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Bring mich nicht in Verlegenheit

 

Lehrsatz Nr. 3

 

»Du bist der beste Hund auf der ganzen Welt«, sagte James, als er im Sterben lag.

Roman leckte ihm übers Gesicht und drückte ihm die Pfoten auf die Brust, doch der Geruch nach Blut stach ihm penetrant in die Nase und war so schneidend, dass es wehtat. Zu viel. Zu viel Blut.

Du hättest es nicht riskieren sollen. Warum hast du das getan?

James und Roman waren seit zwei Jahren in Afghanistan. Häufig fuhren sie in Jeeps oder Lastwagen an der Spitze langer Fahrzeugkolonnen. Ab und zu hielt der Jeep an und Roman und James stiegen aus. Roman ging voraus und beschnupperte die Straße, um zu sehen, ob die hinterhältigen, explosiven Dinger dort versteckt waren. Die explodierenden Sachen rochen unterschiedlich und hatten Namen wie C4 , Tovex oder Kaliumchlorat , aber Roman hatte gelernt, sie alle zu erkennen.

Außerdem suchten James und er auch offene Flächen ab, weitläufige heiße Felder, wo die Sonne unbarmherzig auf sie herabbrannte und das Gras gelblich und spärlich war. Dann rannte Roman voraus und schnupperte und James folgte ihm. Wenn Roman etwas fand, markierte James die Stelle, damit Männer kamen und die Erde aufgruben.

Es gab noch andere Hunde in Afghanistan, die immer zusammen mit ihren menschlichen Partnern zusammen unterwegs waren, genauso wie Roman mit James. Sie waren nie voneinander getrennt. Niemals. Wenn James aufs Klo oder unter die Dusche ging, saß Roman direkt vor der Tür und wartete.

Roman wusste, dass er anders war als die anderen Diensthunde, auf die sie trafen. Intelligenter . Er wusste zum Beispiel, dass er Leben rettete, wenn er die explosiven Dinger in der Erde fand. Er hatte Männer gesehen, denen die Beine weggerissen worden waren. Jeder, der über den Boden lief, den Roman vorher untersucht hatte, war sicher. Dafür sorgte er! James und er sorgten zusammen dafür. Sie waren die Klügsten und die Schnellsten und die Besten!

»Ich schwöre, dieser Hund versteht alles, was wir sagen«, ließ Wako, einer von James' Freunden, immer gerne vom Stapel.

Manchmal spielte James abends Karten mit Wako und einigen der anderen Männer. Dann saß Roman an James' Bein geschmiegt auf dem Boden. Zumindest, wenn die anderen Soldaten ihn nicht für Streicheleinheiten zu sich riefen.

»Natürlich versteht er, was wir sagen«, entgegnete James dann gedehnt. »Romans IQ ist ja auch wesentlich höher als deiner.«

»Du Pisser. Ro, komm her!« Wako streichelte Roman sehr gern. Roman spürte, dass es etwas Angespanntem und Aufgewühltem und Verletztem in ihm Linderung verschaffte, deshalb ließ er es geschehen, auch wenn er manchmal müde war und sich einfach nur neben James legen und ausruhen wollte.

James.

Warum hatte er das getan? Der Tag, an dem es passiert war… An dem Tag war von Anfang an irgendwas falsch gewesen. Roman hatte es gespürt, als er aufgewacht war, und versucht, James zu warnen. Sie sollten heute nicht arbeiten gehen. Doch James hatte ihn trotzdem nach draußen gezerrt.

»Was ist denn los mit dir?«, hatte er nachsichtig geschimpft. »Komm schon, Ro. Rock'n'Roll, Kumpel.«

Roman hatte nachgegeben, denn James hatte es von ihm verlangt und er wusste es am besten.

Die Kolonne, mit der sie an diesem furchtbaren Tag unterwegs gewesen waren, war angegriffen worden. Granaten und Schüsse prasselten von beiden Seiten der Straße aus auf sie ein. Die Fenster ihres Jeeps barsten und Splitter flogen überall herum. Kugeln schlugen mit dumpfen Geräuschen auf Metall. James drückte Roman nach unten und schirmte ihn ab. Draußen schrie jemand und Romans Kopf brannte wie Feuer. Er wand sich und winselte unter James' Brust.

James richtete sich ein Stück auf und sah ihn an. »Oh mein Gott! Roman ist getroffen worden!«

»Was?« Der Offizier am Steuer warf einen Blick zu ihnen nach hinten.

James berührte Romans Kopf neben seinem Ohr und es tat weh. Als er die Hand zurückzog, war sie voller Blut. »Scheiße, ich muss ihn zu einem Arzt bringen!«

Seine Stimme zitterte so stark, wie Roman es noch nie zuvor erlebt hatte. Er fühlte sich schwach und verängstigt und der Lärm draußen – der Lärm, an den er in der Ausbildung gewöhnt worden war – war plötzlich zu laut und zu bedrohlich. Er vergrub die Nase unter James' Knien und versuchte, sich in dem schmalen Spalt darunter zu verkriechen.

»Fuck, ich muss…«

»Sie werden diesen Wagen nicht verlassen, Sergeant. Wir sind unter Beschuss!«

»Da ist ein Sanitätsfahrzeug am Ende der Kolonne. Und es sieht so aus, als hätten unsere Jungs die Angreifer auf dieser Seite ausgeschaltet. Ich kann das schaffen.«

»Gottverdammt, warten Sie doch einfach, bis unsere Leute draußen Entwarnung geben.«

»Scheiß drauf, ihm wurde in den Kopf geschossen. Ich muss jetzt los!«

Die Tür wurde geöffnet und James zog Roman aus dem Jeep. Er stemmte ihn hoch, bis Roman über seinen Schultern lag. »Ich hab dich«, sagte James. »Ich hab dich.«

Dann duckte er sich und rannte los. Er hielt sich nahe an der Reihe aus Fahrzeugen und nutzte sie als Schild. Die Kolonne war in einer Kurve in den Hinterhalt geraten und der Wagen des Sanitätsdienstes – mit dem roten Kreuz auf Weiß – befand sich ganz hinten. Roman konnte ihn sehen, aber er schien so weit entfernt zu sein. Schüsse und Explosionen erklangen auf der anderen Seite der Fahrzeuge, während James weitereilte. Die Hälfte der Strecke hatten sie mittlerweile geschafft und James atmete schwer, weil er geduckt rennen musste.

Plötzlich wurde alles um sie herum weiß. Die Explosion schleuderte Roman von James weg. Er flog durch die Luft, schlug ein paar Meter von ihm entfernt auf und rollte noch ein Stück über den Boden. An der Unterseite seiner Pfoten brannten unzählige Schnitte und die Wunde an seinem Kopf strahlte brüllenden Schmerz aus. Es war seltsam still, als er sich umsah. Er erkannte Lichtblitze und Panzer, die auf eine niedrige Hügelkette feuerten, zwischen denen schwarzer Rauch aufstieg. Er konnte sehen, wie sich Männer in der Ferne in einen Kampf verwickelt etwas zuschrien. Doch keins dieser Geräusche erreichte seine Ohren. Es war, als wäre er unter Wasser.

James.

Er ließ den Blick schweifen und entdeckte ihn. James lag auf dem Boden und wo seine Beine hätten sein sollen, war nur Blut und zerrissener Leinenstoff. So viel Blut. Roman kroch durch die Stille und das Chaos auf James zu.

»Du bist der beste Hund auf der ganzen Welt, weißt du das?« James' Stimme klang weit entfernt, doch Roman verstand ihn trotzdem. Diese lieb gewonnenen Hände rieben über Romans Hals. Tränen malten Spuren in den Staub und das Blut auf James' Gesicht. »Es wird alles gut. Es wird alles gut.«

Roman leckte die salzigen Tropfen weg. Ich hab dich lieb. Ich hab dich lieb. Ich hab dich lieb. Bitte lass mich nicht allein. Bitte lass mich nicht allein!

Wieder und wieder sagte Roman es stumm vor sich hin, selbst nachdem das Leben aus James' Blick gewichen und er nicht mehr bei ihm war. Er wiederholte die Worte in seinem Kopf, bis die Sanitäter ihn fanden und wegtrugen.

 

***

 

An Matts zweitem Freitag in Mad Creek kam er früh aufs Revier. Roman und er wollten sich gleich wieder auf den Weg machen, doch bevor sie aufbrechen konnten, wurde die Vordertür geöffnet. Sheriff Beaufort trat ein, gefolgt von einem jungen Mann mit schulterlangem braunem Haar und einem etwas längeren, asymmetrischen Pony. Der Fremde trug eine dünne Jacke und enge Skinnyjeans. Matt konnte nicht verhindern, dass er diese unendlich langen Beine bemerkte. Stumm tadelte er sich selbst, weil er gegafft hatte, und zwang seinen Blick hinauf zum Gesicht des Mannes.

»Tim!« Leesa kam aus dem Pausenraum im hinteren Teil des Gebäudes gerannt. Sie musste die Tür gehört haben, allerdings war Matt schleierhaft, woher sie wusste, dass es sich um Tim handelte, denn weder der Fremde noch Lance hatten auch nur ein Wort gesagt. Leesa fiel Tim um den Hals und er erwiderte die Umarmung, wobei er eine Hand in ihren Nacken legte.

»Hey, Leesa.«

»Du meine Güte! Was machst du denn so früh schon in der Stadt?«

Tim verdrehte die Augen. »Die Organisatoren vom Bauernmarkt halten heute Morgen ein Treffen ab. Ein paar besonders begehrte Stellplätze werden frei, deshalb wird es wohl ein Hauen und Stechen um die Stände geben. Du wirst nicht glauben, wie verbissen Bauernmarktverkäufer sein können! Oh, hallo.« Das Letzte war an Matt gerichtet. Trotz der gespielt überraschten Begrüßung machte der unbeirrte Blick Matt klar, dass dieser Tim alles über ihn wusste. »Wir haben uns noch nicht kennengelernt. Sie müssen Matt Barclay von der Drogenbehörde sein.«

Tim kam zu Matt und Roman herüber, die noch immer vor ihrem Büro standen und darauf warteten, dass sich eine Fluchtmöglichkeit bot. Tims Tonfall war freundlich, doch er warf Matt einen warnenden Blick zu. Wer zum Teufel war dieser Kerl?

Tim reichte ihm die Hand. »Ich bin Tim Weston, Lance' Partner.«

»Schön, dich kennenzulernen.« Matt schüttelte Tim die Hand, die für einen Typ, der ansonsten eher wie ein hinreißender Twink wirkte, ziemlich schwielig war.

Partner? Matt verwarf seine erste Assoziation mit diesem Wort. Beaufort konnte nicht schwul sein. Führte er nebenbei eine Firma? Hatte sie mit dem Bauernmarkt zu tun? Bestimmt würden sie an einem Ort wie diesem keine Drogen verkaufen, obwohl es sich hier um Mad Creek handelte und Matt mittlerweile nichts mehr vollkommen ausschließen wollte.

Die Verwirrung musste ihm anzusehen sein, denn Tim, der ihm immer noch unablässig die Hand schüttelte, wiederholte nachdrücklich: »Du weißt schon… Lance' Partner. Das ist wie eine feste Freundin, nur mit Zusatzausstattung.«

»Oh. Gut.« Matt nickte hektisch und versuchte, nicht geschockt zu klingen. Sheriff Beaufort war schwul? Heilige Scheiße!

»Hey, Roman.« Tim ließ Matts Hand los, um dem großen Mann über den Kopf zu reiben. Die Geste ähnelte dem neckenden Reiben von Fingerknöcheln über die Kopfhaut, sie war nur insgesamt netter. Roman schien es zu gefallen, wenn man in Betracht zog, dass sich sofort ein Lächeln auf seinen Lippen ausbreitete. Was war das nur mit den seltsamen Begrüßungen in dieser Stadt?

»Hast du ein Problem damit?«, wollte Beaufort herausfordernd wissen. Er trat hinter Tim und legte besitzergreifend eine Hand auf seine Schulter.

»Ich?«, fragte Matt. »Nein. Hm-hm. Überhaupt nicht.«

»Schön.« Lance bedachte ihn mit einem weiteren finsteren Blick, dann gab er Tim einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. »Bis heute Abend. Du kannst übrigens ruhig meinen Namen in diesem Meeting fallen lassen.«

»Du weißt, dass ich das nie tun würde.« Tim packte Lance am Hemd und zog ihn noch einmal für einen richtigen Kuss zu sich heran – Matt hatte das Gefühl, das wäre seiner Gegenwart geschuldet. Als würde er je versuchen, sich den knallharten Lance Beaufort zu schnappen.

Als sie sich voneinander lösten, sahen sich Tim und Lance vielsagend in die Augen. Es war furchtbar unangenehm.

»Okay! Wir wollten uns gerade auf den Weg machen, deshalb…«, warf Matt verzweifelt ein. Er hatte sich noch nie so sehr nach dem Innenraum von Romans Pick-up gesehnt.

»Habt einen schönen Tag, ihr zwei.« Tim lächelte. »Ach, übrigens, Matt, ich würde dich gerne bald mal zu uns nach Hause zum Abendessen einladen. Dich und deine Freundin Luci!«

»Woher weißt du von…?«

»Tschüssi!« Und dann war Tim zur Tür hinaus.

Beaufort sah Matt an, als wollte er sagen Ich kann nicht fassen, dass er dich zum Abendessen eingeladen hat oder Wag es nicht, ihn anzubaggern oder vielleicht sogar So ist ein echter Mann geoutet, Maestro.

Okay, Letzteres wahrscheinlich nicht, denn Beaufort hatte keine Ahnung, dass Matt nicht geoutet war. Aber so fühlte es sich an. Denn ja, Matt hatte noch nie zuvor etwas gesehen, was so laut Fick dich, so bin ich halt geschrien hatte. Und Scheiße, er beneidete sie beide darum.

Beaufort verschwand in seinem Büro und Leesa kehrte in die Küche zurück.

»Lass uns gehen«, sagte Roman und ging auf die Vordertür zu. »Wir haben viel zu tun.«

»Klar«, erwiderte Matt abwesend.

Sheriff Beaufort war auf seiner Respektskala gerade ein paar Stufen nach oben geklettert. Andererseits, Lance Beaufort wird regelmäßig von diesem Kerl flachgelegt und ist immer noch so angespannt? Gott bewahre, wenn er jemals abstinent leben müsste.

Nicht wahr?

 

***

 

Am Beginn des Pfads angekommen, stieg Matt aus Romans Wagen und streckte sich. Sie waren bisher jeden Tag draußen unterwegs gewesen und hatten über mehrere Schotterpisten Fäden gespannt und Wanderwege überprüft. Matt bekam langsam das Gefühl, die Gegend zu kennen. Und es gefiel ihm.

Die Gebirgsregion rund um die Sierra Nevada unterschied sich so sehr von dem heißen und trockenen Klima im Sacramento Valley, wo er die letzten paar Jahre verbracht hatte, und von Orten wie Texas und San Diego, wo sein Dad in Matts Kindheit stationiert war. Es war schön hier. Die Luft war klar, die Landschaft offen, weite hügelige Flächen, die mit grünen Kiefern und den Rot-, Gold- und Brauntönen der Herbstblätter bedeckt waren. Es war wie ein geheimes Fleckchen im Universum, wo Walmart nur eine böse Legende war und man den Blick über einen Landstrich schweifen lassen konnte, wo der Mensch nicht die dominierende Spezies war.

Matt hatte sich unter freiem Himmel, in der Natur, schon immer am wohlsten gefühlt. Vielleicht, weil dort niemand Erwartungen an dich stellte. Im Wald gab es keine Militärstützpunkte oder Schulen, wo alle Augen auf dich gerichtet waren, weil du der Sohn des Generals warst, man musste keinen unmöglich zu erreichenden Vorbildern nacheifern und es gab niemanden, den man enttäuschen konnte. Wenn er mit dem Fahrrad unterwegs war oder wanderte oder Ski fuhr, dann konnte er darin gut sein, weil er das so wollte, konnte sich nach dem Rhythmus seines eigenen Körpers richten und musste seine Grenzen nicht überschreiten. Er musste niemandem gefallen und niemanden beeindrucken, außer sich selbst.

Natürlich war in letzter Zeit auch ständig Roman Charsguard dabei. Aber Roman war angenehme Gesellschaft. Er schien im Freien immer einfach glücklich zu sein und nachdem Matt bei ihrem ersten Ausflug hinter ihm zurückgefallen war, ließ er Matt das Tempo bestimmen. Heute wanderten sie in ein Gebiet an der nördlichen Grenze des Areals, das Roman als Territorium von Mad Creek betrachtete. Um zum Ausgangspunkt des Weges zu gelangen, hatten sie vom Revier aus 50 Minuten mit dem Auto fahren müssen und Matt hatte seinen ganzen Thermobecher Kaffee bereits ausgetrunken. Roman nippte, wie üblich, immer mal wieder an seinem Reisebecher voller Brühe .

Offenbar kochte die Mutter vom Sheriff ganze Wagenladungen von dem Zeug für die Polizeiwache und alle liebten es. Matt war noch nicht ganz dahintergestiegen, ob das eine Paleo-Sache oder so was war.

Jedenfalls musste der Kaffee irgendwann wieder raus. Matt trat zwischen die Bäume, um sich zu erleichtern, während Roman begann, die Schnüre zu spannen. Als Matt zurückkehrte, streckte er sich, um seine Muskeln zu lockern, und beobachtete Roman bei der Arbeit.

Sie hatten am Ende einer weiteren Schotterpiste geparkt, die sich in undurchdringlichem Gestrüpp verlief. Der Wagen stand etwas abseits, sodass Roman die Schnur dort spannen konnte, wo ein Auto normalerweise langfahren würde, wenn mal eins hier vorbeikommen sollte. Dafür benutzte er farblose Angelschnur und brachte sie in einer Höhe von etwa eineinhalb Metern an, damit sie von den meisten Tieren nicht ausgelöst wurde. Wenn die Bäume günstig standen, befestigte er sie an den Stämmen, und wenn das mal nicht der Fall war, hatten sie schwere Holzpfähle auf der Ladefläche des Pick-ups dabei.

Das Bergpanorama um sie herum war atemberaubend, aber der durchtrainierte Mann mit der ernsten Miene, den goldbraunen Augen und dem dunklen Kurzhaarschnitt war auch nicht zu verachten. Matt gönnte es sich, ein bisschen länger hinzuschauen, als er sollte. Roman bestand praktisch nur aus Muskeln und er konnte verdammt Furcht einflößend sein, wenn er wollte. Aber in Momenten wie diesen, wenn er sich voll und ganz darauf konzentrierte, was er gerade tat, sah er geradezu süß aus. Seine Zungenspitze lugte zwischen seinen Lippen hervor, während er sich abmühte, mit diesen großen Fingern die dünne Schnur, die ihm immer wieder entglitt, zu einem Knoten zu binden. Mein Gott. Roman war ein Knallkopf – aber ein unfassbar heißer.

Die heutige Wanderung führte sie etwa 13 Kilometer weit in eine Gegend hinein, wo sich ein kahler Fleck befand, der ihnen auf Satellitenbildern von der DEA aufgefallen war. Wahrscheinlich war diese kahle Fläche durch einen Waldbrand entstanden, doch Roman hatte darauf bestanden, sie sich noch mal aus der Nähe anzuschauen, nur um sicherzugehen. Du meine Güte.

Matt war in der merkwürdigen Lage, dass er gute Arbeit leistete und alles viel einfacher ablief, als es eigentlich sollte, und er trotzdem besorgt war. Roman und er waren bisher jeden Tag draußen unterwegs gewesen. Matt liebte es. So sehr, dass er überlegte, sich beim Forstdienst zu bewerben, falls sich sein Job bei der Drogenbehörde zu einem Schreibtischjob entwickeln sollte. Der General würde dann natürlich Zustände bekommen. Es hatte ihm nicht gefallen, als Matt die Marines verlassen hatte und zur DEA gegangen war, aber wenigstens waren das noch echte Gesetzeshüter.

Tatsächlich fühlte Matt sich schuldig, weil er gerade so viel Spaß hatte. Aber Dixon, der Leiter der Operation Green Ghost , war begeistert von seinen Fortschritten. Im letzten Gruppenvideoanruf hatte er Matt berichten lassen, was sie in Mad Creek taten – mit den Schnüren, der Übersichtskarte, die sie in Zonen einteilten und nummerierten, und den Satellitenbildern –, und die anderen Agenten angewiesen, in ihren Regionen das Gleiche zu tun. Matt war der Vorzeigeschüler der Stunde.

Trotz allem wusste er ganz genau, dass er in die Irre geführt wurde, dass all die Wandertouren nur dazu dienten, ihn von der Stadt fernzuhalten. Er war kein Idiot. Die Frage war: Wieso? Und sollte ihn das beunruhigen oder nicht?

»Fertig«, sagte Roman. »Wollen wir weiter?«

»Ja.« Matt schüttelte den Kopf. »Entschuldige, ich bin heute Morgen ein bisschen abgelenkt.«

»Wegen Tim?«

»Was?«

»Du warst überrascht, als du Tim kennengelernt hast.« Roman klang ein wenig abweisend.

»Nein! Ich meine, ja, es überrascht mich, dass Beaufort schwul ist. Aber… hey, jeder, wie er mag.«

Roman nickte, als wäre er zufrieden. »Tim tut Lance gut. Alle sagen, dass Lance viel glücklicher und nicht mehr so angespannt ist, seit sie zusammengezogen sind.«

»Beaufort war früher mal noch angespannter?«

Roman lächelte. »Oh ja. Wenn du glaubst, er ist schlimm, solltest du mal seine Mutter kennenlernen.«

»Tja, ich denke, darauf kann ich verzichten.« Matt gluckste. Er warf sich den Rucksack über die Schulter und sie machten sich auf den Weg.

Roman wanderte meist stumm vor sich hin und behielt den Wald im Blick. Doch heute war Matt in Gesprächslaune.

»Ich habe gerade darüber nachgedacht, dass dieser Job viel aktiver ist, als ich erwartet habe. Das ist echt toll.« Matt streckte seinen linken Arm aus. In letzter Zeit hatte er sich besser angefühlt, gut genug, um die Schlinge nicht mehr zu tragen, auch wenn er immer noch nicht viel heben konnte, ohne dass es zwickte.

»Mir gefällt das hier besser, als im Büro zu sitzen«, stimmte Roman ihm zu. »Zuerst hat es Spaß gemacht, einen Schreibtisch zu haben wie ein richtiger Me-… äh, Deputy. Aber ich mag es nicht, den ganzen Tag drinnen zu sein.«

Sie befanden sich in einer Feuerschneise, die breit genug war, um nebeneinander zu laufen. Roman lächelte Matt an und es war ein aufrichtiges Lächeln. Matt konnte an einer Hand abzählen, wie oft er Roman hatte lächeln sehen. Wenn er so strahlte, sah er zehn Jahre jünger aus, fast kindlich. Was ein bisschen pervers war.

»Und Sheriff Beaufort hat nichts dagegen, dass du dieser Sache hier so viel Zeit widmest?«, fragte Matt.

Romans Lächeln verschwand. »Nein. Das hier ist mein Job.«

Die Suche nach den Drogen? Das musste Roman damit gemeint haben.

»Du hast deinen vorherigen Job nicht gemocht?«, wollte Roman wissen.

Matt zuckte mit den Schultern. »Im SWAT-Team zu sein, war cool und prestigeträchtig, aber die Arbeit war entweder todlangweilig oder lebensgefährlich. Und ich musste gehen wegen dem hier.« Er hob den Arm ein Stück an. »Danach wurde ich in Sacramento an den Schreibtisch verbannt. Der Job ging mir auf den Sack, und zwar nicht auf die gute Art.« Er wackelte mit den Augenbrauen. Stopp. Hör auf, mit Roman zu flirten.

»Mir hat mein Job immer gefallen«, sagte Roman ernst. »Ich war nur zu dem Zeitpunkt richtig unglücklich, als ich keinen Job hatte.«

»Nach deinem Militärdienst?«

Roman nickte und presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. Nicht zum ersten Mal bemerkte Matt, dass es etwas in Romans Vergangenheit gab, worüber er nicht gerne sprach. Doch heute hakte er nach. »Was hast du beim Militär gemacht?«

Roman zögerte, bevor er antwortete. »Alles Mögliche, aber größtenteils Bomben aufspüren.«

»Ach ja? Du meinst mit Hunden?«

»Ja. Mit Hunden.«

Matt war beeindruckt. Und er konnte sich Roman auch gut in diesem Job vorstellen. Er hatte eine natürliche, geerdete und freundliche Art, die ihm im Umgang mit Tieren bestimmt zugutekam. »Das klingt fantastisch. Ich kannte ein paar Typen, die echt gerne in die Hundestaffel aufgenommen werden wollten, aber sie wurden abgelehnt. Diese Truppe ist echt wählerisch.«

»Bei der Auswahl ihrer Hunde?«, fragte Roman und zog verwirrt die Augenbrauen zusammen.

Matt lachte. »Na ja, eigentlich meinte ich bei den Hundeführern. Aber ich wette, bei ihren Hunden sind sie auch ziemlich pingelig.«

»Oh.« Roman errötete. Eine kräftige, leuchtende Röte kroch unter dem Kragen seines T-Shirts hervor und breitete sich über sein Gesicht bis zum Haaransatz aus. Seine Ohren verfärbten sich tiefrosa, besonders das mit den Narben.

Matt wurde klar, dass Roman seine Bemerkung peinlich sein musste, aber eigentlich war es keine große Sache. Weil er allerdings ein Kerl war, konnte er nicht anders, als ihn damit aufzuziehen. »Hey, schön, dass dein kardiovaskuläres System so gut funktioniert. Falls du dich das mal gefragt hast.« Er lachte leise.

»Was meinst du?« Roman blieb mit einem Ruck stehen.

Lächelnd deutete Matt auf Romans Gesicht. »Du wirst rot, Roman. Aber voll.«

»Ich werde nie rot.«

»Ähm, doch. Das tust du, jetzt gerade.«

Roman angelte sein Handy aus der Tasche, wobei er es in seiner Eile beinahe fallen ließ, als würde er sich Sorgen machen, ihm wäre eine zweite Nase gewachsen. Er schaltete es ein. Offenbar besaß er eine Spiegel-App, was Matt irgendwie witzig fand. Seinem Eindruck nach war Roman eher der Typ, der sich Sorgen machte, etwas Grünes zwischen den Zähnen zu haben, statt abzuchecken, wie heiß er war.

Roman betrachtete sich eingehend. »Tatsächlich! Ich werde rot!«

»Ja. Ja, tust du.«

Roman schob seine Sonnenbrille nach oben und drehte das Kinn mal in diese, mal in jene Richtung, während er sein Spiegelbild musterte. Er entspannte sich sichtlich, als wäre es nicht so schlimm, wie er erwartet hatte, oder so. Dann grinste er. »Zum ersten Mal. Muss noch so eine Sache sein, die sich allmählich entwickelt, wie der Sexualtrieb.«

»Hm?«

Roman sah auf und begegnete Matts Blick. Er erstarrte. Er wirkte entsetzt und die Röte, die langsam begonnen hatte zu verblassen, vertiefte sich beachtlich. Sein Mund öffnete und schloss sich kaum sichtbar, aber es kam nichts heraus.

Matt verstand gar nichts mehr – Sexualtrieb? Allmähliche Entwicklung? Was sollte das bedeuten? Aber allein das Wort Sex aus Romans Mund zu hören, ließ den primitiven Teil seines Gehirns aufhorchen und bestimmte Bereiche unter der Gürtellinie meldeten Interesse an.

Sie starrten einander an. Seit diesem seltsamen Zwischenfall auf dem Herrenklo hatte Matt kein Flirten oder etwas anderes als Selbstvergessenheit an Roman bemerkt – sehr zu seinem Bedauern. Doch plötzlich fühlte sich die Luft zwischen ihnen aufgeladen an und in Romans Augen blitzte etwas auf – Hitze… und Panik.

»Ich… habe erst vor Kurzem angefangen… also…«, stotterte Roman.

Oh. Oh. »Du meinst, du hattest nach dem Militärdienst eine kleine Durststrecke?«, riet Matt. Er hatte gehört, wie andere Veteranen davon gesprochen hatten. Eine posttraumatische Belastungsstörung konnte die Libido echt hart mitnehmen. Manche Männer bekamen überhaupt keinen mehr hoch, was – Matts bescheidener Meinung nach – ein verdammt großes Opfer war, das man da für sein Land brachte.

Roman wirkte erleichtert. Er nickte.

»Ja? Das ist beschissen. Wurdest du verletzt? Angeschossen?«

Roman berührte sein beschädigtes Ohr. Seine Stimme klang angespannt. »Ich hatte eine leichte Schusswunde. Aber die war es nicht. Ich war… anders. Danach. Es war schwer.«

Das war der bisher deutlichste Hinweis darauf, dass etwas sehr Schlimmes während Romans Zeit als Soldat passiert war. Matt hatte Mitleid mit ihm. Je mehr Zeit er mit ihm zusammen verbrachte, desto mehr erkannte Matt seine Stärke als harte Schale um einen Kern aus Verletzlichkeit, Trauer und etwas, das Matts Kopf als Unschuld betiteln wollte, obwohl es das bestimmt nicht sein konnte. Matt wollte ihn umarmen, legte aber stattdessen nur eine Hand auf Romans Schulter – Romans sehr breiter Schulter.

»Hey, schon okay. Ein paar meiner Freunde sind da drüben auch echt mitgenommen worden. Ich versteh das.«

Statt ihn abzuschütteln, wie jeder normale Kerl es getan hätte, trat Roman näher heran und neigte die Schulter in seine Richtung, als wolle er ihn ermutigen, die Hand zu bewegen.

Matt war sich einen Moment lang nicht sicher, was er tun sollte. Weil ihm aber wieder einfiel, wie Tim heute Morgen über Romans Kopf gerieben hatte – okay, das war vielleicht ein bisschen komisch –, strich Matt beruhigend über Romans Schulter. Roman wandte das Gesicht ab und seufzte. Es war ein erleichtertes Seufzen. Obwohl er sich fragte, was zum Teufel er hier tat, rieb Matt Romans Schulter etwas nachdrücklicher. Die Wölbung passte kaum in seine Handfläche und die Muskeln waren straff und hart. Seine Hand rutschte an Romans Arm hinunter, bevor er es verhindern konnte, und setzte ihre Bewegung fort. Der breite Bizeps zuckte unter seinem Daumen und Roman summte zufrieden.

Doch Matt… Matt machte es an. Er wollte Roman jetzt schon seit zwei Wochen berühren, länger noch, wenn man die Monate nach der Razzia in Coarsegold dazuzählte, in denen Roman seine Gedanken dominiert hatte. Und mit diesen Muskeln unter seinen Fingern war es nur allzu verlockend einfach weiterzumachen. Das hier wurde entweder in zwei Sekunden zu etwas Sexuellem oder wäre der seltsamste Bromance-Moment überhaupt. Er konnte nicht fassen, dass er sogar jetzt nicht den blassesten Schimmer hatte, ob das hier ein Flirt war oder Roman ihm eine reinhauen würde, wenn Matt versuchte, ihn zu küssen. Er mochte Roman, aber er verstand den Kerl einfach nicht – so gar nicht.

Matt schluckte. »Also…«

»Sieh mal«, sagte Roman leise.

Matt blickte den Pfad entlang. Ein Rotfuchs war mitten im Lauf wie angewurzelt dort stehen geblieben und starrte sie an, als hätte er sich gerade um seinen eigenen Kram gekümmert und den Pfad überquert, als sie wie diebische Oger aufgetaucht waren, die durch schwarze Magie herteleportiert worden waren.

»Wow. Wie wunderschön«, wisperte Matt.

Plötzlich kam Bewegung in Roman. Er brüllte laut »Whoo!« und rannte auf den Fuchs zu. Das Tier schaute wie in einem Cartoon verwirrt zweimal hin und floh dann Hals über Kopf ins Gebüsch. Roman stürzte ihm hinterher und war bald außer Sichtweite.

Matt folgte ihm lachend. Ein verspielter Roman war ein herrlicher Anblick. Vor ihm zwischen den Bäumen krachte es, dann kehrte Roman mit verlegener Miene zurück. »Hab ihn verloren.«

»Das sehe ich.« Matt prustete. »Ist dir durch die Finger geschlüpft, was?«

»Ja.« Roman stemmte die Hände in die Hüften und lächelte. »Jetzt fühl ich mich besser.«

»Gut.« Ein warmes Gefühl glühte in Matts Brust auf wie ein verdammtes Leuchtfeuer. Freundschaft vielleicht? Mindestens das. Die Sehnsucht nach mehr unterdrückte er wieder.

Roman holte tief Luft und rieb sich die Hände. »Wir sollten uns beeilen. Bis zu dieser Lichtung ist es noch weit und auf zwei Beinen kommt man nur langsam voran.«

»Was auch immer du sagst, Roman.« Matt schüttelte den Kopf, lächelte aber dabei.