West Kilbride, Freitag, 22. August 2008

Wir sind bis Glasgow gefahren, um schließlich etwas zu essen. Ich will nicht, dass sich später jemand an uns erinnert. Drei fremde junge Männer fallen durchaus auf. Mich würden die Menschen noch am ehesten übersehen, denn ich bin schlau genug gewesen, mein Äußeres unscheinbar zu gestalten: Ich habe meine Haare schneiden lassen, bin rasiert, trage Jeans und ein graues Sweatshirt. Turnschuhe. Auch wenn ich das nicht gerne über mich sage: Ich bin eine ziemlich farblose Erscheinung.

Von Adam und Vincy kann man das nicht behaupten. Vincy hat einen so furchtbar bescheuerten Gesichtsausdruck, dass ich manchmal beobachten kann, wie Leute ihn geradezu angewidert anschauen. Und Adam hat eine Ausstrahlung, die Gewaltbereitschaft signalisiert. Seine Körperhaltung, sein Gang, sein Blick – alles verrät Aggression, die auf eine Gelegenheit wartet, ausbrechen zu können. Adam ist der Typ Mensch, der einen lang andauernden Frieden einfach nicht aushält.

Deshalb also sind wir fast eine Stunde weit gefahren. Glasgow ist groß, wir gehen unter in der Stadt. Die Straßen sind belebt an diesem Freitagnachmittag, trotz der Sommerferien. Die Leute hasten durch die Geschäfte, kaufen für das Wochenende ein. Wir finden einen Parkplatz und tauchen im Gewühl der Buchanan Street unter, der Fußgängerzone mitten in der City. In einem Burger King ergattern wir einen Tisch. Adam und Vincy fressen, als seien sie seit Tagen am Verhungern, ich halte mich zurück. Ein zu voller Magen macht träge und müde, das kann ich nicht brauchen. Meine beiden Freunde auch nicht, aber ich sage nichts. Wenn sie sich jetzt die Bäuche nicht vollschlagen dürfen, sinkt ihre Stimmung auf den Nullpunkt, und das wäre noch ungünstiger für das, was wir vorhaben. Die beiden müssen noch eine ganze Weile bei Laune bleiben.

Ich schaue mich im voll besetzten Burger King um. Beachtet uns jemand? Wird uns jemand beschreiben können? Aber ich bin beruhigt, jeder hier ist völlig mit sich selbst beschäftigt. Jugendliche, die in großen, lärmenden Horden fünf Tische auf einmal besetzen, Familien mit quengelnden Kleinkindern, die eine Unterbrechung vom Shoppen brauchen. Hin und wieder ein einzelner Mensch, der seine Fritten ins Ketchup tunkt und dabei Zeitung liest. Niemand, wirklich niemand, wirft uns auch nur einen Blick zu. Ich bin überzeugt, kein Mensch wird sich später an uns erinnern können.

»Und wenn die weg sind, bis wir wiederkommen?«,, fragt Vincy, als er endlich eine Pause beim Schaufeln einlegt, wahrscheinlich, weil ihm langsam schlecht wird.

»Warum sollten die denn weg sein?«, fragt Adam. »Die haben ihr ganzes Zeug runter in die Bucht geschleppt. Doch nicht, um das gleich wieder hochzutragen!«

Vincy denkt nach. Er wirkt ziemlich angestrengt dabei.

»Stimmt«, sagt er schließlich.

Adam seufzt theatralisch. »Wir haben die Sache im Griff, Vincy. Hör auf, dein Gehirn mit Denken zu überhitzen!«

Vincy scheint nicht beleidigt. Vermutlich, weil er Adams Aussage nicht sofort rafft.

Ich schaue auf meine Uhr. Es ist schon zehn nach fünf, wir haben viel Zeit hier verbracht. Zum Glück wird uns das in diesem Fall nicht zum Verhängnis werden, aber ich ermahne mich selbst zum hundertsten Mal: keine langen Aufenthalte in der nächsten Zeit. Nirgends.

»Wir brechen auf«, sage ich.

Draußen frösteln wir, weil es drinnen so warm war. Aufgeheizt durch die vielen Menschen und die offene Küche. Die frische Luft ist aber angenehm. Die Wolken hängen tief, aber der Regen scheint wirklich für einige Zeit auszusetzen. Trotzdem glänzt der Asphalt noch nass, und alles ist feucht. Etwas Wind ist aufgekommen. Er hält uns den Regen vom Leib, macht es aber unangenehm kühl. Ich denke an die Millards am Strand.

Was für ein scheißblödes Abenteuer.

Es dauert, bis wir es aus Glasgow hinausgeschafft haben, der Verkehr staut sich überall, Autofahrer hupen entnervt. Ich merke, dass auch meine Nervosität wächst. Es ist noch hell, aber der Tag neigt sich langsam dem Ende zu. Wir müssen die Dunkelheit abwarten, und natürlich müssen alle Millards schlafen.

Es ist Zeit, beruhige ich mich.

Einmal halten wir, weil Adam und Vincy pinkeln wollen. Sie stellen sich an den Straßenrand. Andere Autos fahren vorbei. Ich merke, dass ich schon wieder an der Frage arbeite, wer sich wann an uns erinnern wird.

Da standen zwei seltsame Typen am Straßenrand …

Blödsinn. Das merkt sich keiner.

Als wir an der Bucht ankommen, steht das Auto der Millards noch an derselben Stelle. Das andere Auto ist verschwunden. Ich fahre an dem Parkplatz vorbei und biege ein gutes Stück weiter in einen Feldweg ein. Halte dort an.

»Das ist aber ganz schön weit«, mault Vincy sofort.

»Wir fahren später zurück«, beruhige ich ihn. »Aber wer weiß, wer noch alles vorbeikommt. Ich möchte nicht, dass sich später jemand …«

»… an unser Auto erinnert«, fällt Adam mir ins Wort. Ich nerve offenbar schon mit meinem ständigen Hinweis, dass niemand uns bewusst wahrnehmen soll.

Zum Glück macht sich jetzt die Schläfrigkeit bemerkbar, die einem üppigen Essen folgt. Erst höre ich Vincy auf dem Rücksitz schnarchen. Bald darauf lehnt Adam seinen Kopf gegen die Fensterscheibe und schläft ebenfalls ein. Ich bin erleichtert, Vincys dämliches Gerede und Adams Ungeduld hätten mich jetzt noch mehr Nerven gekostet.

Es ist 18.17 Uhr.

Noch fast acht Stunden bis zum Überfall.