Es ist bullig warm in der Küche. Sami und Daniel haben die Heizungsanlage vor einer halben Stunde in Gang setzen können – jetzt strömt warme Luft aus jedem Lüftungsrost. Ich gehe fast ein in meinem dicken Pullover.
Ich fummele am eisernen Griff an einem der Rahmen herum, und das Fenster öffnet sich knarrend. Durch den Spalt spähe ich in den Garten. Es ist stockfinster draußen, der Wald ist komplett im Abend verschwunden. Ich kann ihn nur hören. Der Wind bringt die Bäume zum Stöhnen und Seufzen. Es klingt wie ein Jammern. Wie etwas Menschliches. Plötzlich fühle ich mich unwohl.
»Hey, du Irre, mach mal das Fenster zu, es wird doch eiskalt hier drin!«, höre ich Maximes Stimme hinter mir. »Du wolltest doch den Salat putzen?«
Schnell klappe ich das Fenster wieder zu. »Äh, ja, mache ich jetzt. Warum hast du nicht einfach so ein Tütchen fix und fertig geputzten Salat mitgenommen?«
»Vergessen.« Maxime grinst mich an. »Tut mir leid.«
»Für dieses eine Mal vergebe ich dir«, sage ich, während ich mich umdrehe und den Salat aus dem Kühlschrank nehme. Die Glühbirne darin ist kaputt, und die Wände sind völlig vergilbt.
»Igitt, was für ein alter Plunder. Was ist das eigentlich für ein Vermieter?«, frage ich.
Maxime gibt die Spaghetti in einen großen Topf mit kochendem Wasser und stellt das Gas niedriger. »Keine Ahnung. Ich glaube, irgendein alter Mann, der ganz verrückt nach Holz und ekligen Sachen ist.«
»Ich habe auch keine Ahnung«, sagt Lizzy. »Wir hatten Glück, dass es verfügbar war. Laut Daniel wird diese Hütte fast nie vermietet. Vielleicht wohnt der Eigentümer ja selbst den größten Teil des Jahres hier.«
Ich kann mir nicht vorstellen, dass hier tatsächlich jemand dauerhaft wohnt. Was macht man in so einem Wald?
Lizzy geht zum Kühlschrank. »Weinchen?«
»Gern«, sagt Maxime und tut, als wäre das die normalste Sache der Welt.
Maxime und ich haben nur einmal zuvor Alkohol getrunken. Zwei Gläser Wodka-Cola auf der Party eines Klassenkameraden, dessen Eltern nicht zu Hause waren. Danach haben wir alles wieder ausgekotzt. Ob sie das wohl vergessen hat?
»Du auch, An?«, fragt sie.
»Nein, danke, nachher vielleicht.«
»Wie du willst.« Maxime zuckt mit den Schultern und geht lächelnd zu Lizzy, die ihr ein volles Weinglas reicht.
»Prost! Schön, dass ihr hier seid«, sagt Lizzy. An ihrem Blick sehe ich, dass sie es auch wirklich so meint, und das irritiert mich. Mir wäre eine Wahnsinnsbitch lieber gewesen, dann hätte ich wenigstens einen Grund gehabt, sie nicht ausstehen zu können. Aber sie ist nicht so ein typisches High-Class-Mädel, wie sie bei uns an der Schule herumlaufen. Sie hat auch etwas Verletzliches. Als wäre ihr selbst nicht klar, wie bildhübsch sie ist.
Maxime trinkt einen großen Schluck von ihrem Wein. »Wusstest du, dass Lizzy in Utrecht ein Zimmer hat?«, fragt sie mich. »Das ist bestimmt total cool, nach der Schule will ich das auch.«
»Ja, das kann ich mir bei dir auch wirklich gut vorstellen«, meint Lizzy. »Dann kannst du alles machen, worauf du Bock hast, und niemand kontrolliert dich.«
»Besuchst du deine Eltern denn noch?«
»Manchmal fahre ich am Wochenende zu ihnen ...« Ihre Stimme gerät ins Stocken. »Zum Waschen oder wenn ich Geld brauche, versteht ihr?«
Maxime nickt. »Ich wünschte, ich könnte jetzt schon ausziehen«, sagt sie mit betretenem Gesicht. »Es ist wirklich nicht schön bei meiner Mutter.«
»Du kannst gern bei mir übernachten, wenn du es zu Hause nicht mehr aushältst«, sagt Lizzy. »Fühl dich immer willkommen.«
»Wirklich?« Maxime nimmt Lizzy in den Arm. »Das ist echt lieb!«
Lizzy lächelt. »Ich bin froh, dass wir wieder Kontakt haben. Ich fand es damals so schlimm, als du weggezogen bist.«
»Ich auch! Friends again!« Maxime dreht mir den Rücken zu und zieht Lizzy mit sich.
Plötzlich fühle ich mich wie eine Außenstehende. Verbissen wasche ich den Salat, bis meine Finger eiskalt sind vom Wasser.
»Ist der Salat fertig, Anne?«, höre ich Maxime fragen. »Ich hole jetzt die Schale aus dem Ofen.«
»Klar«, sage ich eine Spur zu laut.
Maxime zerdrückt den Feta und die Cherrytomaten in der Auflaufschale und schüttet die gekochten Spaghetti dazu. Während sie mit einem Löffel alles vermengt, fragt sie Lizzy: »Wie oft siehst du Daniel eigentlich?«
»In letzter Zeit leider nicht mehr so oft. Er ist mein Lieblingscousin. Seine Eltern sind vielleicht noch ein bisschen durchgeknallter als meine.« Lizzy kichert.
»Kaum vorstellbar.« Maxime rührt jetzt schneller. »Mist, die Spaghetti kleben am Feta. Das ist ein einziger großer Klumpen. So sah das auf TikTok aber nicht aus!« Sie wirft uns einen verzweifelten Blick zu.
Lizzy beugt sich über die Auflaufschale. »Hm. Das sieht wirklich ziemlich eklig aus. Wie Pasta Sperma!«
Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll, und sehe an Maximes erstauntem Blick, dass es ihr genauso geht. Aber dann schieben sich ihre Mundwinkel nach oben. »Jetzt aber Vorsicht! Du redest über meine Kochkünste.«
Lizzy grinst. »Welche Künste?«
Und da muss ich auch lachen. »Du kochst zum ersten Mal im Leben, Max!«
Kreischend vor Lachen fallen wir uns in die Arme. Es fühlt sich befreiend an. Vielleicht können wir doch zu dritt Spaß in diesem Urlaub haben.
Lizzy nimmt die Auflaufform von der Anrichte. »Kommt, wir bringen dieses unvergleichliche Drei-Sterne-Gericht zu den Boys.«
»Sie werden uns dafür hassen«, sagt Maxime.
»Yep, hundertpro.«
Zu dritt begeben wir uns ins Wohnzimmer. Als Letzte schließe ich die Küchentür, wobei ich noch einmal über meine Schulter schaue. Und ich wünsche mir augenblicklich, ich hätte es nicht getan. Am Küchenfenster sehe ich einen Schatten, der sich bewegt. Erst nach ein paar Sekunden wird mir klar, dass ich das wahrscheinlich selbst bin. Reglos starre ich auf mein eigenes Spiegelbild in der Scheibe. Für einen kurzen Moment verspüre ich den Impuls, Maxime und Lizzy zu rufen, damit sie nachschauen, ob da wirklich niemand ist. Aber ich gebe ihm nicht nach. Wer sollte sich schon dort herumtreiben?