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STUNDEN: 56
TAPE LIZZY
Aufnahme 1
Hallo, ich bin Lizzy, und ich finde es gut, dass ich einen Moment hier sitzen und reden kann ... Es tut mir leid, dass ich ständig heulen muss, aber ich fühle mich so schlecht ... Und ich habe solche Angst!
Ich habe niemandem erzählt, was ich in meinem Zimmer gesehen habe, sonst glauben sie, dass ich ... dass ich ...
Oh Gott, wir werden alle hier sterben, ich schwöre es euch ... Ich hasse dieses verdammte Haus. Ich hasse Leute, die einfach irgendeinen Scheiß reden ... Zum Glück ist Maxime noch da. Aber ich traue mich auch nicht, es ihr zu erzählen, denn dann müsste ich ihr alles erzählen. Ich habe sie gerade deswegen gefragt, ob sie mitkommt, weil sie eben nur die alte Lizzy kennt. Die Lizzy aus der Grundschule, die vor nichts und niemandem Angst hatte, die nur weinen musste, wenn sie beim Fußball hinfiel.
Eigentlich fühlte ich mich gestern Abend noch ganz okay. Wir hatten die letzte Tüte Chips leergegessen, weil wir dachten, wir könnten heute nach Hause fahren. So dumm ...
Maxime und ich gingen als Erste nach oben, und ich bin ins Bett gekrochen, ohne mir die Zähne zu putzen. Ich hätte heulen können, weil ich meinen Kulturbeutel noch immer nicht gefunden hatte. Aber hey, ein paar Tage ohne werde ich doch wohl noch überleben, oder?
Ich habe Anne und Sami noch gehört, wie sie im Flur geredet haben, obwohl sie wahrscheinlich dachten, es könnte sie keiner hören. Ob ihr klar ist, was sie da macht? Bei manchen Jungs muss man aufpassen, weil sie einen nie glücklich machen können.
Kurz darauf habe ich Daniels Schritte gehört, auf dem Weg ins Bett. Ein Poltern im Wohnzimmer, wahrscheinlich von Vincent, der sich seinen Schlafplatz auf dem Sofa baute. Und dann wurde es still.
Es war so dunkel in meinem Zimmer ... Das Teelicht leuchtete nur schwach. Und überall hörte ich seltsame Geräusche. Das Knarzen von einem Brett irgendwo. Ein klappernder Fensterladen. Ich bekam Gänsehaut am ganzen Körper.
Ich musste an so viele Dinge denken, an die ich nicht mehr denken wollte. An früher. An die Schule. An die gemeinen Biester, die mich nie als eine der ihren akzeptiert haben, weil mein Hintern zu dick war und meine Nase zu groß. An meine Mutter, die mir, als ich sechs war, auf meine Frage hin, warum außer mit niemand in der Familie eine dunkle Hautfarbe habe, einfach so erzählte, ich sei adoptiert. An das erste Mal, als ich weggelaufen bin, mit vierzehn. Ich habe mir die Haare blond gefärbt, und es wurde orange. Ich habe aufgehört zu essen, weil ich auch so dünn sein wollte wie alle anderen Mädchen auf der Schule. Aber egal, was ich sagte, was ich tat, welche Kleidung ich trug – es war nie richtig. Ich fühlte mich nirgends zu Hause. Ich wollte nicht mehr ich sein.
Ich konnte es fast wieder spüren, obwohl das nicht mehr passiert war, seit ... seit ... Oh Gott, nicht schon wieder ...
Konzentrier dich auf deine Atmung, versuche, dich zu entspannen, du bist es wert, es gibt Menschen, die dich lieben. Ich kannte alle Tipps auswendig, aber trotzdem dauerte es Stunden, bis ich einschlafen konnte.
Mitten in der Nacht wurde ich von etwas geweckt. Vielleicht von einem Geräusch, vielleicht von etwas in meinem Unterbewusstsein. Meine Augen mussten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen. Und dann sah ich es. In der Zimmerecke. Einen Schatten ... Er bewegte sich nicht, als würde er schon seit Stunden auf mich warten.
Im Dunkeln konnte ich kein Gesicht erkennen, es war eher ein Schemen, aber ich spürte einfach, dass er mich anschaute. Und dass er mich hasste ... Ich hatte so eine Angst, dass ich mich fast übergeben musste.
Das kann nicht sein, habe ich mir gesagt. Wir hatten alle Türen und Fenster geschlossen. Es konnte einfach niemand in meinem Zimmer stehen!
Aber er stand wirklich dort. Und er ging nicht weg.
Ich tat das Einzige, was mir einfiel: die Augen schließen. Wenn ich den Schatten nicht mehr sehen konnte, gab es ihn nicht! Es war etwas in meinem Kopf. Ein Traum ...
Gleich würde ich aufwachen.
Gleich würde alles wieder normal sein.
Nur war dieses Mal nichts normal, als ich wach wurde. All das Blut ... Es war auf meinem T-Shirt, in meinen Haaren. Ich ... ich habe noch nie so viel Blut gesehen.
Das war eine Botschaft. Für mich.