Zum ersten Mal zeigt sich der Große Komet im zwanzigsten Regierungsjahr Ihrer Majestät, Königin Elizabeth von England. Tief am Himmel taucht er über dem westlichen Horizont auf, und weithin wird angenommen, dass er das Ende aller Tage ankündigt, eine Zeit, da der Menschensohn kommen wird, um über sämtliche Völker der Erde zu richten, ehe sich die Meere erheben, die Sonne schwarz wird und flüssiges Feuer vom Himmel fällt.
Zwanzig Meilen nördlich von London, im Hatfield House in Hertfordshire, liegt die Königin krank in ihrem Bett. Sie schwitzt, ihre Glieder schmerzen, und ihre Eingeweide verkrampfen sich. Als sie von dem Kometen erfährt, schickt sie ihre Ärzte fort und lässt stattdessen Dr. John Dee zu sich rufen. Allerdings ist es heute zu spät, um noch eine Nachricht an ihn zu senden.
In dieser Nacht schläft Ihre Majestät sehr schlecht, sie hat Albträume von kochendem Feuer und kreischenden Männern. Als sie wach wird, erklärt sie ihren Kammerfrauen, dass sie in den Whitehall Palace zurückkehren möchte. Dort weiß sie ihre Londoner in der Nähe, kann mit ihren Geheimräten tagen und wird bereits an Ort und Stelle sein, wenn John Dee eintrifft.
Ihre Ärzte und Kammerfrauen raten ihr ebenso davon ab wie Sir John Jeffers, der just an diesem Tag zum Hauptmann ihrer Leibgarde ernannt wurde.
»Die Straße ist sehr schlecht und das Wetter nicht minder«, warnt er Lettice Knollys, die Erste Kammerfrau, die zu ihm geschickt wurde, um ihn über die Wünsche der Königin in Kenntnis zu setzen. »Und da Ihre Majestät schon jetzt krank ist …«
Seine Stimme erstirbt unter Mistress Knollys’ vernichtendem Blick.
»Nun gut«, gibt er sich seufzend geschlagen, »ich werde mich darum kümmern.«
So beaufsichtigt er am späten Vormittag eines scheußlichen Tages mitten im Regen, der von einem pechschwarzen Himmel herabprasselt, die Reisevorbereitungen der unmittelbaren Vertrauten Ihrer Majestät, die in fünf Kutschen das Allernötigste mitnehmen – unter anderem den Toilettenwagen, damit sie sich unterwegs erleichtern kann. Als sie sich schließlich auf der Landstraße in Richtung Osten und Waltham Cross in Bewegung setzen, hoffen sie, London vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen.
Doch Jeffers behält recht: Zu dieser Jahreszeit ist die Straße tatsächlich in einem erbärmlichen Zustand. Bald bricht an der Hauptkutsche der Königin eine Achsenfeder, und dann beginnt auch noch ein Pferd im Gespann vor dem zweiten Wagen zu lahmen, sodass sie es in Waltham Cross zurücklassen müssen. Bevor sie kurz nach Mittag die große Weggabelung erreichen und in südlicher Richtung abbiegen, müssen sie zusätzlich dreimal anhalten, damit sich Ihre Majestät in den Toilettenwagen begeben und ihre Gedärme – komfortabel und von niemandem gestört – entleeren kann. Jedes Mal muss der ganze Konvoi stehen bleiben und alle mit abgewandtem Blick warten, während die Königin von einem Wagen zum anderen geführt wird. Unter den Frauen bricht ein Streit darüber aus, bei wem Ihre Majestät einsteigen soll, und bald weiß Jeffers nicht mehr, wo ihm der Kopf steht.
»Wir hätten bis morgen warten sollen«, hält ihm sein Sergeant vor, als sie wieder einmal zu einer Pause gezwungen sind.
»Versuch doch mal, das Mistress Knollys zu sagen.«
Es wird bereits Abend, als sie sich dem großen Wald südlich von Waltham nähern. Kurz bevor sie ihn erreichen, gerät der Zug erneut ins Stocken, denn sie kommen einfach nicht an einem hoch mit Mist beladenen Karren vorbei, von dem eine widerwärtige Dampfwolke aufsteigt.
»Nur fürs Düngen zu gebrauchen«, kommentiert der Sergeant.
Jeffers fordert den Fuhrmann auf, den Weg frei zu machen, dann bläst der Trompeter ein Signal. Doch der Karren ist einfach zu breit und der Weg zwischen den hohen Hainbuchen zu schmal, sodass dem Kutscher wenig anderes übrig bleibt, als fester auf sein Tier einzuschlagen.
Die Prozession der Königin – jetzt von einem stinkenden, primitiven Karren angeführt – kriecht im Schneckentempo dahin. Eine gute Stunde lang geht das so weiter, bis der Weg immer sumpfiger wird und ihnen an den Rändern wachsende Brombeerbüsche die Haut zerkratzen. Schließlich bleibt der Karren im Schlamm stecken, und das Zugpferd müht sich vergeblich damit ab, ihn auch nur einen Zoll weiterzubewegen.
»Dem gehört doch Scheiße ins Maul gestopft!«, schimpft der neben dem Kutscher sitzende Hauptmann.
Jeffers will gerade aufstehen, um irgendetwas zu tun – was, das weiß er selbst nicht –, als auf der Ladefläche des Karrens zwei Männer aus dem Stroh auftauchen. Sie wirken wie Dämonen. Einen Moment lang starrt Jeffers sie nur an und traut seinen Augen nicht. Die Kerle haben Hakenbüchsen, und der vom Stroh aufsteigende Dampf war in Wirklichkeit Rauch. Sie haben die Lunten ihrer Waffen entzündet, und die brennen jetzt unaufhaltsam. Jeffers wirft sich zur Seite, als vor ihnen zwei Blitze zucken und die Waffen mit einem dumpfen Donnerschlag explodieren. Gleich darauf macht er einen gewaltigen Satz und kracht auf die Erde. Im selben Moment zerfetzen die Kugeln aus den zwei Hakenbüchsen dem Kutscher das Gesicht. Sein Kopf schnellt zurück, und mit in die Höhe fliegenden Armen wird er aus seinem Sitz geschleudert.
Benommen versucht Jeffers aufzustehen, doch nun tauchen aus den Schatten über seinem Kopf immer mehr Schemen auf, jeder mit Hakenbüchse und brennender Lunte. Unter wirrem Gebrüll versucht Jeffers, sein Schwert zu ziehen. Als das nicht gelingt, will er wenigstens zurück auf den Kutschbock klettern, rutscht aber im Schlamm aus. Für Ihre Majestät würde er sich vor jede Waffe werfen, doch bevor er zu irgendetwas ansetzen kann, erleuchtet ein Dutzend Blitze das Dach aus Baumkronen, und ein ohrenbetäubendes Donnern erfüllt die Luft. Stachel aus grauem Rauch kommen aus der Dunkelheit geschossen, und blitzschnell werden zehn oder sogar zwölf Löcher in die bunt bemalte Holzvertäfelung der königlichen Kutsche gestanzt.
Auf ihren Sitzen in den anderen Fahrzeugen schreien die Leibwächter Ihrer Majestät vor Wut und werfen eilig die durchnässten Umhänge ab. Entschlossen springen sie dann aus den Kutschen, rutschen unfreiwillig die steile Böschung am Wegesrand hinunter und bemühen sich in aller Eile, sie wieder zu erklimmen. Doch bevor sie oben ankommen, ja sogar bevor sich der Rauch aus den Schusswaffen verzogen hat, sind die Schützen, Phantomen gleich, mitsamt ihren Hakenbüchsen verschwunden.
John Jeffers führt die Verfolger an. In wilder Jagd brechen sie durch den Wald und geraten auf dem unebenen Gelände immer wieder ins Stolpern, während ihnen alle Arten von Zweigen und Ästen ins Gesicht peitschen und die Haut zerkratzen. Doch die Schützen scheinen sich wie durch Hexerei in Luft aufgelöst zu haben. Ein ersticktes Wut- und Schmerzgeheul dringt an John Jeffers’ Ohren, und er bemerkt, dass es aus seiner eigenen Kehle kommt.
»Himmelherrgott!«, brüllt er, als er in der Dunkelheit auf die Knie stürzt. »Verflucht!« Er schlägt mit dem Kopf auf die Erde. »Verflucht!«
Nach einer ganzen Weile rappelt er sich wieder auf. Rings um ihn haben sich seine Männer postiert, jeder von ihnen mit gezücktem Schwert. Er hört sein eigenes Herz schlagen, seine Männer keuchen und den Regen aufs Laub prasseln. Bis auf einige Kratzer im Gesicht ist keinem etwas passiert. Und Jeffers hat seinen Hut verloren. Stumm stehen sie da und starren ins Leere, alle wie gelähmt.
Das ist das Ende.
Jeffers gibt sich einen Ruck. »Nun«, sagt er und stockt.
Hat sie vielleicht doch überlebt? Haben die Attentäter am Ende danebengeschossen?
Er holt tief Luft. »Los, weiter.«
Jeffers setzt sich in Bewegung, und seine Männer folgen ihm schweigend. Es ist, als gingen sie zum Schafott. Schon sind von der Straße Schluchzen und das verstörte Schnauben von Pferden zu vernehmen. Eine Frau weint. Über dem scharfen Geruch von verbranntem Schießpulver zieht eine erdigere, blutigere Note heran, wie von einem Schlachtfeld.
»Um der Liebe Gottes willen, zündet eine Laterne an!«, befiehlt Jeffers.
Die Frauen haben bereits die Türen der königlichen Kutsche aufgerissen. Eine von ihnen dreht sich zu Jeffers um. Es ist Jane Frommond, eine der jungen Hofdamen. Ihre Handflächen sind von Blut und Staub schwarz verfärbt, und ihr verschmutztes Kleid sieht aus wie die Schürze eines Metzgers.
»Sie ist verletzt«, sagt sie. »Eine Kugel. In der Schulter. Und eine hier, im Bauch.« Sie zeigt auf ihren eigenen Leib.
Jeffers bekreuzigt sich mit zitternder Hand. Er hat in den Niederlanden gegen die Spanier gekämpft. Solche Wunden sieht er nicht zum ersten Mal. Er weiß, was sie bedeuten.
»Wir brauchen einen Arzt!«, ruft eine andere Ehrendame, Mary Sidney. »Bringt sie nach London.«
Das Beste wäre es, sie bequem zu betten, denkt Jeffers. Bei ihr zu sitzen und sie in der nächsten Stunde einfach zu halten, denn es wird ihre letzte sein.
»Gut«, willigt er dennoch zögernd ein, denn niemand sollte sie jetzt untätig herumstehen sehen. Sie müssen beschäftigt wirken. Darum …
Er befiehlt seinen Männern, den Heukarren von der Straße zu schaffen, und schickt einen Reiter voraus, einen blutjungen Burschen, dem er sein bestes Pferd gibt. Er soll dem Hofstaat Meldung erstatten und einen der Leibärzte der Königin holen, dazu den Pfarrer Ihrer Majestät, die Mitglieder des Kronrats und – vor allem – Master Francis Walsingham.