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Samstag, 20. Mai, 11:09
23 Stunden und 13 Minuten nach Stunde null

Die Feinde haben die Brandschutztür sabotiert: Die äußere Klinke ist abgeschraubt, die Angeln sind festgeschweißt. Von außen gibt es keine Möglichkeit mehr, die Tür zu öffnen.

Das Team handelt lautlos, damit die hinter der Tür nicht merken, was draußen vorgeht. Die Kommandantin gibt mit der Hand ein Zeichen. Die Erste und die Zweite Wache stellen sich mit umgehängten Maschinengewehren zu beiden Seiten der Tür auf. Die Erste Wache drückt eine mit Magneten versehene kleine Plastikdose gegen die Tür. An der Dose blinkt ein rotes Lämpchen. Die dazugehörige Fernsteuerung hat die Erste Wache in der Hand.

Die Kommandantin bedeutet Rot und Blau, sich weiträumig von der Tür zu entfernen, und hält eine Hand hoch, mit drei emporgereckten Fingern. Dann nur noch zwei Finger. Einer. Die Erste Wache drückt auf den Knopf der Fernbedienung, das rote Lämpchen erlischt, die Plastikdose explodiert.

Die Explosion ist nicht besonders laut, doch die Wand erbebt. Die Metalltür wölbt sich erst nach innen, dann reißt sie auf, als wäre sie aus dünnem Blech. Die Erste und die Zweite Wache warten nicht, bis sich der Rauch verzogen hat. Sie treten das ein, was von der Tür noch übrig ist.

»Stehen bleiben!«, ruft die Kommandantin. »Hände hoch, leistet keinen Widerstand!«

Mit der Pistole in der Hand stürzt sie in Lagerraum K hinein, Rot und Blau folgen ihr auf den Fersen. Der Raum ist groß und nur schwach beleuchtet. Am Boden liegen unzählige Kabel, an den Wänden stehen Stapel von Kisten, Kartons und Luftpolsterfolierollen.

Zwei Personen, eine Frau und ein Mann, sitzen vor einer Anordnung von Computern, deren Tastaturen und Monitore auf Tapeziertischen aufgestellt sind. Sie hatten diesen Überfall nicht erwartet, die Explosion hat sie überrascht. Sie drehen sich auf ihren Stühlen um und wollen zu ihren Waffen greifen, doch die Erste und die Zweite Wache stehen bereits hinter ihnen. Sie halten ihnen schreiend die Läufe ihrer Maschinengewehre ins Gesicht und befehlen ihnen, die Hände zu heben. Sie gehorchen.

Rot begreift, dass die Frau Liz sein muss, die Adjutantin. Der Mann ist Data.

Die Erste und die Zweite Wache handeln mit routinierter Brutalität, sie lassen den beiden keine Zeit zum Nachdenken oder zu protestieren. Sie reißen sie von ihren Stühlen, werfen sie zu Boden, fesseln sie mit Kabelbindern und fixieren sie am Boden, indem sie ihnen einen Fuß in den Rücken drücken.

Als Rot nur wenige Stunden zuvor versucht hat, in Sektor Lila einzudringen, hat er eine ähnliche Behandlung erfahren. Er weiß nur zu gut, welche Schmerzen die harten Sohlen der Kampfstiefel verursachen und wie hilflos man sich in dieser Situation fühlt.

»Jerry, hol Coleman sofort da raus!«, befiehlt die Kommandantin.

Rot schaut zu der Maschine hinüber, die in der gegenüberliegenden Ecke des Lagerraums steht. Sie sieht genauso aus wie die, in der Micaela verschwunden ist, nur dass man ihr ansieht, dass sie noch nicht fertig installiert wurde: Ein Kontrollpad hängt halb herunter, überall sind Siegel und Klebebandreste.

Jerry eilt zu dem Platz am Tapeziertisch, an dem kurz zuvor noch Liz saß.

»Es dauert einen Moment«, sagt er. »Ich setze die Prozedur in Gang …«

»Wir haben keinen Moment!«, schreit die Kommandantin. »Ich will ihn sofort zurückhaben, augenblicklich!«

»Gleich, nur noch ein bisschen … Fast fertig … Jetzt!«

Von dem riesigen Zylinder geht ein tiefes Summen aus, sodann blitzen verschiedenfarbige Lämpchen auf, die so grell leuchten, dass Rot wegschauen muss.

Adjutantin Liz, die immer noch flach am Boden liegt, mit hinter dem Rücken gefesselten Händen, ruft: »So bringt ihr ihn um! Es ist sein vierter Einsatz. Er wird eine beschleunigte Rückkehr nicht überstehen. Das muss medizinisch überwacht werden!«

»Stimmt das? Kann er dadurch sterben?«, fragt die Kommandantin Jerry.

»Das müssen wir unsere Ärztin fragen.«

»Owen, bring die Gefangenen weg, alle beide, und bewache sie. Ich verbiete dir, mit ihnen zu sprechen, und wenn ihnen etwas zustößt, ziehe ich dich dafür zur Verantwortung. Mark, du gehst die Ärztin holen, ich will nicht, dass dieser Verräter stirbt, bevor wir ihn verhört haben.«

Sie spricht so schnell, dass Rot kaum mitkommt. Jetzt bedauert er, dass er sich im Englischunterricht nie besonders angestrengt hat. Doch der Sinn ihrer Worte ist ziemlich klar.

Einer der beiden Soldaten befiehlt der Adjutantin und Data aufzustehen, er schiebt sie vor sich her durch die zerstörte Tür, ohne sein Maschinengewehr zu senken. Der zweite Soldat verlässt ebenfalls eilig den Lagerraum und kehrt kurze Zeit später mit der Ärztin zurück, die einen Rollwagen voller Medikamente und medizinischer Instrumente hinter sich herzieht.

Sie legt eine bereits gefüllte Spritze bereit und macht den Defibrillator einsatzfähig.

»Sobald ihr so weit seid«, sagt sie.

»Jerry?«, fragt die Kommandantin. »Bring mir diesen Halunken her, jetzt!«

Der Analyst grinst. »Zu Befehl, Generalin.«