Als die in der Agentur meinten, sie würden jemanden so schnell wie möglich vorbeischicken, hatte ich angenommen, dass frühestens morgen jemand kommen würde. Zu meinem Erstaunen war jemand namens Joseph schon auf dem Weg und würde bald hier sein. Es würde mich haufenweise Geld kosten, ihn über Monate zu bezahlen, aber wenn er nicht die Rezepte lernte und uns dann beibrachte, würde sich Marcoʼs niemals über Wasser halten können.
Mein Großvater hatte es verdient, dass sein Vermächtnis erhalten blieb.
Wenn er den Laden hätte verkaufen wollen, dann hätte er ihn meinem Vater oder meinem Onkel vererbt. Die hätten ihn längst auf dem Immobilienmarkt angeboten und würden schon überlegen, wie sie das Geld ausgeben könnten. Sie hatten kein Verständnis dafür, warum das Restaurant meinem Großvater so wichtig war. Hatten sie nie.
„Auto auf dem Parkplatz.“ June kam in die Küche, ihre Schürze zierte ein Fleck Cola-Sirup und ihr Haar klebte seitlich am Kopf. „Ich schätze, das ist der Neue. Es ist vielleicht besser, wenn du ihn in Empfang nimmst anstatt ich.“ Sie deutete auf ihre fleckige Kleidung.
Ich strich mit den Händen meine Kochjacke glatt. „Danke. Drück die Daumen, dass er sich dazu entschließt zu bleiben.“
Sie hob beide Hände mit gedrückten Daumen hoch.
„Es wird langsam, Adam. Ich habe die Soda-Maschine zum Laufen gebracht. Wenn wir mal wieder länger als für ein paar Sekunden schließen, müssen wir darauf achten, dass alles richtig ausgeschaltet ist.“
Ich hatte keine Ahnung, wovon sie redete, aber das musste warten. Ich musste jetzt zu dem neuen Koch. Möglichen neuen Koch. Ich sollte jetzt besser nichts überstürzen.
Ich lief hinaus, um ihn in Empfang zu nehmen, und blieb abrupt stehen, als ich die Traurigkeit auf seinem Gesicht sah. Das war kein gutes Zeichen. Ich entriegelte die Tür und öffnete dem attraktiven Alpha. „Ich bin Adam. Du musst Joseph sein.“ Ich reichte ihm meine Hand.
„Der bin ich.“ Er schüttelte meine Hand, die Wärme seiner Berührung fühlte sich etwas zu gut an. Das hier war kein Date, es war ein verdammtes Bewerbungsgespräch. „Tut mir sehr leid wegen Marco.“
„Danke, deshalb bist du hier. Mein Großvater ist gestorben und ich habe immer nur im Sommer hier ausgeholfen und weiß nicht das Geringste darüber, wie man ein Restaurant führt. Ich bin nur … Also, ich brauche Hilfe.“ Als Verhandlungstaktik verzweifelt zu wirken, war sicher nicht ideal, aber etwas an diesem Alpha gab mir das Gefühl, ich könnte ihm ruhig alles anvertrauen.
„Marco war ein guter Mann. Er wird sicher sehr vermisst.“ Er strahlte Aufrichtigkeit aus. Er kannte meinen Großvater. Das waren nicht die üblichen Floskeln, die man so sagte, er meinte es wirklich so.
„Woher kanntest du meinen Großvater?“ Ich trat zur Seite, um ihn hereinzulassen, und schloss hinter ihm gleich wieder ab. Das Schild allein würde nicht jeden Gast davon abhalten, einzutreten. Die Lektion hatten wir auf die harte Tour gelernt.
„Ich habe hier oft gegessen, es ist eines meiner Lieblingsrestaurants.“
„Wir hoffen, dass es bald wieder gut ist. Ich hatte versucht, zu öffnen, aber wir waren nicht vorbereitet. Seit mein Großvater nicht mehr da ist, schmeckt unser Essen nicht mehr so gut. Und selbst wenn es schmeckt, wird es nicht rechtzeitig fertig.“ Ich plapperte einfach drauflos, das musste aufhören. Nicht, weil er mich ansah, als sollte ich die Klappe halten, sondern weil er es nicht tat. Wenn ich so weitermachte, würde ich auch noch anfangen zu heulen, und das wollte ich auf gar keinen Fall. „Willst du dich erst einmal umsehen?“
Ich zeigte ihm den Gästebereich des Hauses.
Er stellte die üblichen Fragen und erzählte ein paar Anekdoten über Großvater von seinen früheren Besuchen. Alle Bedenken, die ich gehabt hatte, jemanden Neues einzustellen, lösten sich auf, als ich hörte, mit welcher Zuneigung er von dem Mann sprach, der mir so viel bedeutet hatte.
„Die Küche müsste vielleicht umorganisiert werden, weil ich das vielleicht nicht richtig gemacht habe. Eddie hat sich vorher immer darum gekümmert.“ Ich drückte die Schwingtür zur Küche auf. „Aber hier ist sie. Soll ich dir alles zeigen oder willst du dich selbst etwas umsehen?“
Er hatte seine eigenen Messer mitgebracht, ich hätte also gar nicht gewusst, was ich ihm sonst noch zeigen sollte. Was mir in der Küche wichtig war, hatte wahrscheinlich wenig mit dem zu tun, worauf es ihm ankam.
Wie aufs Stichwort klingelte das Telefon und traf die Entscheidung für uns beide.
Ich ging ans Telefon und er sah sich alles an. „Marcoʼs , Adam am Apparat. Wie kann ich Ihnen helfen?“
Das Telefonat entpuppte sich als kompliziert, daher versprach ich, in einer Stunde zurückzurufen.
Sie wollten ein Event hier veranstalten, sodass das Restaurant für alle anderen Gäste geschlossen blieb. Ich war mir nicht sicher, ob Großvater je so etwas gemacht hatte, und falls nicht, ob es dafür irgendwelche Bestimmungen gab. Soweit ich wusste, hasste er solche Dinge. Stammgäste waren seine wahre Liebe, er hätte solche Sonderwünsche also wohl eher abgelehnt.
Ich lief zu June, um ihre Meinung zu dem Thema einzuholen. Sie meinte, es wäre ihm wohl egal gewesen, aber er hatte solche geschlossenen Gesellschaften in der Vergangenheit nie gemacht. Mir fiel also nichts anderes ein, als einen Blick in den rettenden Ordner zu werfen.
Joseph kam zu mir an den Tisch, wo ich hektisch in den Unterlagen nach einer Antwort suchte, die ich dem Anrufer geben konnte. „Soll ich später wiederkommen?“
„Nein.“ Ich klappte den Ordner zu. „Tut mir leid. Ein Hochzeitsplaner hat angerufen und wollte wissen, ob wir in drei Monaten für eine große Familienfeier eine geschlossene Gesellschaft anbieten können. Sie wollte die Preise wissen und … keine Ahnung, ob wir so etwas hinkriegen würden. Ich weiß doch nicht einmal, ob wir Samstag wirklich eröffnen sollten, aber wir haben schon so viele Reservierungen.“
Er atmete tief durch und forderte mich nickend auf, das ebenfalls zu tun. „Tief durchatmen, Adam. Wir schaffen das.“
Wir. Nicht ich.
„Heißt das, du nimmst den Job an?“
„Natürlich. Wie könnte ich mir die Chance entgehen lassen, Marcos Traum am Leben zu erhalten?“ Er nahm mir den Ordner ab. „Sind da auch die Rezepte drin?“
Ich nickte. „Steht alles da drin.“
„Wie wäre es, wenn du sie zurückrufst und ihr sagst, dass du die Preise morgen früh per E-Mail schickst. Dann können wir beide hier reinschauen und überlegen, was wir zu welchem Preis anbieten könnten.“
Großvater musste mir Joseph geschickt haben. Es gab keine andere Erklärung. „Abgemacht!“