Die Enterprise flog durch klingonischen Raum, und Kirk betätigte den Türmelder von Spocks Kabine.
Jim hatte geduscht, sich rasiert, eine frische Uniform angezogen und die Krankenstation besucht; anschließend sehnte er sich nach erholsamem Schlaf. Es blieb noch etwas Zeit, bis sie Khitomer erreichten, und dann fand er sicher keine Ruhe mehr. Er musste sich noch immer ganz bewusst bemühen, nicht vor Erschöpfung zu zittern.
Aber zu deutlich erinnerte er sich an die Bestürzung in Spocks Augen, als er vom Verrat seines Protegés erfuhr.
Das Schott glitt beiseite und gab den Weg in ein finsteres Zimmer frei. Kirk wartete darauf, dass ihn der Vulkanier hereinbat, aber alles blieb still. Zögernd trat er vor. »Spock?«
Keine Antwort. Jim tastete nach dem Lichtschalter.
»Die Dunkelheit ist mir lieber«, ertönte Spocks Stimme aus den Schatten. Jim hielt aufmerksam Ausschau und bemerkte die Silhouette seines Freundes auf der Koje. Er ließ die Hand wieder sinken und ging weiter, froh darüber, hierhergekommen zu sein. Hinter ihm schloss sich die Tür.
»Glauben Sie, büßen zu müssen?«, fragte Kirk sanft und ein wenig ungläubig. Er kannte Spock inzwischen seit vielen Jahren und hatte ihn noch nie deprimiert gesehen.
Die nachdenklich zusammengekniffenen Augen des Vulkaniers starrten zur Decke. Spock stand nicht auf, lag völlig still und reglos. Eine Zeitlang gab er keinen Ton von sich.
»Sie hatten recht«, sagte er schließlich, und in seiner Stimme hörte Jim das Bemühen, alles aus einer objektiven Perspektive zu betrachten. »Meine arrogante Anmaßung brachte uns in diese Situation. Ich hatte kein Recht, Sie zu empfehlen, um Gorkon zur Friedenskonferenz zu bringen.«
»Sie haben Entscheidungen getroffen, die Sie für richtig hielten«, entgegnete Kirk.
Der Vulkanier schüttelte den Kopf. »Arroganz. Ich glaubte, die Begegnung mit dem Kanzler würde Ihnen helfen, Zorn und Schmerz über den Tod Ihres Sohnes zu besiegen.«
»Es hat funktioniert«, meinte Jim.
»Es wäre besser gewesen, mit einer Verschwörung zu rechnen. Sie hätten sterben können.«
Kirk zuckte mit den Achseln. »Die Nacht ist noch jung. Und wie Sie selbst sagten: Es war logisch. Der Frieden lohnt einige persönliche Risiken. Wie hätten Sie die jüngsten Ereignisse verhindern können?«
Der Captain zögerte und wartete auf eine Antwort, doch Spock schwieg erneut. Langsam schritt er in der Kabine umher und suchte dabei vorsichtig nach den richtigen Worten, um dem Vulkanier Trost zu spenden. »Sie sind der Experte, wenn's um Logik geht. Was mich betrifft … Ich neige dauernd dazu, mich törichterweise in gefährliche Dinge einzumischen, an die sich sonst niemand heranwagt. In gewisser Weise sind wir beide Extremisten. Die Realität liegt vermutlich irgendwo zwischen diesen Extremen.« Er verharrte, bewunderte eine romulanische Skulptur und strich mit dem Zeigefinger über Staub.
Spock wahrte sein Schweigen.
»Ich kam einfach nicht über den Tod meines Sohnes hinweg«, fuhr Jim fort. »Ständig sah ich die Vergangenheit und die Grausamkeiten der Klingonen. Irgendwie entsetzte mich die Vorstellung, dass sich ihre Politik tatsächlich ändern, dass sie wirklich damit aufhören könnten, Krieg zu führen. Ich fürchtete mich zu sehr davor, ihnen zu vertrauen. Wer bin ich, wenn ich keine Feinde mehr habe?« Er hob die Schultern. »Ich hielt an meinem eigenen Argwohn fest.«
»Und ich hatte zu großes Vertrauen«, sagte Spock schließlich. »Valeris' Leistungen als Vulkanierin weckten Voreingenommenheit in mir. Ich bin sehr stolz auf sie gewesen.« Abrupt senkte er die Stimme. »Ich habe ihr vertraut, weil in ihren Adern ausschließlich vulkanisches Blut fließt – obgleich sie erst vor kurzer Zeit mit der vulkanischen Ausbildung begann und noch nicht alle Disziplinen beherrscht. Ich glaubte so fest an ihre Zuverlässigkeit, dass ich ihr die Leitung der Ermittlungen überließ.
Vielleicht haben Sie recht. Vielleicht liegt die Antwort irgendwo zwischen Logik und Gefühl. Es bestürzt mich festzustellen, dass von Mitgefühl ungemilderte Logik so erbarmungslos eingesetzt werden kann, um den Krieg zu rechtfertigen.« Spock legte eine kurze Pause ein. »Ich bin noch nie verraten worden. Und ich hätte nicht erwartet, dass mich ein Vulkanier mit dieser Erfahrung konfrontiert. Zunächst dachte ich voller Sorge an die Vorurteile der Besatzung. Doch jetzt sehe ich meine eigenen.«
Kirk nickte und trat näher. »Gorkon musste sterben, bevor ich begriff, wie voreingenommen ich gewesen bin. Ich hielt es nicht für möglich, dass sich die Klingonen ändern können.«
Erst jetzt begegnete Spock seinem Blick. »Sind wir beide so alt und unbeugsam geworden, dass wir unseren Nutzen verlieren?« Er zögerte, und Jim sah nun etwas Wärme in seinen Augen. »Würde das einen Witz abgeben?«
Kirk lächelte dünn. »Jemand hat einmal gesagt, der Unterschied zwischen ›komisch‹ und ›kosmisch‹ sei der Buchstabe s. Quälen Sie sich nicht, Spock. Sie trifft keine Schuld. Wenn ich nicht bereit gewesen wäre, den Auftrag anzunehmen, hätten die Mörder trotzdem Gorkon umgebracht. Dann befände sich jetzt ein anderer Captain in meiner Lage.«
Der Vulkanier sah zur Seite. »Ich bin verantwortlich.«
»Nur für Ihr eigenes Handeln.«
Spock drehte den Kopf und wölbte eine skeptische Braue. »Bei der Gerichtsverhandlung behaupteten Sie etwas anderes. Wenn ich mich recht entsinne, übernahmen Sie die Verantwortung für das Verhalten Ihrer Crew.«
Jim seufzte. »Als Captain. Das ist etwas anderes. Menschen …«
»Ich bin kein Mensch, nur …«
»Soll ich Ihnen etwas sagen, Spock?«, unterbrach Jim seinen Ersten Offizier ungeduldig.
Der Vulkanier beobachtete, wie Kirk neben der Koje in die Hocke ging.
»Jeder ist ein Mensch.«
»Sie beleidigen mich.« Spock wandte sich ab.
»Das ist nur menschlich«, beharrte Jim sanft.
»Rassist«, murmelte Spock und starrte an die Decke. Doch Kirk bemerkte das Schimmern in seinen Augen.
»Vulkanier«, konterte Jim. Er streckte die Hand aus. »Kommen Sie jetzt. Ich brauche Sie.«
Spock zögerte kurz und griff dann nach Kirks Hand.
Sarek wartete zusammen mit der vulkanischen Delegation vor der großen, kunstvoll verzierten Kuppel mit dem Konferenzsaal, blickte zu Khitomers Himmel empor und spürte, wie ihm der Wind das Haar zerzauste. Es war angenehm warm auf diesem dünn besiedelten, vorwiegend landwirtschaftlich genutzten Planeten, wenn auch nicht so warm wie auf Vulkan, und die üppige grüne Vegetation erinnerte ihn an die Erde. Er hatte oft gehört, klingonische Welten seien sehr schön, doch nun bekam er zum ersten Mal Gelegenheit, sich einen unmittelbaren Eindruck zu verschaffen.
Derzeit überprüfte man die Sicherheit der Kuppel, und anschließend würde man die Delegationen der Vulkanier, Menschen, Klingonen und Romulaner zur Beratungskammer geleiten. Jetzt waren umfangreiche Vorsichtsmaßnahmen erforderlich – zumindest die Romulaner und Klingonen legten großen Wert darauf –, um sie alle vor dem geflohenen Kirk zu schützen.
Auch Sarek hielt besondere Wachsamkeit für angebracht, doch aus anderen Gründen. Seiner Ansicht nach war Kirk ebenso ein Opfer der Verschwörung wie Gorkon. Seine Flucht und die bald beginnende Friedenskonferenz zwangen die Mörder, erneut aktiv zu werden.
Sarek fürchtete nicht um sein eigenes Leben sondern um das der klingonischen Kanzlerin Azetbur; darüber hinaus standen die Verhandlungen auf dem Spiel. Er bezweifelte, ob sich Vorteile für die Verschwörer ergaben, wenn sie Vulkanier umbrachten.
Es sei denn, sie planten ein neues Massaker wie auf Kudao, um eine starke Medienwirkung zu erzielen.
Gleichzeitig empfand Sarek eine logisch berechtigte Sorge, die Spock galt. Er wusste, dass die Enterprise bisher nicht auf den Rückkehrbefehl reagiert hatte. Da er Spock und seine Freunde kannte, nahm er an, dass die Enterprise derzeit nach Khitomer flog – mit ganz anderen Absichten, als die Klingonen vermuteten. Die ›verstärkten Sicherheitsmaßnahmen‹, so glaubte Sarek, waren nur ein Euphemismus, den Botschafter Kamarag für die Rache an Kirk erfunden hatte.
Natürlich musste die Enterprise zunächst den klingonischen Raum durchqueren.
In den vergangenen Jahren war Sareks Verständnis für seinen Sohn gewachsen. Die früheren Meinungsverschiedenheiten in Hinsicht auf Spocks Berufswahl existierten längst nicht mehr, obwohl es Sarek noch immer schwerfiel, sich damit abzufinden, dass Spock als Starfleet-Offizier arbeitete. Wie dem auch sei: Spocks Sturheit – die er zweifellos von seiner Mutter geerbt hatte, auch wenn sie das Gegenteil behauptete – verhinderte es, Einfluss auf ihn zu nehmen. Schon als Kind konnte er nie zu etwas gezwungen werden; man musste ihn mit Logik und Vernunft überzeugen.
Jetzt dauerte es nur noch wenige Monate, bis sich Spock aus dem aktiven Dienst zurückzog. Sarek wusste nicht, ob sich sein Sohn für eine andere berufliche Laufbahn entschieden hatte. Er erinnerte sich an die Überraschung, als Spock bei einem Gespräch Interesse an der Diplomatie bekundete. Eins stand fest: Spocks Leistungen in Hinsicht auf Gorkon und den Hohen Rat waren bemerkenswert. Vielleicht kehrte er sogar nach Vulkan zurück. Seine Mutter Amanda würde sich bestimmt sehr darüber freuen.
Wenn er überlebte.
Sarek seufzte lautlos, als er den blassen, wolkenverhangenen Himmel beobachtete und überlegte, ob sich die Enterprise dahinter verbarg.
Im Kontrollraum der Enterprise saßen alle Brückenoffiziere an ihren Stationen. Es gab nur eine Ausnahme: Der Sessel neben Pavel Chekov blieb leer. Die Sicherheitswächter hatten Valeris zur Arrestzelle begleitet.
Chekov konnte es noch immer nicht fassen. Er kannte Spock seit mehr als zwanzig Jahren – ein Mann, der uneingeschränktes Vertrauen verdiente und Loyalität in anderen Personen weckte. Doch ausgerechnet Spocks Protegé erwies sich als Verräterin …
Er seufzte, wandte den Blick vom leeren Sessel ab und erinnerte sich voller Wehmut an Sulu. Veränderung war das eherne Gesetz des Universums. Die Senior-Offiziere der Enterprise zogen sich bald in den Ruhestand zurück, und damit stand Chekov vor einer der schwierigsten Entscheidungen seines Lebens – vorausgesetzt natürlich, dass er bei dieser Mission nicht den Tod fand. Es erschien ihm wenig erstrebenswert, die Arbeit an Bord dieses Schiffes ohne seine Freunde fortzusetzen. Statt dessen hatte er zunächst beabsichtigt, ebenfalls seinen Abschied zu nehmen, um zur Erde zurückzukehren. Und zu Irina Galliulin. Nach ihrer ersten Begegnung auf der Enterprise vor fast dreißig Jahren war erneut das Feuer der Leidenschaft zwischen ihnen entflammt, und Chekov verbrachte mehrmals seinen Landurlaub mit ihr. Bestimmt wusste sie, dass er nach seinem letzten Einsatz mit der Enterprise ein gemeinsames Leben mit ihr führen wollte – das hatte er jedenfalls vermutet.
Aber sie hatte ihn nicht verstanden und vor kurzer Zeit in einer Subraum-Mitteilung darauf hingewiesen, dass sie eine andere Beziehung eingegangen war und nach Rigel umzog. Ich hoffe, wir können gute Freunde bleiben, hieß es in der Nachricht.
Chekov versuchte, die Bitterkeit aus seinen Gedanken zu verdrängen, aber er fühlte sich in zwei Hälften geteilt, und die eine scherte sich nicht darum, ob er lebend von Khitomer heimkehrte. Überleben wozu?
Er starrte zum Wandschirm und beobachtete die Finsternis des klingonischen Raums, in dem unbekannte Gefahren lauerten.
Der andere Teil von ihm, der am Leben festhielt, beendete das Schweigen auf der Brücke. »Captain …« Er sah über die Schulter.
Kirk schloss die Hände um die Armlehnen des Kommandosessels und blickte konzentriert ins Projektionsfeld, als genügte es, aufmerksam genug Ausschau zu halten, um den verborgenen Feind zu erkennen. Nur seine Augen bewegten sich, als er zur Navigationskonsole sah.
»Wenn wir Khitomer erreichen – wie verteidigen wir uns dort?«, erkundigte sich Chekov. »Falls der neue Schlachtkreuzer tatsächlich imstande ist, mit aktivierter Tarnvorrichtung zu feuern …«
»Da haben wir eine harte Nuss zu knacken«, sagte McCoy leichthin, obgleich sein Gesicht sehr ernst wirkte. Der Arzt stand wie üblich neben Kirk.
Jim und Spock wechselten einen kurzen Blick. Chekov rutschte nervös in seinem Sessel hin und her. Wenn sich der Captain Sorgen machte, war die Situation aussichtslos …
Doch der Vulkanier meinte: »Ich glaube nicht, dass Beunruhigung gerechtfertigt ist.« Er zögerte, als die übrigen Brückenoffiziere zu hoffen begannen. »Nach meinen Berechnungen bleiben uns noch fünf Minuten und zweiundzwanzig Sekunden, um dieses Problem zu lösen.«
»Dies ist wohl kaum der geeignete Zeitpunkt, um einen Sinn für Humor zu entwickeln«, brummte McCoy leise, doch Chekov bezweifelte, ob Spock seine Bemerkung scherzhaft meinte.
Der Captain blieb äußerlich ruhig und gelassen, aber Unsicherheit flackerte in seinen Pupillen.
Chekov verzog kurz das Gesicht, drehte sich wieder zu seinem Pult um und entschied, dass ihm tatsächlich noch etwas am Leben lag.
Azetbur nahm den Ehrenplatz neben dem Föderationspräsidenten Ra-ghoratrei ein und beobachtete die Prozession der Klingonen. Sie trugen rote Schärpen, und Botschafter Kamarag führte sie in den Konferenzsaal. Azetbur fand Kamarag unsympathisch und hielt ihn für kaum mehr als einen Schauspieler, der die Meinungen des Hohen Rates mit dramatischen Gesten präsentierte, ohne eigene Ansichten zu haben. Andererseits: Er nahm seine Pflichten geschickt wahr und erwies sich als nützlich durch seine Bereitschaft, für den Frieden einzutreten.
Die Klingonen setzten sich, und es folgte die Delegation von der Erde. Die vielen Fahnen und Schärpen – ihre Farben gingen auf eine Absprache unter den Konferenzteilnehmern zurück: Gelb für Vulkanier, Rot für Klingonen, Blau für Romulaner und Grün für Menschen – erinnerten Azetbur mehr an ein sportliches Ereignis. Vielleicht war der Vergleich angemessen; bestimmt gab es im Saal Personen, die einen blutigen Wettkampf erwarteten.
Sie verlagerte ihr Gewicht neben Ra-ghoratrei. Sie hatte von dem legendären Effekt deltanischer Pheromone auf Menschen gehört und war froh, dass sich Klingonen in diesem Zusammenhang durch Immunität auszeichneten. Sie durfte sich jetzt nicht ablenken lassen und musste wachsam bleiben, falls es zu einem neuen Mordanschlag kam, aber die beiden letzten schlaflosen Nächte schufen Benommenheit in ihr. Sie hatte viele Stunden damit verbracht, die Konferenz vorzubereiten und über ihre eigene Sterblichkeit nachzudenken. Als Kerla von Kirks Flucht und dem Verschwinden der Enterprise erfuhr, traf er heimlich zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen. Wenn er so wenig vertrauenswürdig war, wie Chang behauptete, musste Azetbur jeden Augenblick mit dem Tod rechnen.
Am vergangenen Abend hatte sie Ra-ghoratrei gewarnt. Der Deltaner schien zu wissen, dass ihm ebenfalls Gefahr drohte, aber er zeigte sich zuversichtlich. Alle Konferenzteilnehmer seien sicher, meinte er. Wenn sich die Kanzlerin Sorgen machte, sollte sie vielleicht private Maßnahmen ergreifen …
Azetbur fürchtete den Tod nicht. Ihre Furcht galt den Konsequenzen fürs Imperium, wenn sie starb und die Friedensbemühungen mit einem Fehlschlag endeten. Der Umstand, dass sie von einer Sekunde zur anderen sterben konnte, stimulierte ihre Sinne und resultierte in einer hypersensitiven Wahrnehmung. Parademusik begleitete die einzelnen Delegationen und erschien der Klingonin schmerzhaft laut. Ein greller Glanz ging von den gelben Schärpen der Vulkanier aus. Der große Metallreif, den ihr Vater getragen hatte, lastete so schwer an ihrem Hals, dass es ihr Mühe bereitete, aufrecht zu sitzen.
Die Romulaner kamen herein, angeführt von Botschafter Nanclus und seinem Adjutanten Pardek. Azetbur ließ ihren Blick über die Menge schweifen: Sarek, der Vater von Spock, dem sie vertraut hatte; Botschafter Kamarag; Colonel Worf, der eine unangenehme Aufgabe ehrenvoll erfüllt hatte; neben ihm Kerla, den die Kanzlerin liebte, ohne ihm Vertrauen zu schenken.
Sie glaubte nicht, dass Spock fähig war, seinen Vater zu verraten. Wenn ihre Stimmung einen Tiefpunkt erreichte, wenn sie vergeblich nach Schlaf suchte, gab sie sich bedrückenden Gedanken hin. Hatte man Kirk wirklich zu Recht verurteilt? Ging die Ermordung ihres Vaters vielleicht gar nicht auf die persönliche Rache eines hasserfüllten anderen Vaters zurück? War sie das Ergebnis einer Verschwörung?
Wenn das stimmte, gab es für Azetbur noch weitaus mehr zu befürchten.
Präsident Ra-ghoratrei hielt James Kirks Flucht offenbar nicht für eine Gefahr. Er schien von der Sicherheit der Konferenzteilnehmer überzeugt zu sein, aber warum sah Azetbur jetzt ein furchterfülltes Glimmen in seinen Augen?
Die Musik verklang. Ra-ghoratrei stand auf und trat ans Rednerpult.
»Kanzlerin, Mitglieder des diplomatischen Korps, verehrte Gäste: Die Vereinte Föderation der Planeten heißt Sie zu dieser Konferenz auf Khitomer willkommen. Wir sind nun alle versammelt, und deshalb schlage ich vor, die Zeremonien zu beenden und sofort zur Sache zu kommen. Kanzlerin?« Er drehte sich zur Klingonin um und lächelte.
Azetbur erhob sich würdevoll, spürte dabei eine sonderbare Unwiderruflichkeit und Finalität. Menschen verglichen das Schicksal mit einem Rad, und sie stellte sich nun vor, wie es sich mit einem leisen Knirschen drehte.
»Einverstanden«, sagte sie, lächelte jedoch nicht, als Applaus erklang.
Fangen wir an …
Admiral Cartwright nahm seinen Platz bei den anderen Würdenträgern der Föderation ein und heuchelte höfliches Interesse, als er über die Menge blickte.
Ra-ghoratrei begann mit seiner Ansprache. »Hoffnung hat uns heute hierhergeführt. Wir glauben, dass verschiedene Zivilisationen mit gutem Willen zusammenarbeiten und die Intoleranz überwinden können …«
Normalerweise hätte Cartwright kaum Geduld für langatmiges diplomatisches Geschwafel aufgebracht, aber diesmal war er dankbar dafür. Er suchte noch immer nach einem ganz bestimmten Gesicht.
Es fiel ihm nicht leicht, seine Aufregung zu verbergen. Der Umstand, dass die Enterprise Kirk zur Flucht verholfen hatte, war ein schwerer Schlag gewesen. Schlimmer noch: Sie hatten den Kontakt zu Lieutenant Valeris verloren. Jetzt musste Cartwright damit rechnen, dass es Kirk und seinen Freunden irgendwie gelungen war, die einzelnen Teile des Puzzles zusammenzusetzen. Vermutlich sind sie hierher unterwegs, dachte er grimmig.
Er versuchte sich einzureden, dass keine Gefahr bestand. Bestimmt hinderte man Kirk und die Enterprise daran, Khitomer zu erreichen. Vielleicht ereilte ihn und seine Crew das gleiche Schicksal wie die Klingonen an Bord der Kronos Eins: ein Angriff aus dem Nichts.
»Mit Verständnis und Geduld wird es uns gelingen, jene Dinge zu überwinden, die uns trennen«, fuhr Ra-ghoratrei fort. »Ich möchte den Fortschritt neu definieren: Zu etwas in der Lage zu sein, bedeutet nicht, dass man die betreffenden Möglichkeiten nutzen muss.«
Admiral Cartwright klatschte ebenfalls, obgleich er eine völlig andere Meinung vertrat. Vor dem organianischen Frieden hatte er als Captain ein Raumschiff kommandiert. Klingonen brachten seine Mannschaft um, und daher wusste er, wozu sie fähig waren, damals wie heute.
Wie närrisch von Gorkon zu glauben, dass sich sein Volk ändern konnte. Der Stabschef des ermordeten Kanzlers bot ein gutes Beispiel.
Ra-ghoratrei zögerte und richtete einen bedeutungsvollen Blick auf seine Zuhörer. »Wir glauben, dass die Verantwortung für das Schicksal direkt auf unseren eigenen Schultern lastet …«
Cartwright zuckte leicht zusammen, als er das Gesicht sah: dunkel, mit dicken Brauenwülsten. Die Züge eines Klingonen. Er reckte den Hals und versuchte, einen Blickkontakt herzustellen, nahm dabei erleichtert zur Kenntnis, dass es dem Klingonen gelungen war, eine kleine, unauffällige Reisetasche durch die Sicherheitskontrollen zu schleusen.
Donnernder Applaus ertönte, als der Föderationspräsident seine Rede beendete. Kanzlerin Azetbur stand auf und schritt zum Pult – Cartwright gab sich alle Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken. Das Timing hätte nicht besser sein können.
Der Klingone spähte verstohlen durch den Saal und sah schließlich in die Richtung des Admirals.
Ihre Blicke trafen sich. Cartwright nickte andeutungsweise und fühlte, wie sein Herz schneller klopfte, als sich der Klingone mit seiner Reisetasche dem Rednerpult näherte.
Die Entfernung zu Khitomer schrumpfte, und Kirks Schiff unterbrach den Warptransfer, flog mit Impulskraft weiter.
Für Jim dehnte sich die Zeit, als Anspannung und Schweigen auf der Brücke eine schier unerträgliche Intensität gewannen. Der Wandschirm zeigte Sterne im leeren Weltraum; nichts wies auf die drohende Gefahr hin.
Der Captain stand auf und ging zur wissenschaftlichen Station. Spock blickte in den Sichtschlitz des Scanners, dessen blaues Licht sich in seinem ernsten Gesicht widerspiegelte.
Kirk sah dem Vulkanier über die Schulter und fragte leise: »Sind wir nahe genug, um uns auf den Planeten zu beamen?«
Der Erste Offizier schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Ich sondiere Bereich vier-zwei-drei-sechs … Bereich vier-zwei-drei-sieben …«
»Der Kreuzer ist irgendwo dort draußen«, sagte Kirk ungeduldig und starrte wieder zum Wandschirm, als Khitomer in Sicht kam. Die Lösung dieses besonderen Problems war deshalb so schwer, weil romulanische Techniker das Leistungspotenzial der Tarnvorrichtung wesentlich verbessert hatten. Es kam jetzt nicht mehr zu einem räumlichen Verschiebungseffekt, der auf die Position des unsichtbaren Schiffes hinwies und dem vor Jahren viele Kriegsschwalben des Reiches zum Opfer gefallen waren.
Chekov wandte sich voller Unruhe von der Navigationskonsole ab. »Aber wenn er sich tarnt …«
»Dann besteht der einzige Hinweis für uns aus Neutronenemissionen«, sprach Kirk den Satz zu Ende. »Und wenn wir nahe genug herankommen, um sie zu messen, sind wir ein oder zwei Sekunden später Asche.« Er musterte Spock und erhoffte sich eine Idee von ihm.
Der Vulkanier richtete sich nachdenklich auf. »Captain, vielleicht gehen wir falsch vor. Unser Ziel ist die Konferenz. Und der Schlachtkreuzer will uns daran hindern, sie zu erreichen.«
Jim zögerte. »Sie meinen … wir sollten den Gegner ködern?«
Spock antwortete nicht und sah den Captain nur ruhig an.
Kirk holte tief Luft. Sein Erster Offizier hatte recht, wie immer. Ihnen blieb gar keine andere Wahl. Sie konnten nur hoffen, dass Sulu rechtzeitig eintraf und die modernen Sensoren der Excelsior in der Lage waren, den getarnten klingonischen Kreuzer zu orten.
In der Zwischenzeit hatte die Enterprise praktisch keine Chance, ein Gefecht mit dem verborgenen imperialen Schiff zu überstehen. Jim war dem Vulkanier dankbar dafür, dass er nicht die Wahrscheinlichkeit nannte. Tief in seinem Inneren spürte er eine seltsame Erleichterung – er hatte immer gefürchtet, allein zu sterben. Die Vorstellung, hier den Tod zu finden – im Kontrollraum der Enterprise, umgeben von seinen Freunden –, entsetzte ihn nicht. Ein derartiges Ende erschien ihm angenehmer, als sich in den Ruhestand zurückzuziehen und, getrennt von den anderen, einen eigenen Weg zu beschreiten.
Doch der Tod seiner Freunde stand auf einem anderen Blatt. Jim durfte nicht für sie entscheiden.
Die unerschütterliche Ruhe in Spocks Augen gab zu erkennen, dass er nichts bedauerte. Kirk drehte sich um, sah Uhura, Chekov und dann auch McCoy an – überall fand er Loyalität und Bereitschaft.
Gerührt senkte er den Kopf und zögerte für einen Sekundenbruchteil, bevor er die Stimme wiederfand.
»Schilde«, sagte er fest. »Alle Mann auf Gefechtsstation.« Er berührte eine Taste in der Armlehne des Kommandosessels.
»Deflektoren sind aktiviert«, meldete Chekov. Die Alarmsirenen heulten, und blutrotes Licht pulsierte auf der Brücke. »Gefechtsstationen.«
»Sie kennen den Kurs, Mr. Chekov. Normaler Schub. Halbe Impulskraft.«
Die Finger des Navigators huschten mit geübtem Geschick über die Kontrollen. Sein Blick blieb wie der aller anderen auf den Wandschirm gerichtet, der nach wie vor leeres All zeigte. »Aye, Sir. Normaler Schub …«
Im Schneckentempo, dachte Jim. Vorsichtig und behutsam. Auch er sah ins Projektionsfeld. »Uhura?«, fragte er leise.
»Nichts, Captain«, antwortete sie hinter ihm. »Wenn die Klingonen hier sind, wahren sie Funkstille und tarnen sich.«
»Der Kreuzer hätte allen Grund, auf uns zu feuern«, kommentierte der Vulkanier. »Wir sind Renegaten und befinden uns in der Nähe eines Planeten, auf dem zwei Staatsoberhäupter an einer interstellaren Konferenz teilnehmen.«
Der neben Kirk stehende McCoy schnitt eine Grimasse. »Herzlichen Dank, dass Sie uns daran erinnern, Spock …«
Er taumelte nach vorn, als die Enterprise plötzlich kippte. Das grelle Licht einer Explosion gleißte vom Wandschirm.
Jim klammerte sich im Kommandosessel fest, und kurz darauf ließen die heftigen Vibrationen nach.
McCoy stand auf und brummte: »Der Spaß hat begonnen …«
»Captain.« Chekov saß wieder an seiner Station. »Erwidern wir das Feuer?«
»Und worauf sollen wir schießen?«, fragte Kirk. Es dauerte eine Weile, die Flugbahn des Photonentorpedos zum Ausgangspunkt zurückzuverfolgen. Bis dahin hatte der Kreuzer bestimmt einen Positionswechsel vollzogen – erst recht dann, wenn sein Kommandant so schlau war, wie Jim vermutete.
Die Erschütterungen des nächsten Treffers warfen ihn aus dem Befehlsstand, und er prallte gegen McCoy. Blindlings suchte er nach Halt und stöhnte, als er mit der Stirn an Chekovs Sessel stieß.
Er kroch unter Leonard hervor, ignorierte den blauen Fleck an der Schläfe und kehrte zum Kommandosessel zurück. Die Enterprise konnte sich nicht zur Wehr setzen, aber Jim musste irgendeine Möglichkeit finden, Zeit zu gewinnen – bis die Excelsior kam.
Instinktiv blickte er zum Wandschirm. Nichts. Mit der Außenseite seiner Faust betätigte er den Interkom-Schalter und wusste zunächst nicht, was er sagen sollte. »Scotty, Schubumkehr! Halbe Impulskraft nach achtern. Zurück. Zurück!«
Grünes Licht glühte matt im kleinen Kontrollraum der Dakronh. Chang stand stumm neben seinem Kanonier und beobachtete, wie die zweimal getroffene Enterprise den Rückzug antrat.
Er hatte James Kirk zunächst verachtet, weil er ihn für feige hielt. Es gab viele Geschichten über den Captain, und alle lobten seinen Mut. Aber der Mensch, den Chang kennengelernt hatte, war kein Krieger: Jener Kirk bemühte sich, den Hass zu verdrängen; er versuchte gar nicht, den Tod seines Sohnes zu rächen.
Ein Klingone hätte unter allen Umständen und um jeden Preis nach Vergeltung für den Tod eines Verwandten getrachtet. Wer sich anders verhielt, musste ein Feigling sein. Deshalb brachte Chang dem Captain zuerst Verachtung entgegen, auch wegen der Unehrlichkeit während des Abendessens an Bord der Enterprise – Kirk zeigte seinen Hass nicht offen, versteckte ihn hinter falscher Diplomatie.
Jetzt spürte Chang widerstrebende Bewunderung. Die Enterprise hielt sich nicht etwa vom stellaren Territorium des Imperiums fern, sondern durchquerte es stolz, mit deaktivierter Tarnvorrichtung; so verhielt sich ein wahrer Krieger.
Und dann diese seltsame Taktik.
Chang runzelte die Stirn und fragte den Steuermann leise: »Was hat das zu bedeuten?«
Der Klingone am Navigationspult zuckte mit den Achseln. Chang forderte ihn mit einer knappen Geste auf, dem Starfleet-Schiff zu folgen.
Dann lächelte er plötzlich und verstand. Die Enterprise zog sich zurück, um den Anschein zu erwecken, den Gegner geortet zu haben. Kirk versuchte, ihn zu verwirren und Zeit zu gewinnen.
Aber warum? Von wem erwartete er Hilfe? Die Besatzung der Dakronh brauchte niemanden zu fürchten …
Das Lächeln des Generals wuchs in die Breite. Kirk sollte ruhig glauben, dass sein Trick funktionierte – Chang hatte es nicht eilig, sein Schiff zu vernichten. Er bedauerte sogar, dass sie sich nicht ebenbürtig waren; er hielt es für unehrenhaft, einen hilflosen Feind zu besiegen. Chang fühlte sich zumindest dazu verpflichtet, Kirk mitzuteilen, wer ihn in den Tod schickte.
Er gab dem Steuermann ein Zeichen, als sich die Dakronh der Enterprise näherte.