Das war so ärgerlich heute Morgen. Wir saßen in der Küche und starrten ein wenig schläfrig vor uns hin. Alle waren erleichtert, die Nacht sicher überstanden zu haben. Maxime und Daniel fingen an, über den letzten Cracker zu streiten. Maxime sagte, sie bräuchte mehr zu essen, weil sie sich nicht gut fühlte. Daniel sagte, er wolle den Cracker aufheben und sie müsse nur einen Schalter im Kopf umlegen. Maxime meinte, das hätte sie schon längst getan, und jeder hätte Recht auf seinen Anteil.
Vincent war sichtlich genervt von allem und sagte, er würde jetzt mal Tee kochen. Niemand achtete so richtig auf ihn.
Mit seinen vom Schlaf verstrubbelten Haaren stand er über die Anrichte gebeugt. Er drehte den Wasserhahn auf und suchte in den Küchenschränken nach dem Teekessel.
Dann geschahen mehrere Dinge gleichzeitig. Maxime rief, Daniel sei ein egoistischer Arsch. Vincent stieß sich den Kopf an einer Schranktür. Und aus dem Wasserhahn kam ein merkwürdig gurgelndes Geräusch.
Sami verstand als Erster, was da gerade passierte. »Dreh den Hahn zu!«, brüllte er. »Sofort!«
Aber es war schon zu spät.
Das ist jetzt ein paar Stunden her. Wir haben alle Wasserhähne im Haus ausgetestet. Nirgends kommt mehr etwas heraus. Nicht mal ein Ministrahl oder ein paar Tropfen.
»Vielleicht haben wir gleich wieder Wasser«, sagt Maxime. Sie sieht aus wie ein Gespenst mit ihrer leichenblassen Haut und den dunklen Schatten unter den Augen.
»Ich fürchte, dazu wird es nicht kommen«, antwortet Daniel. »Wir haben auch immer noch keinen Strom.«
Vincent schlägt mit der Faust auf den Tisch. »Verdammt, irgendjemand spielt da ein gemeines Spiel mit uns. Der macht das zum Spaß. Wir haben es hier mit einem Sadisten zu tun.«
»Ja, glaube ich auch«, sagt Sami düster. »Aber warum?«
Schweigend starren wir uns an.
»Keine Ahnung.« Daniel seufzt. »Aber ich weiß, dass wir ein ernsthaftes Problem haben. Ohne Wasser kann man maximal drei Tage überleben.«
Vincent reibt sich über die dunklen Stoppeln auf den Wangen. »Ich weiß nicht, wie ihr das seht, aber ich werde nicht hier warten, bis wir alle sterben.«
Sami schaut ihn überrascht an. »Bitte? Wie meinst du das?«
»Ich meine, dass einer von uns versuchen muss, das Dorf zu erreichen. Ich glaube wirklich, wir haben eine Chance. Dieser Mann behält die Hütte niemals vierundzwanzig Stunden am Tag im Auge. Er muss schließlich auch mal essen und schlafen.« Vincent sieht uns mit funkelnden Augen an.
»Nur die Ruhe«, murmelt Daniel. »Lasst uns keine übereilten Entscheidungen treffen.«
»Ich stimme Vincent zu«, sagt Sami. »Wenn wir nichts tun, werden wir ohne Wasser sehr schnell schwächer. Momentan sind wir noch einigermaßen fit.«
Lizzy räuspert sich. »Ich ... ich glaube, wir sollten lieber drinnen bleiben und auf Hilfe warten«, sagt sie mit niedergeschlagenen Augen. »Wir wissen immer noch nicht, was da eigentlich los ist.«
»Ich bin Lizzys Meinung«, sagt Maxime.
»Leute, hört mal zu.« Vincent hebt die Hände. Ich sehe, dass es ihn Mühe kostet, ruhig zu bleiben. »Wenn niemand Lösegeld gefordert hat, wissen sie zu Hause vielleicht nicht einmal, dass etwas passiert ist. Dann werden sie uns erst in ein paar Tagen suchen. Oder in einer Woche. Und dann sind wir bereits tot.«
Niemand sagt etwas. Ich glaube, eigentlich wissen wir alle, dass Vincent recht hat. Daniel atmet tief ein und aus. Plötzlich weiß ich, dass dies so ein Moment ist, in dem sich die Dinge für immer ändern.
»Lasst uns abstimmen«, schlägt Daniel vor. »Das ist am fairsten. Wer ist der Meinung, wir sollten Hilfe suchen?«
Sami, Vincent und Daniel heben die Hände. Maxime und Lizzy halten ihre Arme fest verschränkt.
Mir wird warm, als mir klar wird, dass alles von meiner Stimme abhängt.
So einen Tag und eine Nacht schaffe ich nicht noch einmal. Ich habe alle Hoffnung aufgegeben, dass schnell Hilfe kommt. Dass wir jemals noch nach Hause können ... Es fühlt sich an wie ein Sumpf, in dem wir immer weiter versinken. Ich muss jede Gelegenheit nutzen, hier rauszukommen.
Ohne einen Blick zu Maxime und Lizzy hebe ich die Hand.
Ich höre, wie Maxime ihren angehaltenen Atem entweichen lässt. Verräterin.
»Gut, dann hat die Mehrheit beschlossen, dass wir Hilfe holen«, sagt Daniel leise. »Mein Vorschlag wäre, dass wir die Dämmerung abwarten. Die Wahrscheinlichkeit, unbemerkt durch den Wald laufen zu können, ist dann viel größer. Sind alle damit einverstanden?«
Es folgt eine kurze Diskussion, in der Sami sagt, er würde lieber gleich gehen. Vincent ruft, Sami sei verrückt, er sei schließlich bei Tageslicht angegriffen worden.
Letzten Endes geben wir alle nach: Wir warten noch ein paar Stunden.
»Bietet sich jemand freiwillig an?«, fragt Daniel.
Dieses Mal geht keine einzige Hand nach oben.
»Dann losen wir.« Daniel nimmt den Notizblock und reißt ein Blatt ab. »Wer das Los mit dem Kreuz zieht, läuft nachher ins Dorf. Hat jemand einen Stift?«
Vincent schüttelt den Kopf. »Nein, aber im Wohnzimmer lag einer. Soll ich ihn holen?«
»Lass nur, ich hole ihn selbst.« Daniel steht auf. »Bin sofort zurück.«