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Hay’s Mews war den ganzen Nachmittag über ein Tummelplatz für Polizisten und Kriminaltechniker gewesen. Auch wenn die Leiche im Keller schon seit Jahrzehnten dort gelegen hatte, mussten die Behörden dennoch sicherstellen, dass kein Verbrechen stattgefunden hatte, zumindest nicht in einem für die Ermittlungen in Frage kommenden Zeitraum. Nun, da die Dämmerung über die Stadt hereinbrach, standen nur noch zwei Fahrzeuge da. Ein weißer Lieferwagen, der als privater Krankenwagen ausgewiesen war und darauf wartete, die Leiche mitzunehmen, und ein kirschroter FIAT Uno, der einem Forscherteam der University of Central London gehörte, das die letzten vier Stunden damit verbracht hatte, den versteckten Raum zu erkunden und dessen Inhalt zu untersuchen.

Rebecca Langley, die Fahrerin des Krankenwagens, lehnte in der Tür, die durch die eingestürzten Ziegelsteine freigelegt worden war, und beobachtete die Mitarbeiter der Universität, die eifrig Fotos schossen, Messungen vornahmen und sich in gedämpftem Ton unterhielten. Ihr Kollege Anil hatte schon aufgegeben und war verschwunden. Wahrscheinlich stand er gerade am Lieferwagen und telefonierte mit seiner Freundin.

Rebecca gähnte gelangweilt, denn die Aufregung, in Jack the Rippers Gruselkabinett zu stehen, war verflogen. Als sie an diesem Nachmittag aufgetaucht waren, hatte sie erwartet, dass es ein schnelles Ding werden würde. Die Leiche sollte in der öffentlichen Leichenhalle von Westminster abgegeben werden, der nächstgelegenen Einrichtung in Mayfair. Das war schon vor Stunden gewesen. Ihre Schicht hätte schon längst zu Ende sein sollen und es ärgerte sie, dass sie trotz der Überstundenvergütung ihren Abend mit so etwas verschwendete. Sie hatte Pläne. Eigentlich sollte sie jetzt mit ihrem Mann bei Jacque’s sein und ein Glas Chardonnay und einen Teller mit gebratenen Jakobsmuscheln genießen. In dem französischen Restaurant war es bekanntermaßen schwer, einen Tisch zu bekommen, und die Warteliste konnte sich über Wochen hinziehen. Stattdessen stand sie in einem staubigen Keller, während ihre Reservierung an irgendeinen Glückspilz ging, und ihr Mann aß ein Fertiggericht aus der Mikrowelle vor dem Fernseher. Das würde sicher eine wunderbare Geschichte abgeben, sobald der Frust über das versäumte Date abgeklungen war. So aber konnte sie nicht einmal ihrem Mann davon erzählen. Es gab eine Nachrichtensperre über die erstaunliche Entdeckung, zumindest bis die Behörden den Tatort untersucht und die Leiche abtransportiert hatten. Das Letzte, was man wollte, war, dass eine Horde übereifriger Reporter und glotzender Gaffer das Stadthaus stürmte. Nicht, dass die Entdeckung lange geheim bleiben würde. Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass immer etwas an die Presse durchsickerte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die eifrigen Journalisten mit ihren Pressewagen auftauchten, zumindest solange, bis eine andere brandaktuelle Meldung ihre Aufmerksamkeit erregte.

Irgendetwas war los. Die Spannung, die den feuchten Keller durchdrang, stieg deutlich an. Eine Forscherin, eine mausgraue Frau mit strohblondem Kurzhaarschnitt, die sich als Callie vorgestellt hatte, rief ihrem Assistenten mit vor Aufregung schwerer Stimme zu: „Martin, bring mir einen Probenbeutel, so schnell du kannst.“

Ein hagerer Junge, der kaum alt genug aussah, als hätte er die Schule abgeschlossen, wandte sich von dem blutigen Messer auf dem Schreibtisch ab und kramte eine Plastiktüte aus einem Spurensicherungskoffer, der auf dem Boden stand.

Er reichte sie seiner Vorgesetzten. „Was haben wir denn hier?“

„Eine Art Staub“, Callie betrachtete das Gesicht der Leiche und die braune Haut, die sich darüber spannte. „Wie Metallspäne. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, es sei Gold.“

„Genau wie die Handschellen.“ Martin blickte nach hinten zu einer Plastikwanne, in der die meisten der kleineren losen Gegenstände lagen, die bereits an Ort und Stelle fotografiert worden waren. Einer davon, der eine halbe Stunde zuvor für Aufregung gesorgt hatte, waren die goldenen Handschellen, mit denen die Handgelenke der Leiche hinter dem Rücken zusammengebunden waren. Ursprünglich hatten die Forscher sie an Ort und Stelle belassen, aber allein durch die Untersuchung lösten sich die Handschellen von dem ausgemergelten Körper. Als sie sie aufhoben, war aufgrund ihres Gewichts klar, dass sie aus purem Gold bestanden.

„Das wird ja immer seltsamer.“ Callie richtete sich auf. „Ich glaube, ich habe alle Metallpartikel aus dem Gesicht. Wir werden sie an der Uni untersuchen.“

Rebecca fragte sich, wie lange das Ganze wohl noch dauern würde. Sie hatte zwar ihre Reservierung im Restaurant verpasst, aber sie wollte trotzdem vor Mitternacht zu Hause sein. Sie kramte in ihrer Hosentasche und holte eine Zigarettenschachtel heraus, zog eine aus der Schachtel und hielt sie sich an den Mund.

„Tut mir leid.“ Callie starrte in ihre Richtung. „Die kannst du hier drin nicht anzünden.“

„Na gut. Dann mache ich mich eben vom Acker. Sagt mir einfach Bescheid, wenn ihr fertig seid.“ Rebecca stapfte durch den Keller zurück in den ersten Stock und machte sich dann auf den Weg durch das Gebäude hinaus auf die Straße.