Micaela stürzt. Schlägt sich den Ellbogen, die Schulter, den Kopf an. Bleibt keuchend liegen.
Wo ist sie? Wer ist sie? Warum ist sie hier?
Allmählich steigen aus den tiefsten Bereichen ihres Gehirns die Antworten auf die beiden letzten Fragen an die Oberfläche. Sie ist Leutnant Falco und ihr Einsatz hat begonnen.
Aber wo ist sie gelandet?
Es stinkt nach Desinfektionsmitteln und der Fußboden ist kalt und feucht. Fliesen. Im Sturz vorhin ist sie gegen ein Waschbecken geknallt. An der langen Wand rechts von ihr befindet sich eine ganze Reihe davon. Links sind WC-Kabinen.
Eine öffentliche Toilette.
Die Toilette einer Schule.
Eine Toilette des Gymnasiums D’Arturo-Horn.
Eine Toilette des Gymnasiums D’Arturo-Horn, das demnächst in die Luft fliegen wird.
Ihre Verwirrung legt sich. Nur noch knapp zwei Stunden bis zur Stunde null, bis zu dem Augenblick, in dem die Bombe explodiert, die das Gebäude zerstören und alle darin befindlichen Schüler töten wird.
Das ist ihre letzte Chance, es zu verhindern, und deshalb gilt jetzt der Satz, den man so oft in Spielcasinos hört: Rien ne va plus, nichts geht mehr.
Micaela steht auf, schaut in den Spiegel über einem der Waschbecken. Der Analyst ihres Teams hatte behauptet, dass sie als Schülerin gekleidet in der Schule Probleme bekäme. Ein Lehrer, der sie in einem der Flure anträfe, würde sie sicherlich zurück in ihr Klassenzimmer schicken. Deshalb muss sie bei diesem Einsatz die Rolle einer sehr jungen Referendarin spielen: Das starke Make-up lässt sie ein paar Jahre älter aussehen, der kastanienbraune Hosenanzug, die Bluse und die bequemen Schuhe unterstützen diese Wirkung.
Das dezente Outfit ist so konzipiert, dass es ihr maximale Bewegungsfreiheit lässt. In der Naht des linken Ärmels ist ein langes Messer aus Knochen verborgen, in die rechte Jackentasche ist ein hölzerner Schlagring eingenäht, mit Spitzen, die sie im Notfall auch als Schere, Pinzette und Kreuzschlitzschraubenzieher einsetzen kann. Kein großartiges Werkzeug, um eine Bombe zu entschärfen, aber sie wird damit zurechtkommen.
Micaela verlässt den Waschraum. Gegenüber von ihr sind die Türen der 11a, b und c, der 12f und des Chemiesaals. Sie kennt die Grundrisse der Schule, sie hatte sie bereits für ihren ersten Einsatz auswendig gelernt, als sie vorgab, eine Schülerin aus der 12d zu sein.
Das ist unglaublich, denkt sie. Es kommt mir vor, als wäre seither ein Jahr vergangen.
Automatisch schaut sie auf ihr Handgelenk, doch die Smartwatch hat sie in der Basis zurücklassen müssen und im Grunde braucht sie keine Uhr, um zu wissen, dass Eile geboten ist. Die Bombe muss irgendwo hier sein, sie muss sie finden und entschärfen.
Es wird nicht leicht sein.
Sie denkt an die Botschaft, die ihr jemand vor Antritt dieser Zeitreise geschickt hat: Denk positiv. Geh immer aufs Ganze!
Micaela hofft, dass es ein gutes Omen ist. Sie nimmt die Schultern zurück, senkt den Kopf und geht los.