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0015, Sonnabend, 26. Juni 2027

Lower Manhattan, New York

FDR Drive, East River

 

Es ist schon etwas ganz Besonderes, ein Alien-Artefakt mit einem Haufen Dünger und Dieseltreibstoff in die Luft zu jagen. Damit sagt man im Grunde: He, ihr Dreckskerle, für euch verschwenden wir nicht mal die guten Sachen. Und all die teuren Waffen, die ihr mitgebracht habt? Moment, halte mal gerade mein Bier.

Natürlich besteht die durchaus realistische Möglichkeit, dass die Feinde Wind von unserem Plan bekommen, ehe wir in Reichweite sind, uns aufgrund ihrer thermischen Wahrnehmung erfassen, die Lastkähne zerstören und uns in die Luft jagen. Doch wenn es klappt, dann schaffen wir einen Präzedenzfall. Wir zeigen den Androchidern, dass wir keine Schwächlinge sind und beweisen dem Rest der Menschheit, dass wir eine Chance haben. Wir sagen damit, dass wir unsere Schachfiguren so aufstellen können, wie wir es wollen, und den Feind überrumpeln können, weil der uns viel zu selbstsicher angegriffen hatte.

Aber wenn es nicht klappt?

Ach, dann können wir mit dem Wissen sowieso nichts mehr anfangen, weil wir dann alle tot sind. Allerdings, verdammt − wir werden beim Sterben eine gute Figur machen.

Dank Sissys Privatsammlung sitzt jedes Phantom auf einem eigenen Motorrad. Genauer gesagt, alle bis auf Hollywood. Sobald sich zeigte, dass wir eine Maschine zu wenig haben, beäugte sie Bumper. Der Seal ließ sie gern bei sich aufsteigen, auch wenn Vlad darauf beharrte, er könne noch etwas anderes finden. Als Hollywood aufsaß und die Arme um Bumper schlang, konnte ich sehen, wie sie in sich hineinlächelte. Reizend.

Sissy gab Ghost, Yoshi, Bumper und mir jeweils ein „Armeemodell“, eine 1995er Harley Davidson MT350E, während Z Lo eine alte 1956 Dnjepr M 72 aus sowjetischer Produktion mit einem passenden Seitenwagen für Aaron bekam.

„So eins hatte mein Urgroßvater“, sagt Z Lo, während sein Blick sehnsüchtig über das Motorrad wandert. „Nur, dass ich es bloß auf den Fotos aus der alten Heimat gesehen habe.“

„Ist gute russische Maschine.“ Vlad tätschelt den Benzintank. „Arbeitet gut in Sibirienwinter.“

Veronica ist voll geladen und hängt auf meiner rechten Schulter, während links ein neues SCAR 17 wartet. Chuck dagegen ist auf meinem Rücken fest verschnürt und wird sicherlich nicht versehentlich herunterfallen. Alle haben sich mit Munition versorgt und zusätzlich panzerbrechende Munition auf die MT350 geladen. Sogar Aaron beäugt das seitlich am Beiwagen montierte DP-27-Maschinengewehr mit dem oben montierten Tellermagazin mit einer Mischung aus Furcht und Erregung.

Das Phantomteam, verstärkt durch Aaron, Vlad und Lada, bezieht auf dem FDR Drive direkt östlich von der Manhattan Bridge Position, um das Ziel zu beobachten. Sissy hat uns gute Jagd und doswidanja gewünscht und erklärt, er werde anderswo gebraucht – vermutlich in seiner privaten Höhle mit einer Zigarre, einer Flasche Wodka und einer Schale Pelmeni, um das Ende der Welt zu feiern. Wir anderen werden, wenn alles nach Plan läuft, in den Kampf ziehen, sobald Phase drei abgeschlossen ist.

Fortis fortuna adiuvat , Mister Wik“, sagt Bumper, der rechts neben mir auf seinem Motorrad hockt.

„Aber ganz sicher“, antworte ich auf die Redewendung, mit der sich schon viele Kriegerinnen und Krieger Mut gemacht haben. Das Glück ist mit den Tüchtigen.

„Die Tüchtigen können auch dabei umkommen, falls sie nicht gut genug vorbereitet sind“, gibt Aaron zu bedenken.

Bumper macht mit der Wange ein klickendes Geräusch. „Tja, dann haben wir wohl Glück, denn wir sind so gut vorbereitet, wie man es nur sein kann.“

„Und habt ihr auch viel gute Rückendecker“, ergänzt Lada, die direkt hinter mir steht. Dann knurrt sie wie eine Katze. „Und bis jetzt siehst du von Rücken her richtig gut aus.“

„Habe ich dich gewarnt“, sagt Vlad, der links neben mir steht.

„Das hast du, Mann. Danke.“ Ich beuge mich hinüber und sage halblaut: „Aber weißt du, deine Schwester könnte doch auch dich gemeint haben, oder?“

„Nein.“ Er schüttelt den Kopf. „So Familie sind wir nicht. Das ist falsch. Sie meint dich und deinen breiten …“

„Schon gut, das reicht jetzt.“

Vlad zwinkert mir zu und hält zwei Daumen hoch. „Wie David Hasselhoff.“

In diesem Moment piepst es im Funkgerät, und Yuriy sagt etwas in seiner Muttersprache.

„Ist jetzt in Position“, übersetzt Vlad für mich.

Ich blicke zu Bumper, dann sehe ich die anderen Phantome an. „OTF?“

„OTF“, antworten sie wie aus einem Munde.

„Dann lasst uns das Ding zünden. Phase eins: Los!“

 

Lada gibt den ersten Befehl über Funk. Die Worte verstehe ich nicht, aber drei Sekunden später kommen von beiden Ufern flussabwärts Raketen und Mörsergeschosse und fliegen zum Kraftfeld des Rings. Japp, die Werfer sind zu weit entfernt, um präzise zu treffen, aber sie müssen auch nicht sehr genau sein. Es reicht, wenn sie irgendwo die Fläche des Rings treffen, und das ist ein Ziel, das man kaum verfehlen kann.

Alle Phasen der Operation sind gefährlich, aber bei dieser hier sind sehr viele Zivilisten genau dort, wo die allergrößte Gefahr droht. Glücklicherweise hat der Beschuss jedoch den gewünschten Effekt. Wenige Sekunden, nachdem die ersten Geschosse auf der Wand des Portals explodieren − es bildet einen guten Resonanzkörper, weil es aus einem sehr widerstandsfähigen, nicht organischen Material besteht −, weichen die Menschen zurück. Als die nächsten Einschläge folgen und sich Rauchfahnen in die Nachtluft emporkringeln, hören wir sogar die Schreie der zurückweichenden Zivilisten.

„Es klappt“, sage ich und lasse das Fernglas sinken.

Bumper blickt rasch hinüber und betrachtet beide Seiten der Brücke. „Möge Gott ihnen beistehen“, flüstert er.

Ja, möge Gott ihnen beistehen.

Die explodierenden Geschosse der M3 und RPG treiben zwar die Menschen vom Portal weg – sie streben nun nach Manhattan oder nach Brooklyn –, doch sie müssen sich immer noch durch die Phalanx der androchidischen Wächter drängen, deren Aufgabe darin besteht, für Ordnung zu sorgen. Während Ladas Kräfte den Beschuss fortsetzen, verlassen die androchidischen Wächter allerdings sogar ihre Posten, um dem Guerillaangriff von beiden Ufern entgegenzutreten.

Nur zweimal treffen verirrte Geschosse die Brücke selbst − kurze Flugbahnen, entweder weil die Bediener nervös geworden sind oder weil die Munition versagt hat, und es gibt einige zivile Opfer. Ich bin mir nicht sicher, wie viele es sind, aber es sind genug, um mich zu veranlassen, ein Gebet für die Toten zu sprechen, nachdem ich zusammengezuckt bin und das Fernglas gesenkt habe.

Jede Operation hat ihren Preis, und der Angriff in dieser Nacht bildet keine Ausnahme. Das sind die unvermeidlichen Folgen, die man im Kampf akzeptieren muss. Menschen sterben. Wir, die wir ausgebildet sind und die Aufgabe haben, schwierige Entscheidungen zu treffen, müssen allerdings durch die innere Hölle gehen und mit unseren Entscheidungen hadern, bis wir uns zu den Toten gesellen.

„Fliegende Tangos“, meldet Ghost, der auf seinem Motorrad sitzt. Er blickt durch sein Fernglas.

Ich beobachte wieder die Brücke und sehe vier Transporter, die jeweils zu zweit starten und an beiden Ufern hinuntersinken.

„Sag deinen Leuten, sie sollen in Deckung gehen“, warne ich Lada.

Gleich danach höre ich über Funk ihre Anweisungen.

Ein Transporter feuert einen Blasterschuss, wie ich es von Chuck kenne, auf ein dreistöckiges Gebäude an der Pier 1 ab, wo wir an Land gegangen sind. Im Gegensatz zu Chucks Waffe explodiert in diesem Fall jedoch die ganze Vorderfront des Gebäudes. Ziegelsteine fliegen bis in den East River, Flammenzungen brechen hervor, und die Umgebung wird orangefarben angestrahlt. Eine sekundäre Explosion im Inneren des Gebäudes jagt das Dach in die Luft, und daraufhin wallt eine dicke schwarze Rauchwolke in den Himmel.

Es dreht mir den Magen um. Ich habe natürlich angenommen, dass die Transporter bewaffnet sein würden, doch mit etwas Derartigem habe ich nicht gerechnet.

„Patrick, dein Herz rast“, sagt Chuck. „Geht es dir nicht gut?“

„Die Transporter.“

„Ja. Das sind wirklich Miststücke, was?“

Ein paar Teammitglieder lachen kurz auf, die meisten scheinen nervös.

„Japp. Das kann man wohl sagen. Ich wünschte, wir hätten eins.“

In diesem Moment fliegt eine Salve raketengetriebener Granaten und M3-Hochexplosivgeschosse aus einem Gebäude auf der Seite von Manhattan heraus und schlägt weniger als fünfzig Meter weiter in die Flanke eines Transporters ein. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich sogar eine klassische FIM 92 Stinger-Rakete erkenne. Es geht doch nichts über eine kleine Partyattraktion. Die Explosionen stoßen das Fluggerät zur Seite und hüllen es in eine Feuerkugel.

Doch der Transporter kann sich fangen, obwohl aus dem hinteren Steuerbordantrieb Rauch quillt. Er wendet sich dem Ursprung des Flugabwehrfeuers zu und gibt zur Vergeltung mindestens zehn Schüsse auf die Gebäude ab. Aus den mehrstöckigen Häusern platzen Glassplitter und Betonbrocken hervor, während die Blasterschüsse die Wände zerfetzen. In allen Stockwerken lodern Feuer, und die Trümmer regnen am Ufer herab.

Doch das übellaunige Transportschiff ist noch nicht aus dem Ärgsten heraus. Anscheinend haben noch einige andere Kräfte in Ladas Truppe bemerkt, dass das Schiff angeschlagen ist, und wollen es endgültig ausschalten. Mindestens ein halbes Dutzend Geschosse prallen gegen die Hülle, bis ein Glückstreffer durchschlägt. Die panzerbrechende Munition detoniert im Inneren und zerreißt den Transporter.

Unser Team jubelt, als die Trümmer des Fluggeräts in den East River stürzen.

„Jetzt habt ihr sie richtig sauer gemacht“, kommentiert Sir Charles.

Wie um seine Feststellung zu bekräftigen, sagt Ghost: „Da steigen Todesengel auf.“

Und richtig, über der Brücke erscheinen die typischen Rückstoßfahnen der Jetpacks und nähern sich den Geschützstellungen.

„Hole deine Leute da raus“, sage ich zu Lada.

Sie gibt meine Anweisung weiter, oder ich glaube es wenigstens. Doch die M3 und die RPG feuern weiter.

„Lada“, sage ich etwas eindringlicher.

Aus ihrem Funkgerät sind mehrere Stimmen zu hören, dann sieht sie mich an. „Nicht gut, amerikanischer Löwe. Wollen sie bleiben, wo sind.“

„Aber wenn sie sich zurückziehen, können wir sie woanders wieder einsetzen.“

„Russen, sind wir stur, da?

„Und dumm! Sag deinen Leuten …“

Jemand berührt mich am Arm. Es ist Vlad. „Haben sich entschieden, USA. Kämpfen und sterben heute Nacht.“

Mein Gott, diese Leute machen mich wahnsinnig. Doch während ich noch mit den Zähnen knirsche, sehe ich, wie weitere Waffen nicht mehr auf den Ring zielen, sondern die Transporter und die Todesengel angreifen. Mehrere Jetpacks explodieren, und die zerfetzten Besitzer stürzen in den Fluss. Die meisten fliegen weiter.

„Die Brücke ist geräumt“, meldet Ghost. „Beide Zufahrten.“

„Phase zwei“, sage ich zu Vlad.

Er nimmt das Funkgerät und spricht schnell auf Russisch.

Ich hebe das Fernglas und beobachte am Ufer von Manhattan die Gebäude, zwischen denen die Zufahrt zum ersten Turm der Brücke verborgen ist. Mir wird das Herz leicht, als ich keinen einzigen Menschen mehr entdecke. Und wenn es nur dazu gedient hat, den armen Seelen noch ein paar Minuten auf dem Planeten zu verschaffen, es war der Mühe wert. Aufwendig, aber auf jeden Fall der Mühe wert.

„Ich sehe sie“, sagt Bumper. „Sie kommen jetzt hoch.“

Und richtig, im Fernglas erkenne ich einen einzelnen fahrbaren Betonmischer, der die Zufahrt hinaufrast.

„Das ist weit genug“, sage ich zu Vlad. Dann beobachte ich rasch die Seite von Brooklyn. Auch der zweite Fahrmischer ist in Position. „Sag ihnen, sie sollen die Fahrzeuge abstellen und sich verziehen.“

Vlad gibt meinen Befehl weiter, und die beiden Mischlaster werden langsamer. Phase zwei ist zugleich eine Vorsichtsmaßnahme und gegen den Feind gerichtet. Sollte es uns nicht gelingen, den Ring zu sprengen, dann sorgen die Lastwagen wenigstens dafür, dass die Menschen nicht mehr auf die Brücke gescheucht werden können.

Als der Fahrer auf der Seite von Manhattan aus dem Führerhaus springt, stößt ein Todesengel herab und jagt den Mann mit einem einzigen Schuss in die Luft. Der Mann auf der Seite von Brooklyn hat mehr Glück und verschwindet aus meinem Gesichtsfeld. Hoffentlich kann er entkommen.

Hollywood hat die beste Neuigkeit. Sie ruft, dass die Anderkins die Betonmischer untersuchen. Durch das Fernglas erkenne ich, dass sich die Wesen für die rot und weiß lackierten Trommeln zu interessieren scheinen, die sich auf den Lastwagen drehen. Mindestens drei Tangos haben sich in Manhattan am Lastwagen versammelt, drüben in Brooklyn sind es sogar vier.

„Jage sie in die Luft“, sage ich zu Bumper.

„Ab die Post“, antwortet er.

Einen Moment später fliegen die Lastwagen in die Luft.

Instinktiv schirme ich das Gesicht vor den Detonationen ab. Ich zucke zusammen, als uns die erste Schockwelle trifft. Es ist sehr laut, und der Wind weht mir einige Trümmer von der Straße ins Gesicht. Gleich danach kommt auch die zweite, schwächere Schockwelle aus Brooklyn.

Ich erinnere mich, dass es bei ANC-Bomben nicht um Strahlung, um Feuerkugeln und um Splitter geht, sondern um die Detonation selbst, um die gewaltige Kraft, mit der sie alle möglichen Dinge aus dem Weg räumen. Genau deshalb setzen wir heute Nacht ANC-Bomben ein.

Direkt nach den Explosionen der LKW-Bomben meldet das Phantomteam die Schäden. Einige Seile der Brücke sind gerissen, und in der Straße sind Krater entstanden. Die Tangos sind nicht mehr zu sehen.

„Nehmt das, ihr Alien-Wichser.“ Z Lo klopft Vlad auf die Schulter, dann besinnt er sich. „Entschuldigung, Sir, Mister Mafiamann. Ich wollte dich nicht, äh, beleidigen …“

„Diese Feier in Ordnung“, erwidert Vlad lächelnd.

Z Los Schultern entspannen sich.

„Aber normalerweise ich schieße ins Gesicht.“

Der Junge wird kreidebleich.

„Nur Spaß, Amerika“, ruft Vlad und klopft seinerseits Z Lo auf den Rücken.

„Oh, puh! Jetzt hast du mich aber hereingelegt.“

„War aber gar kein Witz. Nächstes Mal ich schieße dich ins Gesicht.“

„Warte mal, ehrlich?“

Da.

„Äh, na gut, dann werde ich darauf achten …“

„Mach ich Witze, Amerika! Jesses, siehst du dein Gesicht jetzt? Ha!“

Bumper lacht und hat Mühe, das Fernglas gerade zu halten. Dann flüstert er: „Der arme Junge.“

„Es sieht nicht danach aus, als würden die Leute demnächst wieder zum Ring getrieben werden“, erklärt Hollywood.

„Dann wollen wir dafür sorgen, dass es für immer so bleibt.“ Ich sehe mich um. Yuriy ist so weit flussabwärts gefahren, wie es möglich war, ohne entdeckt zu werden. Mit Chucks Hilfe konnten die Hafenarbeiter die Brücke des Schleppers so gut isolieren, dass die Wärmesignatur eines einzelnen Menschen kaum noch auffällt. Sir Chuck hat uns auch erklärt, dass es kein Misstrauen wecken würde, den wassergekühlten Motor des Schleppers ein wenig über der Leerlaufdrehzahl zu betreiben, solange Yuriy keinen Schlingerkurs fährt. Irgendwie glaube ich, dass wir in dieser Hinsicht sicher sind.

Ich wende mich an Bumper. „Diese Ehre gebührt dir.“

„Vlad“, sagt Bumper. „Beginne mit Phase drei.“

„Ist mir Vergnügen“, antwortet der Russe. Dann gibt er Yuriy über Funk einige knappe Anweisungen.

Einen Herzschlag später sind zwischen den Kähnen fast gleichzeitig fünf kleinere Detonationen zu hören. Die Blitze zeigen uns, wo die unbeleuchteten Boote schwimmen.

Yuriy sagt etwas über Funk.

„Abtrennung erfolgreich“, meldet Vlad.

Ich hebe die Faust, und er drückt seine dagegen. „Gute Arbeit.“

„Das ist nur das Vorspiel“, gibt Bumper zu bedenken.

„Lautes Vorspiel ist bestes Vorspiel, was meinst du, USA?“

Ich spüre, wie Lada mit ihrem Vorderrad das Hinterrad meines Motorrads anstupst.

„Wik, könnte sie dich umbringen, wenn du nicht aufpasst.“

„Davor habe ich auch Angst“, gebe ich zu.

Wir sehen zu, wie die mit ANC Bomben beladenen Kähne auseinandertreiben und der Schlepper zurückbleibt. Die Strömung im East River beträgt drei Knoten, daher brauchen die Bombenplattformen mehrere Minuten, bis sie den restlichen Weg aus eigener Kraft geschafft haben. Da wir fünf Bomben im Wasser haben, bin ich sehr zuversichtlich, dass wir Erfolg haben werden.

Jedenfalls, bis Yuriy sich noch einmal bei Vlad meldet.

„Was ist?“, frage ich.

„Sagt er, dass drei Lastkähne sich vom Kurs abseits bewegen.“

„Wie sehr?“, will Bumper wissen.

Vlad fragt bei Yuriy nach. „Mehrere Grad jetzt, wird viele Meter später.“

„Wie viele Meter Abweichung können es später werden?“

Vlad und Yuriy brauchen dreißig Sekunden und mehrere Nachfragen, bis Vlad sich wieder an Bumper wenden kann. „Er sagt, Wind und Strömung sind anders als sonst wegen Grässlichkeiten. Wirft Kähne aus dem Kurs und ist Gefahr, Ufer zu treffen, ehe Brücke erreichen.“

„So ein Mist.“ Bumper funkelt Vlad an. „Frage ihn, wie die anderen beiden fahren.“

Wieder folgt eine Menge Funkverkehr, bis Vlad die Daumen hochhalten kann. „Glaubt er, die sind gut.“

„Du bist der Bombenexperte, was meinst du?“, frage ich Bumper.

Er seufzt gedehnt. „Wir haben uns ja darauf vorbereitet. Mir haben unsere Aussichten besser gefallen, als noch alle fünf auf Kurs waren. Zwei reichen vermutlich aus, aber wenn jetzt noch eine Bombe vom Kurs abkommt, oder eine hat eine Fehlzündung, dann …“

„Dann wünschst du dir, du hättest mehr Redundanz“, beende ich den Satz.

„Roger.“

Yuriys Stimme ist wieder aus dem knisternden Funkgerät zu hören. Vlad lächelt.

„Was war das?“, frage ich.

„Yuriy sagt, müsst euch keine Sorgen machen.“

„Hat die Strömung den Kurs korrigiert?“, fragt Bumper.

Njet. Yuriy korrigiert Kurse. Alles gut, kluger Mann.“

Hollywood schiebt ihr Motorrad herüber. „Aber wenn er jetzt den Kähnen folgt, dann …“

„… dann können wir sie nicht in die Luft jagen“, ergänzt Bumper. „Mist.“

„Nicht wahr“, widerspricht Vlad. „Yuriy kann verstehen, wie sagt ihr, Zwangslage. Er sagt auch, macht weiter, und er macht Plan und bringt Kähne in Optimalreichweite.“

„Ich kann das nicht machen“, widerspricht Bumper. „Er muss sich vor der Sprengung in Sicherheit bringen.“

„Bumper, hör zu …“

„Nein, du hörst mir zu.“ Bumper beugt sich über sein Motorrad vor. „Ich zünde nicht, wenn ein alter Mann in die Luft fliegt, solange ich noch andere Möglichkeiten habe.“

„Und bist du dir sicher, dass andere Möglichkeiten funktionieren?“

„Nein, aber ich glaube, wir …“

„Dann sorgt Yuriy dafür, dass du hundert Prozent sicher gutes Gefühl in Brust hast, ja? Alles gut, Navy Seelöwe. Yuriy weiß, was tut, und das ist wie machen in Ukraine. Alte Art und Weise. Kannst ihm sowieso nicht ausreden. Ist schon weg.“

Bumper setzt sich wieder auf die Harley. „Verdammt noch mal.“

Chuck meldet sich von meinem Rücken. „Das ist wahrlich ein bemerkenswertes und herzerwärmendes Szenario.“

„Nicht jetzt, Junge“, weise ich ihn zurecht.

„Aber jetzt bekommt der Plan ein paar ernstzunehmende Probleme.“

Ich richte den Blick auf Bumper. „Was meinst du?“

„Die Androchider werden sich fragen, warum sich ein Schiff so sehr darum bemüht, fünf Kähne unter ihren Sklavenring zu bugsieren.“

„Also denkst du, sie werden es bemerken“, sage ich, nur um ganz sicher zu sein, dass ich es verstanden habe.

„Oh, auf jeden Fall, Patrick. Selbst wenn Yuriys Wärmesignatur verborgen bleibt, wird sie der konsolidierte Kurs der Kähne misstrauisch machen.“

„Und wenn sie dann nachschauen?“

„Dann jagen sie die Kähne in die Luft“, erklärt Chuck ungerührt. „Gewiss, wahrscheinlich könnt ihr den ersten Transporter ausschalten, aber nicht die übrigen. Sie werden auf Distanz bleiben und die verbliebenen Ladungen aus der Ferne zerstören.“

„Vlad“, sage ich. „Schalte das Funkgerät ein und befiehl Yuriy, sich zurückzuziehen. Sofort.“

Er nickt und drückt auf die Sprechtaste. Als er nach mehreren Versuchen immer noch keine Antwort bekommen hat, sieht Vlad mich besorgt an. „Äh, ich glaube, Yuriy hat Funk abgeschaltet.“

„Verdammt. Phantome, Plan B.“

„Haben wir einen Plan B?“, fragt Z Lo niemand im Besonderen.

„Japp. Er lautet: Wir improvisieren von Fall zu Fall. Lasst uns fahren.“ Ich starte mein Motorrad und fahre los. Verdammt, fühlt sich das gut an. Vermutlich werde ich dabei umkommen, aber meine Hütte ist in diesem Moment ziemlich weit weg, und daher sehe ich keinen Grund, das Unvermeidliche hinauszuzögern. Der Tod ist schon lange hinter mir her.