Von der Sicherheit der Enterprise-Brücke aus beobachteten Spock und die übrigen Brückenoffiziere, wie man Captain Kirk und Dr. McCoy abführte.
»Rura Penthe!« Uhura schauderte entsetzt.
»In der ganzen Galaxis als Gefangenenfriedhof der Klingonen berüchtigt«, flüsterte Chekov schockiert. Neben ihm saß Valeris an ihrer Konsole und versuchte, sich ihre Erschütterung nicht anmerken zu lassen. Doch die Augen verrieten sie.
»Es wäre besser, sie gleich hinzurichten – dann bliebe ihnen viel Leid erspart«, brummte Scott bitter.
Spock sah stumm auf den Wandschirm und konnte nicht leugnen, dass der Prozess tiefe Gefühle in ihm geweckt hatte. Nach vielen bei den Menschen verbrachten Jahren fand er sich mit seiner Herkunft und auch der Tatsache ab, nicht emotionslos zu sein. Inzwischen wusste er, dass er diesen Umstand manchmal überkompensierte – McCoy hatte ihm einmal vorgeworfen, noch vulkanischer sein zu wollen als die Vulkanier.
Dennoch blieb er der Logik treu. Er gefiel sich in der Rolle des Vulkaniers und sah keinen Vorteil darin, sie jetzt aufzugeben. Gewisse positive Gefühle konnten das Leben bereichern, wenn man vorsichtig mit ihnen umging, aber man durfte nicht zulassen, dass sie beherrschenden Einfluss darauf ausübten.
Aus diesem Grund kontrollierte Spock seine Empfindungen: Ärger, Zorn, Verzweiflung – und vor allem völlig irrationale Schuldgefühle.
Er fühlte sich schuldig, weil er die Enterprise und James T. Kirk für diese Mission vorgeschlagen hatte. Bis zu einem bestimmten Ausmaß musste er sich den Vorwurf der Manipulation gefallen lassen. Aber seine Gründe dafür waren allein logischer Natur. Die Enterprise unter dem Kommando von James T. Kirk schien die beste – und sicherste Wahl – zu sein, um den klingonischen Kanzler zur Friedenskonferenz zu bringen. Diese Entscheidung bot auch den Vorteil, dass Kirk Gelegenheit bekam, Gorkon kennenzulernen und zu verstehen, dass nicht alle Klingonen Kruge ähnelten. Die Begegnung mit Gorkon nützte ihm ebenso sehr wie dem Kanzler.
Aber die Umstände hatten sich gegen sie verschworen – und nicht nur sie. Die wahren Verschwörer waren noch immer auf freiem Fuß, während Kirk und McCoy verurteilt wurden. Daraus folgte: Azetbur und dem galaktischen Frieden drohten nach wie vor Gefahr.
Auch die Tatsache, dass er sich nicht an Kirks Stelle zur Kronos gebeamt hatte, trug zu Spocks Schuldbewusstsein bei. In dieser Hinsicht versuchte er ebenfalls, an der Logik festzuhalten: Wenn Kirk an Bord geblieben wäre, hätte der Schlachtkreuzer vermutlich das Feuer auf die Enterprise eröffnet. Der Captain ging ein Risiko ein, um sein Schiff zu retten – und nun auch die Friedenskonferenz.
Dennoch konnte sich Spock nicht ganz von der Überzeugung befreien, dass er auf die Anklagebank gehörte und nicht Kirk.
Zunächst spürte er Erleichterung darüber, dass der klingonische Richter seine beiden Freunde nicht zum Tode verurteilte. Er hatte sich innerlich darauf vorbereitet, einen derartigen Urteilsspruch ruhig hinzunehmen.
Doch eine leise innere Stimme – während des Kolinahr, das alle Emotionen beseitigen sollte, verstummte sie fast; sie hatte ihn zur Enterprise und V'Ger gebracht, und aufgrund jahrelanger Erfahrungen wusste er, dass er besser auf sie hören sollte – lehnte es hartnäckig ab, diese Möglichkeit zu akzeptieren. In jenen belastenden Sekunden vor dem Urteil bestand sie auf Hoffnung.
Die Erleichterung wich sofort neuer Sorge. Rura Penthe stand in einem schon legendär gewordenen Ruf und galt als schlimmste klingonische Strafkolonie. Spock teilte die Ansicht Commander Scotts: Eine rasche Hinrichtung wäre gnädiger gewesen. Niemand überlebte lange auf Rura Penthe; dort war der Tod unvermeidlich.
Es lag Spock fern, das Unvermeidliche zuzulassen, und er würde auch nicht zögern, einen direkten Befehl sowie die Vorschriften von Starfleet zu ignorieren. Er verdankte Jim sein Leben, und das verpflichtete ihn, dem Captain zu helfen. Einige Dinge waren wichtiger als die Starfleet-Dienstvorschriften, wie er Kirk einmal gesagt hatte.
Er wandte sich an Valeris. »Sehen wir uns noch einmal den Torpedotreffer an, Lieutenant.«
Sie musterte ihn kurz, und nur ein Vulkanier konnte die in ihren Augen brennende emotionale Aufwallung erkennen. Valeris begriff, dass Spock sie bemerkt hatte, und verlegen senkte sie den Kopf. Mitleid rührte sich in dem Ersten Offizier, als seine Finger über die Kontrollen huschten. Er hätte Valeris gern beruhigt, aber seine Worte wären bedeutungslos gewesen. Sie mussten damit rechnen, dass Captain Kirk und Dr. McCoy starben, bevor sie gerettet werden konnten.
Als die Kronos Eins auf dem Wandschirm erschien, hob Spock die Hand zur Stirn und senkte sie ganz bewusst, bevor jemand seine Geste bemerkte.
Schweigend beobachteten die Brückenoffiziere, als ein Photonentorpedo durchs Projektionsfeld raste und den ungeschützten Schlachtkreuzer traf.
»Er stammt von der Enterprise«, sagte Chekov hoffnungslos. »Wir haben das Feuer eröffnet.«
Spock war nicht so sicher und sah, wie das Geschoss explodierte und die Kronos zur Seite kippte.
»Unmöglich!«, platzte es aus Scott heraus. Er starrte den Vulkanier an. »Wir haben alle Waffen visuell überprüft und die Angaben der Bestandsliste bestätigt.«
Valeris drehte ihren Sessel herum. »Captain …?«, fragte sie leise und zaghaft. »Ist es nicht logisch, alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen? Es fällt mir sehr schwer, darauf hinzuweisen, aber …« Sie unterbrach sich kurz, als ihr Scott einen finsteren Blick zuwarf. »Vielleicht hat Captain Kirk wirklich … Ich meine, wir wissen, was er von den Klingonen hält und dass sie seinen Sohn umgebracht haben …«
Uhura und Chekov schienen es nicht fassen zu können; Spocks Gesicht blieb steinern. Valeris wirkte blass und hob wie trotzig den Kopf. »Nun, es ist eine Möglichkeit.«
Der Erste Offizier sah sie einige Sekunden lang an und sagte tonlos: »Noch einmal.«
Die allgemeine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf eine Kronos, die unbewegt im All schwebte. In der rechten unteren Ecke des Wandschirms blitzte es auf.
»Stopp«, befahl Spock und betrachtete das erstarrte Bild. Sie gingen alle von einer Annahme aus, die auf rein visuellen Indizien basierte. Die Flugbahn des Photonentorpedos erweckte den Anschein, als sei er von der Enterprise abgefeuert worden. Allerdings …
Eine Erinnerung drängte sich in den Fokus des vulkanischen Bewusstseins: Jim Kirk, das Gesicht wütend verzerrt. Sie konnten nicht einmal das angreifende Schiff sehen. Die Phaserstrahlen kamen wie aus dem Nichts …
Er wandte sich an die wartenden Offiziere. »Einer meiner Vorfahren behauptete: Wenn man das Unmögliche eliminiert, so muss der Rest der Wahrheit entsprechen.«
»Was bedeutet das?« Verzweiflung und Ungeduld erklangen in Uhuras Stimme.
»Es bedeutet folgendes«, sagte Spock langsam. »Wenn wir die beiden Photonentorpedos nicht abgefeuert haben, so muss jemand anders dafür verantwortlich sein.«
Valeris' linke Braue kam ruckartig nach oben.
Scott schüttelte verwirrt den Kopf. »Die Klingonen schossen nicht auf sich selbst. Und es befanden sich keine anderen Schiffe in der Nähe.«
»Nein. Aber wir haben starke Neutronenstrahlung registriert.«
»Aber außerhalb der Enterprise!«, brummte der Chefingenieur.
»Genau.« Spock nickte. Er gestand sich ein, dass er diesmal nicht nur Logik benutzte, sondern auch Intuition. Diese beiden Werkzeuge ermöglichten ihm eine so unglaubliche Schlussfolgerung, dass seine Kollegen sie ablehnen würden, wenn er sie nicht behutsam über den Pfad der Deduktion führte.
Chekov runzelte nachdenklich die Stirn und neigte den Kopf zur Seite. »Ich verstehe nicht, Mr. Spock. So intensive Neutronenemissionen könnten nur von einem anderen Raumschiff verursacht worden sein …«
»Von der Kronos Eins?«, vermutete Uhura.
»Nein«, widersprach Spock. »Sie war zu weit entfernt. Das entsprechende Schiff muss sich in unmittelbarer Nähe befunden haben. Vielleicht unter der Enterprise …«
»Dann hätten es die Klingonen sicher geortet«, sagte Scott.
Spock sah ihn an. »Glauben Sie?«
Die anderen musterten ihn verwirrt. Nur Valeris verstand.
»Eine Kriegsschwalbe?«, fragte sie leise.
»Eine Kriegsschwalbe«, bestätigte Spock.
»Getarnt?«, fügte Chekov ungläubig hinzu.
»Mit aktivierter Tarnvorrichtung kann eine Kriegsschwalbe doch nicht feuern!«, protestierte der Chefingenieur.
»Unter normalen Umständen würde ich Ihnen zustimmen, Mr. Scott. Eine aktive Tarnvorrichtung verbraucht zuviel Energie, um gleichzeitig die Waffensysteme einzusetzen. Doch hier haben wir es offensichtlich mit einer Ausnahme zu tun: Dieses besondere Schiff hat in getarntem Zustand das Feuer auf die Kronos eröffnet.«
Die Farbe wich aus dem rötlichen Gesicht Scotts. »Dann sprechen wir hier von einer schrecklichen neuen Vernichtungswaffe, Mr. Spock.«
»In der Tat.«
»Wir sollten sofort Starfleet Command info…«, begann Valeris, aber Scott unterbrach sie verärgert.
»Worüber denn? Um das Oberkommando vor einer unsichtbaren neuen Waffe zu warnen? Bestimmt hält man uns für übergeschnappt! Man wird uns vorwerfen, so verzweifelt zu sein, dass wir alles versuchen, um den Captain zu entlasten.«
Spock seufzte leise. »Und Starfleet Command hätte recht damit. Wir haben keine Beweise, nur eine die Fakten berücksichtigende Theorie.«
»Gehen wir einmal davon aus, dass die beiden Photonentorpedos tatsächlich von einem getarnten Raumschiff stammten«, sagte Uhura. »Warum sollten die Klingonen auf den Schlachtkreuzer ihres Kanzlers feuern?«
Spock gab keine Antwort auf diese Frage, weil er hoffte, dass seinem unausgesprochenen Verdacht eine Tatsachenbasis fehlte.
Er traf eine Entscheidung. »Ich möchte, dass die Enterprise vom Bug bis zum Heck durchsucht wird. Sie leiten die Ermittlungen, Lieutenant Valeris. Beginnen Sie mit dem Transporterraum und nehmen Sie sich dann die einzelnen Abteilungen vor.«
Die junge Vulkanierin stand auf. »Aye, Sir.«
Chekovs Gesicht zeigte nach wie vor Verwirrung. »Ich verstehe noch immer nicht. Wenn sich ein getarntes Schiff unter uns befand, so kamen die Mörder von dort und nicht aus der Enterprise.«
»Sie vergessen etwas«, erwiderte Spock. »Nach den Computeraufzeichnungen haben wir auf die Kronos geschossen. Wenn das tatsächlich der Fall war, so sind die Mörder an Bord. Wenn nicht, so hat jemand aus der Besatzung die Daten manipuliert. Wie dem auch sei: Was wir suchen, ist hier.«
Die Falten fraßen sich tiefer in Chekovs Stirn. »Und wonach suchen wir, Mr. Spock?«
Der Vulkanier richtete den Blick auf Valeris, davon überzeugt, dass sie verstand. Sie hatte mehrmals ihre Logik unter Beweis gestellt. »Sagen Sie es ihm, Lieutenant.«
Sie straffte unsicher die Gestalt. »Nach vier Gravitationsstiefeln.«
McCoys Atem wehte ihm als weiße Fahne von den Lippen, und er sah auf. Weit oben glühten die drei Sonnen von Rura Penthe, geisterhaft und blass, ohne Wärme zu spenden. Der Arzt blinzelte. Die eisigen Böen trieben ihm Tränen aus den Augen, doch sie gefroren, noch bevor sie die Wangen erreichten.
Er hatte es nicht für möglich gehalten, dass der menschliche Körper so niedrige Temperaturen ertragen konnte – zumindest nicht sein Körper. Zuerst reagierte er mit Dankbarkeit darauf. Er zog es vor zu erfrieren, anstatt von den Wächtern umgebracht zu werden. Erst Taubheit und dann tiefer Schlaf, aus dem man nie wieder erwachte … Ein rasches, schmerzloses Ende.
Das glaubte McCoy, bevor er die Kälte spürte. Jetzt fühlte er heftige Schmerzen in Händen und Füßen, eine Agonie, die sich auszubreiten drohte. Hinzu kamen die schweren Eisenketten an den Beinen.
Schmerzlos – von wegen! Nein, der Tod durch Erfrieren war alles andere als erstrebenswert.
Der Arzt bemühte sich, auf dem schneebedeckten Eis das Gleichgewicht zu wahren. Die Ketten klirrten, als er mit vierzehn anderen Gefangenen Schritt hielt. Neben ihm stapften fünf klingonische Wächter, begleitet von sehr gefährlich wirkenden Schakal-Doggen.
Die Szene erschien McCoy surrealistisch – er sah sich mit der Barbarei einer längst vergangenen Ära konfrontiert. Wir wissen inzwischen, dass die Klingonen Shakespeare kennen. Aber offenbar haben sie auch Dumas gelesen.
Halb schneeblind spähte er in die Ferne, entdeckte jedoch kein mögliches Ziel: Endloses Weiß reichte bis zum fernen Horizont. Er schauderte und zog den zerlumpten Pelzmantel enger um die Schultern. McCoy hoffte jetzt nicht mehr, dass Spock kam, um sie zu retten. Seine Stimmungen schwankten zwischen mürrischer Apathie – ein Ergebnis von Verzweiflung – und irrationalem Zorn auf Jim, der vor ihm ging und seit ihrer Ankunft kein einziges Wort gesagt hatte.
Woraus er ihm keinen Vorwurf machen konnte: Er selbst schwieg ebenfalls. Es war viel zu kalt, um zu sprechen …
Leonard stieß fast gegen Jim, bevor er merkte, dass der Wächter an der Kolonnenspitze einen Halt befohlen hatte. Der Klingone – seine Identität ließ sich kaum feststellen, da sie alle die gleichen zerfransten Pelzmäntel trugen – griff nach einem Instrument am Gürtel, und kurz darauf ertönte ein fast schrilles Summen.
Etwas knirschte. Der Schnee glitt beiseite, und darunter kam eine Art Falltür zum Vorschein. Als sie aufschwang, kletterte ein zweiter Klingone nach draußen und stellte einen Kasten ins wirbelnde Weiß.
Ihm folgte ein dritter Wächter, ebenfalls von einer knurrenden, die langen Zähne fletschenden Dogge begleitet. Der Kommandant, vermutete McCoy, als der Mann auf den Kasten stieg und einen Blick grausamer Gleichgültigkeit über die fröstelnde Gruppe schweifen ließ. Der Klingone schien abgehärteter zu sein als die Gefangenen – und ebenso unglücklich über seine Präsenz auf dem Asteroiden.
»Dies ist die Strafkolonie Rura Penthe«, knurrte er. »Seht euch um.« Er deutete über die Landschaft aus Schnee und Eis hinweg. »Hier gibt es keine Zäune, Wachtürme oder elektrische Barrieren. Sie sind auch gar nicht notwendig. Nur ein magnetischer Schild blockiert Transporterstrahlen. Euer neues Heim befindet sich unter der Oberfläche.«
Er hob eine Pfeife an die Lippen und blies hinein. McCoy zuckte zusammen, als er ein lautes Heulen vernahm.
Zwei Wächter schoben sich durch die Falltür und zerrten einen Verurteilten nach draußen, einen Menschen, der keine schützende Kleidung trug. »Nein!«, schrie der Gefangene. »Neeeiiin!«
Der Kommandant musterte ihn gelassen und wandte sich dann wieder an seine Zuhörer. »Hier bedeutet Strafe Verbannung aus dem Gefängnis. Draußen kann nichts überleben.«
Die Wächter stießen den nun wimmernden Häftling in den Schnee. Nach einigen Sekunden gab der Mensch keinen Ton mehr von sich und lag völlig reglos in der Kälte. McCoy schloss kurz die Augen.
Das Gesicht des Kommandanten brachte unbeschreibliche Langeweile zum Ausdruck, als hätte er so etwas schon häufig gesehen. »Unten kann niemand entkommen. Arbeitet gut – dann werdet ihr gut behandelt. Wer schlechte Arbeit leistet, muss mit dem Tod rechnen.«
Er trat von dem Kasten herunter, und einer der Wächter griff sofort danach. Dann drehte er sich um und kehrte wieder in die unterirdische Kerkeranlage zurück. Die Gefangenen wurden angewiesen, ihm zu folgen.
McCoy war dankbar dafür, dass sie nun einen wärmeren Ort erreichten. Doch als er den Zugang passierte, warf er noch einen letzten Blick in die weiße Wüste und sah den gefrorenen Leichnam des namenlosen Menschen, bereits halb unter Schnee begraben.
Jenseits der Falltür erstreckte sich ein großes Tunnellabyrinth mit einem großen offenen Platz, gesäumt von primitiven Hütten. Eine Enttäuschung erwartete McCoy: Zwar waren sie hier vor dem eisigen Wind geschützt, aber die Temperatur lag noch immer unter dem Gefrierpunkt. Darüber hinaus nahm man ihm nicht die Ketten ab. Zwar durften sie auf dem Platz umherwandern, aber nachdem McCoy die anderen Sträflinge gesehen hatte, hielt er diese Art von Freiheit nicht mehr für begrüßenswert. Die übrigen Gefangenen schienen alle doppelt so groß und bereit zu sein, jederzeit ihre überlegene Kraft zu beweisen.
Wenn sich herumsprach, dass James Kirk eingetroffen war …
McCoy beobachtete verstohlen die Wächter auf dem hohen Gerüst und flüsterte Jim zu: »Ich schlage vor, wir suchen einen Platz, wo wir uns aus Schwierigkeiten heraushalten können.«
Kirk starrte zu der alles andere als freundlich wirkenden Menge auf dem Platz, nickte und zeigte zur Außenwand. McCoys Beine schmerzten, als er zusammen mit Jim fortschlurfte.
»Vielleicht sollte ich dir nicht raten, vorsichtig zu sein«, sagte der Arzt verdrießlich, als sie außer Hörweite der anderen waren. »Möglicherweise genügt eine Provokation, um einen raschen Tod zu sterben.«
Kirk lächelte und hob gespielt überrascht die Brauen. »Wir kommen hier zurecht, bis Spock eintrifft«, sagte er leichthin.
Ärger vibrierte in McCoy, genährt von Erschöpfung, Kälte und Hunger. »Warum musst du in solchen Situationen immer in die Rolle eines verdammten Optimisten schlüpfen? Spock hat keine Ahnung, wo er Rura Penthe suchen soll. Niemand in der Föderation kennt die Koordinaten dieser Strafkolonie, und selbst wenn das der Fall wäre: Wie soll jemand hierherkommen, um uns zu helfen? Immerhin sind wir mitten im klingonischen Imperium.«
»Spock findet uns bestimmt«, erwiderte Jim fest.
»Unsere Leichen, meinst du wohl …«, begann McCoy bitter und unterbrach sich, als ein Schatten auf sie fiel. Er sah auf.
Ein riesiges Geschöpf stand vor ihnen. Noch nie zuvor hatte McCoy ein derartiges Wesen gesehen: silberne Schuppen, Hornplatten an Schläfen und Kinn. In der linken Gesichtshälfte zeigten sich purpurne Striemen, vielleicht Reste einer Narbe, die von einem Kampf stammten – oder ein völlig normales Merkmal dieser Spezies.
Der Arzt glaubte seine Befürchtungen bestätigt; die anderen Gefangenen wussten Bescheid. Der Alien starrte drohend auf Kirk herab und knurrte etwas, das wie ›Quog wok na pushnat!‹ klang.
Jim breitete die Arme in einer Leider-verstehe-ich-kein-Wort-Geste aus. »Ich bedauere sehr, dass man uns die Übersetzungsmodule genommen hat.«
Das Wesen beugte sich tiefer und brummte etwas völlig Unverständliches.
Kirk lächelte. »Tut mir leid …«
Seine Reaktion weckte Zorn in dem Alien. »Ragnit ascru, unto pram moreoscue shondik!«, donnerte das Geschöpf.
»Irgend etwas scheint ihm nicht zu gefallen«, meinte McCoy eingeschüchtert und versuchte möglichst diskret, einen sicheren Abstand zu schaffen.
»Quog wok na pushnat!«, warnte das Wesen. Mit einem Arm hob der Alien Kirk hoch, um zu demonstrieren, dass er es ernst meinte.
»Wenn dies dein Platz ist …«, sagte Kirk. »Wir überlassen ihn dir gern.«
Er keuchte, als sich der Arm fester um ihn schloss. Etwa eine Sekunde lang überlegte McCoy, ob er etwas zugunsten Jims unternehmen sollte, entschied sich dann dagegen und hielt verzweifelt nach Hilfe Ausschau.
»Er verlangt von Ihnen, dass Sie der Bruderschaft der Aliens gehorchen«, erklang die Stimme einer Frau. McCoy drehte sich überrascht um und bemerkte einen weiblichen, überaus attraktiven Humanoiden mit dunkler Haut und goldenen Augen.
»Einverstanden«, keuchte Kirk, und sein Gesicht lief rot an. Das Wesen lockerte seinen Griff, abgelenkt von der Frau. Jim schnappte nach Luft.
»Und Ihren Mantel«, fügte die Humanoidin hinzu.
»Tut mir leid.« Kirk musterte das Geschöpf. »Er würde ihm ohnehin nicht passen.«
In den Mundwinkeln der Frau zuckte es kurz, als sie einige Worte in der gutturalen Sprache des Fremden formulierte. Der Alien setzte Kirk widerstrebend ab, und Kirk rückte seinen Umhang zurecht.
»Fendo Pomsky«, sagte die Frau. Das Wesen vollführte eine bestätigende Geste und ging fort.
Kirk wandte sich der Unbekannten zu und bedachte sie mit einem anerkennenden Blick. »Danke.«
»Was hat es mit der Bruderschaft der Aliens auf sich?«, fragte McCoy.
»Sie besteht aus nichtklingonischen Gefangenen, die sich zusammengeschlossen haben.« Die Frau hob ein dunkles und unangenehm riechendes Objekt an die Lippen – eine selbstgerollte Zigarette, absolut illegal, dachte McCoy zunächst – und atmete Rauch ein. »Ich bin Martia.«
Sie bot ihnen die brennende Zigarette an. Der Arzt lehnte ab, aber die Humanoidin bestand darauf, dass er sie entgegennahm. »Dies hält Sie warm. Sie sind Kirk und McCoy.«
Jim griff nach dem kleinen Zylinder und inhalierte. Seine verblüffte Reaktion überzeugte McCoy, und er atmete den Rauch ebenfalls ein. Wärme entstand in seiner Kehle und kroch durch den ganzen Körper. Er hustete und reichte die Zigarette zurück.
»Woher wissen Sie das?«, erkundigte sich Kirk.
Martia zuckte mit den Achseln. »Hier treffen nicht jeden Tag Kanzlermörder ein.«
Jims Gesichtsausdruck verhärtete sich. »Wir haben Gorkon nicht umgebracht.«
Martia wölbte gespielt unschuldig die Brauen. »Natürlich nicht.« Sie warf wie beiläufig einen Blick über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass niemand zuhörte. »Auf Ihren Tod ist eine Belohnung ausgesetzt.«
Nervös folgte McCoy ihrem Blick. »Kann ich mir denken.«
Jim war nicht überrascht. »Man hatte es von Anfang an auf uns abgesehen.«
Martia nickte und beugte sich verschwörerisch vor. »Jemand dort oben will Sie aus dem Verkehr ziehen.«
»Ich glaube, hier sind wir bereits aus dem Verkehr gezogen«, seufzte McCoy.
»Wahrscheinlich wird man einen ›Unfall‹ für Sie vorbereiten«, flüsterte die Frau. »Das ist auf Rura Penthe nicht weiter schwer.«
Der Arzt schauderte, aber diesmal lag es nicht an der Kälte. Martia beobachtete ihn dabei, nahm einen weiteren Zug von der Zigarette und gab sie ihm.
McCoy hob sie dankbar zum Mund und versuchte, nicht zu husten, als ihm beißender Rauch in die Kehle drang. »Weshalb sind Sie hier, wenn Sie mir diese Frage gestatten?«
Martia lächelte und zeigte dabei perfekt geformte weiße Zähne. McCoy fühlte sich von ihren Augen wie hypnotisiert – goldene Pupillen mit kleinen schwarzen Flecken –, und er sah, dass es Jim ähnlich ging.
»Oh, ich gestatte sie Ihnen. Wegen Schmuggels. Und ich bin schuldig. Ich komme von Arc. Dort ist der Schmuggel ein uraltes und respektiertes Gewerbe.«
Kirk nickte langsam. »Wie lange müssen Sie noch hierbleiben?«
Martias Schmunzeln veränderte sich und gewann einen grimmigen Aspekt. »Wissen Sie das nicht? Alle Sträflinge von Rura Penthe verbringen hier den Rest ihres Lebens.«
Kwan-mei Suarez lächelte, als Dr. Marcus die Lider hob.
Eigentlich war ihr gar nicht nach Lächeln zumute. Sie freute sich darüber, dass Carol endlich aus ihrem Koma erwachte, aber gleichzeitig hatte sie diesen Augenblick gefürchtet.
Vor zwei Tagen hatte sie Jackson in den Fluren des Krankenhauses gestützt. Er ging mit kurzen, unsicheren Schritten, die eine Hand am Geländer, die andere auf Kwan-meis Arm. Zufriedenheit und Glück durchströmten sie: Der fröhliche Jackson erholte sich, und früher an jenem Morgen hatten sie von den Ärzten erfahren, dass Carols Behandlung zu einem Erfolg führte.
Doch dann kamen sie an einem Wandmonitor vorbei und hörten von Kanzler Gorkons Ermordung. Aufgrund der großen Entfernung der Starbase traf die Nachricht erst vierundzwanzig Stunden nach dem Ereignis ein. Kwan-mei erinnerte sich daran, wie Jackson und sie erstarrten, erschrocken auf den Schirm blickten. Sie mied den Blick des Mannes an ihrer Seite und wusste, dass er ebenso reagierte wie sie selbst, zuerst mit Entsetzen und Mitleid, dann mit kühlen Überlegungen. Gorkon war also tot. Kwan-mei wehrte sich vergeblich gegen das Empfinden einer gewissen Genugtuung. Der Kanzler hatte kein schlimmeres Schicksal erlitten als die Opfer von Kudao und Themis. Sie dachte in diesem Zusammenhang an Sohlar …
Während der Nachrichtensprecher den Vorfall schilderte, erschien das offizielle Porträt Gorkons auf dem Bildschirm, und es folgten blutige Szenen von Kudao und den Ruinen der Forschungsstationen auf Themis. Kwan-mei hoffte, dass Gorkon ganz langsam verblutet war, unter großen Qualen. Scham schloss sich an diesen Wunsch an, und sie senkte den Kopf.
Als sie die verblüffenden Meldungen in Hinsicht auf Jim Kirk vernahm, starrte die Mathematikerin wieder auf den Schirm. Sie stand Carol nahe genug, um von ihrem Sohn David zu wissen und die Hintergründe seines Tods zu kennen. Sie wusste auch, dass Kirk der Vater war. Kwan-mei glaubte, Jim durch Carol zu kennen, und deshalb hielt sie die gegen ihn gerichteten Vorwürfe für absurd.
An jenem Abend hatten sie sich in Jacksons Zimmer Szenen des Gerichtsverfahrens angesehen.
Carol stöhnte leise und tastete nach ihrer Stirn, berührte das blonde und weiße Haar, das Kwan-mei vor einer Stunde gekämmt hatte.
Die Mathematikerin beugte sich vor und dachte dankbar daran, dass die Ärzte im Nebenzimmer Carols Zustand überwachten. Die Patientin wirkte nach wie vor sehr blass, und Kwan-mei fragte sich, ob sie immer so bleich gewesen war. Eins stand fest: Sie hatte ständig müde und überarbeitet ausgesehen. »Carol? Wie geht es Ihnen?«
Dr. Marcus versuchte sich aufzusetzen. Kwan-mei betätigte eine Taste, und das Kopfende des Bettes neigte sich nach oben. »Ich fühle mich wie durch die Mangel gedreht«, krächzte Carol und rieb sich die Stirn. »Was ist geschehen?«
Kwan-mei holte tief Luft, doch bevor sie antworten konnte, schloss Carol die Augen und murmelte: »Das Gebäude … das ganze verdammte Gebäude.« Sie hob die Lider, starrte zu den Wänden und richtete dann einen vorwurfsvollen Blick auf Suarez. »Dies ist nicht Themis, oder?«
Das Lächeln verschwand von Kwan-meis Lippen. »Nein. Sie haben eine Kopfverletzung erlitten und lagen mehrere Tage lang im Koma. Woran erinnern Sie sich?«
»Die Wände.« Carols Kopf sank aufs Kissen. »Ich erinnere mich an einstürzende Wände. Das ganze Gebäude brach über uns zusammen. Sie liefen zum Fenster …«
Kwan-mei nickte. »Die Station wurde angegriffen.«
»Von Klingonen«, flüsterte Carol. Suarez hörte den Hass in ihrer Stimme.
»Ja. Die imperiale Regierung leugnet es natürlich, aber einige Augenzeugen sahen die Raumschiffe …«
»Was ist mit den anderen?«, fragte Carol. »Himmel, sind sie verletzt worden? Jackson, Sohlar …«
Ein schmerzhafter Kloß bildete sich in Kwan-meis Hals. »Jackson hat sich gut erholt. Seine Wirbelsäule brach an mehreren Stellen, aber seit einigen Tagen kann er fast ohne Hilfe gehen. Es dauert nicht mehr lange, bis er völlig gesund ist. Was mich betrifft … Ich habe alles ohne einen Kratzer überstanden. Unglaublich, nicht wahr?«
Carol musterte sie aufmerksam, und Sorge leuchtete in ihren Augen, als Kwan-mei einen ganz bestimmen Namen unerwähnt ließ.
Suarez sah zur Seite. »Es tut mir leid, Carol. Wir haben Sohlar verloren.«
Langsam und steif drehte Dr. Marcus den Kopf und blickte durchs Fenster in den Park. Als sie sich wieder Kwan-mei zuwandte, rannen ihr Tränen über die Wangen.
»Wie geschah es?«
»Sehr schnell«, log Suarez. »Und schmerzlos.«
Sie hielt Carols Hand und ließ sie weinen. Die Lüge bezüglich Sohlars Tod weckte keine Schuld in ihr. Nur sie war bei ihm gewesen, als er starb; außer ihr wusste niemand Bescheid. Sie hatte nicht einmal Jackson davon erzählt – es gab also keine Möglichkeit für Carol, die Wahrheit herauszufinden. Andererseits: Sie musste ihr von Kirk erzählen, so schwer das auch sein mochte. Früher oder später erfuhr sie alles.
Carol wischte einige Tränen fort. »Hat sich jemand mit Jim in Verbindung gesetzt?«
Kwan-meis Herzschlag setzte für eine Sekunde aus. Wenn sie jetzt nicht ganz offen war, bestand die Gefahr, dass jemand anders den Prozess erwähnte oder einen Bildschirm einschaltete, der die entsprechenden Nachrichten brachte.
Doch als sie Carols von Furcht geprägtes Gesicht sah, fehlten ihr die Worte. »Er war hier und wollte bleiben, aber man beorderte ihn zum Hauptquartier von Starfleet. Irgendein Notfall …«
»Typisches Starfleet-Timing«, kommentierte Carol und lächelte schief. »Armer Jim …« Schatten krochen über ihrer Miene. »Vielleicht ist Themis der Grund. Glauben Sie, dass ein Krieg bevorsteht?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Kwan-mei ehrlich. »Ich weiß es wirklich nicht.«