Kapitel 7

 

Azetbur schaltete das Projektionsfeld aus und drehte sich langsam zu ihrem Rat um.

Nur zwei Berater ihres Vaters gehörten ihm an, Chang und Kerla, und derzeit vertraute sie weder dem einen noch dem anderen.

Sie hätte gern den alten Korrd um Hilfe gebeten, aber sein Zustand war noch immer kritisch. Aufgrund des hohen Alters heilten die von Gorkons Mördern verursachten Wunden nur sehr langsam.

Eine Zeitlang musterte sie Kerla und hielt in seinem Gesicht nach Anzeichen für Verrat Ausschau. In Anwesenheit der anderen begegnete er ihr mit einem fast übertrieben förmlichen Gebaren. Wenn sie allein waren, verhielt er sich völlig anders. Trug er dann eine Maske?

Mit einer dramatischen Geste entfaltete Kerla Schlachtpläne und legte sie auf den Tisch. Chang trat kommentarlos einen Schritt zurück und beobachtete sie alle. Er erinnerte Azetbur an ein Raubtier: immer stumm, immer wachsam, immer auf der Lauer. Sie beschloss, seinen Rat zu beherzigen. Vertrauen Sie niemandem. Nicht einmal ihm selbst.

»Wir sollten jetzt angreifen, Kanzlerin, solange wir dazu in der Lage sind!«, zischte Kerla.

Sie beugte sich vor und warf einen gleichgültigen Blick auf die Pläne.

»Entweder greifen wir an, oder wir werden zu Sklaven der Föderation«, knurrte General Khmarr. Ein junger Mann – noch jünger als Kerla –, und er schien es gar nicht abwarten zu können, in die Schlacht zu ziehen.

»Nehmen wir uns ganz, was man angeblich mit uns teilen will!« Grokh deutete auf die Sternenkarte. General Grokh war nicht so jung wie Khmarr und Kerla, aber auch er hatte kaum die mittleren Jahre erreicht.

Es beunruhigte Azetbur, dass die besten Berater beim Angriff ums Leben gekommen waren. Was die Überlebenden betraf, hatte Chang zweifellos die meisten Erfahrungen, und es fehlte ihm auch nicht an Intelligenz. Die Logik verlangte, dass sich Gorkons Tochter in erster Linie auf ihn stützte, aber sie teilte die Furcht ihres Vaters. Durfte sie es wagen, Chang zu trauen?

Wenn sie ihm und Kerla Argwohn entgegenbringen musste, so gab es niemandem im Rat, dem sie vertrauen konnte – abgesehen von sich selbst und ihrem toten Vater.

Warum hatten die Mörder sie bisher am Leben gelassen?

Sie seufzte müde und sah Grokh an. »Offenbar verstehen Sie die Situation nicht, General. Der Krieg ist … überholt. Und auch wir sind bald obsolet.«

»Mir erscheint es besser, auf den Beinen zu sterben als auf den Knien zu leben«, sagte Kerla vorwurfsvoll.

»Mein Vater trat für etwas anderes ein …«

Changs bittere Stimme unterbrach Azetbur. »Ihr Vater fiel seinen eigenen Zielen zum Opfer.«

Ein Schatten fiel auf das Gesicht der Klingonen, als sie daran dachte, wie Gorkons Körper in ihren Armen erschlaffte.

Es hieß, Kirk hätte das Herz eines Klingonen, und vielleicht stimmte das. Ein Klingone, der sich für den Tod eines Familienmitglieds rächen wollte – ob Sohn oder Gemahlin –, übte selbst Vergeltung und überließ diese Aufgabe niemand anders.

Kirk kam an Bord der Kronos, um sich zu vergewissern, dass Gorkon wirklich tot war. Es spielte keine Rolle für ihn, dass er und sein Freund diese Genugtuung mit dem Leben bezahlen mussten.

Um den Kreis zu schließen, würde Azetbur nun dafür sorgen, dass sich Kirks Schicksal erfüllte – auf eine Weise, die nicht das Werk ihres Vaters in Gefahr brachte.

Sie wandte sich an Chang. »Kirk soll ein faires Verfahren bekommen.«

»Man wird ihn nach dem klingonischen Gesetz verurteilen«, erwiderte der General grimmig.

»Nein. Die Gerichtsverhandlung findet auf der Grundlage des Interstellaren Rechts statt.«

Die drei jungen Generäle erhoben Einwände, doch Azetbur schenkte ihnen keine Beachtung. »Sie repräsentieren die Anklage, General Chang.«

Er kniff das unbedeckte Auge zusammen. »Die Föderation wird den Angriff der Enterprise bereuen«, versprach er.

»Nein, nicht die Föderation. Die Friedensverhandlungen werden fortgesetzt.« Azetbur flüsterte jetzt. »Kirk. Er muss für den Tod meines Vaters büßen.«

Chang verbeugte sich. »Mit Vergnügen, Kanzlerin.«

 

Spock stand im Torpedoraum und starrte auf das Unmögliche.

Neben ihm betrachtete Scott die Anzeigen der gleichen Konsole und schüttelte den Kopf. »Wie ich schon sagte, Mr. Spock: Nach dem Bestandsverzeichnis haben wir noch immer alle Torpedos an Bord.«

»Aber die Computeraufzeichnungen behaupten nach wie vor, dass zwei abgefeuert worden sind«, murmelte der Vulkanier. Er hielt es für absurd, dass die Enterprise auf den klingonischen Schlachtkreuzer geschossen hatte – aber vor seinem inneren Auge sah er noch einmal, wie zwei Photonentorpedos über den Wandschirm rasten und die Kronos trafen.

Er überlegte einige Sekunden lang, wandte sich dann an den Chefingenieur. »Ein Computer lügt.«

Scott runzelte die Stirn. »Computer können nicht lügen, Sir.«

Diese Bemerkung amüsierte Spock. Menschen sprachen so oft im übertragenen Sinn, dass er sich gelegentlich ein Beispiel an ihnen nahm. Aber als er nun Scotts Bestürzung bemerkte, beschloss der Erste Offizier, seinen Hinweis wörtlich zu verstehen.

Er nickte. »Korrekt, Mr. Scott. Deshalb müssen wir die Torpedos visuell überprüfen.«

»Das könnte Stunden dauern!«

»Trotzdem …«, beharrte Spock. Die Klingonen brauchten sicher mehrere Stunden, um ihre beiden Gefangenen zum Ort der Gerichtsverhandlung zu bringen und dort das Verfahren gegen sie durchzuführen. Außerdem wusste der Vulkanier nicht, wie er sonst vorgehen sollte.

»Und wenn die Angaben der Bestandsliste richtig sind?«, erkundigte sich Scott.

Spock holte tief Luft und ließ den Atem entweichen. »Dann wissen wir, dass ein Besatzungsmitglied dieses Schiffes die Computeraufzeichnungen manipuliert hat.« Das war die wahrscheinlichste Möglichkeit, und er fand sie so beunruhigend, dass er sich zunächst weigerte, gründlicher darüber nachzudenken.

Er glaubte fest an Kirks Unschuld.

Beide Männer drehten sich um, als Valeris in den Torpedoraum kam.

»Captain Spock«, sagte sie. »Man hat Gorkons Tochter zur Kanzlerin ernannt. Ich habe den Bericht gehört.«

Scott knurrte leise und schüttelte erneut den Kopf. »Ich wette, die verdammte Klingonin hat ihren Vater umgebracht.«

Spock bedachte ihn mit einem durchdringenden Blick, erstaunt vom Hass in der Stimme des Chefingenieurs. Er erinnerte sich in diesem Zusammenhang an die Begegnung mit Jim Kirk nach Admiral Smillies Konferenz. »Ihren eigenen Vater?«

»Eine alte Geschichte, Sir«, sagte Valeris ruhig. Als Spock eine Braue wölbte, fuhr sie fort. »Seit Jahrhunderten wird im Imperium der Vatermord als ein Mittel praktiziert, um zur Macht zu gelangen.«

»Wie einst auf der Erde«, fügte Spock hinzu. »Und auch im romulanischen Reich. Doch der Umstand, dass so etwas praktiziert worden ist, beweist keineswegs, dass Azetbur …«

»Für die Klingonen hat das Leben nicht den gleichen Wert wie für uns«, warf Scott bitter ein. »Das wissen Sie. Ich bin sicher, die Kanzlerin hat keine einzige Träne vergossen.«

Der Vulkanier spürte einen Ärger, der Enttäuschung hervorzurufen drohte. Sie wollten den Captain retten, ohne einen Krieg zu provozieren, und anschließend hofften sie, die Grundlagen für einen dauerhaften Frieden zwischen der Föderation und dem Imperium zu legen. Aber wie war das möglich, wenn selbst hochrangige Starfleet-Offiziere an derartigen Einstellungen festhielten? »Das ist wohl kaum ein schlüssiger Beweis, Mr. Scott – immerhin haben Klingonen keine Tränendrüsen.« Er richtete seine Aufmerksamkeit auf Valeris, bevor der Chefingenieur reagieren konnte. »Ist eine Antwort von Starfleet eingetroffen, Lieutenant?«

»Ja, Sir.«

Spock musterte die junge Frau, als sie zögerte. »Und …?«

Valeris straffte die Gestalt, und ihr Gesicht wurde zu einer ausdruckslosen Maske. »Commander Uhura klagt über einige technische Probleme.«

»Seltsam«, sagte Spock leise. Er hatte sich innerlich darauf vorbereitet, die volle Verantwortung zu übernehmen und die Besatzung aus der Pflicht zu entlassen, seinen Befehlen zu gehorchen. Aber er wusste auch, dass sie darauf bestehen würde, ihm bei der Rettung zu helfen – und damit lud sie ebensoviel Schuld auf sich wie er selbst.

Offenbar hatte Uhura eine Möglichkeit gefunden, ihnen allen das Kriegsgericht zu ersparen.

»Na schön«, erwiderte er. »Vierundzwanzig Stunden lang gehen wir davon aus, dass dieses Gespräch nicht stattfand.«

»Eine Lüge?« Valeris formulierte dieses Wort in aller Ruhe, und ihr Tonfall vermittelte keine Missbilligung.

»Eine Unterlassung«, berichtigte Spock. »Nach Ablauf dieser Zeit …«

Scott hatte mit wachsender Besorgnis zugehört und konnte sich jetzt nicht länger zurückhalten. »In vierundzwanzig Stunden haben wir keine Ahnung mehr, wo sich der Captain befindet!«

»Ich bin in der Lage, seinen Aufenthaltsort festzustellen«, entgegnete Spock.

Scott starrte den Vulkanier groß an. »Wie?«

 

Die Kronos Eins flog im Warptransfer nach Hause, um Kirk vor Gericht zu stellen. Azetbur blätterte durch die elektronischen Unterlagen ihres Vaters und bereitete sich auf die Konferenz vor.

Sie war in Gorkons Quartier umgezogen, zum Teil deshalb, weil Chang darauf bestanden hatte. Die Kabine des Kanzlers enthielt mehr Sicherheitsvorrichtungen und konnte von den Wächtern leichter verteidigt werden. Azetbur fürchtete zunächst, dass diese Umgebung neuen Schmerz in ihr weckte, aber die persönlichen Gegenstände ihres Vaters spendeten ihr sonderbaren Trost. Jetzt saß sie im Lesesessel – dort, wo sie Gorkon zum letzten Mal unverletzt gesehen hatte –, massierte die tiefer werdenden Falten zwischen ihren Brauen und runzelte die Stirn, als sie auf den glühenden Monitor blickte.

Gorkons Notizen erwiesen sich als unvollständig; offenbar hatte er einen großen Teil seiner beabsichtigten Verhandlungsstrategie im Kopf behalten. Azetbur erinnerte sich an alle Einzelheiten, die er mit ihr allein oder in Gegenwart seiner Berater besprochen hatte, aber es fehlten viele Details.

Er hatte seinem eigenen Hohen Rat misstraut. Und an dieses Prinzip sollte ich mich ebenfalls halten, dachte Azetbur grimmig. Sie entsann sich daran, Kerla vertraut zu haben; sie liebte ihn noch immer, aber die düsteren Worte Changs säten Zweifel in ihr. Nein, sie durfte niemandem Vertrauen schenken, nicht einmal Chang, der nun für ihre Sicherheit sorgte. Seit einiger Zeit schwankten ihre Stimmungen zwischen zwei Extremen: Manchmal prickelte der intensive Wunsch in ihr, zu leben und Gorkons Arbeit fortzusetzen; dann wieder wollte sie am liebsten alles hinwerfen, weil sie ihre Bemühungen für sinnlos hielt. Sie fürchtete, ermordet zu werden, bevor sie Gelegenheit bekam, den Friedensvertrag mit der Föderation zu unterschreiben, aber vielleicht überlebte sie wenigstens bis zu Kirks Verurteilung. Diese Genugtuung würde ausreichen.

Doch im Gegensatz zu ihrem Vater hatte sie keinen vertrauenswürdigen Nachfolger.

Azetbur schloss die brennenden Augen und öffnete sie wieder, als der Monitor summte. Sie betätigte eine Taste, und daraufhin zeigte der Schirm Katris, der im Korridor Wache hielt.

»Kanzlerin …« Die schwere, dunkle Stimme entsprach seinen groben Zügen. »Brigadegeneral Kerla möchte Sie allein in Ihrem Quartier sprechen.«

Azetbur lehnte sich zurück und seufzte unhörbar. »Lassen Sie ihn eintreten.«

Katris nickte. Das Bild auf dem Schirm flackerte kurz und wechselte dann zu einem Bericht, den auch die beiden Wächter vor der Tür sahen: Kerla trug keine verborgenen Waffen und war nur mit einem Phaser gekommen, den er Katris überließ.

Die Kanzlerin hätte selbst dann keine Furcht empfunden, wenn er bewaffnet gekommen wäre. Sie erwartete den Tod seit der Ermordung ihres Vaters. Darüber hinaus wurde ihr Gespräch an drei verschiedenen Stellen im Schiff aufgezeichnet.

Sie stand nicht auf, als Kerla hereinkam. Azetbur wusste genau, warum er sie jetzt besuchte, nachdem er ihr Zeit genug gegeben hatte, allein Gorkons Tod zu betrauern. Eine zweite Erkenntnis gesellte sich der ersten hinzu: Kalte Offenheit machte es für sie beide leichter.

Als das Schott hinter ihm zuglitt, streifte er sofort das förmliche Gebaren ab. Mit einigen langen Schritten ging er zu Azetbur, kniete neben ihr und schloss die Finger um ihren Unterarm.

Sie widersetzte sich nicht, als Kerla ihre Hand zum Gesicht hob. Azetburs Arm blieb schlaff, und sie zwang sich dazu, ihn ohne Gefühl anzusehen, ohne Wärme. Es fiel ihr schwer: Er war stark und voller Leben. Sie sehnte sich danach, sein langes, prächtiges Haar zu berühren, es an ihren Wangen zu spüren und sich, wie vor einigen Tagen, von seiner unmittelbaren Präsenz trösten zu lassen.

Er schien ihre Kühle überhaupt nicht zu bemerken. »Lass uns heute Abend den Eid leisten, Zeta. Jetzt hindert uns nichts mehr daran.«

Weil mein Vater tot ist, dachte Azetbur.

Kerla versuchte, sie an sich zu drücken, aber diesmal leistete sie Widerstand und wich fort. Er sah verwirrt zu ihr auf.

»Was ist denn, Zeta? Habe ich dir nicht Zeit genug für die Trauer gegeben? Wenn das der Fall sein sollte, so bitte ich um Verzeihung.«

Azetbur bemühte sich auch weiterhin, distanziert und unnahbar zu sein. »Die Dinge zwischen uns haben sich geändert, Brigadegeneral.«

Langsam ließ er sie los und zog die Hand zurück. Sie sah, wie Zorn in ihm aufflammte, wie er versuchte, ihn unter Kontrolle zu halten. »Ich verstehe nicht.«

»Warst du meinem Vater treu?«, entfuhr es Azetbur plötzlich, und diese Frage überraschte sie beide. Sie hatte die Beziehung ohne eine Erklärung beenden wollen. Närrin!, fuhr es ihr durch den Sinn. Wenn Changs Argwohn gerechtfertigt ist, forderst du deinen Tod heraus.

Diesmal verbarg Kerla die Wut nicht – er fühlte sich in seiner Ehre verletzt. Azetbur beobachtete ihn ohne eine Reaktion. Wenn der junge Mann nur eine Rolle spielte, so zeichnete er sich durch ein erstaunliches schauspielerisches Talent aus.

»Was soll das heißen, Kanzlerin? Dass ich Gorkon verraten habe? Dass ich für seine Ermordung die Verantwortung trage?« Er sprang auf. »Ich bin nicht immer seiner Meinung gewesen – das ist kein Geheimnis. Aber ich habe ihm Treue geschworen! Ich brauche diesen Schwur nicht zu wiederholen, um ihm Bedeutung zu verleihen!«

»Mir gegenüber hast du keinen solchen Eid geleistet.«

Dieser Hinweis verringerte Kerlas Zorn. Er ging in die Hocke, so dass seine Augen auf einer Höhe mit denen Azetburs waren. »Ich bin gern bereit, dir jetzt meine Loyalität zu versichern. Es gibt keinen Grund für dich, an meiner Treue zu zweifeln.«

»Wirklich nicht?«, fragte sie leise.

Azetbur rechnete damit, dass einmal mehr Wut in ihm brannte, aber er musterte sie nur und legte eine Hand auf die Armlehne von Gorkons Sessel.

»Der Tod deines Vaters hat dich mit Kummer erfüllt«, sagte Kerla schließlich. Es klang entwaffnend sanft. »Ich überhöre deine vorwurfsvollen Worte, weil du sie nicht so meinst. Zu viele Dinge erfordern deine Aufmerksamkeit. Wir setzen unser Gespräch nach der Friedenskonferenz fort, wenn du wieder du selbst bist.« Er hob die Hand, um sie zu berühren.

Auch diesmal wich Azetbur zurück. »Nein. Wir sprechen nie wieder darüber, nicht einmal dann, wenn ich überlebe. Dieses Thema ist jetzt erledigt. Du wirst mich nicht noch einmal in meinem Quartier besuchen, es sei denn, offizielle Anlässe führen dich hierher.«

»Zeta …«

Mit einem Tastendruck rief sie den Wächter. Kerla stand rasch und zornig auf.

»Du vertraust mir nicht«, sagte er leise und verbittert. »Irgendwann wirst du bereuen, mich fortgeschickt zu haben.«

Azetbur blickte wieder auf den Bildschirm und sah Kerla nicht nach, als er die Kabine verließ.

 

McCoy stand mitten im Gerichtssaal neben Kirk, und Furcht entstand in ihm.

Die Klingonen hatten sie keineswegs schlecht behandelt. Ganz im Gegenteil: Sie begegneten ihren beiden Gefangenen fast mit Zuvorkommenheit. Leonard und Jim waren in einer komfortabel eingerichteten Zelle untergebracht worden und bekamen schmackhaftes Essen – zumindest nach klingonischen Maßstäben. McCoy brachte kaum einen Bissen herunter.

Azetbur setzte die menschliche Politik ihres Vaters fort; der Arzt verzog das Gesicht, als er an die semantische Evolution des Wortes ›menschlich‹ dachte. Der einzige erniedrigende Aspekt bestand darin, dass man ihnen nicht erlaubte, sich zu rasieren oder zu duschen.

Und McCoy schwitzte immer mehr.

Er hielt die Klingonen für zu freundlich, sah darin ein Anzeichen dafür, dass sich Unheil anbahnte.

Dieses Unheil glaubte er nun in unmittelbarer Nähe. Der Gerichtssaal stellte eine seltsame Mischung aus Kathedrale und Zirkus dar: eine große, stadionartige Halle mit kreisförmigen Sitzreihen, aus hartem Fels gemeißelt.

In der Mitte, ganz unten, befand sich die Anklagebank, ein runder Pferch, der McCoy bis an die Brust reichte. Scheinwerferlicht strahlte darauf herab, während die übrigen Teile der Höhle im Halbdunkel blieben. McCoy blinzelte mehrmals und sah einige Kameras an den hohen Steinwänden.

Zuerst steigerten sie seine Nervosität: Die ganze Galaxis würde dem Debakel zusehen. Doch dann begann er zu hoffen, dass auch Spock und die Besatzung der Enterprise das Geschehen beobachteten.

Er ließ seinen Blick über die hohen Sitzreihen schweifen, als Kanzlerin Azetbur – eine würdevolle Schönheit – mit ihrem Gefolge hereinkam. Er erinnerte sich daran, wie sie Gorkon in den Armen hielt, sprachlos vor Kummer. Seit dem Tod ihres Vaters hatte er sie weder gesehen noch mit ihr gesprochen, und er spürte nun, wie seine Hoffnung zunahm. Azetbur war ebenso vernünftig, intelligent und verständnisvoll wie Gorkon. Sie glaubte bestimmt nicht, dass der Captain die Verantwortung für seinen Tod trug …

Stimmen flüsterten im Publikum, schwollen dann an und donnerten so laut, dass der Boden unter McCoys Füßen vibrierte: »Kirk! Kirk! Kirk! KIRK!«

Der Arzt hielt sich am Geländer der Anklagebank fest, als seine Knie zitterten. Jim reagierte nicht und wahrte ein verdrießliches Schweigen. McCoy wusste, dass ihn der Tod des Kanzlers schwer getroffen hatte. Kirk trauerte um Gorkon, als lebendes Wesen und letzte Chance für den Frieden in der Galaxis. Er schämte sich für den Hass, der seit Davids Tod und Carols Verletzungen in ihm haftete – der gleiche Hass, der die Mörder zu ihrer schrecklichen Tat veranlasst hatte.

Auch McCoy gab keinen Ton von sich. Er hatte Gorkon ebenso sehr bewundert und respektiert wie alle anderen – aber er starb, weil dem Medo-Offizier Leonard McCoy Kenntnisse über die klingonische Anatomie fehlten. Niemand verlangte ein derartiges Wissen von ihm. Sicher, er hätte es sich aus eigenem Antrieb aneignen können, aber er war zu beschäftigt gewesen. Außerdem: Angeblich blieben Föderationsschiffe im stellaren Territorium der Föderation und begegneten keinen Klingonen.

So lautete jedenfalls die Theorie.

Aber vielleicht gingen wir von einer anderen Annahme aus, die so verabscheuungswürdig ist, dass wir sie nicht offen eingestanden, dachte der Arzt. Vielleicht glaubten wir, das Leben eines Klingonen sei es nicht wert, gerettet zu werden …

Der Sprechchor des Publikums wurde so laut, dass McCoy nicht mehr nachdenken konnte. Der Verteidiger – dunkelhäutig, breitschultrig und muskulös – trat näher. Während der ersten und sehr kurzen Begegnung war Leonard zu verzweifelt gewesen, um sich seinen Namen zu merken. Er erinnerte sich nur an seine Überraschung darüber, dass dieser junge Klingone aufrichtiges Interesse daran zu haben schien, ihm und Kirk zu helfen – obwohl er ihnen kein günstiges Urteil in Aussicht stellte.

Der Anwalt reichte den beiden Gefangenen zwei seltsam anmutende Geräte. McCoy nahm eines davon entgegen und runzelte unsicher die Stirn, bis ihm der Klingone zeigte, wie man damit umging. Jim verstand und beugte sich vor, um dem Arzt etwas zuzurufen.

»Übersetzungsmodule!«

McCoy nickte und hob den Translator ans Ohr, als sich die Gestalt von General Chang aus den Schatten löste. Erwartungsvolle Stille breitete sich aus.

Häftlinge, Anklage und Verteidigung, dachte Leonard. Aber wo sind Richter und Geschworene?

Chang sprach mit einem Gesichtsausdruck, der auf selbstgefällige Zufriedenheit hinwies. McCoy starrte ihn finster an, davon überzeugt, dass der General voller Ungeduld auf diesen Augenblick gewartet hatte. Er rückte den Translator am Ohr zurecht und hörte zu.

»Die Anklage wird beweisen, dass die Enterprise zwei Photonentorpedos auf den Schlachtkreuzer Kronos Eins abfeuerte, ohne provoziert worden zu sein«, sagte Chang. »Kanzler Gorkon und seine Berater akzeptierten eine Einladung Captain Kirks und nahmen am gleichen Abend an einem offiziellen Essen teil, das um neunzehn Uhr dreißig in der Offiziersmesse der Enterprise stattfand. Ganz offensichtlich diente es nur dazu, die Repräsentanten des Imperiums in Sicherheit zu wiegen.« Er sah Kirk an und lächelte verächtlich. »Leugnen Sie das?«

»Kirk! Kirk!«, heulten die Zuschauer.

McCoy hörte, wie Metall auf Stein prallte, drehte den Kopf, spähte in die Dunkelheit hinter der Anklagebank und sah die geisterhaft blassen Züge des Richters.

Die Stille kehrte zurück.

»Der Gefangene soll antworten«, sagte der Richter. Er trug einen dicken Handschuh, an dem eine dunkle Metallkugel befestigt war – der symbolische Hammer.

In Jims Wangen zuckte es kurz. »Ich leugne nicht, Kanzler Gorkon und seine Berater zum Essen eingeladen zu haben.«

»Waren Sie dabei betrunken?«, fragte Chang spöttisch.

»Was?«, brachte Kirk verwirrt und verärgert hervor.

»Bestätigen Sie die Tatsache, dass Sie romulanisches Bier servieren ließen, ein Getränk, das aufgrund seiner starken Wirkung in der Föderation verboten ist?«

»Es wurde serviert«, gestand Jim ein.

McCoy blickte zu Boden und schüttelte den Kopf.

Warum erhebt unser Anwalt keinen Einspruch? Dies ist ein verdammter Schauprozess.

 

»Das ist ein verdammter Schauprozess!«, zischte Konteradmiral Smillie und sah Präsident Ra-ghoratrei an. Er wollte keinen Krieg, aber er kannte sowohl Jim Kirk als auch Leonard McCoy – zwei der besten Offiziere Starfleets, die der Föderation gute Dienste erwiesen hatten und sich bald in den Ruhestand zurückziehen wollten. Sie hatten ein besseres Schicksal verdient.

Wenn er Ra-ghoratrei davon überzeugen konnte, etwas zu versuchen, um die beiden Männer zu retten … Sobald Kirk und McCoy in Sicherheit waren, konnten die Diplomaten versuchen, den angerichteten politischen Schaden in Ordnung zu bringen. Smillie hielt an der Überzeugung fest, dass sich die Klingonen in einer viel zu verzweifelten Situation befanden, um einen Krieg zu riskieren. Er maß Sarek mit einem scharfen Blick und glaubte, dass der vulkanische Botschafter die Verantwortung für Ra-ghoratreis Zögern trug.

Sarek reagierte nicht. Der Präsident ignorierte Smillie ebenfalls; seine Aufmerksamkeit galt nach wie vor dem großen Bildschirm, der die Gerichtsverhandlung zeigte.

Smillie seufzte und starrte ebenfalls zum Projektionsfeld.

 

McCoy beobachtete, wie Chang vor der Anklagebank auf und ab ging.

»Behaupten Sie noch immer, dass Ihr Schiff nicht auf die Kronos Eins feuerte? Wüssten Sie darüber Bescheid, wenn das der Fall gewesen wäre? Geben Sie es zu, Captain: Die Aufzeichnungen beweisen, dass keine anderen Raumschiffe im Quadranten geortet wurden.«

»Das stimmt«, erwiderte Kirk. »Es gab keine anderen Schiffe im betreffenden Sektor.«

McCoy hätte am liebsten laut geschrien: Verdammt, Jim! Willst du uns die Todesstrafe einhandeln?

»Hatten Sie während jenes Abends Gelegenheit, die vom Computer gespeicherten Daten zu überprüfen?«

»Ich habe sie kontrolliert, ja«, antwortete Kirk unbewegt.

»Und welchen Schluss ließen sie zu?«

Jim zögerte. »Dass zwei Photonentorpedos fehlten. Aber …«

Der Rest verlor sich im Brüllen des Publikums.

Chang lächelte hasserfüllt. »Vorerst habe ich keine weiteren Fragen.«

Er schritt fort, als der Richter klopfte, um die Ordnung im Saal wiederherzustellen.

McCoys Furcht verwandelte sich in Zorn, als er den nächsten Zeugen erkannte: einer von Kanzler Gorkons Wächtern, dem der rechte Arm fehlte. Der Arm hätte geklont oder durch eine Prothese ersetzt werden können, aber allem Anschein nach wollte man dieses bemitleidenswerte Opfer des Angriffs benutzen, um die negativen Empfindungen der Zuschauer in Hinsicht auf Kirk und McCoy zu verstärken.

Es gab noch eine andere Erklärung: Vielleicht hatte der Wächter wie Chang entschieden, auf medizinische Behandlung zu verzichten und die Entstellung wie eine Tapferkeitsmedaille zu tragen.

Der Verteidiger näherte sich dem Zeugen. »Bitte sagen Sie uns, was Sie in der Nacht sahen, als Kanzler Gorkon ermordet wurde.«

Der Wächter nickte. »Die Enterprise eröffnete das Feuer auf uns …«

»Diese Bemerkung soll aus dem Protokoll gestrichen werden.« Der Verteidiger drehte sich um und sah zum Richter auf. »Der Zeuge vermutet nur, dass die beiden Photonentorpedos von der Enterprise kamen, aber er hat es nicht beobachtet.«

»Abgelehnt«, brummte der Richter.

Der Anwalt seufzte und wandte sich wieder dem Zeugen zu. »Fahren Sie fort.«

»Nach dem ersten Treffer fiel der Gravitationsgenerator aus«, sagte der Wächter. »In der Schwerelosigkeit konnte ich nicht mehr meine Pflichten wahrnehmen. Dann kamen uns zwei Starfleet-Angehörige entgegen.«

»Vielleicht trugen sie nur Starfleet-Uniformen …«, begann der Verteidiger.

Changs Stimme erklang aus den Schatten. »Ich verlange, dass dieser Hinweis aufgrund seiner rein spekulativen Natur nicht ins Protokoll aufgenommen wird.«

»Stattgegeben«, erwiderte der Richter. »Es geht hier um Fakten, Colonel Worf, nicht um Theorien.«

Worf – ein seltsamer Name für einen Klingonen, fand McCoy; kein Wunder, dass er ihn vergessen hatte – hielt seinen Ärger im Zaum. »Haben Sie ihre Gesichter gesehen? Könnten Sie die angeblichen Starfleet-Angehörigen identifizieren?«

Der Wächter zögerte. »Nein. Aber es waren Menschen. Da bin ich ganz sicher.«

Worf neigte skeptisch den Kopf zur Seite. »Wenn Sie ihre Gesichter nicht sahen – woher wollen Sie dann wissen, dass es sich um Menschen handelte?«

Gott segne dich, fuhr es McCoy durch den Sinn und warf dem jungen Klingonen einen dankbaren Blick zu. Du gibst dir wirklich Mühe.

»Ich konnte nicht … ich meine … Ich habe sie nicht genau gesehen. Aber ich wusste trotzdem, dass es Menschen waren.«

»Hmm.« Worf wandte sich ab, wirbelte dann plötzlich um die eigene Achse und schleuderte dem überraschten Zeugen eine Frage entgegen. »Wenn der Gravitationsgenerator nicht mehr funktionierte … Wieso schritten die beiden Männer auf Sie zu?«

»Sie trugen Gravstiefel«, antwortete der Wächter.

Die Zuschauer murmelten, und Colonel Worf schien es zu bedauern, den Zeugen zu dieser Auskunft veranlasst zu haben. »Keine weiteren Fragen.«

Chang nahm seinen Platz ein. »Haben die Menschen auf Sie geschossen?«

Der Wächter nickte. »Mit Starfleet-Phasern. Sie stürmten ins Quartier des Kanzlers, und wir hörten, wie sich die Waffen dort erneut entluden. Anschließend kehrten sie in die Richtung zurück, aus der sie kamen.«

»Zum Transporterraum?«

»Ja, Sir.«

»Danke«, sagte Chang rasch. »Das ist alles.«

Der Wächter ging, und daraufhin drehte sich Chang zu McCoy um. In seinem Auge blitzte es.

»Wie ist Ihr gegenwärtiger medizinischer Status, Dr. McCoy?«

Neuerliche Furcht regte sich in Leonard, als er seinen Namen hörte, aber er wich dem Blick des Generals nicht aus und verstand die Frage absichtlich falsch. Es lag keineswegs in seiner Absicht, Changs Arbeit auch noch zu erleichtern.

»Nun, abgesehen von einer leichten Arthritis geht es mir recht gut«, entgegnete er unbekümmert.

Der neben ihm stehende Jim hätte fast gelächelt.

Chang wirkte nicht amüsiert und starrte den Arzt stumm an. McCoy gab als erster nach.

»Seit siebenundzwanzig Jahren bin ich Bordarzt und später Erster Medo-Offizier der U.S.S. Enterprise gewesen. In drei Monaten trete ich ab.«

Chang runzelte die Stirn, als er diesen für ihn unvertrauten Ausdruck höre. »Sie treten … ab?«

»Ich ziehe mich in den Ruhestand zurück.«

»Ah«, sagte der General leise. »Ich nehme an, während des fraglichen Abends haben auch Sie romulanisches Bier getrunken, nicht wahr, Doktor?«

»Einspruch!«, rief Worf so laut, dass McCoy zusammenzuckte.

»Stattgegeben«, erwiderte der Richter zur allgemeinen Überraschung.

»Wir alle haben Bier getrunken.« Zorn bebte in McCoys Stimme. »Aber das bedeutet nicht …«

Der Richter unterbrach ihn. »General Chang, kommen Sie zur Sache oder verzichten Sie auf derartige Fragen.«

Chang nahm diese Aufforderung mit einem knappen Nicken zur Kenntnis, musterte den Arzt und lächelte hintergründig. »Lebte Kanzler Gorkon noch, als Sie ihn untersuchten?«

»Kaum.« Leonard senkte die Stimme, als er sich entsann.

»Haben Sie früher einmal Patienten gerettet, die ›kaum‹ mehr lebten?«

Wut, Schuld und Schmerz verschlugen McCoy für einige Sekunden die Sprache. »Ich …« Er schluckte, und die Erinnerungen konfrontierten ihn mit Scham. »Ich hatte nicht das erforderliche Wissen über die klingonische Anatomie.«

Im großen Saal war es jetzt völlig still. Leonards Worte hallten dumpf von den hohen Felswänden wider.

»Sie haben eben erwähnt, dass Ihre Pensionierung kurz bevorsteht«, sagte Chang kühl. »Darf ich fragen, ob Ihre Hände zittern?«

»Einspruch!«, fauchte Worf.

McCoy schob das Kinn vor und sah Chang mit unverhohlenem Hass an. Er spürte kaum, dass ihm Jim beruhigend die Hand auf die Schulter legte. Mehrere rassistische Schimpfworte fielen ihm ein, und er wollte sie alle gleichzeitig hervorstoßen – sie galten nur Chang und nicht Azetbur oder ihrem verstorbenen Vater.

»Abgelehnt!«, donnerte der Richter.

»Ich war nervös«, sagte McCoy hitzig.

»Sie waren inkompetent!« Chang beugte sich übers Geländer der Anklagebank und schrie dem Arzt ins Gesicht. Jim schob sich drohend näher. »Dieses Gericht wird feststellen, ob Absicht dahintersteckt oder Ihre Unfähigkeit das Ergebnis von vorgerücktem Alter und Alkohol ist.«

»Ich habe versucht, Gorkon zu retten!« McCoys Stimme überschlug sich. »Ich wollte ihn vor dem Tod bewahren, verdammt! Er war die letzte Hoffnung: für Frieden in der Galaxis!« Er blickte in die Schatten, in Azetburs Richtung, hoffte dabei, dass sie verstand.

»Die Kanzlerin wird bestätigen, dass die Hände des Angeklagten zitterten.«

McCoy senkte beschämt den Kopf.

Chang trat zurück, gestikulierte theatralisch und deutete auf Kirk. »Nun zu dem Hauptverantwortlichen dieser tragischen Angelegenheit, Captain James Tiberius Kirk. Ich werfe Ihnen vor, dass Sie versuchten, den Tod Ihres Sohnes zu rächen.«

Im hellen Scheinwerferlicht war deutlich zu sehen, wie Jim erbleichte. »Das ist nicht wahr!«

Chang fuhr erbarmungslos fort: »Sie haben entweder als Instrument der Föderationspolitik oder aufgrund Ihrer Trunkenheit gehandelt, als Sie und Ihre Mitverschwörer auf die Kronos Eins schossen und den Kanzler des Hohen Rates umbrachten. Dann kamen Sie und Dr. McCoy an Bord, um sich zu vergewissern, dass Gorkon tot war.«

»Einspruch!«, protestierte Colonel Worf. »Captain Kirk ist nicht als Mörder identifiziert worden.«

Der Richter wirkte ein wenig gelangweilt und schien den Prozess so schnell wie möglich beenden zu wollen. »Stattgegeben.«

»Ich bitte darum, folgenden Auszug aus dem persönlichen Logbuch Captain Kirks zu Protokoll zu nehmen.« Chang winkte jemandem auf der anderen Seite des Saals zu.

Jims aufgezeichnete Stimme drang aus Lautsprechern. »Ich habe den Klingonen nie getraut, und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern … Ich sehe mich außerstande, ihnen den Tod meines Sohns zu verzeihen …«

Aufgeregte Stimmen ertönten, und der Richter ließ die Metallkugel an seinem Handschuh mehrmals auf eine Steinplatte pochen. McCoy sah Kirk an, der völlig steif stand, mit ausdrucksloser Miene – nur in seinen Augen zeigte sich ungläubige Verblüffung. Es stimmt nicht, dachte Leonard. Es kann nicht stimmen. Die Aufzeichnung muss gefälscht sein. Er suchte in Jims Zügen nach einer Bestätigung, aber Kirk wich seinem Blick aus.

»Sind das Ihre Worte?«, fragte Chang.

»Ja«, flüsterte Jim.

McCoy riss entsetzt die Augen auf.

»Von Ihnen gesprochen?«

»Ja.«

»Lauter, bitte«, sagte Chang. »Wir können Sie nicht hören.«

Kirk straffte die Gestalt und erwiderte fest: »Ich habe diese Worte gesprochen.«

McCoy senkte die Lider und gab jedwede Hoffnung auf.

 

Captain Sulu saß im Kommandosessel der U.S.S. Excelsior und beobachtete das Verfahren.

Vor Beginn der Verhandlung hatte er nichts von den Hintergründen der Ermordung Gorkons gewusst, abgesehen davon, dass Kirk unschuldig war. Daran konnte überhaupt kein Zweifel bestehen – zumindest für Sulu –, nicht einmal nach dem Auszug aus seinem persönlichen Logbuch. Sulu glaubte, dass auch die Föderation, Starfleet und sogar die Klingonen Jim Kirk für unschuldig hielten.

Im Verlauf des Prozesses wuchs Sulus Zorn. Sein letzter direkter Kontakt mit den Brückenoffizieren der Enterprise lag schon einige Jahre zurück, und er empfand es als sehr schmerzlich, den Captain und Dr. McCoy unter solchen Umständen zu sehen – obgleich ihm Leonards witzelnde Bemerkung über seinen medizinischen Status ein Lächeln entlockt hatte. Schon nach kurzer Zeit wurde klar, dass die Klingonen gar keinen fairen Prozess beabsichtigten. Sie wollten Kirk und McCoy als Sündenböcke darstellen, angeblich um einen Krieg zu vermeiden, und dadurch kamen die wahren Schuldigen ungestraft davon.

Sulu wünschte sich keinen Krieg, aber Gorkons Mörder strebten ganz offensichtlich dieses Ziel an. Selbst wenn die Verurteilung Kirks und McCoys einen Friedensvertrag ermöglichte, so würden die unbekannten Verschwörer alles versuchen, um ihn zu sabotieren. Und dann war das Opfer dieser beiden Männer sinnlos.

Sulu traf eine Entscheidung, die ihm seine Karriere in Starfleet kosten mochte. Nicht zum ersten Mal war er bereit, ein derartiges Risiko für einen ganz bestimmten Captain und eine ganz bestimmte Crew einzugehen.

»Kommunikation«, sagte er und drehte seinen Sessel herum.

Rand sah ihn an. »Sir?«

Sulu sprach in einem vertraulichen Tonfall. »Schicken Sie dem Kommandanten der Enterprise folgende Nachricht: ›Wir sind bereit, Ihnen zu helfen. Captain Sulu, U.S.S. Excelsior.‹ Fügen Sie unsere Koordinaten hinzu und benutzen Sie einen abgeschirmten Kanal.«

Rand zögerte und hob überrascht ihre dünnen blonden Brauen. »Halten Sie das für klug, Sir? Ich meine, angesichts der aktuellen Situation …«

Sulus stummer Blick unterbrach sie mitten im Satz. Er brauchte ihr nichts zu erklären: Rand hatte ebenfalls an Bord der Enterprise gearbeitet und unter Kirks Kommando gedient.

»Aye, Sir«, sagte sie.

Sulu wandte sich wieder dem Wandschirm zu und furchte sorgenvoll die Stirn.

 

An Bord der Enterprise lauschte Uhura der Kom-Nachricht und lächelte innerlich, als sie die Mitteilung des Captains der Excelsior hörte. »Mr. Spock, Sulu nennt uns seine Koordinaten und bietet Hilfe an.«

Der Blick des Vulkaniers blieb auf das Projektionsfeld gerichtet. »Er bringt sich damit in eine sehr schwierige Lage«, murmelte er.

Bestimmt dauert es nicht mehr lange, bis du dich in eine ähnliche Position bringst, dachte Uhura und sah wieder zum großen Bildschirm. Sie kannte den Vulkanier gut und glaubte zu wissen, welche Entscheidungen er treffen würde.

 

Kirk lehnte sich müde ans Geländer der Anklagebank, als Colonel Worf die Arme ausbreitete und an den Richter weiter oben appellierte.

»Einspruch, Euer Ehren! Die politischen Ansichten meiner Mandanten stehen hier nicht zur Debatte.«

Jim hörte mit plötzlicher Gleichgültigkeit zu, erschöpft von den Emotionen, die Changs Fragen in ihm geweckt hatten.

Gorkons Tod bestürzte ihn. Der Prozess und das Urteil, das ihm folgen würde, schienen unwichtig zu sein. Nur zwei Dingen kam Bedeutung zu. Erstens: Die Mörder des Kanzlers mussten gefasst und vor Gericht gestellt werden. Zweitens: Der galaktische Frieden durfte auf keinen Fall in Gefahr geraten. Jim konnte nichts mehr unternehmen, aber Spock fand sicher einen Weg, um die wahren Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen und einen interstellaren Krieg zu verhindern.

Es hatte Kirk erschüttert, seine eigenen Worte über David in diesem Saal zu vernehmen. Die Klingonen konnten sein persönliches Logbuch nur mit Hilfe eines Verschwörers an Bord der Enterprise bekommen haben – eines Verschwörers, der vielleicht noch immer zur Besatzung gehörte. Er hoffte inständig, dass Spock zum gleichen Schluss gelangte.

Neben ihm ließ McCoy den Kopf sinken, schlug die Hände vors Gesicht und gab sich geschlagen.

Jim bemitleidete ihn und spürte gleichzeitig einen Hauch von Sarkasmus. Hatte der Arzt jemals angenommen, dass man sie hier für unschuldig hielt? Die ehrlichen – und sehr belastenden – Antworten des Captains schienen ihn verblüfft und schockiert zu haben.

Selbst geschickte Lügen nützten nichts. Ganz gleich, was sie zu ihrer Verteidigung vorbrachten – der Richter hatte bereits beschlossen, sie zu verurteilen. Das begriff Kirk in dem Augenblick, als er den Auszug aus dem Logbuch hörte.

Chang näherte sich wieder der Anklagebank, wirkte dabei wie ein Falke, der ein Opfer erspähte und es töten wollte. »Ganz im Gegenteil«, knurrte der General und sprach immer lauter. »Die Einstellungen, Anschauungen und Motive des Captains stehen im Zentrum dieses Prozesses. Die berufliche Laufbahn des Angeklagten zeigt ihn als aufsässigen, prinzipienlosen Karriere-Opportunisten, der Befehle missachtet, wenn sie ihm nicht in den Kram passen.

Sie weist uns auch darauf hin, dass ›Captain‹ Kirk einmal ›Admiral‹ Kirk war und seinen Rang verlor, weil er auf eigene Faust handelte, ohne sich um Vorschriften und Gesetze zu scheren.« Chang sprang zum Geländer und schloss die Hände darum. »Leugnen Sie, dass Sie deswegen degradiert wurden, Captain?«

Kirk zögerte, tastete nach dem Translator am Ohr und erweckte den Anschein, die Frage nicht richtig verstanden zu haben.

Chang beugte sich weit vor, und die Adern zeichneten sich deutlich am Hals ab, als er brüllte: »Warten Sie nicht auf die Übersetzung! Antworten Sie mir!«

»Nein, antworten Sie nicht!«, rief Worf an der anderen Seite der Anklagebank. Er drehte sich um und hob eine beschwörende Hand zum Richter. »Einspruch!«

Jim wusste, dass die Bemühungen des Verteidigers zum Scheitern verurteilt waren.

»Abgelehnt. Der Gefangene soll die Frage beantworten.«

»Ich kann es nicht leugnen«, sagte Kirk.

Chang lächelte triumphierend. »Man hat Sie degradiert.«

»Ja.«

McCoy stöhnte leise.

»Wegen Insubordination«, fügte der klingonische General hinzu.

Jim zuckte wie beiläufig mit den Schultern. »Ich habe gelegentlich Befehle missachtet.«

»Haben Sie Befehle befolgt oder ihnen zuwidergehandelt, als Sie die Ermordung Kanzler Gorkons planten?«

»Ich erhebe Einspr…«, begann der Verteidiger.

»Ich erfuhr erst, dass man auf ihn geschossen hatte, als ich an Bord seines Schiffes kam!«, entfuhr es Kirk.

Chang breitete in gespieltem Erstaunen die Arme aus. »Sie leugnen, dass die Enterprise zwei Photonentorpedos auf die Kronos Eins abfeuerte?«

»Nun, ich …«

»Sie leugnen, dass sich Ihre Männer an Bord des Schlachtkreuzers beamten und den Kanzler umbrachten?«, fuhr Chang noch lauter fort.

Jim versteifte sich, als er begriff, in welche Richtung die Logik des Generals zielte. Changs Strategie war ausgezeichnet, und es hatte keinen Sinn, ihr noch länger Widerstand zu leisten – es änderte nichts am Ergebnis.

»Ich kann Ereignisse, die ich nicht beobachtet habe, weder bestätigen noch leugnen«, sagte er.

»Captain Kirk, ist Ihnen klar, dass nach dem Föderationsrecht der Kommandant eines Raumschiffs die Verantwortung für alle Handlungen der Besatzung trägt?«

Jim hörte, wie McCoy nach Luft schnappte, als er ebenfalls verstand. Er sah den Arzt nicht an und erwiderte: »Ja.«

Chang nickte grimmig. »Wenn sich also herausstellen sollte, dass Mitglieder Ihrer Crew den Kanzler ermordeten …«

McCoy griff verzweifelt nach Kirks Arm. »Jim! Man will uns die Schuld in die Schuhe schieben!« Er sah nach oben. »Euer Ehren, ich protestiere!«

»Der Angeklagte hat zu schweigen!«, donnerte der Richter. »Captain Kirk, beantworten Sie die Frage.«

»Als Captain«, sagte Jim bedrückt, »bin ich für das Verhalten meiner Crew verantwortlich.«

Changs Haltung und Miene offenbarten Triumph. Er drehte sich um. »Damit ist das Plädoyer der Anklage abgeschlossen, Euer Ehren.«

McCoy wandte sich mit mitleiderweckender Hoffnung an Colonel Worf. »Sind wir jetzt dran?«

Das breite Gesicht des Klingonen verfinsterte sich. »Nach dem klingonischen Gesetz tragen beide Seiten ihren Standpunkt gleichzeitig vor. Sie waren bereits dran.«

McCoy erblasste, öffnete den Mund und klappte ihn wieder zu, als der Handschuh des Richters auf die Steinplatte krachte; Funken stoben.

»Dieses Gericht spricht die Angeklagten schuldig.«

Das Publikum grölte begeistert, und dann erklang ein neuer Sprechchor, wiederholte immer wieder ein einziges Wort. Kirk ahnte, was es bedeutete.

Tod …

Hasserfüllt starrte er Chang an, dessen Gesicht ausdruckslos blieb.

Erneut klopfte der Richter mit seinem Handschuh, und es wurde still. »Captain James T. Kirk, Dr. Leonard McCoy …«

Die beiden Starfleet-Offiziere drehten sich um. Die Scheinwerfer blendeten Jim, und er hatte Mühe, das geisterhaft weiße Antlitz des Richters zu erkennen; die Züge blieben unter dem Schatten einer Kapuze verborgen.

»Möchten Sie noch etwas sagen, bevor das Urteil verkündet wird?«

Jim und Pille wechselten einen Blick.

»Wir sind erledigt«, hauchte McCoy.

Ihr Anwalt trat vor und wandte sich mit leidenschaftlicher Stimme an den Richter. Kirk musterte ihn erstaunt. Der Klingone schien wirklich zornig und enttäuscht zu sein.

»Ich möchte zu Protokoll geben, dass meinen Mandanten nur Indizien zur Last gelegt werden. Bitte berücksichtigen Sie das bei dem Urteil.«

»Zur Kenntnis genommen.« Der Richter legte eine kurze Pause ein, und Jim hielt unwillkürlich die Luft an. Er zweifelte nicht daran, dass man sie zum Tode verurteilen würde. Für ihn spielte das keine Rolle, aber was McCoy betraf …

Er sah Leonard an und bedachte ihn mit einem sowohl beruhigenden als auch entschuldigenden Blick. Der Arzt zuckte mit den Achseln, räusperte sich und starrte zum Podium hoch.

»Im Interesse der Freundschaft und der bevorstehenden Friedensvereinbarungen wird auf ein Todesurteil verzichtet«, sagte der Richter.

McCoy keuchte leise und lehnte sich ans Geländer; Jim gelang es nur mit Mühe, das Gleichgewicht zu wahren. Die Zuschauer brüllten zornig und schwiegen dann, um den Rest des Urteils zu hören.

»Dieses Gericht schließt Berufung oder Straferlass aus. Die Gefangenen werden unverzüglich zu den Dilithiumminen der Strafkolonie auf dem Asteroiden Rura Penthe gebracht, wo sie den Rest ihres Lebens verbringen sollen.«