Stunden: 118

Ich wache auf. Graues Tageslicht schimmert zwischen den Vorhängen durch. Für einen Moment glaube ich, ganz allein zu sein, und spüre die blanke Angst aufsteigen. Aber dann sehe ich Maxime und Lizzy neben mir. Sie schlafen noch. Heute Nacht war es unvorstellbar kalt. Wir haben alle Decken und Bettdecken, die wir finden konnten, ins Wohnzimmer geschleppt, die Handtücher, Pullover, alles. Und wir haben uns dicht nebeneinandergelegt. Aber mir wurde einfach nicht mehr warm. In mich ist eine Kälte gekrochen, die nicht mehr weggeht.

Ich drücke mich ein wenig hoch, um zu schauen, wo Sami liegt, aber seine Matratze ist verlassen. Vielleicht ist er ja doch bei Daniel ... Mit einem Seufzer lasse ich mich wieder zurückfallen. Ich habe in dieser Nacht kaum geschlafen. Es war so still und dunkel im Haus, fast unwirklich. Ich war ziemlich sicher, dass wir nicht allein waren. Dass alle Schatten im Zimmer uns beobachteten.

Wir haben alle die Regel gebrochen. Wir waren alle im Freien ...

Ich habe meinen Kopf im Kissen vergraben, um die Dunkelheit im Zimmer nicht mehr zu sehen, aber das aufgeschreckte Gefühl blieb. Jedes Mal, wenn ich einen Augenblick einnickte, kam derselbe Traum zurück. Ich lief durch den Wald. Ich hörte Vincent schreien. Ich rannte zu ihm und sah ihn zwischen den Bäumen stehen, von langen Schatten umgeben. Er stöhnte, flehte und jammerte vor Schmerzen. »Vincent, du musst fliehen!«, rief ich. »Los, komm zu uns, hier bist du sicher.« Aber als er sich umdrehte, war es nicht Vincent, sondern Daniel, und er war schon tot. Dieser Albtraum verfolgte mich überall im Schlaf.

Ich ziehe meine Decke noch höher. Ich habe keine Lust aufzustehen, das graue Tageslicht sticht in meinem Kopf, und alles tut weh.

Maxime liegt still neben mir auf der Seite. Ihre Haut ist stumpf und gelblich. Ihr Atem riecht ein bisschen seltsam, nach Nagellackentferner. Ich höre Lizzys schweren Atem auf der anderen Seite. Sie ist noch im Tiefschlaf.

Plötzlich schlägt Maxime die Augen auf.

»Hey, du bist wach«, sage ich leise.

Sie nickt. Wie eine Raupe kriecht sie ein Stück aus ihrer Bettdecke.

»Ich traue mich nicht mehr zu schlafen«, flüstert Maxime. »Ich habe solche Angst, dass ich dann nie wieder die Augen aufmache.«

»Bitte, Max, sag doch so was nicht.«

»Ich will es wissen, wenn ich sterbe, verstehst du das?«, sagt sie mit hoher, panischer Stimme.

Ich lege mir den Zeigefinger auf die Lippen und deute auf Lizzy. Pst, sonst weckst du sie.

Maxime lässt den Kopf hängen. »Ich musste heute Nacht plötzlich an ein Projekt für Sozialkunde denken. Nach den Herbstferien muss ich es abgeben. Ich stehe da jetzt gerade bei einer Vier ... Kannst du dir vorstellen, dass ich mir darüber einen Kopf mache? Wen interessiert das denn noch? Unser altes Leben gibt es nicht mehr.«

Ich verstehe, was sie meint. Es gibt nur noch das Hier und Jetzt. Das füllt meinen Kopf vollständig und schiebt alle Erinnerungen und die Hoffnung auf die Zukunft beiseite.

»Anne ... würdest du meine Hand halten?«, fragt Maxime kaum hörbar.

Ich räuspere mich. »Äh ja, natürlich.«

»Und wenn du glaubst, dass ich nicht mehr atme, würdest du ... würdest du mir dann die Hand drücken, damit ich wach werde?« Maximes Stimme bricht.

»Versprochen.« Schnell wische ich eine Träne weg, die mir über die Wange rollt.

Unsere Finger verschränken sich. Es ist lange her, dass wir so eng miteinander verbunden waren.