32

2140, Freitag, 25. Juni 2027

Lower Manhattan, New York

Brooklyn Bridge

 

„Jetzt darfst du glänzen“, sage ich zu dem Jungen, als er sich auf dem rechten Pilotensitz anschnallt. Z Lo ist groß genug, um den Sitz auszufüllen, während Yoshi links fast zu verschwinden scheint. Aber er kommt zurecht.

Die anderen steigen die Treppe vom Frachtraum herauf, Bumper schließt die hintere Luke.

„An den Geruch kann ich mich einfach nicht gewöhnen.“ Hollywood hält sich die Nase zu.

„Ich würde mir Sorgen machen, wenn du ihn angenehm fändest.“ Der Ammoniakgeruch bleibt haften, obwohl die Anderkins ausgestiegen sind, sobald das Fahrzeug aufgesetzt hatte.

Das obere Deck des Transporters hat keine Windschutzscheibe, sondern nur ein Cockpit mit einem einhundertachtzig Grad weit projizierten Display, das an einen gebogenen Monitor erinnert. Die Daten werden in der Plüschisprache angezeigt und sind daher nutzlos. Aber von hier aus können wir die Lücke zwischen den Kommandogebäuden erkennen, wir sehen die fliehenden Menschen und die Alien-Sicherheitskräfte, die ihre Positionen einnehmen.

Gleich darauf beginnen sie zu schießen.

Instinktiv weiche ich vom Bildschirm zurück, obwohl die Kugeln woanders einschlagen. Wir spüren das leichte Zittern, das durch die Hülle läuft.

„Ich habs doch gesagt“, erklärt Chuck, den Hollywood noch auf dem Rücken trägt. „Blastersicher.“

Ich klopfe Z Lo auf die Schulter. „Wie schnell kommen wir hier raus?“

„Ich bin mir nicht sicher.“ Z Lo hebt die Hände und sucht nach der Steuerung. Um die Handgelenke erscheinen orangefarbene Doppelringe. „Mann.“ Er zieht die Hände zurück, und der Transporter ruckt ein Stück zurück.

„Nicht zum Portal“, ruft Hollywood.

Sie hat völlig recht. Ich stoße Z Los Ellenbogen nach vorne, worauf das Schiff ebenfalls nach vorne fliegt.

„Hoch! Hoch!“, rufe ich, während ich Z Los Unterarme hochziehe.

Das Schiff steigt empor und fliegt knapp über den Befehlsstand hinweg. Korrektur, es fliegt nicht darüber hinweg. Die Hülle prallt gegen ein Dach, und der Ruck erschüttert das ganze Deck. Ich halte mich an der Lehne von Z Los Stuhl fest, damit ich nicht stürze.

„Ich habs, ich habs“, sagt Z Lo. Doch der Transporter kippt nach Backbord und kommt dem zentralen Kabelstrang der Brücke gefährlich nahe.

„Z Lo!“

„Ich sehe das“, protestiert er und zieht das Schiff wieder zurück.

Aaron stößt einen Schrei aus, weil er über das Deck rutscht.

Anscheinend treffen weitere Blasterschüsse die Hülle.

Ich blicke zu Hollywoods Rücken. „Hast du nicht gesagt, das Ding fliegt sich fast von selbst, Chuck?“

„Das tut es auch! Wenn kein Mensch an der Steuerung sitzt.“

„Warum hast du dann gesagt …“

„So war es für euch einfacher, euch zu entscheiden und zu verhindern, dass mich die Androchider konfiszieren.“

„Das spielt aber keine Rolle mehr, wenn wir dabei in den East River stürzen.“

„Wenigstens werde ich dann überleben.“

„Chuck!“

„Ja?“

Am liebsten würde ich ihn aus einem Fenster werfen. „Kannst du das Ding nicht steuern?“

„Verdammt, Pat, ich bin ein Blaster und kein Pilot.“

„Jetzt sind wir tot“, sagt Yoshi.

„Schon gut, schon gut“, beruhigt ihn Chuck. „Ich kann es steuern, ja. Aber ich brauche einige Minuten, um mich mit der nicht sehr beeindruckenden KI des Schiffs zu integrieren.“

„Macht es die Einfachheit nicht leichter?“, wende ich ein.

„Sag mir, ist es leicht oder schwer, mit einem sechs Monate alten Baby über Quantenphysik zu plaudern?“

„He, ich glaube, ich habs so langsam“, erklärt Z Lo.

Ich blicke zu dem Fensterbildschirmdisplay und sehe, dass uns der Junge tatsächlich stabilisiert hat. Er hält auf das rechte Spitzbogenportal des Turms zu. Die Kabel, die daneben entspringen, sind gefährlich nahe.

„Z Lo, ich glaube nicht …“

„Lass ihn fliegen“, flüstert mir Hollywood zu.

„Aber wir …“

„Lass ihn fliegen.“

Ich atme langsam aus und ducke mich hinter den Sitz des Burschen, als wäre ich dort besser geschützt. Eines Tages werde ich an Herzrasen sterben. „Eine Hütte auf dem Land“, sage ich zu mir selbst. Mein privates neues Mantra.

„Wie war das?“, fragt Z Lo.

Ich will nicht mit ihm sprechen. Vielleicht später, wenn wir die nächsten Minuten überleben. Aber jetzt? Ich habe eher Lust, den Burschen bewusstlos zu schlagen.

Ich spähe über seinen Sitz hinweg, als er in Richtung des Spitzbogenportals beschleunigt. „Huch!“, rufe ich, und Hollywood und Bumper und alle anderen sind anscheinend genauso nervös. Sogar Ghost hält sich an einer Stange über seinem Kopf fest und sagt dem Jungen, er solle bremsen.

„Wir werden jetzt alle sterben, oder?“, fragt Chuck.

„Japp.“

„Vielleicht später“, schreit Z Lo. „Aber … nicht … heute!“ Mit einem lauten Jubelruf lässt er unser Flugzeug durch den Bogen schießen.

Jenseits des Turms bleiben die Kabel unter uns zurück, während das Schiff weiter beschleunigt. „Junge, mach das nie wieder.“

Er hört gar nicht zu, sondern fragt: „Und wo sind jetzt die Waffen?“

„Nein, nein, nein“, antworten Hollywood und Bumper im Chor.

„Bring uns einfach erst mal hier raus und lande, damit wir alles in Ruhe durchdenken können“, sage ich.

Mitten auf dem Display flammt ein rotes Warnlicht auf.

„Chuuuuuck?“, frage ich.

„Oh, diese kleinen matschbirnigen Kackstiefel“, sagt er.

In diesem Moment wird mir klar, dass rot blinkender Text mitten auf einem Display vermutlich im ganzen Universum den jeweiligen Benutzern sagt, dass etwas Schreckliches passieren wird.

„Chuck!“

„Oh, verflixt noch mal! Haltet eure Schlüpfer fest!“

„Was?“, frage ich erstaunt. „Ist das …“

Der Transporter wird von irgendetwas getroffen. Ich kann mich gerade noch an Z Los Sitz festhalten, als das Fluggerät gegen den Uhrzeigersinn zu rotieren beginnt. Direkt vor Z Lo poppt in der Luft ein weiteres Display auf. Es ist eine dreidimensionale Darstellung des Schiffs mit mehreren blinkenden Hinweisen. Die größte Fehlermeldung betrifft die Gegend um die beiden Antriebe an der Steuerbordseite.

„Oh Himmelkreuzdonnerwetter noch einmal“, ruft Chuck. „Haltet euch fest!“

Z Lo bemüht sich nach Kräften, die Rotation des Transporters auszugleichen, indem er beide Hände nach links stößt. Auch Yoshi hat jetzt zwei Ringe um die Handgelenke und ahmt den Jungen nach, aber es ist nicht zu erkennen, ob es hilft.

Bei jeder Rotation wird die unbeleuchtete City Hall im flackernden Display etwas größer. Wir bewegen uns nach Lower Manhattan.

„Haltet euch fest, wir stürzen ab“, ruft Chuck. „Das wird jetzt etwas ruckelig.“

 

Ob es die Gnade des Allmächtigen war oder reines Glück − der Transporter kracht nicht in die City Hall, sondern stürzt weiter südlich in den City Hall Park. Man kann wohl sagen, dass die Bäume unsere Bruchlandung gedämpft haben, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass der Rumpf des Alien-Schiffs eine tiefe Furche in den Rasen gezogen hat, ob uns die Bäume nun gebremst haben oder nicht.

In der Kabine blinken rote Alarmsignale, und der größte Teil der Elektronik ist ausgefallen. Der Geruch der schmorenden Elektrik wird mit jeder Sekunde stärker.

„Lagebericht“, rufe ich, während ich noch auf dem Rücken liege, die Beine halb an der Wand emporgereckt. Oder ist es der Boden? Es kommt mir so vor, als läge der Transporter auf der Backbordseite.

Hollywood und Chuck liegen neben mir und melden, dass sie trotz kleiner Verletzungen einsatzklar sind. Bumper hat eine blutige Lippe, die Hollywood untersuchen will. Ghost hält sich irgendwie immer noch an einer Strebe fest, obwohl sich auf seinem Oberkörper frisches Blut abzeichnet. Z Lo und Yoshi ist es am besten ergangen. Aaron läuft etwas Blut über die Schläfe, sonst scheint er unversehrt zu sein.

„Yoshi“, sage ich, ohne ihn anzusehen. „Verbinde Aarons Kopf.“

Er schnallt sich schon ab. „Sofort.“

„Alle anderen, sammelt eure Sachen ein und passt auf, wohin ihr tretet. Wir steigen aus, ehe die Feinde hier eintreffen.“

Weniger als sechzig Sekunden später sind wir zur vorderen Frachtluke hinausgekrochen. Die hintere Klappe ist zu stark beschädigt und lässt sich nicht mehr öffnen. Ich richte mich auf und bemerke, dass die beiden Steuerbordmaschinen schon bessere Zeiten gesehen haben. In der Nähe des Parks bewegen sich viele Menschen durch die Straßen. Es ist ein Wunder, dass nicht mehr Zivilisten im Park waren, als wir abgestürzt sind. Vielleicht waren sie aber auch da, und wir haben sie …

Ich schiebe den Gedanken weg und sehe mich um.

„Darüber wird er sich nicht freuen“, meint Hollywood, die den hübschen Graben betrachtet, den der Transporter durch den Vorgarten des Bürgermeisters gezogen hat.

Ich zwinkere ihr zu. „Keine Sorge, er wird schon ein paar Steuerdollar dafür auftreiben können.“

Sie lächelt und nimmt Chuck von der Schulter. „Hier, ich glaube, er hat dich vermisst.“

„Ach, spar dir die Mühe“, wendet Chuck tieftraurig ein. „Er hat schon ein neues Spielzeug gefunden.“

„Unsinn“, widerspreche ich, als ich meine Neuerwerbung über die Schulter schlinge. „Die hier hat nur auf der Brücke etwas ausgeholfen.“

„Tja, wenn ich dir dann doch keine Last bin, kannst du auf mich zählen. Ich bin immer gern bereit, als Ersatzrad zu dienen.“

„Das ist der richtige Sportsgeist.“ Ich drehe mich zu den anderen um. „Seid ihr so weit?“

„Wohin gehen wir, Wik?“, fragt Bumper. „Hier kennst du dich besser aus als wir.“

„Wir brauchen eine gute Deckung und etwas Zeit, um uns neu zu formieren.“ Ich blicke in die Runde und orientiere mich. „Da drüben ist das Woolworth Building.“ Ich zeige nach Süden. „Das bedeutet, dass die Fulton Street Station anderthalb Blocks weiter südlich am Broadway liegt.“

„Die U-Bahn?“, fragt Bumper.

„Japp. Das ist eine gute Deckung. Und da es kein elektrisches Licht mehr gibt, ist sie vermutlich nicht sehr beliebt. Funktionieren eure Nachtsichtbrillen noch?“

Bumper hebt eine Hand. „Meine schon.“

„Ebenfalls“, bestätigt Ghost.

„Meine ist kaputt“, sagt Hollywood.

„Meine auch“, meldet Yoshi.

„Oh, und mir hat niemand eine gegeben“, fügt Z Lo hinzu.

Ich kichere über den armen Jungen.

Dann überprüfe ich meine eigene. „Funktioniert. Passt auf, wohin ihr tretet. Möglichst wenig Kontakt zu Zivilisten. Wir steuern schnurgerade den Zugang zur U-Bahn an. Roger?“

Die anderen nicken, und dann führe ich sie aus dem City Hall Park heraus.

 

Wir brauchen fast zehn Minuten, um auf dem Broadway nach Süden zu laufen. Auf der Straße wimmelt es vor Menschen, überall stehen kaputte Fahrzeuge herum. Mehrere Kilometer über uns glüht die blaue Kuppel und wirft ein fahles Licht herab, das an einen Horrorfilm denken lässt. Beinahe erwarte ich schon, dass ein Monster aus dem Pflaster hervorbricht oder uns ein Zombie-Mob angreift. Nicht, dass diese Möglichkeiten im Augenblick allzu fern lägen. Trotzdem, die Menschen wirken eher ermüdet als erregt. Das ist für uns von Vorteil, denn ich will auf keinen Fall mit Gewalt gegen diese armen Seelen vorgehen müssen.

Nur einmal kommt mir jemand aggressiv entgegen. Ein junger Kerl, Anfang zwanzig, packt mich bei den Armen.

„Yo, Mann, du willst die bekämpfen, was? Bist du von der Army? Spezialeinheit, was? Hör mal, nimm mich mit. Ich kann kämpfen.“

Ich streife seine Hände ab. „Bleib hier, Junge. Pass auf die auf, die du schützen kannst.“

„Nö, Mann. Gib mir eine Kanone. Ich schwöre dir, ich kann supergut schießen. Call of Duty , verstehst du?“

„Lass mich in Ruhe, Junge.“ Ich versuche, ihn abzuwehren, und will ihm ausweichen, doch nun regt er sich auf. Die Wirkung von Uppers? Vermutlich hat der Typ Aufputschmittel eingeworfen.

„Komm schon, ich halte dir den Rücken frei und so weiter, kein Problem. Gib mir nur eine Waffe. Wie es aussieht, hast du doch eine übrig. Lass uns diese Ärsche kaputtschießen.“

„Junge, nimm deine Hände weg und mach mir Platz.“

„Erst musst du mir eine Waffe geben, Pops.“ Er zieht ein Messer aus dem Hosenbund und hält es mir unter die Nase.

Ich habe keine Zeit für diesen Unsinn.

Ich packe sein Handgelenk, drücke es weg und biege den Unterarm gegen den natürlichen Spielraum seines Ellenbogengelenks.

Der Junge quietscht und lässt das Messer fallen.

Ich trete es weg und ziehe ihn zu mir heran. „Hilf den armen Leuten hier. Und wenn du jemals wieder jemanden mit dem Messer bedrohst, dann solltest du aufpassen, dass du keinen Marine vor dir hast. Ist das klar?“

„Oh mein Gott. Lass mich los, Mann. Lass mich doch los.“

Ich stoße ihn weg und führe das Team weiter.

 

Auf der Treppe, die zur Fulton Street Station hinabführt, treffen wir auf mehrere Menschen. Die meisten sind Betrunkene oder Junkies. Fast muss ich über die Ironie der Situation lachen. Selbst wenn die Aliens sich direkt vor diesen Leuten aufbauen würden, käme von der Hälfte keine Reaktion außer: „Ein ganz normaler Tag in New York.“ Und sie würden weitergehen.

Ich klappe die Nachtsichtbrille herunter und sage denen, die keine haben, sie sollen sich hinter den anderen einreihen und dicht bei ihnen bleiben. Wir steigen über die Drehkreuze und folgen den Hinweisschildern zur Linie Fünf. Dann klettern wir vom Bahnsteig hinunter auf das Gleis, das nach Norden in Richtung Brooklyn Bridge und City Hall führt.

Nachdem ich die Gruppe zwei Minuten schweigend durch den Tunnel gelotst habe, bleibe ich stehen und frage, ob jemand eine Lampe hat.

„Nachtsichtbrillen hoch“, warnt Bumper. Dann holt er drei Leuchtstäbe aus der Weste, knackt sie und wirft die grün glühenden Röhrchen auf die Gleise.

„Lasst uns einen Kreis bilden“, sage ich. „Kniet euch hin oder macht es euch bequem.“

Ich befolge meinen eigenen Rat und hocke mich auf eine Betonkante an der Tunnelwand. Chuck Eins und Zwei stelle ich neben mir ab. Dann greife ich nach dem Schlauch meines Trinkrucksacks und stelle fest, dass er noch am Schultergeschirr befestigt ist. Über einen raschen Zug bekomme ich Trinkwasser, das ehrlich gesagt nicht sonderlich gut schmeckt. Da ich kräftig saugen muss, weiß ich, dass mein Vorrat fast erschöpft ist.

Die schwindenden Ressourcen bestärken mich in meiner Überzeugung, dass die größte Gefahr für die moderne Zivilisation keine Invasionen verrückter Aliens oder Katastrophen sind, ob natürlichen oder anderen Ursprungs, sondern die Schwierigkeit, ohne moderne Annehmlichkeiten und die übliche Versorgung mit Lebensmitteln zu überleben.

„Was ist los, Wik?“, fragt Hollywood, während sie einen Proteinriegel schnappt, den Bumper ihr zugeworfen hat. „Alles klar?“

„Japp, alles gut. Ich musste nur darüber lachen, wie zerbrechlich wir als Spezies sind.“ Ich nicke Bumper zu, der mir ebenfalls einen Eiweißriegel herüberwirft.

Hollywood sieht mich besorgt an.

„Alles in Ordnung, es ist nichts weiter.“ Ich winke ab.

„Und, wie sieht jetzt der Plan aus?“

„Ehe wir dazu kommen“, unterbricht Bumper, „was ist eigentlich da oben mit dir passiert?“

„Wie lange war ich weg?“, frage ich zurück.

„Sechs Stunden“, antwortet Aaron. „Wir dachten schon, du bist hin.“

„Erst dachten wir, du wärst sozusagen nur gerade mal auf dem Klo, aber anscheinend bist du allein auf die Jenseitsparty gegangen und hast uns an der Tür zurückgelassen.“ Bumpers alter Detroit-Akzent schlägt wieder durch. „‚Ich geh schon mal rein‘, hast du dir wohl gedacht. ‚Und ihr wartet draußen in der Schlange.‘ Oh Mann, mit dir gehe ich nie wieder tanzen. Siehst du das nicht auch so, Campbell?“

Aaron weiß nicht recht, was er darauf antworten soll, und beschränkt sich auf: „Äh, ja, klar doch.“

Alle kichern, weil Aaron es so sportlich nimmt. Der arme Kerl ist nicht an den Humor unter Kameradinnen und Kameraden gewöhnt, erst recht nicht an die militärische Variante.

„Um ehrlich zu sein, ihr wisst vermutlich mehr als ich selbst“, berichte ich. „Ich weiß nicht, was passiert ist, nachdem Yoshi …“ Ich breche mitten im Satz ab.

Yoshi senkt den Kopf und ringt mit den Händen. „Hör mal, Master Guns …“

„Das machen wir nicht hier vor allen, Yoshida. Wir sparen uns das für später auf.“

„Verstanden.“

Nach einem kleinen unbehaglichen Schweigen hakt Z Lo nach: „Also, du erinnerst dich doch sicherlich, dass du auf der Drohne gelandet bist, oder?“

„Japp.“

„Das war ein wilder Ritt“, meint Ghost.

Ich nicke. „Die Drohne hat mich abgeworfen, und dann hat mich eine andere am Fußgelenk gepackt, oder?“

Hollywood nickt. „Wir haben gesehen, wie du gezittert hast wie ein Fisch, und dann bist du still geworden.“

„Genau wie bei Lewis“, ergänzt Aaron.

Ich beiße mir auf die Lippe und versuche, die Erinnerungen zu vertreiben.

„Dann haben sie dich hochgezogen und weggeschleppt“, berichtet Bumper.

„Was ist mit euch passiert?“

„Ghost hat geholfen, die Drohnen abzuwehren, und Z Lo hat uns im Wasser aufgesammelt. Chuck hat uns lange genug gedeckt, um Ghost zu bergen. Da wir gesehen haben, wie dich die Drohnen rüber nach Manhattan gebracht haben, sind wir dir gefolgt und haben uns im … wie hieß das noch gleich?“

„Wir haben uns im Whitehall Terminal versteckt“, hilft Hollywood ihm.

„Mann“, sage ich ehrlich überrascht. „Das Dock der Staten-Island-Fähren, das ist eine verdammt gute Deckung. Gut ausgedacht.“

„Wir sind dortgeblieben und haben uns überlegt, wie wir dich finden können“, erklärt sie.

„Und wie habt ihr das gemacht?“

„Wir haben auf der Straße ein paar Mäntel aufgeklaubt, uns unter die Leute gemischt und sind in Richtung Brücke gelaufen.“ Hollywood lässt den Kopf hängen und schüttelt ihn leicht. „Um ehrlich zu sein, wir hielten dich für tot. Wir dachten, es sei sinnlos.“

„Wir haben anderthalb Stunden gebraucht, um dorthin zu gelangen.“ Yoshi nimmt einen Schluck aus dem Flachmann.

Mein Gott, ich will das Ding am liebsten in den Tunnel schmeißen.

„Einige Barrikaden konnten wir umgehen“, fährt er fort, ohne mir in die Augen zu sehen. „Dann haben wir dich und die drei Todesengel entdeckt.“

Ich wende mich an die anderen. „Seid ihr wirklich genau in diesem Augenblick dort eingetroffen? In dem Moment, als ich wieder zu mir gekommen bin?“

„Irgendjemand da oben mag uns wohl.“ Bumper grinst.

„Die haben eine seltsame Art, uns das zu zeigen“, wende ich ein.

„Wir waren so überrascht, dich dort zu sehen, Wik“, erklärt Hollywood. Es sieht fast aus, als würde sie gleich weinen. „Dann ist der Transporter gelandet, und dieser ekelhafte Killerplüschi kam heraus. Da wussten wir, dass es Zeit war, mit der Party zu beginnen.“

Ich wende mich an Ghost. „Du hast ihm den Kopf weggeschossen.“

„Schuldig.“ Sein Grinsen zeigt mir, dass er seinen Einsatz genossen hat.

„Sie hatten unseren Sprengstoff“, berichte ich.

Bumper nickt. „Ja. Als die Drohnen keine Lust mehr hatten, uns zu verfolgen, sind sie zurückgekehrt und haben den Sprengstoff eingesammelt. Glaub mir, ich habe versucht, ihn zu zünden, auch wenn es vielleicht dich getroffen hätte.“

„Schon gut, ich hätte es genauso gemacht.“

Er nickt mit gesenktem Kopf, und ich hoffe, meine Worte trösten ihn ein wenig. Sich für eine Aktion zu entscheiden, die auch die Angehörigen deines Teams verletzen kann, ist eine der schwersten Entscheidungen, die ein Kombattant überhaupt treffen kann. Und Bumper hat sich entschieden, wie ich es von ihm erwartet hätte.

Er hält sich eine Faust vor den Mund und räuspert sich. „Ich weiß nicht, ob ich zu weit weg war, oder ob sie die Zünder blockiert haben, aber die Ladung ist einfach nicht explodiert, und die Partyknaller haben ihre Ziele nicht gefunden.“

„Was ist mit dir, Master Guns?“, fragt Z Lo.

Ich sehe den Jungen mit hochgezogener Augenbraue an, was so viel heißen soll wie: „Willst du das wirklich wissen?“ Aber natürlich wollen sie auch meine Version der Geschichte hören, und sei es nur, um zu verstehen, was auf dieser Seite mit denen passiert, die durch das Portal geschickt werden. Sie müssen erfahren, dass die Todesengel nicht die höchsten Positionen in der Nahrungskette der Anderkins besetzen. Also erzähle ich die ganze Geschichte über die Stapel der Implantate und Geräte, über die armen Seelen, die zugrunde gehen, ehe sie überhaupt die andere Seite erreichen. Ich erzähle ihnen alles über den Overlord, was ich weiß, und beschreibe dessen Äußeres und wie ich den zweiten Sir Chuck auf ganz ähnliche Weise wie den ersten an mich nehmen konnte, nur dass es dieses Mal absichtlich geschah.

Als ich fertig bin, schweigen die anderen einen Augenblick im Gedenken an die Toten.

„Also glaubst du, dieser Scarface da drüben vertritt deren Militär?“, fragt Hollywood.

„Japp.“

„Leider war er nicht klug genug, seine Kopfbedeckung aufzusetzen“, wirft Bumper lächelnd ein. „So ein Pech aber auch.“

„Das habe ich ihm auch gesagt“, antworte ich, „aber er konnte es nicht mehr hören.“ Ich zucke mit den Achseln. „Vielleicht hätte ich vorher mit ihm reden sollen.“

Die anderen lachen, dann schweigen wir wieder.

„Also, ich bin froh, dass es euch gut geht“, sage ich schließlich.

„Und wir sind froh, dass dir nichts passiert ist, Wik“, bemerkt Hollywood. „Das hat uns schon etwas Angst eingejagt.“

„Sie haben im Grunde deinetwegen gejammert und geheult“, wirft Chuck ein.

„Wirklich?“

„Oh, es war schrecklich, Patrick. Schluchzen und Wehklagen. Auf einmal waren sie keine harten, kampferprobten Veteranen mehr. Ich habe sie kaum wiedererkannt.“

„Fehlinformationen entdeckt“, sagt meine zweite Anderkin-Waffe mit monotoner Stimme. „Quelle SR-CHK 4110 begeht Verletzung der Direktive entsprechend …“

„Schau doch, wie spät es ist“, sagt Chuck. „Können wir uns nicht in Bewegung setzen und später wieder darauf zurückkommen?“

„Oh nein, auf keinen Fall“, antworte ich. „Anscheinend hat dein Kumpel da in dem, was du gesagt hast, etwas Unwahres bemerkt.“

„Ich muss allerdings darauf hinweisen, dass 51678 nicht mein Kumpel ist. Er ist ein beschränkter Schießprügel, dessen einziger Nutzwert darin liegt, dass man ihn als Briefbeschwerer benutzen kann.“

„Weitere Fehlinformationen entdeckt …“

„Ach, nun hör doch auf, du widerlicher Depp.“

„Warte mal, warte mal.“ Ich wedele mit beiden Händen, damit das Team aufhört zu lachen. „Ich möchte wissen, wie du mit der Information umgegangen bist, dass ich tot sein könnte.“

Moi ?“

„Genau. Wie hast du reagiert, als du gesehen hast, dass sie mich weggeschleppt haben?“

Es gibt eine unbehagliche Pause.

„Er hat es mit Würde getragen wie echter Gentleman“, sagt Hollywood etwas gedrechselt und förmlich.

Die anderen kichern.

„Ein würdevoller Gentleman, ja?“ Ich sehe Chuck schräg an.

„Das … das ist möglicherweise ein wenig übertrieben. Ich glaube, ich habe hier und dort womöglich eine kleine Träne vergossen.“

Das klingt, als könnte es wahr sein. Und als ich glaube, das Team kann sich nicht mehr beherrschen, platzt Chuck Zwei heraus: „Weitere Fehlinformationen entdeckt.“

Jetzt lachen sie laut.

Bumper ruft: „Wik, er war wie ein verdammtes Baby.“

„Teufel, ja, das war er“, brüllt Z Lo. „Er hat so laut gejammert, dass ich ihn unter die Rucksäcke schieben musste.“

„Er hat dreißig Minuten lang unkontrolliert geheult.“ Yoshi wischt sich die Tränen aus den Augen.

„Habe ich nicht“, protestiert Chuck.

„Weitere Fehlinformationen …“

„Es waren nur fünfzehn, keine dreißig Minuten.“

„Also wirklich, Charles, ich hätte nie gedacht, dass ich dir so wichtig bin.“

„Bist du auch nicht. Ich bin eine herzlose Alien-Waffe, die ständig darauf aus ist, dich zu vernichten. Mir ist völlig egal, was mit dir passiert. Und sage kein Wort, 51678, oder ich schieße dir deine ASIK-Speicher aus dem Gehäuse.“

„Verstanden.“

Das Lachen erstirbt, als unten im Tunnel Echos zu hören sind. Zuerst sind sie leise und muten überwiegend wie die Schreie von Menschen an. Aber dann folgen Impulse im Infraschallbereich, die den Putz von der Decke rieseln lassen. Die Krümel prasseln auf uns herunter, und im grünen Licht der Leuchtstäbe wallt der Staub auf.

„Das klingt, als suchten sie uns“, meint Bumper.

„Dann sollten wir aufbrechen“, entscheide ich. „Lasst uns packen.“

„Hast du einen Plan?“, fragt Hollywood.

„Wir überlegen im Gehen. Wenn sie wissen, dass wir hier unten sind, können wir nicht hierbleiben.“

„Und woher wissen wir, dass die wissen, dass wir hier unten sind?“, fragt Z Lo.

Wie auf Stichwort blitzt es in der Fulton Street Station, und wir hören einen lauten Knall. Der ganze U-Bahn-Tunnel bebt. Aaron stolpert gegen mich.

„Alles klar?“, frage ich.

Er richtet sich auf und klopft den Staub von seiner Jacke. „Ja, alles in Ordnung.“

„Phantome, los jetzt.“ Als ich nach Norden zeige, ist hinten im Tunnel ein weiterer Schrei zu hören, der allerdings überhaupt nicht menschlich klingt. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass ein Todesengel schon einmal einen solchen Laut von sich gegeben hätte.

„Verdammt, was war das?“, fragt Hollywood.

Chuck schaltet sich ein. „Hm, da dies unmittelbar dein Wohlergehen betrifft, kann ich die Frage beantworten.“

„Und?“, dränge ich ihn.

„Ah, ja, erinnerst du dich an den Killerplüschi?“

Mein Magen verkrampft sich. „Oh nein.“

„Oh doch“, bekräftigt Chuck. „Das ist sein Großgroßneffe. Oder ist es ein Urgroßneffe? Ich kann das einfach nicht auseinanderhalten. Jedenfalls bedeutet dieser Laut, dass er eure Witterung aufgenommen hat. Ghost, ich möchte noch hinzufügen, dass dieser hier seinen Helm trägt. Außerdem vermute ich, dass er zwei Todesengel bei sich hat. Daher würde ich vorschlagen, dass ihr umgehend weglauft.“