Catalina
Meine Hände zitterten
die ganze Autofahrt über so stark, dass ich Probleme hatte, das Lenkrad ruhig zu halten. Und es wurde auch nicht besser, als ich schließlich parkte und Motor und Scheinwerfer ausschaltete.
Und dann, in diesem Moment voller Chaos und Angst, hörte ich plötzlich Santiagos Stimme in meinem Kopf.
Du wirst Angst haben. Das ist eine ganz natürliche Reaktion. Aber du darfst dich davon nicht beherrschen lassen. Nutze die Angst. Lass sie deine Sinne schärfen, deine Reaktionen beschleunigen. Wenn es so weit ist, schließe deine Augen, nimm einen tiefen Atemzug und halte die Luft an. Lass alle Gefühle durch dich hindurchfließen. Spüre sie. Durchlebe deine Ängste. Und dann atme sie langsam aus. Wenn du danach deine Augen wieder öffnest, wirst du bereit sein. Das verspreche ich dir.
Also saß ich da, in der Dunkelheit eines Autos, kurz bevor ich einen mehr als riskanten Plan in die Tat umsetzen würde, und schloss die Augen. Weil ich Santiago in absolut jeder Situation bedingungslos vertraute. Als ich die Augen wieder öffnete, waren meine Hände ruhig, und das Chaos in meinem Kopf hatte sich gelegt. Zumindest so weit, dass ich mich wieder konzentrieren konnte.
Aber bevor ich das Auto verließ, schickte ich noch eine Nachricht an Santiagos Handy. Der Inhalt war denkbar simpel:
Ich liebe dich. Es tut mir leid. Ich sah keine andere Möglichkeit. Sag meinem
padre, dass ich ihn lieb habe.
Danach schaltete ich beide Smartphones aus, überprüfte ein letztes Mal meine Waffen und stieg schließlich aus. Der Plan war einfach, geradezu schlicht. Ich würde das Haus finden, so viele Männer erschießen wie möglich und dabei am Ende auch Daniel García erwischen.
Was sollte da schon schiefgehen?
Es dauerte ein bisschen,
bis ich das Haus gefunden hatte, aber als ich es entdeckte, wusste ich, dass ich am richtigen Ort angekommen war. Die vernagelten Fenster, die schattenhaften Gestalten, die dahinter umhergingen.
Ich suchte mir eine passende Position in der Nähe, die – ganz dunkles Gangsterklischee – in einer schmalen Gasse in der Nähe lag, und entsicherte eine Pistole. Nahkampf war nie mein Spezialgebiet gewesen, und ich würde in diesem Leben auch keine Expertin mehr werden. Aber worin ich wirklich gut war, war Schießen. Ich war eine exzellente Schützin, und das würde ich mir heute zunutze machen.
Obwohl Zeit ein entscheidender Faktor war, nahm ich mir eine kleine Weile Zeit, um das Haus zu beobachten. Viel mehr konnte ich für meine eigene Sicherheit wohl nicht tun. Ich konnte keine Muster erkennen, aber ich war mir beinahe sicher, dass ich jetzt eine gewisse Vorstellung davon hatte, wie viele Menschen sich in dem Haus befanden.
Jetzt gab es nur noch ein letztes kleines Problem: Ich hatte noch nie einen Menschen getötet. Der Tod war nicht fremd für mich. Ich war damit aufgewachsen. Ich wusste, wie eine Leiche aussah. Ich hatte nur noch nie selbst dafür gesorgt, dass jemand sein Leben verlor.
Schien so, als würde sich das heute ändern.
Ich schlich mich zur Eingangstür und – weil mir nichts Besseres einfiel – klopfte. Ich konnte die Überraschung innerhalb des Hauses beinahe mit Händen greifen. Es dauerte einen Moment, aber dann wurde mir die Tür geöffnet. Ich schoss, und der Mann starrte mich noch einen Moment lang aus leblosen Augen an, bevor er einfach in sich zusammensackte.
Ich schaffte es gerade noch in das Haus, bevor die ersten Kugeln neben mir in die Wand einschlugen. Mein Herzschlag dröhnte laut in meinen Ohren. Meine Hände verloren etwas von ihrer Ruhe, aber ich schaffte dennoch zwei weitere Treffer, die Menschen in Leichen verwandelten. Ich mied den Blick in ihre Gesichter, schritt über die leblosen Körper hinweg, ohne sie mir näher anzusehen. Wenn sie gesichtslose Niemande blieben, dann war es einfacher.
Die Schüsse hatten alle alarmiert, und immer mehr Männer rannten durch das Haus. Ich suchte mir Verstecke, versuchte, so viele wie möglich auszuschalten, aber bald schon war das erste Magazin leer, und meine Waffe wurde nutzlos. Mit der zweiten Pistole im Anschlag duckte ich mich neben eine alte Holzkommode in einem winzigen Raum. Schritte polterten durch das Haus, ich hörte hauptsächlich Männerstimmen, die durcheinander riefen, alle auf der Suche nach mir.
Mein Blick fiel auf das Fenster links von mir, und die ersten Sonnenstrahlen fielen durch die Bretter, erstreckten sich auf die Holzdielen und krochen über den Boden. In diesem Moment wurde die Tür zu dem Raum, in dem ich mich für den Moment versteckt hielt, eingetreten. Ich schoss, bevor ich darüber nachdachte. Ein weiterer riesiger Schatten tauchte im Türrahmen auf. Ich drückte erneut ab, gleichzeitig erschütterte Schmerz meinen Körper. Ich starrte auf den roten Fleck, der sich gerade auf meinem rechten Oberarm ausbreitete. Fuck.
Ich war Rechtshänderin. Ich warf die Waffe in die linke Hand und hob sie erneut, zielte auf die offene Tür. Als ich eine Bewegung wahrnahm, schoss ich, aber mit der anderen Hand war ich deutlich unsicherer. Die Kugeln schlugen in die Wand ein. Ich schoss weiter, hörte ein schmerzerfülltes Stöhnen. Als mir klar wurde, dass ich nur noch einen Schuss hatte, fluchte ich leise. Es erschienen keine weiteren Angreifer im Türrahmen. Stille senkte sich über das Haus, als hätte jemand einen Stecker gezogen. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Nach dem Schusswechsel war die Ruhe geradezu ohrenbetäubend. Mein Puls dröhnte in meinen Ohren, meine Atmung war hektisch und unruhig.
Unsicherheit erfüllte mich, genauso wie Misstrauen. Was würde jetzt passieren?
»Na, geht dir die Munition aus, Prinzessin?«
Ich kannte diese Stimme, hatte sie in der Dunkelheit und in meinen Albträumen gehört. Und inzwischen wusste ich auch, wem diese Stimme gehörte.
»Daniel García.«
Ich hörte ihn lachen. Da war es wieder. Dieses Geräusch, das mich an Käfer erinnerte, die über meine Haut krochen. »Wie schön, dass wir uns wiedersehen.«
»Ich sehe dich aber nicht.«
»Wie viel Schuss hast du denn noch, Prinzessin?«
Ich grinste. »Warum kommst du nicht rein und findest es selbst heraus, Arschloch?«
»Da ist aber jemand kratzbürstig.«
»Tja, das wärst du auch, wenn du entführt und gefoltert worden wärst.«
»Ach, wir wollen doch nicht über solche Kleinigkeiten streiten, oder?«
Ich rollte mit den Augen.
»Also, du weißt genau, dass du das hier nicht gewinnen kannst, Prinzessin. Nicht mehr. Ich meine, du hast einigen Schaden angerichtet, das gebe ich zu. Aber das ist jetzt vorbei, und wir wissen es beide. Du hast nicht mehr genügend Munition, um uns alle zu erschießen, und aus diesem Raum kannst du auch nicht mehr fliehen. Es ist vorbei.«
Ich war durch seine Worte abgelenkt, weswegen ich schoss, als ich eine Bewegung wahrnahm. Die Kugel schlug in die Wand ein. Putz bröckelte herunter. Die Granate rollte auf mich zu. Ein heller Lichtschein explodierte, blendete mich, während die Wucht der Detonation meinen Kopf gegen die Wand prallen ließ. Ich hörte die Schritte, kurz bevor mich starke Hände packten und auf den Boden drückten. Danach spürte ich einen Einstich am Hals, und kurz danach versank die Welt in Dunkelheit.
Santiago
Die ersten Sonnenstrahlen weckten mich,
und ich spürte sofort, dass Catalina nicht mehr neben mir lag. Ich setzte mich auf und rieb mir mit einer Hand über das Gesicht.
»Catalina?«, rief ich.
Es war ungewöhnlich, dass ich nicht wach geworden war, als sie das Bett verlassen hatte. Aber das zeugte nur von meiner Erschöpfung. Die letzten Wochen forderten endlich ihren Tribut.
»Catalina?«, rief ich erneut, lauter diesmal.
In diesem Moment wurde die Tür geöffnet, und ich lächelte. Sie war zurück.
Ich stand aus dem Bett auf und drehte mich genau in dem Moment um, in dem die Schritte stoppten.
»Wo warst du?«, verlangte ich zu wissen.
»Ohnmächtig vor der Waffenkammer.«
Ich starrte Raúl an. Mein Puls verlangsamte sich, bis mein Herz beinahe aufhörte zu schlagen. Mein Blut wurde zu Eis.
»Was ist passiert?«
»Sie ist weg.« Raúl konnte mir nicht einmal ins Gesicht sehen.
Ich ballte die Hände zu Fäusten. »Was. Ist. Passiert?«
Ich beobachtete, wie Raúl hart schluckte und den Blick weiterhin auf den Boden gerichtet hielt. »Ich habe sie in der Waffenkammer gefunden. Vor etwa zwei Stunden. Ich dachte, dass ich sie überzeugt hätte, aber …«
»Aber was
?«
»Sie hat einen Taser benutzt. Ich hab es nicht –«
»Kommen sehen. Schon verstanden!« Wut durchfuhr mich. Heiß und brodelnd. Mein Sichtfeld zog sich zusammen. Mit einem zornigen Aufschrei packte ich die Kommode vor mir und schleuderte sie durch den Raum. Eine Lampe fiel herunter, die Glühbirne zersprang.
»Verdammt, Raúl! Du hast sie entkommen lassen, schon wieder
!«
Die Versuchung, mich einfach meiner Wut hinzugeben, war groß. Sehr groß. Aber blinde Zerstörungswut würde mir Catalina nicht zurückbringen.
Ich sah Raúl an, der unter meinem Blick zusammenzuckte. »Du erzählst mir jetzt alles. Jedes noch so kleine Detail.« Ich ging auf ihn zu, bis wir nur einen Atemzug voneinander entfernt waren. »Und du betest besser, dass deine Informationen dein Überleben wert sind. Du verlierst die Liebe meines Lebens nicht zwei Mal ohne Konsequenzen.«