18

Es war kurz nach zehn Uhr morgens, als Decker aufwachte. Kaum hatte er sich den Schlaf aus den Augen gewischt, hörte er ein leises Klopfen an der Zimmertür. Er zog sich schnell an und öffnete die Tür. Dort wartete Colum, der seit dem Kampf mit Grendel eine Schlinge trug, die nun nicht mehr zu sehen war.

„Komm rein“, sagte Decker und machte sich auf den Weg ins Bad, um sich frisch zu machen. Er ließ die Tür offen und rief über seine Schulter: „Was ist mit der Schlinge passiert?“

„Ich habe sie abgelegt. Das verdammte Ding hat gejuckt und war nur lästig.“

„Bist du sicher, dass das klug ist?“ Decker spritzte sich Wasser ins Gesicht, dann verließ er das Bad und trocknete sich mit einem Handtuch ab. Er warf das Handtuch auf das Bett. „Es ist doch noch nicht so lange her.“

„Schon in Ordnung. Ich habe Schlimmeres erlebt, glaub mir.“ Colum stand am Fenster und blickte hinaus auf die grüne Weite des Hyde Parks. „Die Schlinge bleibt unten.“

„Wie du willst.“ Decker zuckte mit den Schultern. „Hattest du Glück mit den Aufzeichnungen über das Grundstück?“

„Ich glaube, ich habe etwas gefunden“, sagte Colum und drehte sich zu Decker um. „Es hat etwas gedauert, ihn ausfindig zu machen. Ich musste mich auf einigen Websites für Ahnenforschung anmelden, um Zugang zu den Daten der Volkszählung im London der 1880-er Jahre zu bekommen, aber wir haben einen Verdächtigen.“

„Wirklich?“ Decker zog eine Augenbraue hoch. Er ging zur Kaffeemaschine und machte sich daran, sein morgendliches Getränk zuzubereiten. „Das ging aber schnell.“

„Ich war bis 4 Uhr morgens auf, aber das war es wert. Faszinierendes Zeug.“

„Willst du auch einen Kaffee?“, fragte Decker und wunderte sich, dass Colum so wach aussah.

„Nie im Leben“, antwortete Colum. „Ich kann Hotelzimmerkaffee nicht ausstehen. Das reinste Abwaschwasser. Ich warte lieber.“

„Na gut. Erzählst du mir, was du herausgefunden hast?“, bat Decker. „Hast du einen Namen?“

„Abraham Turner“, antwortete Colum. „Zumindest ist das der Name, der in den Grundbucheinträgen für diese Zeit als Eigentümer des Gebäudes angegeben ist. Er ist auch in der Volkszählung von 1881 aufgeführt, wo er als einziges Mitglied des Haushalts geführt wird und sein Alter mit sechsunddreißig Jahren angegeben wird.“

„Damit liegt er in einer vernünftigen Altersspanne für den Whitechapel-Mörder.“

„So ist es. Jetzt wird es noch interessanter. In der Volkszählung von 1871 konnte ich keine entsprechenden Aufzeichnungen finden, aber in jedem der drei Jahrzehnte davor lebte ein Abraham Turner an dieser Adresse, bis hin zur Volkszählung von 1841, in der er ebenfalls mit sechsunddreißig Jahren angegeben ist.“

„Ich gebe zu, das ist faszinierend, aber es beweist nicht, dass wir die Identität eines vampirhaften Jack the Ripper gefunden haben. Wir wissen nur, dass sein Vater denselben Namen trug.“

„Stimmt. Aber bei der Volkszählung von 1891 ist Abraham Turner bereits verschwunden. In den nachfolgenden Aufzeichnungen wird er nicht mehr erwähnt.“

„Das ergäbe Sinn, wenn er in einem Keller gefangen war“, sagte Decker. Der Kaffee war fertig. Er nahm ihn in die Hand und trank einen Schluck, dann verzog er das Gesicht. „Heiliger Strohsack, der ist ja furchtbar.“

„Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt“, sagte Colum grinsend. „In der Lobby gibt es einen Costa Coffee. Ich lade dich ein.“

„Das ist sehr großzügig, wenn man bedenkt, dass du ihn wahrscheinlich Adam Hunt in Rechnung stellen wirst“, sagte Decker lachend, als sie das Zimmer verließen und sich auf den Weg zum Aufzug machten.

„Ich bin Ire, Gastfreundschaft liegt in meiner Natur“, antwortete Colum. „Selbst wenn jemand anderes die Rechnung übernimmt.“

„In diesem Fall bekomme ich auch ein Plundergebäck.“ Decker ließ Colum zuerst in den Aufzug steigen und folgte ihm dann. Sie fuhren hinunter in die Lobby und machten sich auf den Weg in den Coffee Shop. Während sie auf ihre Getränke warteten, kam Decker wieder auf das Haus in Hay’s Mews zu sprechen. „Ich frage mich, was mit dem Grundstück passiert ist, nachdem Abraham Turner verschwunden war.“

„Nichts.“ Colum zuckte mit den Schultern. „Ich konnte nach der Volkszählung von 1881 jahrzehntelang keine weiteren Informationen über das Gebäude oder seine Bewohner finden. Es gibt keine Verkaufsunterlagen, keine Geburts- oder Sterbeurkunden, die jemanden unter dieser Adresse anführen, keine Heiratsurkunden. Es sieht so aus, als ob das Haus einfach so dasteht, unbewohnt und vergessen.“

„Adam Hunt erwähnte eine Organisation, die den Ripper jagte und sich heimlich um die Angelegenheit kümmerte. Ein Vorläufer der CUSP. Vielleicht haben die die Kontrolle über das Grundstück übernommen.“

„Das ist eine ebenso gute Theorie wie jede andere“, gab Colum zu. „Es klingt logisch. Man würde sicherstellen wollen, dass das Haus nicht in die falschen Hände gerät, damit Jacks unterirdisches Gefängnis nicht entdeckt würde. Sieht so aus, als hätte das auch geklappt. Zumindest bis 1941, als die Straße von einer deutschen Brandbombe getroffen wurde, die mehrere Gebäude, darunter auch Jacks Haus, fast vollständig zerstörte. An dieser Stelle setzen die Aufzeichnungen wieder ein. Nach dem Krieg wurden die Gebäude in Hay’s Mews wieder aufgebaut.“

„Und als eine weitere Brandbombe alle Aufzeichnungen unseres Vorgängers zerstörte, ging das Geheimnis um die wahre Identität des Rippers und seinen Aufenthaltsort für immer verloren.“

„Bis diese Arbeiter vor ein paar Tagen die Mauer einrissen und den versteckten Raum dahinter entdeckten.“

„Ganz genau“, sagte Colum.

Ihre Kaffees waren gekommen. Decker wollte sich gerade einen nehmen, als sein Handy klingelte. Er ging ran. Es war Mina. Nachdem er aufgelegt hatte, wandte er sich an Colum. „Gute Nachrichten. Mina hat es geschafft, uns in das Versteck des Rippers zu bringen.“

„Glaubst du, wir finden dort etwas Nützliches?“, fragte Colum.

„Ich habe keine Ahnung“, gab Decker zu. „Aber es ist zumindest ein guter Ausgangspunkt.“