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»Du hast was vor?« Mollys Mutter war offensichtlich entsetzt. »Mit einer Horde Männer?« Das letzte Wort spie sie förmlich aus, als handele es sich um etwas Ekelhaftes, das unter ihrer Schuhsohle klebte.

»Ja, Mum. Das ist eine einmalige Gelegenheit. Wie viele Physiotherapeuten bekommen schon das Angebot, mit einem Profiradsportteam die Welt zu bereisen?«

Molly hatte gestern noch stundenlang wachgelegen, nachdem Alex sie zu Hause abgesetzt hatte (er hatte sich wieder mit diesen seltsamen Wangenküsschen verabschiedet), und überlegt, was sie ihren Eltern sagen würde. Es ihnen schonend beizubringen, kam schließlich nicht infrage, da sie schon in wenigen Tagen das Land verlassen würde.

»Und wie viele würden das überhaupt wollen?«, entgegnete ihre Mutter. »Was wird aus deinem Job?«

Das war die zweite Sache gewesen, die sie wachgehalten hatte – Finleys Reaktion. Er würde ganz sicher nicht erfreut sein, und sie kam sich schäbig dabei vor, so kurzfristig zu kündigen. Aber wenn sie das Angebot von Alex und BeSpoke jetzt nicht annahm … und so weiter und so fort. Ihre Gedanken hatten sich im Kreis gedreht, bis ihr ganz schwindelig geworden war.

»Ich werde kündigen«, sagte Molly.

»Nur über meine Leiche«, schnaubte ihre Mutter entrüstet.

Molly legte den Kopf zur Seite. »Wenn du glaubst, dass das nötig ist, Mum …«, sagte sie grinsend.

»Werde bloß nicht frech. Du hast hart gearbeitet, um dahin zu kommen, wo du jetzt bist. Das kannst du nicht alles für so ein paar Radfahr-Heinis wegwerfen.«

»Es ist die Tour, Ines«, sagte ihr Vater über den Rand seiner Brille hinweg, die ihm beim Zeitunglesen auf die Nasenspitze gerutscht war.

Bis dahin hatte er sich wohlweislich rausgehalten. Umso erleichterter war Molly jetzt, dass er sich doch noch zu Wort meldete. Wenn irgendjemand ihre Mutter davon überzeugen konnte, dass es eine gute Idee war, nur aufgrund einer E-Mail und einer mündlichen Vereinbarung den Job hinzuschmeißen und nach Frankreich zu fliegen, dann war es ihr Dad.

Hmm, das mit der mündlichen Vereinbarung sollte sie wohl besser nicht erwähnen. Ihre Mutter würde ausflippen.

»Das ist mir herzlich egal. Ich bin nicht glücklich über die Entscheidung unserer Tochter«, ihre Mutter betonte die letzten beiden Worte, als habe er seine verwandtschaftliche Beziehung zu Molly vergessen, »mit einer Horde haariger Wesen durch Europa zu tingeln.«

Molly verkniff sich die Bemerkung, dass Profiradsportler eher wenig Körperbehaarung aufwiesen. Alex hatte ihr erklärt, es sei schlimm genug, mit vierzig Stundenkilometer auf den Asphalt zu stürzen und sich dabei die oberste Hautschicht abzuschürfen, ohne dass Pflaster und Verbände anschließend noch an Körperhaaren festklebten. Daher kam die leicht selbstverliebt wirkende Obsession mit der glatten Haut. Es hatte nichts mit Eitelkeit zu tun, sondern sollte lediglich Schmerzen vermeiden.

»Und wenn sich herausstellt, dass es nicht das Richtige ist, was dann?«, fuhr ihre Mum fort. »Dann kommt sie zurück und hat weder Arbeit noch ein Haus.«

»Ich werde mein Haus nicht verkaufen«, wandte Molly ein. »Ich werde es wahrscheinlich irgendwann vermieten.«

»Irgendwann? Warum nicht jetzt gleich, wenn du so wild entschlossen bist, diesen wahnwitzigen Plan in die Tat umzusetzen? Vielleicht, weil du selbst nicht daran glaubst, dass es funktionieren wird. Könnte das sein?«

»Nein, es wird nur etwas Zeit in Anspruch nehmen, Mum, und die habe ich jetzt gerade nicht.«

Ines sah sie aus schmalen Augen an. »Was meinst du damit, die hast du jetzt gerade nicht?«

Molly verzog das Gesicht. »Ich werde … äh … in zwei Tagen abreisen.«

»In zwei Tagen? Zwei Tage? Wozu die Eile? Wenn sie dich unbedingt haben wollen, können sie dann nicht warten, bis du hier alles geregelt hast? Das klingt unseriös. Sag es ihr, Colin.«

»Die Tour beginnt am Samstag«, sagte er sanft. »Das erklärt den engen Zeitrahmen.«

Als Ines sich zu ihm umwandte, zuckte Molly zusammen. Wenn ihre Mutter in Fahrt kam, war sie richtig furchteinflößend. »Komm mir ja nicht so, Colin Matthews«, wetterte sie mit in die Hüfte gestemmten Armen und vor Wut blitzenden Augen.

»Ich sage doch lediglich, Liebes, dass der Grund dafür, dass Molly so wenig Zeit hat, der ist, dass die Tour schon in wenigen Tagen beginnt.« Er legte die Zeitung zur Seite und deutete auf den Teller mit Toastbrot, der vor ihm auf dem Tisch stand. »Möchtest du eine Scheibe?«, fragte er seine Tochter.

Molly hatte ihre Eltern beim Frühstück überrascht, weil sie die unvermeidliche Auseinandersetzung so schnell wie möglich hatte hinter sich bringen wollen. Außerdem konnte sie so irgendwann zur Arbeit flüchten. Wobei ihre Mutter zweifellos später bei ihr zu Hause aufkreuzen würde, um die Diskussion fortzusetzen.

Molly schüttelte den Kopf. Ihr war ein klein wenig übel. Ob nun vor lauter Stress mit ihrer Mum (ihr Dad nahm die Sache bemerkenswert gut auf), aus lauter Angst vor Finleys Reaktion oder der Aufregung darüber, bald nach Frankreich zu reisen, konnte sie nicht sagen.

»Ich hätte da einen Vorschlag«, sagte ihr Vater, woraufhin sich beide Frauen zu ihm drehten und ihn anstarrten, ihre Mutter immer noch mit den Händen in den Hüften und skeptischem Blick.

Oh-oh, das kann ja heiter werden, dachte Molly. Ihre Mum hatte erwartet, dass Colin voll und ganz hinter ihr stehen würde, stattdessen war er im Begriff, etwas vorzuschlagen, das ihr wohl gar nicht gefallen würde. Molly hingegen war mehr als gespannt, was er zu sagen hatte.

»Wie wäre es, wenn du Finley um eine kleine Auszeit bittest?«, schlug Colin vor. »Nur für ein paar Wochen, so lange, wie die Tour dauert. Dann hättest du deinen Job noch, sollte sich herausstellen, dass es dir dort nicht gefällt.«

Eine Weile war es mucksmäuschenstill. Dann ließ Ines langsam die Hände sinken. Der Vorschlag gefiel ihr also.

Molly wollte spontan widersprechen, denn sie hatte sich ihre Entscheidung wirklich nicht leicht gemacht. Doch dann hielt sie inne. Was ihr Dad da vorschlug, war perfekt. Molly standen tatsächlich noch ein paar Wochen Urlaub zu, und so hätte sie genug Zeit sich zu überlegen, ob sie wirklich aus dem Koffer leben und mit einer reinen Männertruppe zusammenarbeiten wollte. Sollte sie sich dagegen entscheiden, könnte sie zu ihrem Job und ihrem Zuhause zurückkehren und weitermachen wie bisher. Dann barg die aufregende Erfahrung keinerlei Risiko für sie. Sie ärgerte sich ein wenig, dass ihr diese Möglichkeit nicht selbst eingefallen war. Ihr Dad war eben der Beste!

***

»Finley«, säuselte Molly, sobald sie durch die Praxistür kam. »Wie viele Urlaubstage habe ich noch?«

»Weiß nicht. Müsste ich nachsehen.« Finley saß am Schreibtisch, jede Menge Akten und Unterlagen vor sich, und sah wenig begeistert aus.

Sie wusste, wie sehr ihr Chef den administrativen Teil des Jobs verabscheute. Deswegen war jetzt gerade bestimmt nicht der günstigste Zeitpunkt, ihn um einen Gefallen zu bitten. Aber da sie rasch handeln musste, blieb ihr nichts anderes übrig.

»Könntest du bitte jetzt nachschauen?«, fragte sie. »Ich mache uns Kaffee …« Vielleicht würde ihn das ja gütlich stimmen – mehr hatte sie nicht anzubieten.

»Wann wolltest du denn fahren?«, fragte er, sah vom Monitor auf und schob ein paar Rechnungen von einer Schreibtischecke in die andere.

»Ähm … am Mittwoch.«

»Welcher Mittwoch? Da musst du schon ein wenig genauer werden.«

»Diesen Mittwoch.«

Ihr Chef runzelte die Stirn. »Du meinst übermorgen?«

»Ja?«

»Das ist ein wenig kurzfristig. Ist alles in Ordnung?«

»Ja, alles gut.« Molly war klar, dass sie schuldbewusst wirkte. »Mir wurde ein Angebot gemacht, das ich nicht ausschlagen kann.«

»Du willst kündigen«, sagte Finley ausdruckslos. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme. »Wer ist es? McFee?« McFee war Finleys größter Konkurrent, und die Praxis versuchte, wo es ging, Patienten oder auch Personal von ihm abzuwerben.

»Du lieber Himmel, nein!«, rief Molly aus. »Ich würde nicht im Traum daran denken, für McFee zu arbeiten.«

»Wer ist es dann?«

Molly holte tief Luft. »Mir wurde angeboten, ein Radsportteam während der Tour de France zu begleiten«, verkündete sie. »Das ist eine einmalige Gelegenheit.«

Es klang abgedroschen. Dennoch bekam sie die Formulierung nicht aus dem Kopf. Weil es eben tatsächlich so war.

»Aber die beginnt schon Samstag«, erwiderte Finley.

»Genau. Ich bitte dich wirklich nur äußerst ungern darum, aber –«

»Es ist die Chance deines Lebens«, beendete Finley den Satz für sie und verdrehte dabei die Augen.

»Genau. Kann ich fahren?«

»Und wenn ich Nein sage?« Mollys Gesicht war wohl Antwort genug, denn ihr Chef seufzte ergeben. »Na schön, fahr, wenn du unbedingt willst. Nimm dir so viel Urlaub, wie du brauchst. In einem angemessenen Rahmen«, fügte er noch rasch hinzu. »Und alles, was über die jährlichen Urlaubstage hinausgeht, ist unbezahlt.«

»Selbstverständlich.«

»Ich werde alles mit Sue regeln«, sagte er.

»Vielen Dank.« Molly lächelte glücklich. Nicht nur war ihre Frankreichreise damit im Endeffekt ein bezahlter Urlaub, sie würde auch noch doppelt Gehalt bekommen – einmal von BeSpoke und dann noch von Finley. Außerdem hatte sie ihren Job noch, sollte das alles schiefgehen. Besser hätte es nicht laufen können.