Kapitel 3

Caleb rannte mit seinen Spiderman-Turnschuhen schnurstracks zu dem Traktor, der vor dem Geräteschuppen stand. Weil der Boden aufgeweicht war, flogen Schlammspritzer durch die Luft.

»Du steigst nicht auf den Trecker«, rief Robin ihm nach. Sie wickelte die Finger um den Tragegriff einer Plastiktüte, die auf dem Rücksitz ihres Wagens lag, schob den anderen Arm unter eine Platte mit Obst und Käse und tauchte dann wieder aus ihrem Fahrzeug auf. Sie vergewisserte sich, dass Caleb nicht hochkletterte, und ging den Schotterweg zum Farmhaus entlang, als ihr der Geruch von Rauch in die Nase stieg.

Die letzten paar Schritte rannte sie, und dann versuchte sie, die Fliegengittertür aufzumachen, obwohl sie keine freie Hand hatte. Sie fingerte an dem Türgriff herum und stieß das Gitter dann mit dem Fuß ganz auf. Die Angeln quietschten und die Tür fiel hinter ihr zu. Rauch zierte die Decke, während Bethany trübsinnig den verkohlten Kuchen auf der Küchenzeile anstarrte. Ihr langes Haar war zu einem unordentlichen Knoten hochgesteckt. »Wie kommt es, dass ich zwar Gebäude entwerfen kann, aber nicht in der Lage bin, einen ganz einfachen Kuchen zu backen?«

Robin stellte ihr Käsetablett ab und scheuchte den schwarzen Dunst aus dem geöffneten Fenster. »Wie in aller Welt hast du es denn geschafft, ihn so verbrennen zu lassen?«

»Ich war eben beschäftigt.«

»Womit denn?«

»Ich wollte die Arbeit eines ganzen Tages in einen unberechenbaren Mittagsschlaf quetschen.«

Robin nahm die Packung der Backmischung von der Arbeitsplatte und hielt sie – wie eine schmutzige Socke – ein Stück von sich weg. »Du greifst zu einer Fertigpackung? Warum fragst du nicht mich um Hilfe?«

»Ich bin seine Frau. Ich backe seinen Kuchen.«

Klar. Und was bedeutete das dann für Robin? Dass sie keinen Kuchen bekam. Sie täuschte Interesse an einem Spatel vor, der in der Spüle lag, und versuchte eine neutrale Miene aufzusetzen. »Und weil du mit Evan verheiratet bist, müssen wir alle leiden?«

»Letztes Jahr habe ich auch einen gebacken.«

Robins Lippen zuckten. »Ist das der Grund?«

»Evan hat gesagt, dass er lecker war.«

»Das hat er gesagt, weil er dich liebt. Und weil du schwanger warst.«

»Wie soll ich denn irgendwas hinkriegen, wenn ich nur zwei Stunden geschlafen habe?« Bethany stützte die Ellbogen auf die Arbeitsplatte und rieb sich die Augen. »Evan redet schon davon, dass er noch mehr will. Vier, Robin. Gestern Abend hat er doch tatsächlich gesagt, dass er vier Kinder will.«

»Und hat Elyse immer noch solche Probleme mit dem Schlafen?«

»Sie ist drei Monate alt. Caleb hat nach drei Wochen schon durchgeschlafen.«

»Jedes Kind ist anders.« Und Caleb war wie ein Geschenk in Robins Leben gekommen. Damals war ihre Trauer noch ganz frisch gewesen. Wenn Gott ihr ein Baby gegeben hätte, das mit Koliken zu tun gehabt hätte, dann hätte sie sich vielleicht in einer Ecke zusammengerollt und sie beide in den Wahnsinn geweint. »Ich verspreche dir, irgendwann ist es vorbei.«

Wenn Gott sie in den vergangenen vier Jahren etwas gelehrt hatte, dann, dass es im Leben Jahreszeiten gab. Dass Elyse so schlecht schlief, war auch nichts anderes. Robin warf einen Blick durchs Küchenfenster und sah Caleb neben einem Traktorrad im Matsch sitzen und Explosionsgeräusche machen, während er mit seinem Spielzeugmähdrescher gegen das schwarze Gummi fuhr.

»Vielleicht sollte ich sie wecken. Meinst du, ich lasse sie tagsüber zu viel schlafen?«

Robin warf die Schachtel in den Müll und gab Bethany die Plastiktüte. »Du lässt Elyse schlafen und ich sehe kurz nach Caleb. Und wenn ich wiederkomme, backen wir einen richtigen Kuchen.«

Bethany holte Eier, Mehl und verschiedene andere Zutaten aus der Plastiktasche. »Ich sollte beleidigt sein.«

»Du solltest dankbar sein.« Robin stellte den verbrannten Kuchen draußen auf den Boden und ging zu Caleb. »Hey, Kumpel, kommst du zu Mommy und Tante Bethy rein?«

Er rannte zu ihr und lehnte seinen Kopf an ihre Hüfte, während er mit seinen großen braunen Augen zu ihr aufblickte. »Kann ich nicht lieber beim Trecker spielen? Bitte, Mommy?«

Er sah das grüne Fahrzeug mit einer solchen Sehnsucht an, dass sie lachen musste. Der Junge war völlig besessen von Traktoren. »Aber bleib dort, wo ich dich durchs Fenster sehen kann.« Sie hob einen Finger und sah ihren kleinen Mann streng an. »Und nicht hochklettern.«

Er nickte und rannte davon. Robin ging in die Küche zurück, wo Bethany alle Zutaten aufgereiht hatte und eine Rührschüssel aus Edelstahl abtrocknete. »Für den Fall, dass ich vergesse, das zu sagen: Danke, dass du das für mich tust. Du weißt ja, wie gerne Evan Kuchen isst.«

»Danke, dass du mir morgen bei dem offenen Treff hilfst.«

»Kein Problem.«

»Und danke, dass du nicht nach gestern Abend fragst.«

»Amanda hat mich schon gewarnt.« Bethany lächelte Robin mitfühlend zu und sah in die leere Tüte. »Und wo ist das Rezept?«

»Jetzt könnte ich beleidigt sein.« Robin nahm die Tüte und warf sie in den Mülleimer. »Du weißt ja, dass ich nicht gerne frage, aber könntest du diese Woche vielleicht zwei kurze Schichten übernehmen?«

Als freiberufliche Architektin konnte Bethany flexibel arbeiten und die eine oder andere Schicht im Willow Tree Café übernehmen, wenn Robin einen Personalengpass hatte. Sie hatten im Hinterzimmer ein Reisebett aufgestellt, sodass Elyse schlafen oder ein bisschen auf dem Bauch liegen konnte. Wenn die Kleine älter und mobiler wurde, würde das nicht mehr funktionieren.

Bethany kratzte an einem imaginären Fleck auf der Arbeitsfläche. »Diese Woche könnte es eng werden. Ich habe gestern zwei Anrufe von möglichen Kunden bekommen. Einen wegen der Renovierung eines Einfamilienhauses und den anderen wegen eines neuen Restaurants in Le Claire. Das Restaurant wäre mein erstes großes Projekt nach der Geburt. Ich hoffe, dass ich dadurch wieder in die Gänge komme.«

»Das ist ja super.«

Bethany sah sie an – und ihr Blick verriet ihr, dass sie ihrer Freundin die Begeisterung nicht abkaufte. »Super für mich, aber was ist mit dir? Du kannst nicht rund um die Uhr im Café stehen. Das ist nicht gesund.«

Robin krempelte die Ärmel hoch und füllte Mehl in einen Becher. »Vielleicht kann ich ja Amanda bitten zu helfen.«

Die Fliegengittertür fiel hinter ihnen zu. »Wobei soll ich helfen?«

Robin blickte über die Schulter und sah ihre Schwägerin mit einem Sixpack Limonade in der Tür stehen.

»Bei ein paar Schichten diese Woche.«

»Ich habe einen richtigen Job, falls du dich erinnerst. Ich bin diejenige, die sich um die Konten des Cafés kümmert.« Amanda zog eine Dose aus dem Sixpack und öffnete sie. »Und außerdem glaube ich, dass dein Café ohne mich besser dran ist. Man sollte mir nicht erlauben, Getränke zu servieren.«

Den Messbecher voll Mehl in der Hand erstarrte Robin. »Was ist passiert?«

»Du gehst immer gleich vom Schlimmsten aus.«

»Amanda.«

»Ich habe einen Kunden mit Kaffee überschüttet.« Amanda trank einen Schluck und kniff ein Auge zusammen. »Obwohl Kunde eigentlich nicht das richtige Wort ist. Er hat gar nichts gekauft.«

Robin sah den Mann mit den gebräunten Unteramen, dem schelmischen Grinsen und dem riesigen Kaffeefleck auf dem Hemd vor sich, den sie vor Sybils Laden getroffen hatte. Er war in ihrem Café gewesen? Bethany streckte den Arm aus und drehte Robins Hand um. Das Mehl fiel in die Rührschüssel und eine weiße Wolke stieg daraus auf.

»Keine Panik. Ich habe ihm alles angeboten, was auf der Speisekarte steht.« Die Getränkedosen schlugen gegeneinander, als Amanda sie auf dem Küchentisch abstellte. »Hast du schon mal überlegt, ob deine finanziellen Probleme mit Willow Tree vielleicht daher kommen, dass du zu viel verschenkst?«

»Großzügigkeit ist nichts Schlimmes.«

»Jedenfalls schien er sehr interessiert daran, dich kennenzulernen, Miss Großzügig.«

Robin runzelte die Stirn. »Ich glaube, ich bin ihm schon begegnet.«

»Wo denn?«

»Vor Sybils Laden. Da bin ich fast mit einem Typen zusammengestoßen, der einen großen Kaffeefleck auf dem Hemd hatte. Ein bisschen kleiner als Evan? Blondes Haar?«

»Und der totale Adonis?«

Robin verdrehte die Augen. »Wahrscheinlich ist er vom Finanzamt und will die Bücher prüfen.«

»Dafür ist er viel zu süß. Und zu höflich.« Amanda bohrte einen Finger in Robins Arm und wackelte mit den Augenbrauen. »Und er hat nach dir gefragt.«

Robin tauchte den Becher in die Mehltüte. Sie war froh, dass Amanda wieder so gut gelaunt war, aber sie wollte nicht, dass ihre Schwägerin sie verkuppelte. Cecile Arton kam mit dem Job gut alleine klar, und Robin brauchte nicht zwei davon in ihrem Leben. Sie brauchte nicht mal eine Kupplerin. Der gestrige Abend war der beste Beweis dafür. »Wie gesagt, wahrscheinlich will er die Bücher prüfen. Und du hast ihn mit Kaffee übergossen.«

»Jedenfalls habe ich ihm versprochen, dass er irgendwas zur Entschädigung bekommt. Er hat gefragt, ob er das Versprechen ein anderes Mal einlösen kann, das heißt, er kommt auf jeden Fall wieder. Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«

»Warum sollte ich eine War…«

Ein schriller Schrei schnitt den Rest ihrer Frage ab. Ein entsetzlicher Laut, gefolgt von einem dumpfen Schlag. Robins Nervenenden kribbelten und alles verkrampfte sich. Ihr Herz, ihre Lunge, ihr Gehirn – alles erstarrte. Bis der Schrei ihres Sohnes zu Robin durchdrang und ihre Beine in Bewegung setzte. Sie warf den Messbecher fort und rannte mit tausend schrecklichen Gedanken zu ihrem Sohn, der zusammengesunken im Gras lag.