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Untergetaucht

 

Rufie drehte durch, als sie Ts Leiche fanden. »Scheiße, dieser Roman-Typ hat ihm die Kehle rausgerissen! Wie ist er die Seile losgeworden? Und wie hat er jemanden wie T überraschen können?« Rufie gestikulierte übertrieben und ihm traten beinahe die Augen aus dem Kopf.

Colin kniete neben T und versuchte, sich die Wunde genauer anzusehen, doch es war ein blutiges Chaos. Ein Stück des Halses war tatsächlich mit Nägeln oder Zähnen oder so was rausgerissen worden. »Tja, er hatte keine scheiß Waffe mehr, oder? Wir haben ihm seine Pistole abgenommen.«

»Also hat er einfach was? Seine Zähne benutzt? Wie kann es sein, dass T nicht auf ihn geschossen hat?«

»Vielleicht hat er das. Kann gut sein, dass Roman sich noch ein paar mehr Kugeln eingefangen hat. T hat einen Schalldämpfer, wir hätten es oben also nicht gehört. Halt mal kurz die Klappe, ja?«

Colin betrachtete all das Blut. Rund um den Stuhl herum hatte es große Pfützen gebildet – zweifellos von dem Schuss, den er in die Schulter des Deputys abgefeuert hatte. Und es schien, als wäre T von mehreren Litern davon umgeben.

Colin folgte der Blutspur den Flur hinunter bis zu der Schiebetür, die auf die Terrasse hinausführte. Eine weitere Leiche war nirgendwo zu entdecken.

»Colin, wir müssen hier verschwinden! Wir müssen unseren Kram packen und weg!«

»Schnauze! Ich denke nach.«

Er neigte dazu, in Notfällen Ruhe zu bewahren, bedächtig und umsichtig und gefährlich zu sein. So wie ein echter Bösewicht eben. Er spähte in die Dunkelheit hinaus. »Eins nach dem anderen. Du holst erst mal das Auto vom Deputy. T meinte, es steht die Straße runter bei einer der anderen Hütten. Ich hab die Schlüssel.«

»Aber was, wenn er da auf mich wartet, Colin? Hm?« Rufie war wirklich ein wahrer Meister in Sachen Ängstlichkeit.

»Warum zum Teufel sollte er das tun? Wenn er es bis zu seinem Wagen geschafft hat, wird er das Funkgerät benutzt haben oder vielleicht damit weggefahren sein, wenn er irgendwo einen Zweitschlüssel versteckt hatte. Danach sollten wir also als Erstes sehen – ob sein Auto noch da ist. Also wirst du das Ding holen. Wenn du keine Spur von ihm entdeckst, fährst du es her und stellst es in die Garage. Ich räum den Caddy aus dem Weg.«

Rufie war noch immer nervös. Sein Blick wanderte wieder in den Flur zu Ts Leiche.

»Scheiße, Mann, Rufie, der Typ hat mindestens eine Schusswunde, wahrscheinlich mehr. Schau dir all das Blut an! Ich wette, er liegt irgendwo ohnmächtig rum. Schnapp dir Ts Waffe und hol den Scheißwagen und schwing gefälligst die Hufe, verdammt noch mal!« Colin holte Romans Schlüssel aus seiner Tasche und warf sie Rufie zu.

»Okay, okay.« Rufie lief den Flur hinunter, um sich Ts Waffe zu holen, und ging dann schweigend nach oben.

Er brachte den Streifenwagen her und sie stellten ihn in die Garage. In dem hellen Licht konnte Colin das Auto ganz genau unter die Lupe nehmen. Nirgendwo war Blut zu sehen. Der Deputy, Roman, war nicht noch mal am Wagen gewesen, nachdem sie ihn geschnappt hatten. Zumindest da war Colin sich sicher.

Er seufzte erleichtert und stieg wieder vom Vordersitz. »Alles klar. Er hat es nicht zu seinem Auto zurückgeschafft, um das Funkgerät zu benutzen, also ist er wahrscheinlich irgendwo da draußen, bewusstlos oder tot. Das heißt, niemand sonst weiß, dass er hier war.«

»Was, wenn er zu einer der anderen Hütten gegangen ist, hm? Und nach einem Handy gefragt hat?«

»Wenn er das getan hätte, du Depp, dann würden wir jetzt bis zum Hals in Cops stecken oder zumindest einen Krankenwagen sehen.«

»Ich finde immer noch, dass wir verschwinden sollten«, murrte Rufie und rieb sich über die Arme, als wäre ihm kalt. »Dieser Kerl, Roman, der ist verrückt, Mann. Er hat sich von den Fesseln befreit und ist an T vorbeigekommen und so.«

»Du bist so ein Weichei! Ich haue nicht ab, wenn es keinen verdammt guten Grund dafür gibt. Jetzt hol ein paar Taschenlampen aus dem Lagertransporter. Wir gehen da raus und schauen, ob wir die Leiche von dem Mistkerl finden können.«

Sie fanden keine Leiche, nicht in der Nähe des Hauses, nicht am See und nicht im Wald. Colin dachte, Blut im Lichtstrahl der Taschenlampe gesehen zu haben. Aber es gab keine eindeutige Spur und er würde sich nicht stundenlang im Dunkeln durchs Unterholz schlagen. Außerdem war der Wald nachts echt verdammt unheimlich.

»Okay, scheiß drauf«, sagte Colin. »Lass uns bis morgen damit warten.«

»Aber wir müssen sichergehen, dass er tot ist!«

»Nein, wir müssen das ganze Blut aus dem verfickten Haus kriegen und Ts Leiche loswerden. Wenn du hier im Dunkeln allein weiter rumkriechen willst, tu dir keinen Zwang an.«

Natürlich blieb Rufie nicht allein im Dunkeln draußen. Sie sammelten all das blutige Plastik im Haus ein, rollten Ts Leiche in eine Plane, verstauten sie im Lagerlaster und säuberten alles mit Bleiche. Dann fuhren sie den Streifenwagen bis zum Fuß des Hügels und ließen ihn in einen Graben rollen. Sie versteckten den Laster an einer Feuerschneise, nur falls jemand zu ihrer Hütte kam. Darin hatten sie den ganzen Kram für die Farm gelagert und er war schon so belastend genug, auch ohne Ts Leiche. Als es dämmerte, befand sich nichts Illegales mehr auf dem gemieteten Gelände und Colins Angst- und Adrenalinlevel sackte ab. Ohne Roman selbst als Augenzeugen konnte ihm jetzt niemand mehr etwas anhängen.

Rufie war mittlerweile komplett angezogen auf der Couch eingeschlafen und schnarchte. Colin sah aus dem Fenster, wie die Morgendämmerung das Bergpanorama erhellte. Diese scheiß ländliche Gegend, Mann. Es war einfach falsch, dass es irgendwo nachts so dunkel war.

Colins Blick schweifte über den heller werdenden Horizont, dann ging er zur Vorderseite der Hütte und sah sich dort um. Er konnte nichts entdecken – keine Leiche, keine offensichtlichen Anzeichen von Unruhe, keine Cops. Beim vorderen Fenster spannte er sich an und lauschte angestrengt auf Sirenen. So wie er das sah, gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder hatte Roman es weit genug geschafft, um aufgesammelt und gerettet zu werden, dann hätte er mittlerweile alles ausgeplaudert und die Cops sollten längst hier sein. Oder er lag tot oder sterbend da draußen, dann würde er niemandem irgendwas erzählen.

Aber abgesehen von einem Schwarm Gänse, die auf dem See landeten, einem fetten Waschbären, der durch den Vorgarten tapste, und einem hochbeinigen Jagdhund, der herumschnüffelte, war es ruhig in der Dämmerung.

In diesem Moment wusste Colin sicher, dass er nicht abhauen würde. Er wollte das hier. Er brauchte diesen Neuanfang dringender, als ihm bewusst gewesen war, und Mad Creek war der richtige Ort dafür. Jetzt, da Deputy Roman Charsguard aus dem Weg geräumt war, waren alle Probleme gelöst, oder nicht? Es waren vielleicht noch ein paar Polizisten in der Stadt, aber sie waren nicht annähernd so hartnäckig, wie Roman es gewesen war. Colin »Kingpin« Clery würde nicht vor Schatten davonlaufen. Er würde allerdings später noch in L.A. anrufen und T durch zwei weitere Auftragskiller ersetzen, richtig harte Kerle. Und Rufie hatte auch noch nach weiteren Arbeitern für die Farm gefragt. Wegrennen? Nein, der einzig wahre Colin Clery würde expandieren .

Colin ließ Rufie auf dem Sofa schlafen und ging in sein Zimmer, um auch ein bisschen zu pennen.

 

***

 

Lance und Charlie standen im Wald in der Nähe des kleinen Sees am Piney Top Drive. Lance beobachtete die große Hütte durch ein Fernglas, während Charlie – jetzt wieder in menschlicher Gestalt – neben ihm vor eifrigem Interesse praktisch vibrierte.

Es war der Abend, nachdem Roman angeschossen worden war, und das Licht in der Hütte brannte. Durch das Fernglas konnte Lance einen schlaksigen dunkelhaarigen Mann am Küchentisch sitzen sehen. Er hatte ein Bier in der einen und eine Zigarette in der anderen Hand, während er den Kopf entspannt zurücklehnte. Essensbehälter vom Lucky Dog Chinese an der Main Street waren über den Tisch verstreut. Ein rothaariger Mann tigerte in der Küche auf und ab und telefonierte angeregt.

»Bist du sicher, dass das die beiden Männer sind, die wir heute am Weg gerochen haben?«, fragte Lance leise.

»Ja, Boss!«, sagte Charlie genervt. »Komm schon, es sind nur zwei. Die packen wir schon!«

Charlie war immer noch im Bann der Jagd und bereit, seine Beute anzugreifen. Lance bewegte seine freie Hand in einer Geste nach unten – beruhig dich – und machte sich nicht die Mühe, seine Antwort in Worte zu fassen.

Noch vor Sonnenaufgang heute Morgen hatte Charlie Romans Blutspur durch den Wald zu dem kleinen See verfolgt. Lance war zu Fuß hinterher. Er hatte Charlie gewarnt, sich nicht zu nah an Menschen heranzuwagen, doch der hatte sich in der Fährte verloren, den Schutz des Waldes verlassen und sich von seiner Nase zu der großen Hütte und der Glasschiebetür an der Rückseite führen lassen. Lance hatte mit gezogener Waffe und fluchend zwischen den Bäumen warten müssen. Zum Glück hatten die Männer in der Hütte entweder geschlafen oder waren von dem Anblick eines Jagdhundes nicht aufgeschreckt worden, denn Charlie kam ohne Zwischenfälle in den Wald zurückgerannt.

Das war erst heute Morgen gewesen, unglaublich. Es war ein sehr langer Tag gewesen.

Lance wusste, dass Roman in dieser Hütte angeschossen worden war – in seiner menschlichen Gestalt –, als verwundeter Hund hatte entkommen können und sich bis zu Matts Haus geschleppt hatte. Lance konnte sich nicht ausmalen, wie viel Mut man dafür brauchte – um den Schmerz und die Angst durchzustehen, sich mit einer so schweren Wunde zu verwandeln. Bill hatte recht. Es hätte ihn umbringen sollen.

Aber abgesehen von Romans unfassbarer Tapferkeit war Lance mit vielen Fragen zurückgeblieben. Warum war Roman angeschossen worden? Wer hielt sich in dieser Hütte auf? Hatten sie gesehen, wie Roman sich verwandelt hatte? Wussten sie jetzt von den Gewandelten?

Sobald Matt das Revier betreten hatte, hatte Lance ihn bei der Eingangstür abgefangen. »Wie geht es, ähm, Paco?«

»Es geht ihm gut.« Matt sah müde aus. »Er ruht sich aus. Luci ist heute den ganzen Tag bei ihm. Sie schreibt mir, falls sich was an seinem Zustand ändert.«

Lance nickte. »Ich möchte, dass Sie Charlie und mich zu den Stellen bringen, wo Sie mit Roman gestern die zerrissenen Angelschnüre gefunden haben.«

Matt verengte verwirrt die Augen, nickte dann jedoch langsam. »Klar. Wie Sie wollen. Was ist mit Roman? Kommt er noch?« Matt schaute über Lance' Schulter, als hoffte er, ihn zu sehen.

»Roman hat sich krank gemeldet«, schaltete Charlie sich ein. Er lungerte in der Nähe von Leesas Schreibtisch herum.

»Tatsächlich?«, fragte Leesa besorgt nach. »Oh je! Was hat er denn?«

Lance warf Charlie einen finsteren Blick zu. »Nein , Roman hat sich nicht krank gemeldet.« Er seufzte und wandte sich wieder an Matt. »Bei Roman steht irgend so eine Familiensache an. Er wird ein paar Wochen lang nicht zur Arbeit kommen.«

»Familiensache? Mir hat er gesagt, er hätte keine Familie.«

»Tja, vielleicht sind es entfernte Verwandte.« Lance kratzte sich unbehaglich am Kiefer und hoffte, Matt würde ihm die Lüge abkaufen. Er wusste offensichtlich mehr über Roman, als Lance geglaubt hatte. »Jedenfalls hat er eine Menge Urlaubstage angesammelt und ich schätze, es ist seine Entscheidung, wie er sie nutzen will.«

Matt sah nicht zufrieden aus. Er runzelte die Stirn.

»Können Sie uns die Stellen gleich zeigen?«, forderte Lance ihn auf.

Matt nickte und die drei verließen die Wache.

Es hatte eine Weile gedauert, bis Charlie die Fährten der Fremden im Wald aufgenommen hatte. Ein weiterer Tag war vergangen, seit Roman sie gerochen hatte, und Romans und Matts Gerüche mussten zusätzlich rausgefiltert werden. Lance verwickelte Matt in ein Gespräch, während Charlie herumschnüffelte, aber Matt ertappte Charlie trotzdem ein paarmal dabei – einmal, als er an der Rinde am Fuß eines Baumes schnupperte, und ein weiteres Mal, als er auf allen vieren auf der Straße hockte.

»Braucht Charlie keinen Hund dafür? Hatten Sie nicht gesagt, er hat einen Spürhund?«

Lance stöhnte innerlich auf. Die ganze Situation war schon herausfordernd genug, ohne gleichzeitig Matt Barclay mitschleppen zu müssen.

Er tat so, als wäre er peinlich berührt, und sagte leise: »Das ist so eine Eigenart von ihm. Charlie meint, er kann feststellen, ob es sich lohnen würde, die Hunde mitzubringen oder nicht.«

Matt hatte nichts dazu gesagt, jedoch skeptisch die Lippen geschürzt. Solange er keine Beweise hatte, dachte sich Lance, was sollte er schon groß tun können?

Jetzt war es schon fast 23 Uhr und er war mit Charlie zurück, um die Hütte vom Wald aus zu beobachten. Die Männer hielten sich immer noch darin auf.

»Ganz sicher«, sagte Charlie aufgebracht. »Die Männer in dieser Hütte sind dieselben, die Romans Angelschnüre zerrissen haben. Ohne Zweifel. Das ist auch das Auto, mit dem sie gefahren sind.« Er deutete auf den teuren weißen Cadillac-Geländewagen in der Auffahrt.

»Also«, setzte Lance an und ließ das Fernglas sinken, »hat Roman irgendwie herausgefunden, wo sie untergekommen sind, und sich gestern Abend hier umgesehen. Nur haben sie ihn dabei erwischt.« Und ihn angeschossen. Zorn brannte in seiner Brust und seinem Bauch. Er war noch nie im Leben so wütend gewesen. Wie konnten Fremde es wagen, in sein Revier zu kommen und zu versuchen, seine Leute zu ermorden!

»Sie sind nur zu zweit«, wiederholte Charlie. »Und wir haben Waffen! Vielleicht könnte ich an die Tür gehen und so tun, als würde ich mich in der Nachbarschaft umhören, und du gehst hinten rum…«

»Nein.«

»Aber sie haben auf Roman geschossen!« Normalerweise war Charlie nicht unbedingt Romans größer Befürworter. Ehrlich gesagt war er ein bisschen neidisch auf ihn. Roman arbeitete noch nicht so lange als Deputy, war aber klüger und fähiger und das wusste Charlie. Aber Rudel war Rudel und Lance verstand Charlies Empörung.

»Es gibt keine Leiche oder irgendeinen Beweis dafür, was sie getan haben«, erklärte Lance kopfschüttelnd. »Wir haben nur Roman und er kann nicht aussagen, bis er sich zurückverwandeln kann, und das wird laut Bills Aussage Wochen dauern.«

»Wir könnten sie auch einfach, du weißt schon, umlegen.« Das waren gewagte Worte, aber Charlies Stimme klang unsicher.

»Nein, wir werden hier keine bandenkriegsmäßige Hinrichtung durchziehen.« Lance schnaufte. »Himmel, Charlie, wir sind das Gesetz, keine Bürgerwehr. Außerdem haben wir keine Ahnung, wie viel sie wissen oder was sie vorhaben. Nicht mit Sicherheit. Wir wissen noch nicht mal genau, was passiert ist. Roman kann nicht reden.«

Charlie rieb sich mit einer Hand über seine sehr lange Nase. »Also, was ist der Plan, Boss?«

»Wir werden sie im Auge behalten, das ist der Plan. Ruf Jake, Bowser und Gus rein. Ich will, dass diese Typen 24/7 von jemandem überwacht werden.«

»Ich auch! Ich will sie auch überwachen.«

»Ja, du auch. Wir werden Schichten zuteilen. Und wenn sie wegfahren, brauchen wir ein Zivilfahrzeug, um ihnen zu folgen. Das wäre dein Job, Charlie. Du kannst für ein paar Tage mit Tim die Autos tauschen. Ein Streifenwagen wäre zu auffällig.«

Plötzlich spürte Lance den Verlust von Roman sehr deutlich. Roman war sein Mann für die schwierigen Fälle geworden. Er hätte Roman die Logistik einer Operation wie dieser komplett anvertrauen können, ohne irgendwelche Anweisungen zu geben. Aber Roman war nicht einsatzfähig, weil er mit Absicht und beinahe tödlich von den Männern in dieser Hütte verletzt worden war. Lance fletschte die Zähne, warf einen letzten Blick durch das Fernglas und prägte sich das Aussehen der beiden Männer ein.

Einer Sache war er sich sicher. Sie würden Sheriff Lance Beauforts Revier nicht verlassen, nicht, ohne für ihre Taten zu bezahlen.