25. Kapitel

Pias Telefon klingelte erneut. Beinahe froh über die Ablenkung meldete sie sich sofort. »Das hilft mir weiter«, sagte sie nach einigen Sekunden nachdenklich. »Sehr gute Arbeit, Schelling!« Sie steckte ihr Telefon wieder ein. Stirnrunzelnd blickte sie Broders an.

»Ist die Tote wiederauferstanden?«, fragte ihr Kollege. »Das wäre wirklich zu schön, um wahr zu sein.«

»Nein. Aber Tilda hat uns anscheinend nicht die ganze Wahrheit gesagt.«

»Tilda, du weißt, warum wir noch einmal mit dir reden müssen?«, fragte Pia. Ole Bruhns hatte sie nur unter Protest ein weiteres Mal hereingelassen. Er setzte sich wie ein Wachhund neben seine Tochter aufs Sofa.

Tilda hatte das erneute Auftauchen der Polizei eher stoisch zur Kenntnis genommen. »Nein. Das weiß ich nicht.«

»Möchtest du allein mit uns reden?« Bei einer Minderjährigen zwischen vierzehn und achtzehn Jahren hatten die Eltern das Recht, bei einer Vernehmung durch die Polizei anwesend zu sein. Sie durften aber auch auf dieses Recht verzichten. Falls Tilda das wünschte …

Sie blickte kurz zu ihrem Vater hinüber, zuckte dann mit den Schultern. »Nein, es gibt nichts, was er nicht hören darf.«

»Also gut. Wir haben Grund zu der Annahme, dass du uns nicht ganz die Wahrheit gesagt hast, was den Ablauf des Abends betrifft.«

»Aber es ist die Wahrheit.«

»Wenn es nur nicht die ganze Wahrheit war, ist jetzt ein guter Zeitpunkt, deine Aussage entsprechend … zu erweitern«, baute Pia ihr eine Brücke.

»Ich weiß nicht, was Sie meinen!«

»Wenn ein Spurensicherungsteam seine Arbeit macht, Tilda, dann finden die eine ganze Menge Zeug. Auch Dinge, die nicht unmittelbar mit einem Verbrechen zu tun haben. Aber die eine Geschichte erzählen. Die auf einen bestimmten Ablauf der Ereignisse hindeuten. Und du solltest vielleicht wissen, dass die Kollegen nicht nur die Umgebung der Leiche in dem Wäldchen abgesucht haben, sondern zum Beispiel auch ein Stück vom Strand und den Parkplatz. In den Mülleimern haben sie ebenfalls nachgesehen …«

Tilda schaute Pia trotzig an. »Am Strand liegt leider oft eine Menge Müll herum. Keine Ahnung, was Ihre Leute da gefunden haben wollen … Ich bin nur spazieren gegangen.«

»Und du hast dort am Strand niemanden gesehen?«

»Ich habe ehrlich gesagt nicht besonders darauf geachtet, wer da noch so war … Ich war total in Gedanken versunken, wegen Bio, und ich habe dabei Musik gehört.«

Tilda Bruhns war geschickt. Doch warum glaubte sie, sich Hintertürchen offenhalten zu müssen? Das war beinahe verdächtiger als das, was Schellings Leute entdeckt hatten.

»In dem Fall müssen wir morgen noch einmal gemeinsam mit dir an diesen Strand fahren«, entgegnete Pia. »Und du zeigst uns an Ort und Stelle, wo genau du entlanggelaufen bist und wo du das Wäldchen betreten hast.«

»Also wirklich. Das ist doch Quälerei!«, protestierte Ole Bruhns aufgeregt. »Das können Sie nicht von meiner Tochter verlangen.«

»Das wäre wirklich nicht besonders schön«, räumte Pia ein. »Aber wenn es dir hilft, dich zu erinnern, Tilda, wo du vom Strand ins Wäldchen gegangen bist und wer dort höchstwahrscheinlich genau zu dieser Zeit gepicknickt hat …«

»Das können Sie doch gar nicht wissen!«, entfuhr es Tilda.

Pia und Broders ließen das ein paar lange Sekunden so im Raum stehen.

»Tilda?«, fragte ihr Vater.

»Ich habe nichts Falsches getan«, sagte sie trotzig. »Gar nichts.«

»Das behauptet auch niemand«, erwiderte Pia sanft. »Alles, was wir hören wollen, ist die Wahrheit. Und jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür.«

Tildas Gesichtsausdruck änderte sich von aufgebracht zu resigniert. Sie holte Luft. Die Tür flog auf, und eine Frau in Jeans und einer bunt gemusterten Tunika kam hereingestürmt.

»Friederike hat mir gerade gesagt, die Polizei sei hier?« Sie sah von einem zum anderen.

Pia erhob sich und erklärte ihr die Situation. Tildas Mutter ging zu ihrer Tochter und nahm sie in den Arm. Sie versuchte, sie zu trösten, was Tilda eher steif über sich ergehen ließ.

»Sehen Sie nicht, wie erschöpft sie ist?«, fragte Vicky Bruhns anschließend. »Können Sie sie nicht morgen weiter befragen?«

»Da habe ich Schule, Mama.«

»Ach, die Schule …« Sie wischte den Einwand mit einer raschen Handbewegung weg.

»Ich habe aber stundenlang für die Bioklausur morgen gelernt. Ich will die nicht allein nachschreiben müssen!« Ihre Stimme war kurz davor, sich zu überschlagen.

»Nur die eine Sache noch. Dann lassen wir dich in Ruhe, Tilda«, beharrte Pia ernst.

Die Ärztin schaute von ihr zu Broders. »Ich kenne Sie doch! Sie waren bei mir in der Praxis.«

»Das ist richtig«, antwortete Broders.

»Ich will, dass Sie jetzt gehen.«

»Vicky. Tilda steckt vielleicht in Schwierigkeiten«, sagte Ole Bruhns beschwörend. »Lass sie doch bitte ausreden.«

»Stimmt das?«, fragte Vicky Bruhns.

»Bisher wollen wir nichts als eine ehrliche Auskunft«, gab Broders zurück.

»Tilda, stimmt das?«, wiederholte sie.

»Ich möchte jetzt doch kurz mit Frau Korittki allein reden.«

Endlich saßen sie nur zu zweit in dem unaufgeräumten Wohnzimmer. Es strahlte eine lässige Gemütlichkeit aus. Pia setzte sich aufrecht hin. Sie war müde, und sie musste trotzdem konzentriert bleiben.

»Sagen Sie mir, was Sie gefunden haben«, forderte Tilda.

»Nein, das werde ich nicht. Nur so viel: Ich vermute aufgrund eines Gegenstandes, der am Strand sichergestellt wurde, dass du nicht allein dort warst. Und das wird sich gegebenenfalls auch nachweisen lassen.«

»Das ist gemein!«

Pia rührte der Konflikt der jungen Frau. Gleichzeitig wollte sie endlich die Wahrheit wissen. »Wen versuchst du zu schützen?«

»Ich will niemanden schützen!« In Tildas Stimme schwang Panik mit.

»Ich bin seit etlichen Jahren bei der Kriminalpolizei. Meiner Erfahrung nach wird es, egal, was es ist, sowieso herauskommen. Das ist bei Mordermittlungen so. Es treten auch immer viele Dinge zutage, die gar nichts mit dem Fall zu tun haben. Und so lange es möglich ist, wird das, was du sagst, vertraulich behandelt.«

»Das ist aber großer Mist.«

»Warum?«

»Ich war dort verabredet. Mit einem Mann. Doch das dürfen meine Eltern nicht wissen. Und auch sonst niemand.«

»Warum denn? Was ist schon dabei?«

»Aber er möchte nicht, dass das herauskommt.«

War der Mann schon etwas älter, vielleicht sogar verheiratet? Und dann traf er sich mit einer siebzehnjährigen Schülerin abends an einem einsamen Strand? Um Rotwein mit ihr zu trinken? Und wohl nicht nur das. Es wäre ein einleuchtendes Motiv dafür, dass er das Treffen geheim halten wollte. Wie ärgerlich für denjenigen, wenn seine Verabredung in dieser Situation über eine Leiche stolperte … Und wie rücksichtlos von ihm, danach von ihr zu verlangen, dass sie schwieg. Und wie weltfremd. »Warum möchte er das nicht, Tilda?«

»Weil ich noch nicht volljährig bin.«

»Das ist grundsätzlich erst einmal kein Verbrechen.«

»Aber er will das trotzdem nicht.«

»Ist der Mann, den du getroffen hast, verheiratet?«

»Nein!« Tilda klang entsetzt. »So eine bin ich nicht.«

»Vielleicht hat er es dir nur nicht gesagt?«

Sie schnaubte. »So einer ist er nicht.«

»Okay, was für einer ist er dann?«

»Er heißt Marko.«

»Und weiter?«

»Meister, glaube ich …«

»Glaubst du das, oder weißt du es?«

»Ich bin mir nicht sicher.« Ihre Wangen röteten sich.

»Hat er ein Auto? Kennst du das Kennzeichen?«

»Er war mit dem Motorrad da. Aber die Nummer weiß ich nicht.«

»Wo wohnt er?«

»In Lensahn.«

»Hast du seine Adresse, Tilda?«

»Nein. So lange kennen wir uns doch noch gar nicht.«

»Seine Handynummer?«

»Rufen Sie ihn bloß nicht an!«

»Du solltest mir besser seine Nummer geben, Tilda. Herausfinden werden wir sie sowieso.«

»Oh, nein. Bitte!«

Pia runzelte die Stirn. Der Aufruhr der jungen Frau erschien ihr übertrieben. Sie machte ansonsten einen eher vernünftigen Eindruck.

»Er hat doch gar nichts damit zu tun!« Tilda flehte sie nun förmlich an. »Marko hat die tote Frau nur aus großer Entfernung gesehen. Und dann ist er weggefahren … Und vorher hat er mich inständig gebeten, ihn nicht zu verraten. Ich habe es ihm versprochen

»Tilda, in einer Mordermittlung geht das so leider nicht.«

Sie schlug die Hände vors Gesicht und begann, lautlos zu weinen.

»Marko Meister ist ein guter, alter Bekannter von uns«, sagte Dana Bremer, nachdem Pia berichtet hatte, was sie bei den Bruhns herausgefunden hatten. Nach der Befragung von Tilda waren Broders und Pia noch zum Polizeirevier in Stüvensee gefahren. Obwohl es schon weit nach elf Uhr war, waren Dana Bremer, Holger Jansen und zwei weitere Kollegen auch noch dort. Der Fund von Linn Aubachs Leiche hatte die Mordermittlung im Fall »Schönfeld«, soweit das überhaupt möglich war, noch dringlicher gemacht.

»Inwiefern ein guter Bekannter?« Normalerweise bedeutete das, dass derjenige vorbestraft oder doch zumindest schon öfter aktenkundig bei der Polizei geworden war. Doch Pia konnte das nicht so ganz mit der recht pfiffigen Tilda und dem Familienidyll bei den Bruhns in Einklang bringen.

»Früher hatten wir öfter mit Marko Meister zu tun. Dann hat er wegen diverser Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz und Körperverletzung eine Jugendstrafe verbüßt, und es wurde ruhiger um ihn. Nun ist er wieder da – und bisher bleibt er auch unter dem Radar.«

»Meister war oder ist ein Dealer?«

»Ja, und kein kleiner. Er wird im Milieu ›Kojote‹ genannt.«

»Netter junger Mann.« Pia ließ sich auf einem der Tische im Konferenzraum nieder. Das war eine unerfreuliche Entwicklung. Tildas Weigerung, Meisters Namen zu nennen, wurde vor dem Hintergrund der Informationen auf einmal nachvollziehbar. Wäre sie in Gefahr, wenn Marko Meister erführe, dass sie sich nicht an ihr Schweigeversprechen gehalten und ihn »verraten« hatte? Und könnte die Polizei sie dann überhaupt schützen? Natürlich nicht. Drogenkriminalität war keine One-Man-Show. Selbst wenn sie Meister längerfristig aus dem Verkehr zögen, was unwahrscheinlich war, konnte trotzdem einer seiner »Kollegen« auf die Idee kommen, sich an Tilda zu rächen.

Pias erster Impuls, sofort zu Marko Meister zu fahren und ihn zur Rede zu stellen, verblasste. Wenn sie das Mädchen nicht in Gefahr bringen wollten, mussten sie schlauer vorgehen. Pia wusste nicht, ob Meister etwas mit dem Mord an Linn Aubach oder Burkhard Schönfeld zu tun hatte. Bisher gab es bis auf seine Anwesenheit am Fundort von Aubachs Leiche keinerlei Hinweise darauf. Es sei denn, er hätte gewollt, dass jemand, zum Beispiel Tilda, die Leiche entdeckte. Doch das schien Pia recht weit hergeholt zu sein. Andererseits, Meister war kriminell, oder er war es zumindest mal gewesen, und die Kreise hier auf dem Land waren klein.

Es war halb zwei Uhr nachts, als Pia die Treppe zu ihrer Wohnung hinaufstieg. Sie schloss leise auf, zog sich aus, wusch sich Hände und Gesicht und putzte sich die Zähne. Dann warf sie noch einen Blick ins Kinderzimmer, wo Felix friedlich schlief, und ging ins Schlafzimmer.

Marten war noch wach. »Komm her.« Er zog sie in die Arme.

»Warum schläfst du noch nicht? Du musst nicht auf mich warten.«

»Ich konnte nicht einschlafen. Der Artikel war zu spannend.« Er deutete auf eine Zeitschrift, die neben ihm lag.

»Die Tote ist bereits identifiziert«, sagte Pia. Sie wusste, dass Marten einerseits alles vertraulich behandelte, was sie ihm erzählte, andererseits Verständnis dafür hatte, dass sie das zu Hause nicht sofort aus dem Kopf bekam – nicht nach einem neuen Leichenfund.

»Das ist gut.« Er sah ihr in die Augen. »Ist es denn deine verschwundene Zeugin?«

»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Die ist es nicht. Ist es schlimm, dass ich erleichtert bin, dass sie es nicht ist, obwohl es ja nur bedeutet, dass eine andere Frau ermordet worden ist?«, fragte sie ihn.

»Nein. Du fühlst dich für die Zeugin verantwortlich. Es wäre aber auch nicht deine Schuld gewesen, wenn ihr etwas passiert wäre, Pia. Nicht in dem Maße, wie du denkst.«

»Das ist leicht gesagt …«

»Nein. Wenn du sie sofort nach Hause hättest fahren lassen, eine wichtige Zeugin in einem Mordfall, wäre das für die Ermittlung nachteilig gewesen. Das konntest du nicht riskieren.«

»Ich hätte für ihre Sicherheit sorgen müssen.«

»Du konntest nicht ahnen, dass sie überhaupt in Gefahr ist.«

»Es stand zu befürchten, dass sie den Täter vielleicht doch gesehen hat.«

»Dann hätte sie es der Polizei sofort mitteilen müssen. Das ist ihre Verantwortung, nicht deine.«

»Aber angenommen, sie hat ihn nicht gesehen, aber der Täter denkt, dass sie ihn gesehen hat.«

»Das ist natürlich möglich. Dann wäre das eine schwierige Situation für sie. Vielleicht ist sie ja deshalb einfach ohne ein Wort weggefahren? Oder auch nur, um sich langwierigen Fragen zu entziehen und Abstand zu gewinnen. Ich glaube nicht, dass sie tot ist. Dein Täter scheint seine Opfer ja nicht gerade vor der Welt zu verstecken.«

»Mein letztes Opfer lag unter Zweigen in einem Wäldchen an einem Naturstrand«, sagte Pia zweifelnd.

»Vergraben?«

»Nein, nur mit Ästen leicht bedeckt.«

»Das ist kein Versteck. Der nächste Hund, der von Herrchen oder Frauchen von der Leine gelassen wird, musste die Leiche finden.«

»Leider war die unglückliche Finderin eine Schülerin, siebzehn Jahre alt, die ein Rendezvous am Strand hatte, von dem keiner wissen sollte.«

»Warum sollte keiner davon wissen?«

»Nun, der Mann hat ihr wohl nahegelegt, ihn nicht zu erwähnen, und sich dann aus dem Staub gemacht.«

»Klingt nicht gerade vertrauenerweckend.«

»Aber es kommt noch schlimmer: Inzwischen wissen wir, um wen es sich handelt. Der Mann ist nicht nur ein paar Jahre älter als sie, er ist auch ein polizeibekannter und brutaler Drogendealer, der schon mal eine Jugendstrafe verbüßt hat.«

»Jugendakten sind doch unter Verschluss.«

»In dem Fall kommt mir zugute, dass auf dem Dorf jeder jeden kennt. Er hat auch einen beeindruckenden kriminellen Spitznamen aus dem ›Reich der Prädatoren‹.«

»Weiß deine Schülerin das?«

Pia hob die Schultern. »Ich habe die Hintergrundinformationen zu ihrem Freund erst nach ihrer Befragung erfahren. Aber sie ahnt offensichtlich, dass sie in Gefahr ist, wenn der Mann erfährt, dass sie uns von ihm erzählt hat.«

Marten stieß einen Fluch aus.

»So ist es! Nur lass Felix das bitte nicht hören«, setzte sie mit einem schwachen Lächeln hinzu.

»Ich mache mir Sorgen um Tilda«, sagte Vicky Bruhns mit Nachdruck.

Ole drehte sich zu ihr um und stützte sich stöhnend auf den Unterarm auf. Vicky Bruhns wurde klar, dass er wohl wirklich schon geschlafen hatte. Wie konnte er das in dieser Situation?

»Ich mache mir auch Sorgen«, antwortete er, noch ein bisschen benommen. »Aber sie wird schon darüber hinwegkommen. Wir werden ihr dabei helfen. Sie ist ein starkes Mädchen.«

»Oder sie hält sich nur für stark.«

»Was meinst du damit?«

»Was ich gesagt habe. Ist sie stark, oder sucht sie nach Stärke?«

»Was um Himmels willen meinst du damit?« Ole schaltete das Nachttischlicht ein.

Sie suchte nach den richtigen Worten. Es war zu kompliziert. Alles wuchs ihr über den Kopf. Ihr war schwindelig, obwohl sie sich in ihrem Bett befand.

Er beugte sich zu ihr. »Vicky, was hast du denn?«

Sie konnte es ihm nicht sagen. Und sie konnte Ole auch nicht nach seinem blutigen Shirt fragen, das sie im Müll gefunden hatte. Wenn sie ihm vertraute, müsste sie das doch können! Und warum hatte sie ihm nicht von ihrer Sorge in Bezug auf Tilda erzählt? Zumindest daran ging jetzt kein Weg mehr vorbei. »Ich habe Tilda neulich mit jemandem gesehen«, bemerkte sie.

»Und mit wem?« Ole klang jetzt wesentlich konzentrierter.

»Es war in Neustadt«, antwortete sie. »Ich war beim Frisör gewesen. Tilda kam aus einem der Geschäfte und stieg in einen Wagen.«

»Ja, und?«

»Es war so ein scheußlich aufgemotzter Sportwagen. Und der Mann am Steuer …«

»Was war denn mit dem?« Ole wirkte leicht gereizt.

Vicky Bruhns schüttelte nur den Kopf. »Ich hätte nie gedacht, dass Tilda sich mit so einem abgibt.«

»Warum hast du sie nicht gefragt, wer das war?«

»Ich wollte es ja …« Doch anstatt ihre Tochter noch am selben Tag auf den Mann anzusprechen, hatte sie abgewartet. In der Praxis war so viel los gewesen. Sie hatte das Unangenehme, die drohende Konfrontation, einfach beiseitegeschoben und sich eingeredet, dass schon alles in Ordnung sei. »Warum hat Tilda mit der Kommissarin allein gesprochen? Ob es wegen dieses Mannes war?«

»Das hoffe ich doch nicht.« Ole klang auf einmal verunsichert.

»Ich fürchte, dass sie uns etwas verheimlicht.«

»Okay. Wenn du dir solche Sorgen deswegen machst, reden wir morgen mit Tilda darüber«, erwiderte Ole nach einer kleinen Pause. »Deswegen herumzurätseln nützt überhaupt nichts. Das ist die einzige Möglichkeit.« Er schaltete das Licht aus.

Vicky Bruhns lag in der Dunkelheit und lauschte den Atemzügen ihres Mannes, die nach einigen Minuten wieder vollkommen regelmäßig waren. Ole war eingeschlafen.