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Santiago
FUCK!
Meine Faust traf den Dummy im Gesicht.
So eine verfluchte Scheiße!
Ich trat ihm gegen die Rippen.
Ich habe sie fast geküsst!
Eine schnelle Schlagabfolge gegen den Oberkörper.
Sie hat gespürt, dass ich eine Erektion hatte!
Ich drehte mich um die eigene Achse und verpasste dem Dummy einen Roundhouse-Kick gegen das Gesicht. Mit einem lauten Scheppern fiel das Trainingsgerät zu Boden.
Schwer atmend und mit geballten Fäusten blieb ich stehen. Ich konnte nicht glauben, dass mir das gerade passiert war. Ich achtete immer so verflucht penibel darauf, dass ich mich in Catalinas Gegenwart beherrschte, aber heute Nacht wäre mir die Kontrolle beinahe entglitten. Dabei wusste ich genau, dass es zwischen Catalina und mir niemals funktionieren konnte. Egal wie sehr ich sie wollte.
Und fuck, ich wollte sie wirklich.
Aber sie war süß und unschuldig, wo ich hart und abartig war. Die meiste Zeit klebte Blut an meinen Händen, oftmals fremdes, selten mein eigenes. Meine Vorlieben waren speziell, und ich war mir sicher, dass das nichts für Catalina war. Auch wenn sie die meiste Zeit geradezu darum bettelte, dass ich sie maßregelte. Genau wie heute Abend. Hätte sie sich nicht so verflucht aufbrausend verhalten, wäre die Situation nicht eskaliert.
Natürlich war mir aufgefallen, dass sich unser Verhältnis in den letzten Jahren ein wenig verändert hatte. Catalina war älter geworden, und es war ihr an der Nasenspitze anzusehen, dass sie an mir interessiert war. Denn sie hatte das absolut schlechteste Pokerface auf der ganzen Welt, weswegen ich ihr auch verboten hatte, jemals um Geld oder Ähnliches zu spielen.
Aber sie war jung, gerade zwanzig Jahre alt, und ich ihr Beschützer. Natürlich hatte sie da irgendwann Interesse an mir entwickelt. Zumal Catalina schon immer einen leichten Hang zur Gefahr gehabt hatte. Und was war gefährlicher – und deswegen auch verlockender – als eine Affäre mit einem Killer?
Während ihre Faszination allerdings irgendwann verschwinden würde, würde ich mich wohl ewig weiter nach ihr verzehren.
Heute Nacht hatte sie einfach so verflucht verführerisch ausgesehen. In dem lockeren Spitzenoberteil, durch das ich ihren BH sehen konnte. Die langen, schlanken Beine, die sich so perfekt um meine Hüften legen würden. Ihre Haut war so verdammt weich unter meinen rauen Händen gewesen. Und dann ihr Mund … Diese vollen, einladend geöffneten Lippen. Allein wenn ich daran dachte, wurde ich schon wieder hart.
Wütend auf mich selbst und auf Catalina, weil sie so verdammt scharf war, trat ich gegen den Dummy, der noch auf dem Boden lag. Ich sah sie vor mir, wie sie mich ansah und leicht lächelte. Mit einem dunklen Grollen beugte ich mich nach unten, griff nach dem Kampfdummy und hob ihn über meinen Kopf. Meine Armmuskeln protestierten, Schweiß lief mir über den Körper. Ich hörte Catalinas Stimme in meinem Kopf, wie sie meinen Namen rief. Brüllend warf ich den Dummy quer durch den Raum, bis er gegen die Wand prallte und laut scheppernd auf dem Boden landete.
Ich konnte sie einfach nie vergessen. Keine Sekunde meines Lebens.
Weder wenn ich gerade dabei war, jemanden zu töten, noch in Momenten wie diesem, in denen ich einfach nur in Ruhe trainieren wollte. Sie war immer da.
Hier unten, im Keller seines Hauses, hatte Gonzales einen großen Trainingsraum für seine Männer eingerichtet. Von Laufbändern über Hanteln bis hin zum Boxring und den Kampfdummys gab es hier alles.
Ich drehte den Kopf, um einen Blick auf die Uhr zu werfen, die oberhalb der großen Flügeltüren hing. Es war jetzt kurz nach sechs Uhr morgens. Das bedeutete, dass ich Catalina vor ungefähr vier Stunden ins Bett geschickt hatte. Es juckte mir in den Fingern, nach oben zu gehen und mich in ihr Bett zu schleichen. Ihr langsam den seidenen Schlafanzug auszuziehen und jeden Zentimeter ihrer köstlichen Haut zu streicheln.
Knurrend ging ich zu einem der Boxsäcke und begann, darauf einzuschlagen. Denn anscheinend hatte ich immer noch zu viel Energie.
Ich wusste noch genau, wann sich von meiner Seite aus die Dynamik zwischen Catalina und mir geändert hatte.
Es war jetzt beinahe drei Jahre her, und ich war gerade von einem Auftrag zurückgekehrt. Das Blut des abtrünnigen Drogendealers hatte noch an meinen Händen geklebt, und ich war in die Küche gegangen, um mir die Hände zu waschen. Aber ich war gar nicht bis zum Waschbecken gekommen. Denn durch die großen Flügeltüren, die in den Garten führten, hatte ich Catalina erblickt. Sie war gerade aus dem Pool gestiegen. Sie hatte sich verändert. War von einem Mädchen zu einer jungen Frau geworden. Und in dem winzigen weißen Bikini, den sie getragen hatte, war das schmerzlich offensichtlich gewesen. Als sie mich entdeckt hatte, hatte sie die Hand gehoben, mir zugewunken und gelächelt. Ich hatte jeden Funken meiner Selbstbeherrschung gebraucht, um in diesem Moment nicht nach draußen zu stürmen, sie zu packen und mit ihr zu verschwinden.
Stattdessen hatte ich mir das Blut von den Händen gewaschen und war zu ihrem Vater gegangen. Gonzales Ramírez war ein sehr schlauer Mann. Er hatte mir zugehört, wie ich von meinem Auftrag berichtete, gewartet, gelächelt und mich dann gefragt, was ich wirklich wollte.
Also hatte ich ihm gesagt, dass ich beabsichtigte, Catalina zu heiraten. Eigentlich hatte ich ganz andere Dinge mit ihr geplant, aber nichts davon wollte ich ausgerechnet ihrem Vater auf die Nase binden. Gonzales hatte mich nur eine ganze Weile angestarrt und dann gelacht.
»Das ist nicht deine Entscheidung.«
Genau das waren seine Worte gewesen. Und ich hatte ihn gefragt, was er von mir wollte. Damals war es mir scheißegal gewesen, dass ich Catalina niemals haben könnte. Das hatte ich erst später verstanden. Aber nachdem ich sie in dem Bikini gesehen hatte, ein süßes Lächeln auf ihren Lippen, hatte ich nur daran denken können, dass sie mir gehören musste.
Gonzales hatte den Kopf geschüttelt und gesagt, dass es ganz alleine die Entscheidung seiner Tochter wäre, ob sie mich heiraten wollte oder nicht.
Ich kam in die Gegenwart zurück, als mein Blut durch das Tape sickerte, das ich nur nachlässig um meine Fäuste gewickelt hatte und jetzt auf dem Leder des Sandsacks kleben blieb.
Und noch immer kreisten meine Gedanken nur um Catalina.
Ich wusste, wann ich einen Kampf verloren hatte. Unzufrieden mit dem Ergebnis meiner ›Therapie‹ schnitt ich das Tape von meinen Händen, schnappte mir eines der Handtücher aus dem Regal neben der Tür und ging die Treppe nach oben ins Erdgeschoss und von dort in die erste Etage.
Ich versuchte, mich daran zu erinnern, wann ich das letzte Mal einen Tag verbracht hatte, an dem ich nicht an Catalina gedacht hatte. Mir fiel keiner ein. Verdammt, ich konnte mich ja nicht mal an ein Leben ohne Catalina erinnern. Sie war einfach immer da gewesen, seit ich achtzehn Jahre alt war.
Als Kind ohne Eltern oder andere Familienmitglieder war ich auf den Straßen von Mexiko aufgewachsen. Ich hatte geraubt, mich geprügelt und generell alles getan, um zu überleben. Irgendwann hatte ich mir einen gewissen Ruf erarbeitet und war schließlich beim Ramírez-Kartell gelandet. Dort hatte ich mich nach oben gemordet und war schließlich zu dem Mann geworden, den Gonzales schickte, wenn er selbst keine Details wissen wollte. Ich erledigte den Scheiß, von dem niemand etwas wissen wollte.
Und dann war da plötzlich ein kleines Baby gewesen, dessen Mutter sich nicht mehr darum kümmern konnte. Gonzales war so versunken in seiner Trauer gewesen, dass er mir übertragen hatte, mich um das Leben des Mädchens zu kümmern. Es zu beschützen.
Von allen Menschen hatte er ausgerechnet mir vertraut. Einem Mann, der sich mehr aufs Töten verstand als aufs Leben.
Ich hatte Catalina aufwachsen sehen. Hatte sie in den Kindergarten begleitet, zur Grundschule und generell überallhin. Wo sie gewesen war, war ich auch gewesen. Ich war ihr dunkler Schatten, damals wie heute. Und wenn einer meiner speziellen Aufträge mich von ihr weggeführt hatte, dann hatte ich meinen Leuten aufgetragen, auf sie aufzupassen und mir stündlich Bericht zu erstatten.
Eigentlich hätte man davon ausgehen können, dass ich furchtbar genervt gewesen war. Schließlich hatte ich mich seit meinem achtzehnten Lebensjahr um ein Mädchen kümmern müssen. Aber so war es nie gewesen. Ich hatte sie gemocht. Sie war süß und nett und unschuldig. Sobald sie alt genug war, wurde sie zu meiner besten Freundin. Ich hatte mehr Stunden meines Lebens mit ihr als ohne sie verbracht.
Und jetzt, wo sie älter, wo sie eine Frau war, konnte ich nur daran denken, dass ich nie in meinem Leben etwas für mich besessen hatte. Aber Catalina wollte ich unbedingt für mich ganz alleine. Was es nur umso frustrierender machte, dass sie mir nicht gehören konnte.
Dennoch war sie alles für mich. Mein Leben. Der Grund, warum ich morgens aufstand. Warum ich tötete. Und nicht einmal Gottes Gnade konnte diejenigen schützen, die es wagten, ihr Leid zuzufügen.
Ich verursachte kein Geräusch, als ich durch den dunklen Flur schritt, auf dem mein Zimmer lag. Das Haus erwachte langsam, und ich wollte noch eine schnelle Dusche nehmen, bevor der neue Tag begann.
Ich hatte natürlich noch ein eigenes Apartment in der Stadt. Allerdings nutzte ich das nur, wenn ich mich auf verschiedenste Art und Weise abreagieren wollte. Und das wollte ich nicht unter demselben Dach tun, unter dem auch Catalina schlief. Schon gar nicht, wenn ich andere Frauen dafür benutzte.
Catalinas Zimmer lag auf demselben Flur wie meines. Schließlich war es meine Lebensaufgabe, sie zu beschützen. Natürlich konnte ich nicht widerstehen und öffnete die Tür zu ihrem Zimmer. Genau wie bei mir öffnete sich der Bereich in ein geräumiges Wohnzimmer. Von dort führte eine weitere Tür ins Schlafzimmer, auf das ich jetzt direkten Blick hatte. Ihre Nachttischlampe leuchtete noch, und ein aufgeschlagenes Buch lag auf ihrem Bauch.
Catalina war schon immer ein kluges Mädchen gewesen, und als sie sich dazu entschlossen hatte, die Universidad Nacional Autónoma de México zu besuchen, war Gonzales so stolz gewesen. Dort studierte sie jetzt Architektur. Allerdings besuchte sie die UNAM nur zu ihren Prüfungsterminen. Nachdem Gonzales ein großzügiger Sponsor der Universität geworden war, konnte Catalina ihre Vorlesungen jetzt im Livestream verfolgen.
Schließlich war sie die Tochter von Gonzales Ramírez, mächtigstem Drogenboss von Mexiko. Und das war er nicht geworden, weil er andere Menschen gerne auf einen Kaffee einlud und nette Gespräche mit ihnen führte. Nein, er hatte sich eine verflucht große Menge Feinde gemacht, und die warteten alle nur auf den Moment, um ihn zu vernichten. Und seine einzige Schwachstelle war seine Tochter. Das Licht seines Lebens. Er würde alles für Catalina tun.
Jedenfalls war es wieder dazu gekommen, nachdem Gonzales die Trauer wegen seiner Frau überwunden hatte. Nachdem er sich zurückgezogen und von der Welt abgeschottet hatte. Nach dieser Zeit war er immer ein vorbildlicher Vater gewesen und es gab nichts Wichtigeres für ihn als seine Tochter.
Eine ganze Weile hatten wir ihre Existenz vor der Außenwelt geheim halten können. Aber dann hatten einige Leute angefangen zu reden, und schließlich hatten wir die ersten Drohungen erhalten.
Genau deswegen verließ Catalina auch nur selten das Anwesen. Und wenn sie es tat, war sie immer in Begleitung. Meistens in meiner.
Ich beobachtete, wie sich ihre Brust langsam hob und senkte. Der Drang, einfach zu ihr zu gehen und mich neben sie zu legen, wurde beinahe übermächtig. Aber selbst wenn sie mit dem umgehen könnte, was ich von ihr verlangen würde, blieb da immer noch das Problem, dass ich für ihre Sicherheit zuständig war. Und nichts durfte mich von dieser Aufgabe ablenken.
Nicht einmal sie selbst.
Ich betrat das Wohnzimmer und kontrollierte noch einmal, ob die Sicherungen an ihren Fenstern funktionierten. Sobald Letztere nämlich geöffnet oder sonst wie manipuliert wurden, ging ein Alarm los.
Nach meinem letzten Auftrag, von dem ich ja heute erst zurückgekehrt war, war es noch wichtiger, dass sie in Sicherheit war. Wichtiger denn je. Die nächsten Wochen würden darüber entscheiden, ob sie es auch blieb.
Nachdem ich sicher war, dass auch in ihrem Schlafzimmer alles wie immer war, warf ich einen letzten Blick auf sie. Ihre dunkelbraunen, gewellten Haare waren auf dem Kopfkissen ausgebreitet, ihre Lippen leicht geöffnet. Als könnte sie meine Anwesenheit spüren, drehte sie sich in die Richtung, in der ich stand, und streckte die Hand nach mir auf der Matratze aus. Erst jetzt bemerkte ich, was sie da trug. Es war nicht einer ihrer kurzen seidenen Pyjamas. Stattdessen war es ein graues T-Shirt. Das mir verdammt bekannt vorkam.
Ich ballte eine Hand zur Faust, und mein Schwanz regte sich. Sie schlief doch tatsächlich schon wieder in einem meiner Shirts!
Catalina seufzte leise, und ich sah zu, dass ich dieses verfluchte Zimmer verließ.