Karina
Oktober 2006
Gestern ist er vor der Schule aufgetaucht. Ich bin raus durchs Tor, und da war er, starrte mich von der anderen Straßenseite aus an. Ich bin auf ihn zugelaufen, sagte zu ihm, ich dachte, es solle geheim bleiben, und was, wenn uns jemand sehe? Er meinte nur, es spiele keine Rolle mehr.
Manchmal, wenn wir es miteinander machen, kriegt er einen komischen, abwesenden Blick, und dann kann ich ihm ansehen, dass er nicht mehr bei mir ist, nicht wirklich. Ich würde ihn hinterher immer gern fragen, woran er gedacht hat, aber normalerweise will er dann nicht reden. Ich frage mich, ob andere Männer genauso sind oder manche auch kuscheln wollen und ihrer Partnerin Dinge zuflüstern, so wie ich es gern hätte. Aber ich kann niemanden fragen.
Eigentlich hab ich immer alles mit Ellen besprochen – all die Meilensteine bisher. Wir haben unsere ersten BHs zusammen gekauft – ohne unsere Mütter. Sie haben uns anschließend auf einen heißen Kakao und Cupcakes eingeladen, und ich weiß noch, dass ich die Tüten angestarrt hab, die von unseren Stuhllehnen baumelten, und mich fragte, ob einer der anderen Gäste in dem Café auch nur ahnte, was da drinsteckte. Schlichte weiße Dreiecke aus weichem Stoff und ein kompliziertes Häkchensystem im Rücken, mit dem ich womöglich nie klarkäme.
Wir hatten sogar fast zeitgleich unsere erste Periode – sie in einem Monat, ich im nächsten. Wir hatten ewig darauf hingefiebert. Unsere Mütter hatten uns ein und dasselbe Buch gekauft: Das Tage-Buch
. Das hatten wir beide gleichermaßen verschlungen und bei der Aussicht darauf enorme Hoffnungen und Ängste gehabt.
Wir sind sogar beide in ein und derselben Nacht erstmals geküsst worden – während Tamara Greggs Party. Sie war die Erste. Ich hab sie mit diesem Jungen gesehen, der schlimm an Akne litt und sich das fettige Haar hochgezwirbelt hatte. Erst haben sie ewig miteinander gesprochen, sodass ich sie nicht unterbrechen wollte und stattdessen in die Küche gegangen bin, um mir was zu trinken zu holen. Als ich wiederkam, hatte er sie an die Wand gedrückt und quasi ihr komplettes Gesicht im Mund. Dann sah ich, wie er eine Hand seitlich an ihren Busen drückte und sie seine Hand wieder wegschob. Er versuchte es immer wieder, hat immer ein paar Minuten gewartet, bis er einen neuen Anlauf gestartet hat, aber jedes Mal hat sie seine Hand wieder weggeschoben. Das war auch der Grund, warum ich dann mit Andrew angefangen habe rumzuknutschen. Ich wollte nicht diejenige sein, die abgehängt wurde. Als er seine Hand hochschob, hab ich die Augen zugemacht und es geschehen lassen. Ich weiß noch, wie sie gequietscht hat, als ich es ihr später am Abend erzählt hab – sie auf der Luftmatratze in meinem Zimmer neben meinem Bett. Ich wünschte mir, ich könnte auch hierüber mit ihr sprechen. Sie fühlt sich im Moment so unendlich fern an.
Die andere komische Sache ist, dass er mich ständig nach Sasha fragt. Wie sie in der Schule so ist, wer ihre Freunde sind, ob es da Jungs gibt, an denen sie interessiert ist. Ich antworte jedes Mal, dass ich sie gar nicht so gut kenne, dass Ellen enger mit ihr befreundet ist, trotzdem fragt er mich immer wieder.
Ich muss mir irgendwie mehr Mühe geben, damit er nicht das Interesse an mir verliert. Ich will nicht, dass das mit uns zu Ende geht.