#1, 3.8.1990
»Hallo?
Ich hab nur einen einzigen Wunsch, bitte.
Ich weiß gar nicht mehr, wie … ich habe die Wohnung geputzt und dabei die Lieblingsmusik gehört: ›Fang das Licht … Halt es fest, schließ es in deinem Herzen ein‹, von Karel Gott und diesem Mädchen. Das Lied hat mich immer fröhlich gemacht. Es ist so lieb.
Die Vorhänge hab ich abgenommen, in der Stube, im Schlafzimmer, in der Küche. Das heißt, nein. In der Küche nicht. Da hatte ich keine Vorhänge. In die Maschine gehen nicht alle auf einmal. Also hab ich die ersten rein, von der Stube. Die anderen lagen auf der Maschine. Dann hatte ich Zeit.
Und da hab ich mich an den Küchentisch gesetzt, um das Silber zu polieren. Das soll man zweimal im Jahr machen, ich halt mich dafür an den Feiertagen fest. Normalerweise. Also mache ich es einmal vor Pfingsten und einmal vor Weihnachten. Es soll nicht stumpf werden. Eigentlich war’s zu früh im Jahr. Aber ich hatte Zeit, und die Musik war so schön, und ich dachte: Es wird nicht schaden.
Das gute Mittel war aufgebraucht. Also hab ich das alte Mittel genommen, das noch hinten in der Speis im Schrank war. Mit der Krone auf der Verpackung, ein Fläschchen.
Die Fenster waren offen, der Wind hat die Türen zugeworfen. Ja, es war windig. Ich habe die Fenster geschlossen, aber das war verkehrt, wo schon meine Mutter mir gesagt hatte: Silberpolieren immer bei offenem Fenster. Ich habe mit den Löffeln begonnen. Die Messer sind am leichtesten zu polieren. Die Gabeln am schwierigsten. Das Mittel bleibt zwischen den Zinken kleben, vor allem, wenn es schon älter ist. Das Licht ging aus, wahrscheinlich der Wind. Auch die Musik. Weil ich nicht mehr so gut sehe, seit dem Star, dem grauen, habe ich mich über das Silber gebeugt. Ich erinnere mich noch an den Geruch aus der kleinen Flasche. Er war dicht und klar zugleich. Wie Mandeln und Putzwasser in einem. Mir fiel ein Messer zu Boden, also muss ich mit den Gabeln und den Löffeln schon fertig gewesen sein. Das Messer fiel mir aus der Hand. Ich dachte: Heute bist du dumm. Ich wollte es aufheben.
Als ich mich nach unten beugte, muss ich mir den Kopf gestoßen haben, vielleicht auch beim Aufrichten. Ich weiß es nicht mehr. Mir wurde das Denken schwer. Ich sah den Boden vor mir. Ich griff nach etwas. Ich wollte mich festhalten. Das Fläschchen war es. Ich fiel. Ich lag am Boden und dachte, jetzt schläfst du gleich, in der Küche, was bist du dumm. Es duftete nach dem Mittel, nach Mandeln, aber scharf. So war es. Das Licht ging wieder an, und auch die Musik.
Schön, dachte ich. Ich weiß nicht mehr, welches Lied. Niemand macht die Wäsche, das dachte ich auch. Das Silbermittel muss es gewesen sein. Ach. Ich … ach. Hat jemand die Wäsche gemacht? Wer nimmt die Fini?
Sie soll nicht zur Nachbarin. Das ist mein Wunsch.
Die füttert sie mit Sprühsahne. Das vertragen Katzen nicht. Jedenfalls die Fini nicht.
Vergelt’s Gott.«