Puh, Gott sei Dank war das überstanden. Als die Straße endlich ein wenig abflachte, war Molly völlig mit den Nerven am Ende.
Schon bald schlängelte sich die Tour den Col d’Aubisque hinauf, der letzte Bergpass des Tages. Der Berg selbst war mit seinen tausendsiebenhundert Metern deutlich kleiner als der Tourmalet, dennoch war die Länge des Streckenabschnitts fast identisch.
Molly entspannte sich ein wenig und betrachtete die Umgebung. Sie erreichten Laruns, ein weiteres wunderschönes Dorf, das in ein kleines, von bewaldeten Bergen umgebenes Tal eingebettet lag. Wie zu erwarten waren die Straßen voller Touristen und Zuschauern der Tour, Organisatoren und Teams, und so musste Damien sich langsam einen Weg durch die überfüllten Straßen bahnen, bis sie zu dem Bereich für die Teambusse kamen.
Sie konnte sich gar nicht sattsehen an den hübschen Berghütten mit ihren üppig bepflanzten Blumenkästen, den hängenden Blumentöpfen. In der Mitte des Dorfplatzes stand ein Marmorbrunnen mit Fontäne, die Cafés darum herum hatten ihre Tische auf dem Bürgersteig verteilt. Es gab sogar eine Kirche aus dem sechzehnten Jahrhundert, und wenn Molly in die Seitengassen spähte, erkannte sie, dass sie wie in so vielen französischen Dörfern ungepflastert waren, was dem Örtchen zusätzlich ursprünglichen Charme verlieh. Häuserfassaden mit hübschen Bogeneingängen und den typischen Holzfensterläden zogen an ihnen vorbei, dann stießen sie auf eine etwas breitere Straße mit Einfamilienhäusern und großen Vorgärten, bis sie das Dorf schließlich ganz hinter sich ließen und nur noch von Feldern umgeben waren. Die dahinter aufragenden Berge waren majestätisch anzusehen.
Als sie das Ziel erreicht hatten, parkte Damien neben den anderen Teamfahrzeugen.
»Wo habt ihr gesteckt?«, fragte Kieron. »Wir dachten schon, ihr hättet die Nase voll und wärt nach Hause gefahren.«
Mick reckte das Kinn. »Unsere Moll wollte ein bisschen was von Lourdes sehen, also haben wir einen kleinen Umweg gemacht.«
Molly öffnete den Mund und wollte die Sache richtigstellen, entschied sich dann aber dagegen. Vielleicht war es besser für alle, wenn das kleine Sightseeing in Lourdes auf ihr Konto ging und nicht mit Alex in Verbindung gebracht wurde. Also nickte sie und lächelte so unschuldig wie möglich. Bis Mick ihr einen leichten Stoß mit dem Ellbogen in die Rippen versetzte. Wahrscheinlich hatte sie es ein wenig übertrieben.
Als Molly gerade die Vorräte im Bus überprüfte, stand er plötzlich in der Tür. »Ich weiß, ich habe dich das schon einmal gefragt, aber ist da irgendetwas zwischen dir und Alex, von dem ich wissen sollte?«, fragte er ohne sein übliches freundliches Lächeln.
Molly legte das Sporttape zur Seite, das sie gerade in der Hand hielt, und wandte sich zu ihm um. »Nicht wirklich.«
»Aber du wünschst dir, es wäre anders?«
»Wie schon gesagt, ich würde meinen Gefühlen niemals nachgeben. Ich weiß, dass Beziehungen mit den Fahrern tabu sind, und ich weiß auch, dass Alex jetzt keinerlei Ablenkung gebrauchen kann. Das musst du mir nicht sagen.«
»Verdammt richtig, die kann er gar nicht gebrauchen«, stimmte Mick ihr zu. »Aber es gibt da etwas, das ich loswerden muss.« Er hielt kurz inne und fummelte an der Türklinke herum. Molly sah ihm an, wie nervös er war. Sie wurde selbst ganz kribbelig, ohne genau zu wissen, warum.
»Ich kenne Alex ein paar Jahre. Ich habe ihn immer mal wieder betreut, auch schon als junger Mann, bevor er sich im Team hochgearbeitet hatte. Aber so habe ich ihn noch nie erlebt.«
»Wie denn?« Molly befeuchtete mit der Zunge die Lippen, ihre Kehle war wie ausgetrocknet.
»Auf Wolke sieben.«
»Wie bitte?«
»Du weißt schon, völlig verschossen.«
Molly fiel die Kinnlade herunter.
»Na gut, vielleicht nicht verschossen, aber eben bis über beide Ohren verknallt.«
Molly starrte ihn weiter fassungslos an. Was genau wollte er ihr damit sagen?
»Ich finde mal wieder nicht die richtigen Worte, was? Ich wollte jetzt nicht sagen, dass er es auf deinen Körper abgesehen hat, obwohl ich mir sicher bin, das hat er, wem würde das nicht so gehen? Du siehst klasse aus und … Ach, verflucht. Also, ich denke, er ist in dich verliebt«, sprudelte es aus ihm heraus.
Molly blinzelte. »In wen?«
»In dich, du Blitzmerkerin.«
»In mich?« Molly ließ sich auf die Liege plumpsen, denn ihr drohten die Beine nachzugeben.
»Ja, in dich. Und ich sage dir das auch nur, weil ich nicht will, dass er verletzt wird.«
Was sollte das denn bitte heißen?
»Das will ich auch nicht«, sagte sie nach einer Weile.
»Er kann keine Ablenkung gebrauchen«, wiederholte Mick. »Gerade jetzt nicht. Er ist in der besten Form seines Lebens, und ich möchte nicht, dass ihm das irgendjemand vermasselt.«
»Jemand wie ich?«
Er nickte.
»Soll ich kündigen?«
»Du lieber Himmel, nein! Bloß … ich weiß auch nicht.«
»Einfach so weitermachen wie bisher?«
»Ja, das wäre vielleicht gut. Hör mal, Moll, du bist wirklich ein ganz tolles Mädchen, und wenn du auch nur halb so viel für ihn empfindest wie er für dich, dann solltet ihr Abstand halten. Zumindest, bis die Tour vorbei ist. Und danach …« Er zuckte mit den Schultern.
»Ein ›danach‹ wird es nicht geben«, sagte sie. »Ich gehe wahrscheinlich zurück nach Hause. Nein, nicht wahrscheinlich – Ich werde zurück nach England gehen. Es hat wirklich Spaß gemacht, aber es ist … na, du weißt schon,« sagte sie achselzuckend.
»Verdammt harte Arbeit?«
»Ja.«
»Jedenfalls ist es kein Urlaub.« Er sah sie aus zusammengekniffenen Augen an. »Hattest du dir das wie einen Urlaub vorgestellt?«
»Ich habe einen Bikini eingepackt«, gab sie zurück, woraufhin er laut loslachte.
»Kein Wunder, dass Alex ein schlechtes Gewissen hat«, röchelte er, doch dann wurde er sofort wieder ernst. »Aber es liegt nicht nur daran, stimmt’s?«
Molly wusste nicht, was sie antworten sollte, also sagte sie lieber gar nichts.
»Willst du mir verraten, wie du für ihn empfindest?«, fragte Mick. »Ich weiß, dass du auch Gefühle für ihn hast, das spüre ich einfach.«
»Ich bin nicht sicher.« Sie hielt den Blick auf die Hände in ihrem Schoß gerichtet, knetete sie vor Anspannung. »Es könnte Liebe sein oder aber einfach daran liegen, dass hier alles so anders ist.« Sie fuhr mit einem Arm durch die Luft. »Wie so eine Art Urlaubsflirt.«
»Dann warte doch vielleicht erst mal ab, wie es mit deinen Gefühlen aussieht, sobald du wieder zu Hause bist, hm?«, schlug Mick vor.
»Es macht ohnehin keinen Unterschied«, sagte sie. »Er wird irgendwo in einem anderen Land sein, für das nächste große Rennen trainieren, und ich werde in Worcester sitzen. Das würde nicht funktionieren.«
»Wer sagt denn das? Na klar kann das funktionieren. Tim hat eine Frau, genau wie Pietro. Elias ist verlobt, und Carlos ist mit seiner Schnecke auch schon ewig zusammen.«
Molly schüttelte den Kopf über das ›mit seiner Schnecke‹, aber sie hatte schon verstanden, was er ihr damit sagen wollte.
»Verflucht, selbst ich bin ja vergeben«, verkündete er.
Sie hob überrascht den Kopf. »Du bist vergeben?«
»Ja, seit vier Jahren.« Er strahlte stolz.
»Wie heißt sie denn?«
»Zara. Sie ist auch Australierin, lebt aber in Spanien. Dort wohnen wir zusammen.«
»Das wusste ich gar nicht.«
»Wieso auch? Wenn wir auf einer Tour sind, gibt es kein anderes Thema als das Rennen.«
»Ist mir schon aufgefallen«, sagte sie. »Aber wann könnt ihr dann überhaupt –«
»Mick! Mach den Fernseher an.« Jakob rannte mit aschfahlem Gesicht die Stufen zum Bus hoch. »Tim ist gestürzt. Und es sieht nicht gut aus.«