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Abraham Turner stand in der Dunkelheit zwischen den Bäumen in der Nähe der Eisenbahnschienen und wartete ab, was als Nächstes passieren würde. Auf der anderen Seite des schmalen Weges, ebenfalls versteckt hinter dem zerfallenen und verlassenen Stellwerk, wartete der junge Mann. Die Temperatur war in den Abendstunden gesunken und ein kalter Wind zerrte an Abrahams Kleidung und zerzauste das schüttere Haar, das noch an seinem Schädel klebte. Abraham machte das nichts aus. Er hatte schon viel kältere Gefilde überstanden. Vor vielen Jahrhunderten hatte er einmal bei starkem Schneefall mehrere Tage lang in der Nähe des Hadrianswalls kampiert und sich mit dem Rest seiner Einheit aneinander gekauert, um sich zu wärmen. Einige von ihnen erfroren, ihre Finger waren schwarz von Erfrierungen, ihre Gesichter blau. Als die Schlacht begann, war ihre Zahl um ein Drittel geschrumpft, und der Rest war schwerfällig und steif. Alle bis auf Abraham und ein paar andere von seiner Sorte. Solche Dinge machten ihnen nichts aus.

Fünfzehn Minuten waren vergangen.

Abraham begann sich zu fragen, ob überhaupt irgendetwas geschehen würde. Er war dem Mann nur aus Neugier gefolgt, aber langsam verlor er die Geduld. Vielleicht sollte er einfach rübergehen, dem Mann das Leben nehmen und sich sein Messer zurückholen.

Doch dann hörte er Schritte aus der Richtung der Eisenbahnbrücke.

Abraham schob sich nach vorne und spähte zur Brücke, wo er eine schlanke Frau sah, vielleicht grade mal Anfang zwanzig, die auf die beiden zulief. Sie hatte rote Haare, die von der steifen Brise nach hinten geweht wurden. Außerdem trug sie einen blauen Mantel. Ihre Beine waren unter einem knappen schwarzen Rock entblößt, der ihr bis zu den Oberschenkeln reichte, trotz des kalten Hauches, der in der Luft lag.

Sie war allein.

Von der anderen Seite des Weges nahm Abraham eine flüchtige Bewegung wahr. Er war nicht der Einzige, der die Annäherung der Frau bemerkt hatte. Der junge Mann hatte sich an die Seite des Stellwerks geschlichen, das Messer in der Hand, erhoben und bereit zum Angriff.

Die Frau stieg die Stufen hinunter, als sie von der Brücke kam, und ihre Absätze klapperten auf den Metallstufen. Sie erreichte den Fußweg und lief weiter, ohne die Gefahr zu erkennen, die nur wenige Schritte entfernt lauerte. Die Leute waren heute genauso dumm, dachte Abraham, wie in den glorreichen Tagen seiner Whitechapel-Morde. Niemand dachte je daran, dass es ihn selbst treffen könnte.

Das Mädchen war jetzt auf gleicher Höhe mit dem Stellwerk. Sie kam zügig voran, eine kleine Handtasche hing von ihrer Schulter.

Der Mann, der auf der Lauer gelegen hatte, witterte seine Chance. Er trat hinter ihr auf den Weg hinaus.

Sie spürte die Bewegung und vollführte überrascht eine halbe Drehung.

Der junge Mann schlang schnell einen Arm um ihre Taille, hielt sie in ihrer Vorwärtsbewegung fest und setzte ihr mit der anderen Hand das Messer an den Hals.

Ein erschrockenes Keuchen entrang sich ihrer Kehle.

Abraham wartete auf den erschrockenen Schrei der jungen Frau. Aber ihr Angreifer handelte zu schnell. Er zog ihr das Messer durch die Kehle, bevor sie einen Laut von sich geben konnte.

Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, als das Messer tief in ihren Hals eindrang und ihre Luftröhre durchtrennte.

Er zerrte sie zur Seite, weg vom Weg und in das dichte Unterholz, bevor er sie neben das Stellwerk zerrte. Als er sie losließ, stolperte sie vorwärts und ihr Mund öffnete und schloss sich wie der eines verletzten Fisches, der an Land gezogen wurde. Dann gaben ihre Beine nach und sie sackte zu Boden.

Abraham durchfuhr ein Adrenalinstoß, als er sah, wie das Blut aus der geöffneten Kehle der jungen Frau floss.

Der Mann stand über sie gebeugt, sein Gesicht war vom Rausch gerötet. Er beugte sich hinunter und wischte die Klinge des Messers am Rock der Frau ab, dann griff er in seinen Mantel und zog ein weißes Stück Stoff heraus. Ein Taschentuch. Dabei löste sich unbemerkt ein kleines Rechteck aus Papier und flatterte auf den Boden, wo es sich neben dem liegenden Körper der Frau niederließ.

Der junge Mann öffnete das Taschentuch und wickelte das Messer sorgfältig darin ein, dann steckte er es zurück in die Innentasche seines Mantels, bevor er den Reißverschluss des Mantels schloss. Er blieb noch einen Moment stehen und betrachtete sein Werk, dann trat er von der Frau weg und zurück auf den Weg und blickte sich vorsichtig um, während er dies tat.

Abraham trat einen Schritt zurück und ließ sich von den Schatten verschlucken.

Der Mann geriet jetzt in Bewegung. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und schlenderte in Richtung Eisenbahnbrücke, als hätte er überhaupt keine Sorgen.

Abraham beobachtete, wie er die Stufen zur Brücke hinaufstieg, bevor er aus seinem Versteck schlüpfte. Im Vorbeigehen blickte er auf die junge Frau hinunter, deren Gesicht bereits vom Tod gezeichnet war. Dann wandte er sich um und folgte dem jungen Mann.

Er stieg die Stufen hinauf und kam auf der Brücke heraus. Der Mann befand sich auf der anderen Seite der Brücke. Abraham folgte ihm, während ein Zug in der Dunkelheit unter ihm über die Gleise glitt und das rhythmische Klacken seiner Räder nach oben drang.

Er erreichte die andere Seite der Brücke und stieg die Stufen hinunter, dann folgte er dem jungen Mann in eine Wohnstraße mit Reihenhäusern, deren Fenster dunkel waren und deren Bewohner zweifellos schon schliefen. Er spürte ein Kribbeln der Vorfreude. Der Junge würde leicht zu überwältigen sein. Aber noch nicht jetzt. Er würde warten, bis der junge Mann sein Ziel erreicht hatte. Danach würde er sich sein altes Messer zurückholen und dann herausfinden, was der Junge über seine Uhr wusste.