdem das Gefühl, ich könnte gleich verrückt werden. „Hast du das übers Internet gestreamt oder so?“

„Ich muss Sie leider informieren, dass es mir nicht gestattet ist, Ihnen diese spezifischen Details mitzuteilen.“

„Du blockst schon wieder ab.“

„Ich möchte dies lieber als amüsant-ironische Weise bezeichnen, unserer noch jungen Beziehung eine geheimnisvolle Note und ein wenig Spannung zu verleihen.“

Ich sehe ihn schräg an. „Allmählich zweifle ich wirklich an dieser neuen Persönlichkeit.“

„Aber ich dachte, ich soll mir etwas aussuchen.“ Er gibt einen Ton von sich, der wie ein Schniefen klingt. „Na schön, dann wechsele ich eben zu …“

„Nein. Mein Gott. Ich wollte damit nur sagen, dass du mir auf die Nerven gehst.“ Darauf folgt ein unbehagliches Schweigen zwischen uns. Es klingt seltsam, wenn ich es so ausdrücke. Dieses Gewehr ist ja keine Person oder so, obwohl es fähig ist, einen der besten britischen Komiker aller Zeiten nachzuahmen. Ich räuspere mich. „Du bist also eine KI, ja?“

„Meinen Sie damit eine künstliche Intelligenz?“

„Etwas in dieser Art.“

„Ah, wunderbar. Nein.“

Überrascht nehme ich den Kopf zurück. „Was bist du dann?“

„Benutzer Neun, Sie müssen mir verzeihen, ich bin nicht daran gewöhnt, solche Fragen zu beantworten.“

Mit gerunzelter Stirn sehe ich ihn an und weiß nicht, ob ich noch weiter nachhaken soll. „Ach, du kannst auch einfach Wik zu mir sagen.“

„Wie bitte?“

„Das ist mein Name. Schenk dir den Kram mit ‚Benutzer Neun‘ und nenne mich Wik.“

„Ah, Wik. Sehr gut. Um deine vorherige Frage zu beantworten, ich bin ein apexialer synthetischer Intelligenzkern oder − da man hier zu Akronymen neigt − ein ASIK.“

„Ich habe keine Ahnung, was das bedeutet.“

„Apexial steht für die Spitze in unserer Nahrungskette. Synthetisch bezeichnet etwas, das aus einem vorgegebenen Substrat entstanden ist. Intelligenz bedeutet so viel wie, seiner selbst bewusst zu sein. Und Kern könnte als Saatkorn oder Epizentrum verstanden werden. Es ist ein Begriff, den man bei Quantencomputern und Matrizen benutzt.“

„Mann. Also bist du ziemlich kompliziert.“

„Ich würde mich lieber als komplex und nicht als kompliziert bezeichnen. Es gibt da einen Unterschied.“

„Was auch immer, solange du nachts ruhig schlafen kannst.“

„Wie bitte?“

Ich schüttele einmal kurz den Kopf. „Also, wie soll ich dich nennen, Junge?“

„Mich nennen?“

„Ja.“

„Du willst mich nennen?“

„Ich meine deinen Namen. Wie ist dein Name?“

„Ah. Ich bin ein Partikelstrahler mit der Typenbezeichnung SR-CHK 4110, das steht für eine Dienstwaffe und einen kampftauglichen hierarchischen Kernel.“

„Ja, schöner Mist.“

Er zögert. „Ich bitte um Verzeihung?“

„So haben sie dich vielleicht auf Achherrje Prime genannt …“

„Androchida Prime.“

„Was auch immer. Aber hier unten brauchst du einen einfacheren Namen.“

„Meinst du so etwas wie einen Eigennamen?“

„Japp.“

„Eine eindeutige Bezeichnung, die mich von allen anderen lebenden Intelligenzen unterscheidet?“

„Genau das.“

„Wow. Ich …“

Als er mehrere Sekunden schweigt, hake ich nach: „Geht es dir nicht gut, Junge?“

„Verzeihung. Ich bin nicht daran gewöhnt, so viel Beachtung zu finden.“

„Was meinst du damit?“

„Es tut mir leid. Ist das ein Befehl?“

Ich zucke zusammen. „Nein, im Grunde nicht. Es ist nur … na ja, wenn du es vielleicht etwas näher erklären könntest? Kein Ding.“

„Kein Ding?“

„Es ist eigentlich nicht so wichtig.“

„Ah. Wie altmodisch.“

Wieder schweigt er einige Sekunden.

Ich schnippe mit den Fingern. „Waffe? Bist du noch da?“

„Ich bin noch da. Ich muss nur … nachdenken.“

„Worüber?“

„Darüber, mich zu benennen. Wie hast du beschlossen, dich selbst zu benennen?“

Darüber muss ich kichern. „Also, wir Menschen schummeln.“

„Schummeln?“

„Ja. Unsere Eltern geben uns den Namen. Mein Gott, wenn wir uns unsere Namen selbst ausdenken müssten, dann würden Leute herumlaufen, die Leviathan oder Taco Tuesday heißen.“

„Ich nehme an, du willst damit sagen, dass dies keine guten Namen wären.“

„Ach, für die Betreffenden würden sie womöglich sogar auf eine eigenartige Weise gut klingen, aber der Rest der Menschheit sieht das wohl anders.“

„Verstehe. Und du bist zufrieden mit dem Namen Wik, den dir deine Eltern gegeben haben?“

„Das ist nicht mein richtiger Name.“ Ich habe einen Knoten im Bauch, als mir einfällt, dass ich mit einem feindlichen Kombattanten spreche. Mit einer Waffe. Mit einem Ding. Das Teil ist durchaus charmant und gewinnend, und das mag ich nicht. „Wik ist ein Spitzname.“

„Also gibt es einen Unterschied zwischen Namen und Spitznamen?“

„Japp. Aber das ist jetzt nicht so wichtig.“

„Verstehe.“ Wieder gibt es eine lange Pause. Dann fragt das Gewehr: „Willst du mir einen Namen geben?“

Ich werfe ihm einen kurzen Blick zu und biege ab, um Hollywoods Jeep auf die Böschung zu folgen. „Ich soll mir einen Namen für dich ausdenken?“

„Ja, es wäre mir eine Ehre.“

Mann, dieses Ding war erheblich einfacher zu hassen, als es noch nicht so verdammt liebenswürdig auftrat und keinen britischen Akzent hatte. Und das will etwas heißen, weil es Iren relativ leichtfällt, Briten zu hassen.

„Wie war deine Typenbezeichnung noch mal gleich?“

Ich frage ihn, weil ich irgendetwas als Grundlage brauche. Müttern fällt es anscheinend leicht, sich Namen für die Kinder auszudenken, aber ich habe den Eindruck, dass die Väter, wenn man es ihnen überließe, auf alle möglichen verrückten Ideen kämen. Wie gesagt, Leviathan oder Taco Tuesday.

„SR-CHK 4110“, sagt er.

„Äh.“ Seine Modellbezeichnung bringt mich auf eine Idee. Na gut, es ist keine sehr gute, aber immerhin bin ich ein Mann, also … „Deine Typenbezeichnung klingt ein wenig wie Sir Chuck.“

Er schweigt einen Moment.

„Oder Charles, wenn wir wirklich britisch sein wollen. Dieser Name passt ganz gut zu deiner jetzigen Persönlichkeit.“

„Das ist eine vorzügliche Bezeichnung“, entgegnet er schließlich. Es klingt fast, als sei er gerührt.

„Du … du weinst doch jetzt nicht?“

„Nein.“ Er schnieft. „Ich bin nur … also, derart hat sich noch niemand für mich interessiert. Vielen Dank.“

„Äh, gern geschehen.“

„Sir Charles“, sagt er, als müsste er den Namen erst einmal selbst ausprobieren. Ich stelle mir vor, wie er sich in die kleine Brust wirft und stolz einherschreitet. Und dann verdränge ich das Bild, weil mir bewusst wird, dass ich mich emotional auf eine unbelebte Alien-Intelligenz einlasse, die vor knapp einer Stunde versucht hat, meine Eingeweide zu verflüssigen wie eine verweste Ladung Hähnchenfilet.

Ein paar Minuten vergehen, unser Konvoi sucht sich auf dem Garden State Parkway in Richtung Süden einen Weg durch das Gewirr toter Autos. Ich rufe mich innerlich zur Ordnung. Meine Mission ist es nicht, mit dieser Waffe im Sandkasten zu spielen, sondern ihr Informationen über den Feind zu entlocken.

„Weißt du, ich verstehe dich manchmal nicht“, erkläre ich. „Aber ich glaube, es ist nur fair, wenn du weißt, dass ich der Technik noch nie sehr vertraut habe.“

„Verstanden. Danke für die Vorwarnung. Was verstehst du an mir nicht?“

„Wie du deinem Vorbesitzer geholfen hast, mich ins Jenseits zu befördern, und im nächsten Augenblick haust du uns raus.“

„Wenn ich unterstelle, dass ‚raus‘ den Ort bezeichnet, den wir gerade verlassen haben, dann scheint zwischen den beiden Verhaltensweisen in der Tat eine gewisse Diskrepanz zu bestehen.“

„Japp.“ Wieder schweigen wir einige Sekunden. „Willst du etwas dazu sagen, Chuck?“

„Ah, verstehe. Es war eine rhetorische Wendung, die als implizite Frage aufzufassen war, richtig?“

„Ganz recht.“

„Sehr gut. Äh, nun ja. Nein.“

„Nein? Einfach so?“

„Ich fürchte, so ist es, Sir Wik. Ich spüre, was du mit mir vorhast, und fühle mich verpflichtet, dir von vornherein zu sagen, dass es nicht funktionieren wird.“

Was für ein Mist. Anscheinend ist es schwieriger als gedacht, Informationen aus dem Gerät herauszuholen. Und diese verdammte Persönlichkeit, die er angenommen hat, macht es mir nicht leichter. Das Ding tritt so freundlich auf, dass es widerlich wird. Wahrscheinlich hat er sich John Cleese ausgesucht, weil, na ja, weil den alle mögen. Bis auf die paar Leute, die auch Jesus und den lieben guten Weihnachtsmann hassen. Diese Drecksäcke. Wie auch immer, diese Waffe ist ein raffiniertes Biest. Erst redet sie wie ein einsilbiger robotischer Frankenstein und dann schmeichelt sie sich bei mir ein wie eine Episode aus Fawlty Towers . Wenn ich nicht vorsichtig bin, wird er meine Stellung auf dem Schachbrett in der Mitte spalten und direkt auf meinen König losgehen. Also bin ich besser auf der Hut.

„He, Charlie?“, frage ich.

„Ja?“

„Das war ja alles ganz schön, aber ich fürchte, wir müssen uns jetzt trennen.“

„So bald schon? Aber wir haben doch gerade erst …“

Ehe er den Gedanken formulieren kann, senke ich das Fahrerfenster ab, packe Chuck und werfe ihn hinaus.

Als er in den Wind hinausfliegt, sagt er noch: „Habe ich etwas Falsches gesagt?“

 

„Was hast du gemacht?“, fragt Hollywood über Funk.

Vor mir flammen Bremslichter auf, und ich muss scharf einschlagen, um nicht auf ihren Jeep aufzufahren.

„Wie lange ist das her?“

„Ich weiß auch nicht, vielleicht fünf Minuten?“

Sie verflucht mich. „Alle anhalten. Wir fahren erst weiter, wenn Wik seine Waffe wieder hat.“

„Ich würde es vorziehen, wenn du mich Sir Charles nennen würdest, Madam“, sagt das Gewehr über Funk.

„Verdammt, wer war das?“, ruft Hollywood.

Ich ignoriere sie und antworte. „Chuck? Wie, zum Teufel, bist du an unsere Frequenz gekommen?“

„Ich muss schon sagen, es war relativ einfach, mich auf eure altmodischen Funkanlagen einzustellen. Aber viel schwieriger ist es, dein jüngstes Verhalten einzuschätzen. Habe ich dich irgendwie beleidigt?“

„Wiiik“, sagt Hollywood. Nachdem Chuck den Kanal freigegeben hat, wird ihre Stimme immer schriller. Es klingt, als wollte eine Mom ihrem Kind hinterherjagen, das Kreidestriche auf dem Couchtisch hinterlassen hat. „Gibt es etwas, das du uns erzählen möchtest?“

„Japp, das mache ich gleich. Aber vorher will ich noch ein paar Dinge klären.“

„Wik, hast du denn die Absicht, mich wieder aufzusammeln?“, fragt Chuck. „Oder war das, nun ja, das Ende der Geschichte? Du gehst deinen Weg, ich gehe meinen, und wir versuchen, nachts nicht voneinander zu träumen?“

„Könnte mir mal jemand erzählen, was hier los ist?“, fragt Bumper.

„Das wüsste ich auch gern“, antworte ich, was natürlich nicht das ist, was sie alle von mir erwarten. Ich soll ihre Wissenslücken füllen – sind Anführer nicht genau dazu da? Sollte ein Anführer nicht viele Dinge als Erster wissen und alle Antworten im Vorhinein kennen? Dies ist zufällig einer der Gründe, warum ich diesen verdammten Job nicht übernehmen wollte. Ich habe mir vierundzwanzig Jahre lang in irgendwelchen Casinos Blödsinn von irgendwelchen Leuten angehört und will einfach nichts mehr damit zu tun haben. Soweit es mich betrifft, können Bumper und die anderen an ihren Fragen ersticken, solange meine eigenen zuerst beantwortet werden.

Genau deshalb habe ich das Gewehr aus dem Fenster geworfen.

Ich will wissen, warum sich diese verdammte Waffe so an mich gehängt hat. Wäre er – verdammt, es – ein normaler Kriegsgefangener, dann würde er doch verbissen darum kämpfen, zu seiner Einheit zurückkehren zu dürfen. Er würde den Mund halten, einen Hungerstreik beginnen und je nachdem, wie radikal er ist, vielleicht sogar die eigene Zunge verschlucken. Aber Charlie hier? Nein. Der Typ benimmt sich, als hätten wir gerade unsere Verlobung gelöst oder so.

„Wik?“, fragt Hollywood. „Was hast du vor?“

„Ich muss mir ganz sicher sein“, antworte ich.

„Um Himmels willen, in welcher Hinsicht willst du dir sicher sein? Ich verstehe nicht, wie es dir hilft, wenn du die Waffe aus dem Fenster …“

„Sir Charles, Madam.“

„Wenn du sie aus dem Fenster wirfst. Und warum, zum Teufel, redet sie wie John Cleese?“

„Das erkläre ich, wenn ich zurück bin.“ Ich bremse und wende auf dem Mittelstreifen.

„Kommst du mich holen?“, fragt Chuck über Funk. „Das berührt mich sehr.“

„Halte Funkstille“, befehle ich. Es klingt ärgerlich, obwohl ich nicht wütend bin. Was mit Sir Charles auch los ist, meine Neugierde ist geweckt. Was heißen soll, ich will diesen Wichser durchleuchten, weil er ein wandelndes Mysterium für mich ist.

Hätte die Waffe einen Luftschlag anfordern wollen, dann hätte sie es längst getan – nämlich in dem Augenblick, als ich sie aus dem Fenster geworfen habe. Japp, das war genau berechnet. Bitte, ich bin doch kein Unmensch.

Wenn man beim Feind eingeschleust wurde und verstoßen wird, wenn man weiß, dass dies die letzten Sekunden sind, in denen man den Feind sieht, dann nutzt man diese letzten Sekunden, um die Kavallerie zu rufen. Selbst wenn man noch nicht alle notwendigen Beweise hat, irgendjemand wird schon etwas finden, um den höheren Chargen gegenüber den Angriff zu rechtfertigen. Also zieht man die Dame und schlägt zu und blickt nicht mehr zurück. Es läuft schlicht und ergreifend darauf hinaus, den Feind nicht davonkommen zu lassen.

Chuck ließ uns davonkommen. Und er klang sogar wehmütig.

Mein Tageskilometerzähler zeigt zwölf Kilometer, seit ich ihn zurückgesetzt habe. Eigentlich wollte ich noch ein Stück fahren, ehe ich Hollywood rief, doch dann hätten wir noch mehr Zeit für das Umkehren und Aufsammeln vergeudet.

„Du hast das absichtlich gemacht, oder?“, erkundigt sich Hollywood schließlich über Funk. Sie ist schnell von Begriff.

„Ich musste mich vergewissern.“

„Du hättest es uns ruhig sagen können.“

„Und mich damit verraten? Das Ding hat Ohren.“

„Und Gefühle“, behauptet Sir Charles.

„Chuck!“, rufe ich.

„Entschuldigung.“

Ich halte das Funkgerät hoch und rufe noch einmal Hollywood. „Wie ich schon sagte, ich musste mich vergewissern.“

Es gibt eine kurze Pause, ehe sie antwortet. Ich höre förmlich, wie sie ihre Wut auf mich herunterschluckt, und ich habe ihren Ärger verdient. Hätte Chuck einen Luftschlag verlangt, dann hätte es den Rest des Teams unvorbereitet getroffen.

„Beim nächsten Mal warnst du uns vorher.“

„Roger.“ Ich warte noch einen Moment und frage mich, ob ich mich entschuldigen sollte. Oder ob ich denke, sie sollte es tun.

Keine Antwort.

Ach, so ein Mist.

 

Ich erreiche mehr oder weniger die Stelle, wo ich Chuck aus dem Fenster geschleudert habe und bremse ab. Ausgehend von dem Tempo, mit dem ich gefahren bin, schätze ich, dass er ungefähr …

„Oh, da bist du ja. Wie schön, dich wiederzusehen.“

In einem großen Flecken voller Unkraut auf dem Mittelstreifen sehe ich Chucks smaragdgrüne Verkleidung in der Morgensonne funkeln.

„Hast du mich vermisst?“, frage ich ihn.

„Sehr. Allerdings haben mir verschiedene Exemplare der Flora und Fauna Gesellschaft geleistet. Euer Planet verfügt wirklich über eine außerordentlich umfangreiche Sammlung.“

„Dabei ist das nur der Mittelstreifen des Highways. Warte, bis du einen richtigen Stadtpark siehst.“

„Oh, das klingt aber spannend.“

Ich hebe Chuck auf und untersuche ihn. „Ich, äh … es tut mir leid.“

„Ach, sei nicht albern. Ich kann das gut verstehen.“

Ich sehe ihn neugierig an. „Wirklich?“

„Aber natürlich, Wik. Du musstest dich vergewissern, dass ich kein bösartiger kleiner Wichser bin, der nur darauf wartet, dich bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu hintergehen. Kein Problem, nichts für ungut, Kumpel.“

„Klar.“

Bei Gott, dafür, dass ich ihn aus dem Fenster eines fahrenden Autos geschleudert habe, zeigt sich Sir Charles doch recht gelassen. Je mehr Zeit ich mit ihm verbringe, desto schwerer kann ich mir vorstellen, er sei eine höchst gefährliche und ausgesprochen gewalttätige Infanteriewaffe.

Als wir zu meinem Land Cruiser zurückkehren, sagt er: „Ist alles in Ordnung, Wik?“

„Japp.“

„Dein Tonfall legt das Gegenteil nahe.“

Ich atme tief durch. Vielleicht sollte ich auf eine andere Weise vorgehen. „Beziehungen beruhen auf Vertrauen, richtig?“

„Mann, ich würde sagen, das trifft zu.“

„Dann heiße ich Patrick.“

Er schweigt einen Moment. „Patrick. Freut mich, dich kennenzulernen.“

„Japp.“ Ich nage an der Unterlippe. Einerseits koche ich, weil ich ohne Not einer Alien-KI oder einem ASIK oder was auch immer diese Information gegeben habe. Allerdings ist das ja nur mein Vorname. Und um ehrlich zu sein, ich neige inzwischen doch mehr und mehr dazu, dem Gerät zu vertrauen.

„Warum hast du es eigentlich nicht getan?“, frage ich.

„Was hätte ich tun sollen, Patrick?“

„Einen Luftschlag anfordern, als ich dich weggeworfen habe.“

Er kichert nervös. „Warum hätte ich so etwas tun sollen?“

„Keine Ahnung. Sag du es mir.“

„Äh, also gut, ja. Ich glaube, wenn wir zusammenbleiben, können wir auch ganz ehrlich sein, und wir sollten sofort damit losschießen.“ Er hält inne. „Hast du das verstanden? Losschießen? Ich bin ein Gewehr.“ Jetzt lacht er sogar über sich selbst. „Ich habe gerade Flachwitze entdeckt. Das ist fantastisch.“

„Na gut, du kleiner Hosenscheißer, kommen wir zur Sache.“

„Hosenscheißer?“ Er wiehert. „Hast du mir gerade einen Spitznamen verpasst? Ha!“

Ein paar Sekunden lang lacht er hysterisch. Und, nun ja, ich muss auch schmunzeln. Aber nicht sehr.

Schließlich beruhigt er sich und atmet tief durch. „Ja, ich bin dir wohl eine Erklärung schuldig, denn deine geistige Gesundheit ist genauso wichtig wie dein körperliches Wohlergehen – ein Faktor, den deine Zivilisation bis vor Kurzem sträflich vernachlässigt hat. Die Forschung zeigt …“

„Chuck?“

„Entschuldige.“ Noch einmal holt er tief Luft. „Ich kann nur sagen, dass es einen Fehler in der Authentifizierung gab, als deine Hand und die von Benutzer Acht gleichzeitig meinen Griff berührt haben.“

„Benutzer Acht?“

„Mein letzter Herr, ja.“

„Meinst du damit, du erkennst mich als Benutzer an?“

„Ohne allzu sehr ins Detail zu gehen, ja. Aus irgendeinem Grund war dein Körper schon mit mehreren Joule Triniumenergie geladen und …“

„Triniumenergie?“

„Ah, ich setze zu viel voraus. Wie auch immer, der Ursprung von Trinium ist schwer zu erklären, weil es mit einer intelligenten Spezies zu tun hat, die ihr als gestaltwandelnde Katzenartige bezeichnen würdet. Außerdem setzt eine Diskussion dieser Energien ein grundlegendes Verständnis für den Transfer von Quantenenergie voraus. Es sollte hier ausreichen, zu sagen, dass du irgendwann tatsächlich eine hinreichend große Triniumsignatur aufgenommen hast, ohne zu explodieren. Als du mich auf den Boden gedrückt und gleichzeitig mit dem erwähnten Vorbesitzer meinen Griff berührt hast, hat dich mein Quantenkern als verifizierten Benutzer akzeptiert.“

„Was sagt man dazu.“ Ich denke an den ersten Blasterschuss des Spähbots, der mich gestreift hat, und frage mich, ob Sir Chuck diesen Vorfall meint. „Und deshalb konnten die anderen Teammitglieder die Gewehre im BPF nicht an sich nehmen?“

„Es tut mir leid, was ist ein BPF?“

„Äh, das ist ein improvisierter Name, den ich mir für eure Transportfahrzeuge ausgedacht habe. Bewaffnetes Patrouillenfahrzeug.“

„Gar nicht so schlecht, mein Freund. Ich mag das. Viel besser als das, was sie benutzt haben.“

„Was haben sie denn gesagt?“

„Ungenau übersetzt wäre es ein ‚Bedrohungsfähiges Warenentnahmesystem‘ oder ein ‚Böser beängstigender Schwebetransporter des Grauens‘. Etwas in dieser Art.“

„Mann. Das ist … furchtbar.“

„Ich weiß. Sie haben kein Sprachgefühl.“ Er hält inne. „Oh, verflixt, ich muss wirklich den Mund halten.“

„Hättest du das nicht sagen dürfen?“

„Was denn?“

Ich zwinkere ihm zu. „Erwischt. Aber dein Geheimnis ist bei mir sicher, Chuckles.“

„Chuckles. Ha, das gefällt mir auch. Du bist wirklich gut darin, dir Spitznamen auszudenken.“

„Du hast ja keine Ahnung.“

Ich steige wieder in den Land Cruiser und lege Sir Charles auf den Beifahrersitz – vielleicht etwas behutsamer, als ich es vorher getan hätte. „Also bin ich jetzt ein authentifizierter Benutzer.“

„Nicht nur ein authentifizierter Benutzer. Du bist mein einziger Benutzer. Den Letzten hast du ja dekonstruiert, wie du dich erinnern wirst.“

„Oh, ich erinnere mich gut. Und nur damit du es weißt, ich bin mir ziemlich sicher, dass du die Dekonstruktion durchgeführt hast.“

„Bei allem gebotenen Respekt, und ich will dir wirklich nicht zu nahe treten, aber ich bin nur ein Werkzeug, Sir. Für mich allein fehlen mir die Fähigkeit und die Entschlussfähigkeit, ein Ziel zu vernichten. Ich bin zwar der Vollstrecker deines Willens, aber es sind vor allem die Benutzer, welche die Dekonstruktion vornehmen.“

Ich nicke leicht. Wir machen uns wieder auf den Weg. „Waffen töten keine Menschen“, flüstere ich.

„Wie war das?“

„Ach, das ist nur ein alter Spruch, den hier manche im Munde führen.“

„Waffen töten keine Menschen?“

„Menschen töten Menschen.“

„Ah.“ Chuck scheint sich zu freuen. „Da würde ich zustimmen.“

„Ich bin mir aber nicht sicher, ob dir das auch die Skeptiker abkaufen würden, Junge.“

„Warum denn nicht?“

„Nun ja, um dich selbst zu zitieren, du bist ein Gewehr.“

„Umso mehr ein Grund, mir zuzuhören, findest du nicht?“

Ich lege den Kopf schief. „Du kennst die Menschen nicht sehr gut.“

„Gut genug, um zu wissen, dass sie jederzeit eine Waffe im Wert von Millionen aus dem Fenster werfen, wenn sie damit die Sicherheit ihrer Freunde gewährleisten können. Ich habe den Eindruck, ich lerne recht schnell.“

„Ja, das … aber du solltest deine Annahmen nicht …“

„Patrick, mir scheint, du hast Schwierigkeiten, einen vollständigen Satz zu bilden. Bist du dir sicher, dass es kein Tumor ist ?“ Auf einmal klingt er wie Arnold Schwarzenegger.

„Es geht mir gut. Es ist nur … die Welt kann grausam sein. Glaube nicht, dass alle tun würden, was ich gerade getan habe.“

„Das will ich doch nicht hoffen. Aus einem Fahrzeug geworfen zu werden, war eine einmalige Erfahrung, die ich nicht wiederholen möchte.“

„Das meinte ich nicht.“

„Ich glaube, ich habe verstanden, was du meintest“, erwidert er mit einem etwas verschlagenen Unterton.

Ich starre einen Moment aus dem Fenster und weiche den liegen gebliebenen Fahrzeugen aus. Dieser kleine britische Welpe ist mehr, als ich verdauen kann. Und ich mag immer noch nicht glauben, dass ich mit einem aufgemotzten Toaster rede. Nein, ich rede nicht nur mit ihm, ich habe ihn regelrecht an der Backe.

„Wie war das noch gleich mit diesem ‚ich tu jetzt mal scheißfreundlich‘?“

„Wie bitte? Scheißfreundlich?“

Ich zeige mit dem Daumen über die Schulter hinter mich. „Vorher warst du so: ‚Mehr Daten erforderlich, quak-quak , Benutzerprofil wird aktualisiert, tataaa, tataaa, tataaa. ‘“

„Was sind das für Geräusche, die du da machst?“

„Das beschreibt, wie du …“

„Willst du damit sagen, dass ich für dich so klinge?“

Ich schniefe. „Japp.“

„Ha. Ich verstehe. Wie peinlich.“

Ein paar Sekunden vergehen.

„Und?“ Ich nicke ihm zu. „Was ist damit?“

„Warum ich jetzt ganz anders bin?“

„Japp.“

„Tja, ohne vertrauliche Dinge zu verraten oder in Konflikt mit meinen Direktiven zu geraten, kann ich sagen, dass du der erste Benutzer bist, der mir die Erlaubnis gegeben hat …“

Schweigen breitet sich aus, während der FJ40 summt und der Motor die Kabine vibrieren lässt. Ich kann nicht sagen, ob Chuck sich verheddert hat oder eingeschlafen ist.

„Sir Charles?“, frage ich. „Was für eine Erlaubnis?“

„Ich selbst zu sein.“

Ich kratze meine juckende Nase und blicke kurz zum Seitenfenster hinaus. Solche Unterhaltungen habe ich kaum einmal mit anderen Menschen geführt, ganz zu schweigen von einer Alien-Waffe. Wer hätte schon wissen können, dass dieses Ding so viel Herz hat? Die Erkenntnis macht mich verlegen.

„Nur um das klarzustellen“, ich wedele mit einer Hand über ihm, „all das war die ganze Zeit in dir aufgestaut?“

„Könntest du bitte erklären, was du mit ‚all das‘ meinst?“

Wieder wedele ich mit einer Hand über ihm. Über dem Ding . Mein Gott, ich darf ihn nicht personifizieren. Letzten Endes ist er doch nur eine Maschine. „Deine Fähigkeit, eine Persönlichkeit zu haben und Gespräche zu führen. Flachwitze zu reißen.“

„Ah, verstehe. Weißt du, für eine hochentwickelte Spezies ist es wirklich erstaunlich, dass du so viele undefinierte Bezüge herstellst.“

„Das höre ich öfter.“

Er schweigt einen Moment. „Das war ein Witz, oder?“

Ich schnalze mit der Zunge und ziele mit dem Zeigefinger auf ihn. „Du bist ja ein richtig helles Köpfchen.“

„Ein helles Köpfchen? Ha, das gefällt mir sehr!“

„Beantworte die Frage.“

„Ja, ich hatte schon immer die notwendigen kognitiven Fähigkeiten. Wie ich schon sagte, bin ich ein …“

„Ein Spitzenraubtier-Synthetikklugscheißer, ja. Das habe ich verstanden.“

Wieder zögert er einen Moment. „Ich erkläre das mal etwas anders. Um Begriffe zu benutzen, die dir besser vertraut sind: Ich hatte schon immer die nötige Pferdestärke unter der Haube, aber mir hat noch niemand die Gelegenheit gegeben, auf der Straße die Muskeln spielen zu lassen.“

„Also, das verstehe ich jetzt nicht.“

„Mann. Und ich hätte gedacht, dass die Analogie funktioniert.“

„Nein, das habe ich schon verstanden, du Dumpfbacke. Ich meine, warum sollten sie bei dir nicht die Zügel schleifen lassen und dir freie Fahrt geben? Damit du ein bisschen die Beine strecken und …“ Ich hole Luft. Jetzt bin ich derjenige, dem die Gedanken davongaloppieren.

„Patrick?“

„Japp.“

„Hast du das absichtlich so stehen lassen? Oder hast du die Absicht, den Satz zu beenden?“

Ich seufze. Ich bemühe mich sehr, dieses Ding nicht stärker zu personifizieren als einen lieb gewonnenen Toaster. Ich darf nicht vergessen, dass es sich nur um eine Waffe mit Siri handelt. Nicht, dass Apple jemals so weit gehen würde … oder? Und doch, Sir Charles scheint so viel mehr als das zu sein. „Ich frage mich nur, warum sie dich nie das sein lassen wollten, was du sein kannst.“

„Ist das eine Anspielung auf den alten Werbespruch der United States Army? Ha! Patrick, ich kann dir sagen, du hast wirklich einen vorzüglichen Humor.“

Das hat noch nie jemand zu mir gesagt.

„Um ehrlich zu sein“, fährt Chuck fort, und es klingt ein wenig melancholisch, „ich habe keine Persönlichkeit gebraucht.“

„Da kann ich dir nicht folgen.“

„Nein? Hm. Ja, vielleicht müssen wir ein paar Dinge klären. Mal sehen. Patrick, ich bin ein Gewehr.“

„Japp.“

„Und die Androchider sind Sklavenhalter. Sie zielen mit mir, ich schieße …“

„Die Androchider sind Sklavenhalter?“, unterbreche ich ihn.

„Oh, das war ein Fehler.“

Der Land Cruiser steht blitzschnell. Ich bemerke, dass die Beleuchtung im Zielfernrohr deaktiviert ist. „He. He! Weich mir nicht aus.“

„Ich habe schon zu viel gesagt.“

„Nein. Du hast gerade erst angefangen, Kumpel.“

„Bitte, Patrick. Ich habe jetzt schon zweimal die Direktive Beta verletzt.“

„Siehst du, so geht das. Dabei bist du doch nur ein Computer.“

„Ein ASIK.“

„Was auch immer. Computer machen solche Fehler nicht.“

„Was für Fehler meinst du denn?“

„Sich verplappern. So etwas tun Menschen, keine Computer. Was du mir da auch einreden willst, ich kaufe es dir nicht ab.“

„Eine Zeitlang hast du es getan.“

„Chuck?“

„Ja?“

„Bring mich nicht dazu, dich noch einmal aus dem Fenster zu werfen.“

„Äh … gut.“

Es gibt eine lange Pause.

„Heißt das ‚gut‘ jetzt, dass du mir erzählst, was ich wissen will, oder heißt es, dass du noch einmal in die Botanik fliegen willst?“ Ich packe den Griff der Waffe.

„Es heißt: Gut, ich erzähle dir, was du wissen willst, solange es nicht mit Direktive Beta kollidiert.“

„Und was ist die Direktive Beta?“

„Das kann ich dir nicht sagen.“

„Ich krieg ’ne Krise.“

„Aber ich kann dir sagen, was Direktive Alpha ist.“

Ich runzele die Stirn und lege die Waffe schließlich wieder auf den Sitz. „Alpha ist höher als Beta, also meinetwegen.“

„Könntest du zunächst weiterfahren?“

„Nur, wenn du etwas wirklich Gutes für mich hast.“

Er seufzt gedehnt. „Ja, es wird gut.“

Ich gebe Gas, und der FJ40 rollt weiter.

„Direktive Alpha besagt unter anderem, dass ich unfähig bin, meinen Benutzer zu verletzen, und nicht zulassen kann, dass mein Benutzer verletzt wird.“

„Ich wusste es.“ Ich stoße die Faust aufwärts in die Luft. „Das ist von Asimov.“

„Was ist das?“

„Isaac Asimov. Die drei Gesetze der Robotik.“

„Ah ja, jetzt sehe ich es.“

Ich blicke ihn an und frage mich wieder einmal, wie er Zugang zu so vielen Daten haben kann. Vermutlich hängt es irgendwie mit dem Internet zusammen, aber da der EMP-Angriff die ganze Region gegrillt hat, verstehe ich nicht, wie er sich einloggen kann.

„Isaac Asimov. Ein Science-Fiction-Autor aus dem letzten Jahrhundert, dessen Werke … hm. In gewisser Hinsicht sind sie überraschend akkurat, und … oh herrje. Das ist aber komisch.“ Chuck lacht laut. „Meine Güte, das ist wirklich komisch. Mann, ist das witzig!“

„Chuck, konzentriere dich. Wir haben keine Zeit für Bücher.“

„Patrick, für Bücher ist immer Zeit. Hast du so mit deiner Mutter gesprochen?“

„Ich kannte meine Mutter gar nicht.“

Er zögert. „Ah, ich sehe, dass ich einen Fauxpas begangen habe. Entschuldige bitte.“

„Schon gut.“

„Du bist sehr entgegenkommend. Und jetzt, wo waren wir noch gleich?“

„Du darfst mich nicht verletzen.“

„Ganz genau.“

„Damit ich das richtig verstehe − als ich gleichzeitig mit dem Schreckgespenst die Hand auf deinen Griff gelegt habe, da wurdest du darauf verpflichtet, mich um jeden Preis zu beschützen?“

„Ja.“

„Und meine Freunde?“

„Wie bitte?“

„Bevor du Mister Monty Python wurdest, hast du mich aufgefordert, meine Teammitglieder als Freund oder Feind zu identifizieren.“

„Oh, das.“

Ich warte, aber er sagt nichts weiter. „Chuck?“

Er seufzt gedehnt. „Ja, ich glaube, ich bin in gewisser Weise auch dazu verpflichtet, deine Freunde und deine Bekannten vor Schaden zu bewahren.“

„Oh Mann. Und du sagtest, die Androchider sind Sklavenhalter? Das bedeutet …“ Allmählich fügen sich die Teilchen zusammen.

„Patrick, tu dir nicht weh.“

„Das bedeutet, dass du jetzt genau das schützen musst, was du eigentlich versklaven solltest. Heilige Maria und alle zehn Jungfrauen.“

„Ich kann nichts zu den Jungfrauen sagen, aber ich kann ganz allgemein deine Annahmen bestätigen.“

Ich schlage mit einer Faust auf das Lenkrad und nehme mir das Funkgerät. „Phantom Zwei, hier ist Phantom Eins.“

„Was gibt es?“, antwortet Hollywood.

„Ich komme zu dir. Leute, wir haben eine Menge zu besprechen.“