Micaela hat ihren Pilotenschein auf einer SF.260EA gemacht, einer einmotorigen Propellermaschine, die so alt war, dass sogar schon ihr Vater lange vor ihrer Geburt damit geübt hatte. Doch nachdem Micaela eingestiegen war, kam ihr das Flugzeug gar nicht mehr veraltet vor, sondern elegant. Und leicht. Vor allem aber hatte es Flügel und war in der Lage, sie hinauf in den Himmel zu bringen, wo sie schon immer hingewollt hatte.
Micaela erinnert sich noch gut an die Angst und die Euphorie, die sie empfand, als sie sich zum ersten Mal im Cockpit einschloss, den Motor startete und den Steuerknüppel hochzog.
Auch jetzt empfindet sie dieselbe Angst und dieselbe Euphorie, obwohl sie nicht im Cockpit einer Militärmaschine sitzt, sondern auf einem Plastiktisch liegt und kurz davor steht, von der Maschine verschlungen zu werden.
Die Maschine nimmt den Großteil der Fläche des Transfersaals ein. Sie hat die Form eines riesigen Zylinders mit einem Loch in der Mitte, in das der Tisch hinein- und wieder hinausfahren kann. Das Ganze wirkt auf eine vage Weise beunruhigend und erinnert stark an ein Krankenhaus, ein Eindruck, der durch das medizinische Personal verstärkt wird, das sich nun an Micaela zu schaffen macht: die Ärztin, der Assistenzarzt und die Krankenschwester.
Wenn Micaela den Kopf dreht, sieht sie hinter ihnen auch den Techniker und die Systemanalytikerin stehen, die noch ein letztes Mal alle Daten überprüfen, und auf der anderen Seite Jerry den Analysten, der wieder seinen orangefarbenen Kopfhörer aufgesetzt hat.
Schließlich nimmt er ihn ab, legt ihn sich um den Hals und reckt einen Daumen hoch. »Wir sind so weit.«
Das ist keine Frage, sondern eine Bestätigung, deshalb antwortet auch niemand.
Noch fünf Minuten bis zum Einsatzbeginn. Micaela liegt in einer neuen Verkleidung auf dem Tisch.
Anstelle des dunklen Camouflage-Overalls trägt sie jetzt ein knielanges hellblaues Hemdblusenkleid und darüber eine weiße Küchenschürze. Blickdichte hautfarbene Strumpfhosen, wie ältere Frauen sie bevorzugen, und flache schwarze Schuhe. In ihr kurzes Haar hat sie sich eine Dienstmädchenhaube gesteckt. Sie wird von einem Knochenstab verstärkt, den Micaela im Notfall als Messer einsetzen könnte.
Alles, was sie trägt, besteht aus organischen Materialien, angefangen von den Schuhabsätzen aus Holz über die Hornknöpfe des Hemdblusenkleids bis hin zur Strumpfhose aus reiner Baumwolle: Nicht-organische Materialien dürfen nicht in die Maschine, nicht einmal Zahnplomben (die Micaela zum Glück nicht hat).
»Vier Minuten bis zum Eingangspunkt«, sagt Jerry.
Der Plastiktisch ist eiskalt und stinkt nach Desinfektionsmitteln. Vom blendenden Licht der Neonröhren an der Decke bekommt Micaela Kopfschmerzen.
Sie schaut zu, wie Ärztin und Assistenzarzt die Infusionen vorbereiten. Die Flüssigkeit in den Beuteln ist von einem derart intensiven Lila, dass sie zu leuchten scheint, ganz so, als ob sie radioaktiv wäre. Vielleicht ist sie das tatsächlich, aber das würden sie ihr wohl nicht sagen.
»Drei Minuten.«
»Wir sind fast so weit«, sagt Natalia, die Ärztin.
Der Assistenzarzt geht zu Micaela. »Ich fange jetzt an, dir die Nadeln zu setzen, in Ordnung? Ich versuche, dir dabei nicht wehzutun.«
»Das wird nicht leicht«, erwidert sie grinsend. Sie hat schon so viele Stiche … fast wie ein indischer Fakir. Oder wie ein Junkie im Endstadium.
Als die erste Infusionsnadel gesetzt wird, zuckt sie. Dann beißt sie die Zähne zusammen, während die zweite, dritte, vierte, fünfte Nadel durch ihre Kleidung und ihre Haut gestochen werden. Insgesamt sind es siebzehn.
»Zwei Minuten«, sagt Jerry.
»Ich verbinde jetzt die Nadeln mit den Infusionen«, kündigt Natalia an. »Los, Martin, wir dürfen uns nicht verspäten.«
»Es ist schwieriger als vorgesehen«, brummelt der Assistenzarzt. »Aber ich bin fast fertig.«
»Noch eine Minute.«
»Fertig. Tina, hilf mir, die anderen Beutel anzuschließen.«
Die Ärztin beugt sich über Micaela, eine dunkle Gestalt vor dem blendenden Hintergrund des Neonlichts. »Wo willst du die Rückkehrampulle hinhaben?«
»Rechter Oberschenkel«, antwortet die Agentin.
»Verstanden. Ich pikse dich da jetzt, es brennt ein bisschen. Um zurückzukehren, musst du die Ampulle durchbohren, damit das Serum in den Blutkreislauf gelangt. Mit festem Druck, am besten mit einem Fingernagel oder einem sehr spitzen Gegenstand. Die Ampulle liegt jetzt ungefähr einen halben Zentimeter tief unter der Haut. Falls es nicht funktionieren sollte, holen wir dich zurück. Und falls wir merken, dass mit deinen Vitalwerten etwas nicht stimmt, holen wir dich ebenfalls zurück, und zwar unverzüglich, egal, wie weit du mit deinem Einsatz gekommen bist. Wir haben dich immer unter Kontrolle, auch wenn du auf der anderen Seite bist.«
Micaela hat sich diesen Vortrag wohl schon tausend Mal angehört, aber sie bittet die Ärztin dennoch nicht, ihn abzukürzen: Es ist so ähnlich wie die unzähligen Sicherheitsinformationen, die Stewardessen vor dem Start geben.
»Tina, bist du mit den Beuteln fertig?«
»Alle verbunden!«
»Jerry, wie lange noch?«
»Vierundvierzig Sekunden.«
Die Ärztin schaut auf ihre Smartwatch. Sie gibt dem Assistenzarzt ein Zeichen.
»Öffnung Infusion 1 … jetzt!«, befiehlt sie. »Infusion 2 … jetzt. Infusion 3 … jetzt!«
Die leuchtende lilafarbene Flüssigkeit rinnt durch die Plastikschläuche und die Infusionsnadeln.
»Dreißig Sekunden«, verkündet Jerry.
»Die Maschine ist eingeschaltet und bereit«, meldet der Techniker.
»Die Agentin wird jetzt reingefahren.«
Der Plastiktisch gleitet surrend ins Innere der Maschine. Sie sieht tatsächlich wie ein medizinisches Gerät aus.
Während sich der Tisch bewegt, spannen sich die Infusionsschläuche und zerren an Micaelas Haut, was ziemlich wehtut. Dieses besondere Gefühl wird immer stärker, es erfüllt Micaela, es dröhnt in ihren Ohren.
»Zwanzig Sekunden«, sagt Jerry.
»Beginn des Transfers«, berichtet der Techniker.
»Infusion 12 … jetzt! Infusion 14 … jetzt!«
»Fünfzehn Sekunden.«
»Infusion 16 … jetzt! Infusion 17 … jetzt!«
»Noch fünf Sekunden«, warnt Jerry.
Leutnant Falco hält den Atem an.
Sie schließt die Augen.
»Drei. Zwei. Eins.«