Spock und Chekov betraten die Bordkombüse und fanden dort demontierte Synthetisierer. Einige Besatzungsmitglieder untersuchten Teller und Besteck.
Der Vulkanier schritt vorsichtig durch das Chaos und näherte sich Valeris. »Irgendwelche Ergebnisse?«
Er hätte ihr diese Frage per Interkom von der Brücke aus stellen können, aber derzeit herrschte im Kontrollraum die geringste Aktivität an Bord der Enterprise. Spock zweifelte nicht an Valeris' Kompetenz. Er war sicher, dass sie ihren Aufgaben als Ermittlungsleiterin gerecht wurde. Aber vielleicht sorgte seine Präsenz dafür, dass schneller Resultate erzielt werden konnten.
Möglicherweise steckte wachsende Besorgnis hinter seinem Wunsch, selbst nach dem Rechten zu sehen. Eigentlich gab es nichts für ihn zu tun; er konnte nur warten – und nachdenken –, während die Fernbereichssensoren der Enterprise versuchten, Captain Kirk und Dr. McCoy zu lokalisieren. Er sah sich außerstande, seinen Freunden im Augenblick mehr Hilfe zu gewähren. Er musste sich damit zufriedengeben, die Ermittlungen angeordnet zu haben. Der Rest lag bei Kirk – und bei Lieutenant Valeris.
Die junge Vulkanierin bemerkte die beiden Offiziere und nahm Haltung an. »Nein, Sir. Dreihundert Crewmitglieder durchsuchen ihre Kabinen, aber vielleicht befinden sich die Mörder unter ihnen.«
Spock nickte, obwohl ihm diese Vorstellung nicht gefiel.
»Sicher haben die Verantwortlichen ihre Grav-Stiefel inzwischen verschwinden lassen«, fuhr Valeris fort. »Wäre es nicht logisch, sich noch an Bord des Schlachtkreuzers von ihnen zu trennen?«
»Derartige Logik sollte auch die Physik berücksichtigen«, erwiderte Spock. »Das Schwerkraftfeld der Kronos war noch nicht wiederhergestellt, als die Mörder entkamen. Ohne die Stiefel hätten sie wohl kaum auf den Transferfeldern im Transporterraum stehen können.«
Chekov streckte Daumen und Zeigefinger, ahmte mit der Hand einen Phaser nach. »Warum die Stiefel nicht einfach zerstrahlen?«
»So zum Beispiel?«, fragte Valeris. Sie nahm einen Phaser aus der Wandhalterung, justierte ihn auf tödliche Emissionen und verbrannte einen nahen Tisch.
Chekov zuckte zusammen und hielt sich die Ohren zu, als Alarmsirenen heulten. Spock bemühte sich, von diesem ungestümen und für Vulkanier untypischen Gebaren nicht amüsiert zu sein. Manchmal erinnerte ihn Valeris an James Kirk, obwohl er vermutete, dass er die junge Frau mit einem solchen Vergleich beleidigt hätte.
Sie schob die Waffe ruhig in ihre Halterung zurück und deaktivierte die Sirenen. »Wie Sie wissen, Commander Chekov, kann man an Bord eines Föderationsschiffes keinen auf tödliche Strahlung justierten Phaser abfeuern, ohne damit einen Alarm auszulösen.« Sie sah Spock an. »Captain … Angenommen, die Mörder gaben ihre Stiefel nach der Rückkehr in die Müllbeseitigung?«
Spock nickte. An diese Möglichkeit hatte er bereits gedacht. »Ich lasse den Abfall kontrollieren.«
»Aber der Verbrenner …«, begann Chekov.
»Alle Starfleet-Kleidungsstücke sind feuerfest, Commander«, sagte der Vulkanier. »Wenn meine Vermutung stimmt, kleben die Stiefel wie tiberianische Fledermäuse an den Hälsen der Mörder fest. Sie konnten nicht ohne sie entkommen und waren aus offensichtlichen Gründen auch nicht in der Lage, sie einfach aus einer Luftschleuse zu werfen. Nein, sie sind hier. Irgendwo.«
Er drehte den Kopf, als Commander Uhura hereinkam und über die vielen Teller hinwegtrat. Sie runzelte die Stirn. »Hat jemand einen Phaser abgefeuert?« Sie wirkte zerstreut und wartete keine Antwort ab. »Mr. Spock …«
Der Vulkanier begegnete ihrem Blick.
»Ich habe meinen, äh, Holzschuh benutzt, aber Starfleet verlangt auch weiterhin, dass wir sofort zurückkehren.«
Der Chefingenieur erreichte die Kombüse.
»Ist unser Warptriebwerk inzwischen repariert, Mr. Scott?«, erkundigte sich Spock.
Seit der Besprechung bei Admiral Smillie war Scott verdrießlich und mürrisch. Er schnitt nun eine Grimasse. »Das verdammte Warptriebwerk funktioniert einwand…«
»Mr. Scott …« Spock blieb völlig ruhig. »Wenn wir zum Raumdock zurückkehren, haben die Mörder Gelegenheit, alle Spuren zu verwischen. Dann sehen wir Captain Kirk und Dr. McCoy nie wieder.«
»Oh, die Reparatur könnte Wochen dauern, Sir«, sagte der Chefingenieur sofort, und seine Züge waren jetzt ernst.
Spock nickte zufrieden. »Danke, Mr. Scott. Commander Uhura, teilen Sie Starfleet mit, dass unser Warptriebwerk derzeit nicht einsatzfähig ist.«
Valeris hatte aufmerksam zugehört und hob missbilligend die Brauen. »Eine Lüge?«
Spock musterte sie gelassen. »Ein Irrtum.« Er spürte keine innere Dissonanz bei dem Gedanken, zu Ausflüchten zu greifen – solange dieser Umstand mehr Vorteile bot als Schaden anrichtete. Seiner Ansicht nach ging es in erster Linie darum, den Captain und Dr. McCoy zu retten.
»Ich behaupte, jemand hat einen Gravitationsstiefel hineingeworfen«, sagte Uhura zerknirscht.
Spock beobachtete, wie Valeris zögerte. Wenn sie dem galaktischen Mythos treu blieb, nach dem Vulkanier nicht lügen, so geriet sie vielleicht in Versuchung, von sich aus Starfleet Command zu benachrichtigen. Spock behielt sie im Auge und wartete.
»Na schön«, murmelte Valeris schließlich. In ihren Augen funkelte es seltsam, und Spock interpretierte den Glanz als eine Mischung aus unterdrückter Heiterkeit und gelindem Ärger. »Ein Gravitationsstiefel im Warptriebwerk …« Sie legte eine kurze Pause ein. »Mit Ihrer Erlaubnis, Mr. Spock: Ich möchte feststellen, wie die Untersuchungen in der Krankenstation vorankommen.«
Der Vulkanier entließ sie mit einem knappen Nicken.
Uhura sah der jungen Frau nach und fragte leise: »Ist Ihnen klar, dass wir jeden Kontakt zu Captain Kirk und Dr. McCoy verloren haben?«
»Sie sind von einem Magnetfeld umgeben«, entgegnete Spock. Damit hatte er gerechnet. Während des Transports nach Rura Penthe waren sie imstande gewesen, den Weg der beiden Gefangenen zu verfolgen. Die Tatsache, dass die Scanner der Enterprise jetzt keine Lokalisierung mehr vornehmen konnten, wies auf Kirks und McCoys Ankunft in der Strafkolonie hin. Es blieb also nur noch wenig Zeit.
Spock bedauerte, dass seine beiden Freunde mehr als nur einige Stunden auf Rura Penthe bleiben mussten, aber das ließ sich leider nicht vermeiden. Die Enterprise durfte erst dann ins Raumgebiet der Klingonen fliegen, wenn der genaue Aufenthaltsort der beiden Verurteilten bekannt war – immerhin stand das Leben von rund dreihundert Besatzungsmitgliedern auf dem Spiel.
»Wenn meine Berechnungen stimmen«, sagte Spock zu Uhura, »hat der Captain inzwischen damit begonnen, seine Flucht zu planen.«
Falls er noch lebt, fügte er hinzu, ohne diesen Gedanken laut auszusprechen.
Jim Kirk stand auf dem Hof und dachte nur ans Überleben. Er wusste nicht genau, wie der Kampf begonnen hatte. Seine Erinnerungen zeigten ihm einen Alien, der einer bunt bemalten, mit Hörnern ausgestatteten Kröte ähnelte und einige drohend klingende Geräusche von sich gab. Diesmal hatte Martia keine Gelegenheit, ihm eine Übersetzung anzubieten. Sie und Pille beobachteten entsetzt, wie das Wesen mit einer großen schuppigen Faust nach Jim schlug.
Wenige Sekunden später standen sich Kirk und der Fremde in Kampfhaltung gegenüber, umringt von grölenden Gefangenen. Jim wischte sich Blut von der Nase und hörte, wie McCoy nach den Wächtern rief. Er hätte es sich sparen können: Die Klingonen gehörten bereits zum erwartungsvollen Publikum.
Bevor sich Kirk für eine bestimmte Taktik entscheiden konnte, holte sein Gegner erneut mit der hornigen Faust aus. Ein wuchtiger Hieb traf Jim. Er taumelte, fiel zu Boden, schüttelte die Benommenheit ab, stand wieder auf und nahm sich vor, den Fehler nicht zu wiederholen. Sein Widersacher mochte groß und massig sein, aber trotz seines schwerfälligen Erscheinungsbilds war er imstande, sich sehr schnell zu bewegen.
Als die Faust zum dritten Mal heransauste, duckte sich Jim, schlug seinerseits zu und traf den Alien am Kinn. Das Wesen offenbarte überhaupt keine Reaktion, und Kirk fühlte stechenden Schmerz in der Hand – die Hornplatte am Kinn seines Kontrahenten erwies sich als steinhart.
Das Geschöpf packte den Captain und zerrte ihn auf den eiskalten Boden, wo sie miteinander rangen. Nach einer Weile gelang es Jim, sich zu befreien. Er trat nach der Brust des Angreifers, versetzte ihm einen Handkantenschlag an den Hals, woraufhin das Wesen leise stöhnte und sich zur Seite rollte. Kirk glaubte, den Kampf damit gewonnen zu haben, drehte sich um und taumelte zu seinen Freunden.
Eine Hand tastete nach seinem rechten Bein und riss ihn zurück. Der Alien lag auf dem Rücken, grinste – und sprang mit einem Satz auf. Er schlang beide Arme um Kirk, drückte ihn fest an sich und presste ihm die Luft aus den Lungen. Jim spürte, wie er den Boden unter den Füßen verlor, und der Druck nahm immer mehr zu, bis er nicht mehr atmen konnte.
Verzweifelt zog er die Beine an und trat dem Wesen mit aller Kraft an die Knie.
Dankbare Überraschung erfüllte ihn, als das krötenartige Geschöpf mit einem ohrenbetäubenden Kreischen fiel. Jim keuchte und wankte fort.
McCoy eilte zu ihm. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
Kirk nickte und schnappte nach Luft.
Martia lächelte triumphierend und ruhig, als hätte sie überhaupt nicht daran gezweifelt, dass Jim den Sieg erringen würde. Der Captain war nicht so sicher gewesen. »Von jetzt an wird man Sie respektieren«, sagte sie.
»Das tröstet mich«, brachte Jim hervor und keuchte noch immer. »Welch ein Glück, dass jene … Kröte Knie hat.« Er sah zurück. Das Wesen lag noch immer auf dem Boden und umklammerte sein verletztes Bein.
Martia folgte seinem Blick. »Das ist nicht ihr Knie.« Sie lächelte, als sie die Verwirrung des Captains bemerkte. »Nicht jeder hat seine Genitalien an der gleichen Stelle.«
»Haben Sie mir sonst noch etwas mitzuteilen?«, erwiderte Kirk, wartete keine Antwort ab und wandte sich an McCoy. »Vielleicht kannst du dem Geschöpf helfen, Pille. Sag ihm, dass wir keinen Groll hegen.«
Leonard beobachtete den Koloss skeptisch. »Und wenn es böse auf uns ist?« Zögernd trat der Arzt auf den Alien zu und ging neben ihm in die Hocke, um das Knie zu untersuchen.
Jim sah Martia an. Sie las die Frage in seinen Augen und schüttelte den Kopf.
»Wenn jene Person, die Ihnen nach dem Leben trachtet, ihre Pläne in die Tat umsetzt … Dann wissen Sie nicht, ob der entscheidende Augenblick gekommen ist.« Die Frau zögerte, und zum ersten Mal sah Kirk so etwas wie Furcht in ihren Zügen. »Wollen Sie von hier verschwinden?«
»Es muss einen Fluchtweg geben«, sagte Jim.
Martia sah sich besorgt um, öffnete den Mund – und schloss ihn wieder. Sie versuchte nun nicht mehr, ihre Furcht zu verbergen, schüttelte stumm den Kopf und ging fort.
Kirk sah ihr nach und drehte den Kopf, als der Alien einen schmerzerfüllten Schrei ausstieß.
McCoy betastete vorsichtig das Bein. Er blickte zu Kirk, starrte dann wieder verblüfft auf das Knie.
»Lieber Himmel, Jim – Martia hat recht!«
Das Summen des Türmelders weckte Sulu aus einem unangenehmen Traum, in dem er sich an Bord der Enterprise befand und Spock tot war.
Mit klopfendem Herzen richtete er sich auf und wies den Computer seines Quartiers an, das Licht einzuschalten. »Herein.«
Janice Rand betrat die Kabine, verharrte unsicher am Schott und senkte den Blick, als sie ihren vorgesetzten Offizier in einem so zerzausten Zustand sah. Sie wirkte hohlwangig, und dunkle Ringe lagen unter ihren Augen – Rand hatte sich freiwillig zu Überstunden bereit erklärt. Sulu ließ es zu, weil er ihr vertraute. Es gab noch einen anderen Grund: Je weniger Besatzungsmitglieder von seinen Absichten wussten, desto leichter war es nachher für die Crew, wenn Starfleet begann, Fragen zu stellen.
Er hatte Rand gebeten, alle Kom-Nachrichten der Enterprise und von Starfleet Command direkt an ihn weiterzuleiten. Interkom-Gespräche an Bord wurden automatisch aufgezeichnet, und Sulu zog es vor, bestimmte Dinge geheim zu halten.
»Es tut mir leid, dass ich Sie geweckt habe, Sir«, sagte Rand und schien den Captain zu beneiden. »Aber Starfleet fordert dringend alle Informationen an, die wir über die Enterprise haben.«
»Was?« Sulu rieb sich die Augen. Er hörte Rands Worte, verstand sie jedoch erst zwei Sekunden später, als die Frage bereits seinen Mund verlassen hatte.
»Offenbar weigert sie sich, zum Raumdock zurückzukehren, Sir.«
Sulu erlaubte sich kein Lächeln – Rand konnte nicht wissen, dass er an Spock dachte und sich fragte, mit welcher Verdrehung der Logik er sein Verhalten dem Hauptquartier erläutern wollte. Er schwieg kurz und erwiderte dann in einem sehr ernsten Tonfall: »Teilen Sie Starfleet Command mit, dass wir die gegenwärtige Position der Enterprise nicht kennen.«
Falten des Erstaunens bildeten sich in Rands Stirn. »Captain, sind Sie sicher …«
Sulu musterte sie streng. »Das ist alles. Es sei denn, Sie haben ein Problem …«
»Nein, Sir.« Rand salutierte steif und kehrte in den Korridor zurück.
Als das Schott hinter ihr zuglitt, seufzte Sulu und lehnte sich zurück. Die letzten Reste des Schlafs fielen von ihm ab. Rand war ein guter Offizier, aber wenn er sein Vorhaben erklärte, bürdete er ihr ebenfalls Verantwortung auf. Er musste vermeiden, seine Crew in diese Sache zu verwickeln.
Es entsprach nicht seinem Wunsch, die Vorschriften zu missachten – es konnte bedeuten, die Excelsior zu verlieren, jenes Kommando, auf das er jahrelang gewartet hatte. Trotzdem war Sulu bereit, einen solchen Verlust zu akzeptieren und dieses vergleichsweise geringe Opfer zu bringen, um Captain Kirk und Dr. McCoy zu retten. Vorausgesetzt, sie lebten noch …
Kirk streckte sich neben McCoy auf einer schmutzigen, an mehreren Stellen aufgerissenen Matratze aus und starrte zur Koje über ihm; sie knirschte und knackte, als sich die Gestalt darauf von einer Seite zur anderen drehte. Das Gefangenenquartier, eine schäbige Hütte, hielt die Kälte kaum fern. Jim hüllte sich noch etwas dichter in den Mantel.
Er brauchte Ruhe, um Kraft für einen weiteren Tag auf Rura Penthe zu sammeln, aber die Kälte, das Stechen in Nase und Kiefer sowie ruhelose Gedanken machten den Schlaf unmöglich.
Bei solchen Gelegenheiten beneidete er Spock um seine vulkanische Ausbildung. Er sehnte sich danach, Schmerz und Kälte einfach zu verdrängen, die Sorgen um Carol aus sich zu verbannen …
Inzwischen war sie entweder gestorben oder hatte das Bewusstsein wiedererlangt – um zu erfahren, dass er wegen Mord den Rest seines Lebens in dieser Strafkolonie verbringen musste.
Sein eigenes Schicksal erfüllte ihn kaum mit Besorgnis. Er wusste, dass Spock kommen würde, sobald er, Jim, einen Weg auf die andere Seite des magnetischen Schirmfeldes gefunden hatte. Bis dahin kam es darauf an, nicht von den übrigen Gefangenen getötet zu werden und die erbarmungslosen Haftbedingungen zu überleben. Doch McCoy … Kirk bezweifelte, ob er noch einen Tag durchhielt.
Jim drehte den Kopf. Der Arzt starrte mit weit geöffneten Augen in die Dunkelheit.
»Kannst du nicht schlafen?«, fragte der Captain leise.
»Noch drei Monate bis zur Pensionierung«, erwiderte McCoy. Es klang niedergeschlagen und hoffnungslos. »Dass es auf diese Weise endet …«
»Noch sind wir nicht am Ende«, sagte Kirk.
Leonard wandte sich ihm verbittert zu. »Glaubst du? Eines Tages … eines Nachts …« Er strich sich mit dem Zeigefinger über die Kehle. »Kobayashi Maru … Wie sollen wir uns hier schützen? Wir wissen nicht einmal, wer unsere Feinde sind!«
»Irgendwie wird uns die Flucht gelingen, Pille«, entgegnete Jim und versuchte, in einem beruhigenden, überzeugenden Tonfall zu sprechen.
»Wenn du es für so verdammt einfach hältst …«, zischte McCoy. »Wieso ist dann noch niemand entkommen?«
»Das behaupten die Wächter den Gefangenen gegenüber. Ich glaube ihnen nicht. Und Martia … Vielleicht weiß sie mehr, als sie zugibt.«
»Vermutest du, sie kennt einen Fluchtweg?«
Jim nickte.
»Ausgezeichnet«, kommentierte McCoy mit ätzendem Spott. »Ich schlage vor, wir machen einen kleinen Spaziergang an der Oberfläche. Und dann? Willst du einen vorbeikommenden Frachter anhalten? Oben können wir keine Stunde lang überleben.«
»Spock wird auf uns warten. Vertrau mir.«
McCoy musterte ihn argwöhnisch. Er wollte Jim vertrauen, aber die Skepsis hatte sich in ihm festgefressen. »Wenn mich nicht alles täuscht, weißt auch du mehr, als du zugibst.«
»Pille?«, fragte Kirk nachdenklich und wechselte das Thema. Je weniger Details Leonard kannte, desto sicherer war er, wenn etwas schiefging. »Fürchtest du dich vor der Zukunft?«
McCoy schnaubte leise und verlagerte das Gewicht auf der harten Matratze. »Darauf habe ich eben hingewiesen, oder?«
»Ich meine nicht diese Zukunft.«
»Ist das ein Ratespiel?«
Die Klaue eines Alien fiel über den Rand einer der oberen Kojen. Kirk bemerkte es, McCoy nicht. Jim zeigte keine Reaktion und sprach ruhig weiter. Vielleicht schlief das fremde Wesen nur besonders tief und fest.
Oder es war tot.
»Manche Leute fürchten die Zukunft«, fuhr der Captain fort, hielt dabei Augen und Ohren offen. »Beziehungsweise vor dem, was geschehen könnte.« Er zögerte. »Ich hatte Angst, echte Angst.«
Eine zweite Klaue fiel und rutschte über den Rand der Koje.
»Ich habe dem Tod tausendmal ins Auge gesehen und versucht, mich daran zu gewöhnen«, erwiderte der Arzt voller Mitgefühl. »Natürlich war es nicht mein eigener Tod.« Er drehte den Kopf zu Jim. »Wovor hattest du Angst?«
Eine dritte Hand fiel. McCoy sah sie und begegnete Kirks wissendem Blick.
Jemand hatte damit begonnen, alle Gefangenen in Hörweite zu betäuben oder zu töten. Jim zwang sich, entspannt und gelassen zu bleiben.
»Vor … mir selbst. Vor meiner Verwandlung nach Davids Tod und … Carols Verletzung. Ich fürchtete, dass es bald keine Neutrale Zone mehr gibt. Ich wollte die Klingonen auch weiterhin hassen. Und deshalb habe ich bei unserer Mission versagt.«
»Du hast nicht versagt«, widersprach McCoy. »Es ist nicht deine Schuld, dass Gorkon starb.«
»Wenn er mit dem Leben davongekommen wäre, hätte ich auf eine andere Weise versagt. Ich konnte den Klingonen gegenüber nicht diplomatisch sein, Pille. Du hast es selbst gesehen. Ich habe nicht einmal an die ehrlichen Absichten des Kanzlers geglaubt. Spock hat recht. Ich bin ein verdammter Narr gewesen, als ich alle Klingonen pauschal verurteilte.«
McCoys Pupillen weiteten sich, als eine vierte Hand von oben herabbaumelte. Er schluckte. »Sei nicht zu hart mit dir selbst. Wir alle haben deine Gefühle geteilt.«
Jim schüttelte den Kopf. »Nein. Jemand empfand weitaus schlimmer. Und ich verstehe jetzt auch den Grund dafür.«
»Wenn du irgendwelche guten Ideen hast, so halte ich den Zeitpunkt für gekommen …«
»Die Zeit ist das Problem«, sagte Kirk. »Wir beide zählen nicht. Wir sind nur Figuren auf einem Schachbrett. Aber du hast den Richter gehört: Die Friedenskonferenz findet statt. Ganz gleich, wer Gorkon umbrachte: Er wird versuchen, die Unterzeichnung eines Friedensvertrages zu verhindern. Aus diesem Grund müssen wir hier raus.«
McCoy zuckte zusammen, als er ein dumpfes Knirschen vernahm – er hob den Zeigefinger an die Lippen. In der Nähe löste sich ein Stein und rollte an ihnen vorbei. Leonard schloss die Augen und gab vor zu schlafen. Jim senkte ebenfalls die Lider, lauschte und hörte, wie jemand in der Dunkelheit zu ihnen kroch.
Er spannte die Muskeln …
»Kirk? Ich bin's, Martia.«
Er öffnete die Augen und sah ihr Gesicht, ein blasses Oval in der Finsternis. Die Frau hockte dicht neben seiner Koje. Jim sah kurz zu McCoy, der noch immer den Anschein erweckte, tief zu schlafen.
»Bisher hat es niemand geschafft, von Rura Penthe zu entkommen«, flüsterte Martia.
»Wir sind die ersten«, erwiderte der Captain.
Martia lächelte kurz. »Es ist möglich. Ich weiß, wie man auf die andere Seite des Schirmfeldes gelangen kann.«
»Und wozu brauchen Sie uns?«, fragte Kirk misstrauisch.
»Ich sehe keine großen Schwierigkeiten darin, den Wirkungsbereich des Schildes zu verlassen. Anschließend liegt es bei Ihnen, uns an Bord eines Raumschiffes zu bringen, bevor wir auf der Oberfläche erfrieren.« Martia beugte sich noch weiter vor und richtete einen durchdringenden Blick auf Kirk. »Sind Sie dazu imstande?«
»Vielleicht.«
»Im Ernst? Ich riskiere keinen Fluchtversuch, wenn …«
»Ich kann uns an Bord eines Raumschiffs bringen«, sagte Jim fest.
Hoffnungsvoll griff Martia nach seinem Arm; ihre großen goldenen Augen glitzerten über ihm in der Dunkelheit. »Allein schaffe ich es nicht. Sie sind seit Monaten der beste Kandidat in dieser kalten Hölle.«
»Kandidat für was?«, fragte Jim.
Martia strich die Pelzkapuze zurück und küsste ihn. Kirk widersetzte sich ihr nicht. Die Erinnerungen an Carol konfrontierten ihn mit Schuldgefühlen, aber er durfte diese Frau – ihre einzige Chance zur Flucht – nicht verärgern.
Sie wich mit glänzenden Augen zurück. »Gehen Sie zum Aufzug C, wenn Sie morgen früh mit der Arbeit beginnen. Dort treffen wir uns.«
Kirk beobachtete, wie Martia in den Schatten verschwand.
Neben ihm schnaubte McCoy abfällig und stemmte sich auf einem Ellenbogen hoch.
Jim hob wie unschuldig die Brauen. »Ich glaube, ich bin beeindruckt.«
Leonard verdrehte die Augen. »Was ist eigentlich mit dir los?«
Kirk zuckte mit den Achseln. »Bist du noch immer davon überzeugt, dass wir am Ende sind?«
Der Arzt seufzte. »Mehr als jemals zuvor.«
Chekov setzte die sorgfältige Durchsuchung des Transporterraums fort und versuchte, nicht den Mut zu verlieren.
Die Situation war natürlich hoffnungslos: Inzwischen hatten die Mörder sicher alle Spuren beseitigt. Chekov nahm nicht etwa deshalb an den Ermittlungen teil, weil er etwas zu finden erwartete, sondern um sich von seinen Sorgen in Bezug auf Captain Kirk und Dr. McCoy abzulenken.
Jetzt war er beschäftigt, aber seine Gedanken kehrten trotzdem immer wieder zu den beiden Verurteilten zurück.
Außerdem: Lieutenant Valeris brauchte Hilfe. Chekov mochte sie. Im Gegensatz zu den anderen Vulkaniern, die er kannte, hatte sie einen Sinn für Humor und verstand nicht alles wortwörtlich. Er vermutete, dass sie zur einen Hälfte Mensch war wie Spock – zweifellos hatte sie viel Zeit in menschlicher Gesellschaft verbracht –, aber er wollte nicht unhöflich sein, indem er sie danach fragte.
Gleichzeitig hielt Chekov sie für übereifrig und unerfahren; diese beiden Aspekte ihres Wesens kamen deutlich in der hingebungsvollen Art zum Ausdruck, mit der sie die Suche leitete. Ganz offensichtlich versuchte Valeris, Mr. Spock zu beeindrucken. Wenn sie keine Vulkanierin gewesen wäre, hätte Chekov vermutet, dass sie für ihren Mentor schwärmte.
Er zweifelte daran, dass es sinnvoll war, im Transporterraum nach Spuren Ausschau zu halten, aber dennoch gab er sich alle Mühe, keinen Quadratzentimeter unbeachtet zu lassen. Wenn Mr. Spocks Vermutungen stimmten – und er irrte sich praktisch nie –, hatten sich die Mörder hier aufgehalten.
Chekov näherte sich der Transporterplattform, hob den Scanner … und erstarrte.
Auf einem der Transferfelder erkannte er selbst mit bloßem Auge mehrere kleine violette Flecken.
Mit einer aus neuer Hoffnung geborener Hast sank er auf die Knie, holte einen kleinen Stasisbehälter hervor und nahm eine Probe von dem geronnenen Blut.
Spock starrte durch ein Mikroskop im wissenschaftlichen Laboratorium und betrachtete mehrere weinfarbene Zellen. Die violette Tönung war dunkler geworden, aber der Vulkanier verstand sofort. Mit erzwungener intellektueller Objektivität fragte er sich, ob diese besonderen Zellen einst zu dem Blut Kanzler Gorkons gehört hatten.
Der Vulkanier richtete sich auf und sah den nervös wartenden Chekov an.
»Klingonisches Blut«, sagte Spock und betätigte eine Taste. Der Bildschirm erhellte sich und zeigte flache, scheibenförmige Zellen.
Chekov beobachtete die Darstellung mit einer Mischung aus Entsetzen und Triumph. »Angesichts der Schwerelosigkeit schwebte das Blut in den Korridoren der Kronos. Die Mörder müssen hindurchgegangen sein und brachten etwas davon hierher.«
Spock nickte knapp. »Jetzt haben wir einen ersten Anhaltspunkt, der unsere Theorie bestätigt.«
»Wenden wir uns nun an Starfleet?«, fragte Chekov hoffnungsvoll. Spock begriff die Ursachen seiner Besorgnis. Bisher konnte der Crew noch keine direkte Verletzung der Vorschriften zur Last gelegt werden – vorausgesetzt, das Oberkommando der Flotte glaubte an die Fehlfunktion des Warptriebwerks. Aber wenn sie ohne die Erlaubnis Starfleets ins Raumgebiet des Imperiums flogen, machten sie sich alle strafbar.
Das klingonische Blut bewies nur eins: Die Mörder waren an Bord der Enterprise zurückgekehrt. Es führte nicht zu einer Entlastung des Captains und Dr. McCoys.
»Wir erweitern die Ermittlungen jetzt auf Uniformen«, verkündete der Vulkanier.
Chekov ließ die Schultern hängen. »Meinen Sie alle Uniformen?«
Spock musterte ihn stumm.
»Aye, Sir, alle Uniformen«, brummte Chekov, und die Hoffnung schwand aus seiner Stimme. Der Vulkanier wusste, dass eine derartige Suche viel Zeit erforderte – und gerade dem Zeitfaktor kam kritische Bedeutung zu –, doch es blieb ihnen keine Wahl. Chekov zögerte. »Aber Mr. Spock … Inzwischen haben die Mörder ihre Kleidung sicher gereinigt …«
»Wie, Commander? Auf die Dienste der Bordwäscherei konnten sie nicht zurückgreifen. Sie hätten ihren persönlichen Code eingeben müssen – und dadurch wäre es möglich, sie zu identifizieren.« Für diese Routine gab es einen guten Grund: Im Fall einer unentdeckten Kontamination auf einem Planeten oder an Bord des Schiffes benachrichtigte man das entsprechende Besatzungsmitglied, stellte es unter Quarantäne und begann mit einer eventuell notwendigen Behandlung. Es war nicht möglich, einen anderen Code einzugeben: Um Fehler zu vermeiden, akzeptierte der Computer nur ID-Daten, die mit denen der Uniform übereinstimmten. »Ich schlage vor, Sie befassen sich zunächst mit den Aufzeichnungen der Wäscherei, insbesondere mit denen kurz nach der Ermordung des Kanzlers. Fremde Substanzen wie zum Beispiel klingonisches Blut müssten noch in der Reinigungsflüssigkeit nachgewiesen werden können. Ich rechne allerdings nicht damit, dass Sie etwas finden. Den Mördern dürfte klar sein, dass sie länger unentdeckt bleiben, wenn sie die Uniformen irgendwo verstecken.«
»Ja, Sir.« Chekov seufzte und ging niedergeschlagen zur Tür.
»Mr. Chekov.«
Der Navigator drehte sich um.
»Je länger unsere Suche dauert, desto größer wird die Gefahr für den Captain und Dr. McCoy«, sagte Spock ruhig. Der Vulkanier wollte seine Freunde selbst dann retten, wenn er keine Beweise für ihre Unschuld hatte – aber dadurch beschwor er noch weitaus ernstere Gefahren herauf. »Wenn wir die beiden Verurteilten befreien, ohne sie eindeutig entlasten zu können, ist Starfleet durch das Interstellare Recht dazu verpflichtet, sie wieder zu verhaften und den Klingonen auszuliefern.
Und Sie wissen ja, wie man im Imperium mit geflohenen Gefangenen verfährt: Man foltert sie, und anschließend werden sie hingerichtet.« Spock ließ unerwähnt, welche Strafe ihn und die Besatzung für die Befreiung erwartete. Chekovs finstere Miene deutete darauf hin, dass er die Konsequenzen kannte.
»Mit anderen Worten …«, erwiderte der Navigator bitter. »Wenn wir Captain Kirk und Dr. McCoy an Bord der Enterprise holen und ins stellare Territorium der Föderation zurückkehren …«
»Werden wir von Starfleet-Kreuzern angegriffen«, beendete Spock den Satz. Es schien ein unlösbares Dilemma zu sein: Wenn sie nicht imstande waren, Kirks und McCoys Unschuld vor der Rettungsmission zu beweisen, mussten sie sich den Rückweg durchs klingonische Imperium freikämpfen, um dann zu entscheiden, ob sie zur Föderation oder ins romulanische Reich fliehen sollten. Ganz gleich, wohin sie auch flogen – überall begegneten sie Feinden. »Die Flotte bekäme den Befehl, uns alle unter Arrest zu stellen oder dieses Schiff zu zerstören.« Der Vulkanier zögerte kurz. »Ich wäre nicht bereit, mich mit der Enterprise zu stellen.«
Chekov wirkte grimmig und hielt dem Blick des Ersten Offiziers stand. »Wir finden die Beweise, Sir.«
Spock nickte. Als der Navigator gegangen war, seufzte er leise und wünschte sich, die Gewissheit des Menschen teilen zu können.
Valeris stand in einem Korridor des Mannschaftsquartiers, betrachtete eine schematische Darstellung der Enterprise und kennzeichnete die bereits durchsuchten Sektoren: Garderobe, Synthetisierer, Recycling, Krankenstation, Brücke, Beobachtungsdeck, Jeffries-Röhren, Maschinenraum … Es blieben nur noch wenige Bereiche übrig. Bis zur Entdeckung weiterer Spuren konnte es jetzt nicht mehr lange dauern.
Da niemand zugegen war, lehnte sie sich an die Konsole und schloss die Augen. Seit dem Beginn der Ermittlungen hatte sie nicht geruht – Spock betonte mehrmals die entscheidende Bedeutung des Faktors Zeit. Er verlangte nicht von Valeris, bis zum Ende der Suche im Dienst zu bleiben, aber sie wusste, dass ihm ihr Verhalten gefiel.
Seit mehr als achtundvierzig Stunden hatte sie nicht mehr geschlafen – ein voll ausgebildeter Vulkanier war theoretisch dazu imstande, wochenlang ohne eine Ruhepause auszukommen. Valeris bedauerte es sehr, diese Fähigkeit nicht erlernt und sich darauf beschränkt zu haben, zunächst andere Lücken in ihren vulkanischen Disziplinen zu schließen.
Die junge Frau rieb sich ihre müden, brennenden Augen. Sie glaubte nicht, dass Gravitationsstiefel oder Uniformen der Mörder den Captain und Dr. McCoy retten konnten. Spocks Bemühungen würden sich als sinnlos herausstellen, doch Valeris brachte es nicht fertig, ihn darauf hinzuweisen.
Eine laute Stimme am Ende des Korridors – einige Besatzungsmitglieder durchsuchten die dortigen Kabinen – veranlasste sie, die Lider zu heben.
Valeris lief nicht, um ihre Würde zu wahren, aber sie ging mit langen, eiligen Schritten zu den Menschen.
Vor einer offenen Kabinentür blieb sie stehen und beobachtete, wie jemand einen schweren Stiefel aus dem Spind nahm und ihn hob, damit ihn alle sehen konnten. Der Mann richtete die Stiefelspitze zur Decke, presste die Sohle dann an den Schrank und trat zurück.
Der Stiefel fiel nicht herunter, trotzte der Schwerkraft.