Da Dee Kähnen nicht mehr so recht traut, hat er ein Pferd gemietet und reitet jetzt über Felder und Wiesen nach Greenwich, den Hund Francis hinter sich. Es geht auf direktem Weg in Richtung Osten, sodass sie kurz nach zwölf Uhr mittags ankommen. Unterwegs erzählt er Francis, wie er es anstellen wird, Frobishers – oder vielmehr Walsinghams – Erz für sage und schreibe fünftausend Pfund zu verkaufen.
»Ich werde daran fünfzehnhundert Pfund verdienen, Francis! Stell dir nur vor, was ich damit machen kann! Als Erstes bezahle ich meine ganzen Schulden – na ja, einen Teil davon –, und dann kaufe ich mir die übrigen Bücher, die ich noch brauche.«
Er schiebt den Gedanken beiseite, dass das, was er vorhat, Diebstahl ist und dass mit de Lannoy zusammenzuarbeiten ihn zum Dieb macht. Stattdessen stellt er sich lieber vor, wie es sein wird, der Eigentümer weiterer Werke zu sein, nämlich von Introductio in Divinam Chemiae Artem Integra von Petrus Bonus, De Excidio et Conquestu Britanniae von Gilda und schließlich von Sebastian Münsters Canones Super Novum Instrumentum Luminarium als Einführung in die Materie. Ihm ist klar, dass es mühselig und sehr teuer sein wird, sich all diese Bücher zu besorgen, aber das sind sie seiner Meinung nach wert. Und wenn ihm noch etwas Geld übrig bleibt, wird er sich mindestens Exotericarum exercitationum von Julius Caesar Scaliger besorgen, das eine Antwort auf Girolamo Cardanos enzyklopädisches Werk De Subtilitate darstellt und sich mit der verborgenen Natur der Engel befasst. Darüber hinaus möchte er Jane Frommond ein Geschenk machen und überlegt, ob er sich deswegen vielleicht an Points Hilliard wenden soll.
Dee ist seit gut fünfzehn Jahren nicht mehr im Palast von Greenwich gewesen, hat aber lebhafte Erinnerungen an den Spiegelsaal der Bibliothek und an die Wiesen und Gärten, die sich bis unten zum Fluss mitsamt der malerischen Werft erstrecken. Heute sind diese Wiesen von Zelten bedeckt, wie es sie zur Zeit von König Artus gegeben haben mag, und fast kann man sich vorstellen, wie Artus aus einem davon steigt, bereit zum Zweikampf mit Sir Tristan, Sir Lancelot oder irgendeinem anderen Narren.
Natürlich ist keine dieser Heldenfiguren zu sehen. Stattdessen wimmelt es von Höflingen und deren Bediensteten, die alle darauf warten, der Königin die Ehre zu erweisen und an ihrer Seite zu sein, wenn sie auf der Themse nach Westminster zieht.
Dee fühlt sich fehl am Platze unter all den aufsehenerregend gekleideten Lords und ihren Ladys, die sich über die Gärten ergießen. Die Damen tragen zinnoberrote oder pfauenblaue Taft- und Seidenkleider, die mit Perlen besetzt sind, während auf ihren Köpfen diese wunderschönen Spitzhüte thronen, deren prachtvolle Federn bei jeder Bewegung anmutig wippen. Leider fällt ihm im Augenblick nicht ein, wie sie heißen … Ach ja, das waren die sogenannten Hörnerhauben, mit denen Guinevere und ihre Hofdamen sich einst schmückten. Bei ihm dagegen könnte man angesichts all dieses Prunks meinen, er wäre gerade aus dem Bett gestiegen.
Dann wiederum sagt er sich, dass er eine anstrengende Woche hinter sich hat. Erst hat er das Naft destilliert, das ihm die Grundlage für das Griechische Feuers liefert, dann musste er es mit all den anderen Zutaten kombinieren und das Ergebnis schließlich in Fässer abfüllen, die im Kellergewölbe gelagert wurden. Schmutzarbeit war das, immer mit Gestank verbunden, und am Ende war er am ganzen Körper von Flecken bedeckt, erschöpft und merkwürdig kurzatmig. Abends ist er so spät heimgekehrt, dass er ebenso gut gleich im Tower hätte bleiben können.
Jedenfalls sieht er auch jetzt so aus, als käme er geradewegs von dort: staubiges Wams, ausgefranste Hose, abgetragener Gelehrtenhut. Zwar hat er recht gute Stiefel, doch er wünschte, er besäße auch ein Schwert wie all die anderen Männer hier.
Erneut muss er an Jane Frommond denken. Er fragt sich, wo sie stecken mag.
Während er noch nach ihr Ausschau hält, schmettern Trompeten eine Fanfare, und die Menge wird unruhig, weil nun die Königin vor dem Palast erscheint. Ein bewunderndes Raunen geht durch die versammelten Höflinge, doch bei Bess’ Anblick befällt Dee eine jähe Wehmut wegen Ness Overburys Schicksal. Einmal mehr fragt er sich, wie irgendjemand glauben konnte, dass Robert Beales Vorhaben ein gutes oder auch nur halbwegs gutes Ende finden würde.
Heute trägt Ihre Majestät blassblaue Seide, alles reichlich mit Perlen besetzt und mit Diamanten gespickt. Begleitet wird sie von Sir Christopher Hatton, der ihr mit seinem Putz fast ebenbürtig ist und dessen mit Gold verbrämte, silberfarbene Kleider an eine Rüstung erinnern, wie sie hundert Jahre vor ihm König Artus trug.
Der Reihe nach verneigen sich die Höflinge vor Elizabeth, sobald sie an ihnen vorbeischreitet.
»Eure Majestät.«
»Eure Majestät.«
Sie indes wandelt mit einem starren, abwesenden Lächeln an allen vorbei, während ihr Blick sich in Dees bohrt. Direkt vor ihm bleibt sie abrupt stehen.
»John Dee.«
»B…«
»Wag es bloß nicht!«
»Eure Majestät«, bringt er hervor und sinkt auf ein Knie, um ihr die Hand zu küssen.
Als er den Kopf wieder hebt, bemerkt er, dass Hatton ihn mit weit geöffneten Augen anstarrt, als hätte er ihm etwas Wichtiges mitzuteilen. Das löst zwiespältige Gefühle in ihm aus, teils Freude, teils Schmerz.
Das Erz! Er will immer noch das Erz!
»Du siehst sehr elegant aus, John. An Unserem Geburtstag.«
»Ich bin als König Artus gekommen«, lässt er sie wissen. »Bevor er das Schwert aus dem Stein zieht.«
»Er war ein Junge«, knurrt Hatton. »Kein Latrinenputzer.«
»Ganz recht.«
»Wie auch immer, Uns wurde zugetragen, dass du in Unserem Namen große Mühen auf dich genommen hast, John. Ist das wahr?«
Damit meint sie: Jedenfalls siehst du ganz danach aus.
»Es war mir ein Vergnügen«, lügt er. »Wie immer.«
»Und darum wollen Wir dir als Zeichen unserer Dankbarkeit und entgegen den üblichen Gepflogenheiten an Unserem Geburtstag dieses Geschenk überreichen.«
Sie winkt einen Diener herbei, der nun vortritt und ein Tablett präsentiert, auf dem ein in Stoff gewickelter Gegenstand liegt: der Dee wohlvertraute Wahrsagekristall.
»Ihr seid zu freundlich, Eure Majestät.«
Dee hatte gehofft, es wäre ein Schwert oder ein neues Wams. Trotzdem nimmt er den Kristall mit beiden Händen entgegen.
»Er hat einmal Nostradamus gehört«, belehrt ihn Hatton. »Und er ist von unschätzbarem Wert.«
Dee schweigt. Die Königin ebenso. Um ihre Lippen spielt ein vages Lächeln.
Immerhin ist Dee froh, den Stein zurückzubekommen, und er verneigt sich dankbar. Natürlich wird er ihn Bowes, dem Goldschmied, zurückgeben müssen.
»Leidet Ihr noch unter Träumen von Feuer?«, erkundigt er sich.
Sie gibt zu, dass es so ist.
»Aber das liegt nur daran, dass Euer Griechisches Feuer gestohlen wurde«, faucht Hatton mit großer Geste. »Und das vor Master Walsinghams Nase!«
Dee weicht einen Schritt zurück und tritt beinahe auf den Welpen Francis, der überrascht aufjault.
»Gestohlen?«
»Zusammen mit Eurer Vorrichtung, mit der auf unseren Feind geschossen werden kann.«
»D…d…das ist ja furchtbar!«, stammelt Dee.
Herrgott!
»Von wem?«, setzt er nach. »Und wie?«
»Von den Feinden Ihrer Majestät«, schnaubt Hatton. »Sie sind durch das Loch, das Ihr in die Mauer gesprengt habt, in den Tower eingebrochen.«
»Wir sind aufs Äußerste verstimmt«, ergänzt die Königin.
Dee sieht, wie sie den Wahrsagekristall beäugt, als wollte sie ihn zurücknehmen. Rasch verbirgt er ihn hinter seinem Rücken.
»Das war ein Unfall«, verteidigt er sich. »Und ich dachte, sie sei repariert worden.«
»Offenbar nicht gut genug.«
Aber dafür kann Dee nun wirklich nichts.
Nachdem Elizabeth sich mit ihrem Gefolge entfernt hat, treibt Dee etwas zu trinken auf. Wieder kreisen seine Gedanken um das Griechische Feuer, und er versucht sich auszumalen, was der Verlust bedeuten könnte. Wenn es den Spaniern in die Hände fällt, werden sie es hundertfach kopieren und das ganze protestantische Europa buchstäblich aus der Landkarte brennen. Er sieht förmlich, dass niederländische Löwen in Flammen aufgehen, hat all die Leichen vor Augen, all die Bücher – verkohlt, mit Blasen bedeckt –, hat bereits den Gestank von verbranntem Fleisch und loderndem Papier in der Nase. Schon sieht er die Schergen der Inquisition wahllos ganze Städte niederbrennen, sämtliche Stadttore verriegeln, alle ermorden, die dahinter leben, und systematisch alles vernichten.
Herrgott, denkt er. Ich habe eine schreckliche, schreckliche Waffe erschaffen. Ich habe den Tod erschaffen. Wir müssen sie zurückholen. Wir müssen sie zerstören.
Er hastet zum Flussufer, wo eine lange Reihe von vertäuten Booten im Wasser dümpelt, jedes so üppig mit Girlanden und Fahnen geschmückt, dass es kaum noch an ein Wasserfahrzeug erinnert. Beim Schiff Ihrer Majestät, es ist das letzte in der Reihe, wurde die Kajüte entfernt und durch ein mit dem Wappen der Königin bemaltes Zelt ersetzt. Dort wird sie thronen wie auf einer Waldlichtung, als würde sie auf einen Ritter warten, der um sie wirbt.
»Wo ist Walsingham?«, fragt er einen der Bootsführer.
»Der ist in der Stadt aufgehalten worden«, lautet die Antwort. »Hat nur seine Frau und seine Kinder geschickt.«
Himmel, auch das noch!
»Wann fahren wir?«, erkundigt er sich.
Der Mann wirft einen Blick auf die Wasseroberfläche. Das Wasser steigt noch immer. Sie müssen den richtigen Zeitpunkt abpassen, damit das Boot unbeschädigt unter der Brücke hindurchfahren kann: zu früh, und es wird gefährlich, zu spät, und es ist nicht mehr möglich.
»Muss bald so weit sein«, sagt der Mann.
Dee beginnt, auf und ab zu marschieren.
»Mach schon, mach doch endlich«, murmelt er vor sich hin.
Die Schatten im Gras bewegen sich. Dee schätzt, dass es noch eine Stunde dauern wird, bis das Wasser auf beiden Seiten der Brücke gleich hoch ist und die noch auf dem Trockenen liegenden Boote wieder auf den Wellen schaukeln. Danach wird es sich für eine Weile zurückziehen, und die am Ufer vertäuten Boote werden sich mit dem Bug in die Fließrichtung drehen.
Dee steht noch immer am Ufer und mustert den Fluss, als Hatton, in diskretem Abstand gefolgt von Wächtern und Dienern, auf ihn zutritt.
»Dee«, begrüßt er ihn knapp. »Bevor wir weiter nach Westminster ziehen, möchte ich mit Euch einen endgültigen Preis für dieses Erz festlegen.«
Dee könnte nicht abgeneigter sein. Die Hiobsbotschaft vom Raub des Griechischen Feuers hat ihm jede Vorfreude auf sein Leben als reicher Mann genommen. Die Titel der Bücher, die er kaufen wollte – vergessen. Einerseits nimmt er an, dass die veränderte Lage ihm einen gewissen Vorteil beim Aushandeln des Preises verschaffen würde. Andererseits ist er nicht bereit, die wahren Zahlen und Sachverhalte vor Hatton zu verschleiern. Dann wäre er ein Betrüger und nicht besser als de Lannoy.
»Ach, ich weiß nicht, Hatton. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es wirklich verkaufen will. Wenn Euer Mann, de Lannoy, daraus Gold machen kann, warum sollte dann nicht auch ich dazu in der Lage sein?«
Hattons Züge gefrieren. »Wisst Ihr, was Euer Problem ist, Dee?«
Dee ist ganz Ohr.
»Euer Problem ist, dass Ihr ein drittklassiger Alchemist seid, ein aufgeblasener Wicht, dem Cecils und Walsinghams Schmeicheleien zu Kopfe gestiegen sind. Ihr seid ein einfacher Bürger, der sich als Gentleman ausgibt, ein Hochstapler, wie er im Buche steht. Gebt zu, dass Ihr versagt habt, und macht Platz für andere, die es besser können.«
Dee könnte ihn küssen.
»Sehr gut, Sir Christopher«, sagt er. »Ihr habt recht. Danke für diese Lehrstunde in Anstand und Demut. Es ist höchste Zeit, dass ich erfahre, wohin ich gehöre. Kurz, ich bin bereit, Euch das Erz zu überlassen. Was ist es Euch wert? Fünfzig Pfund die Tonne?«
Noch während er das sagt, muss er fast lachen. Das ist ein gewaltiger Betrag. Hatton zuckt zusammen, doch Dee ist das alles inzwischen gleichgültig. Jetzt ist nicht die Zeit, sich um Geld oder Alchemie zu sorgen. Etwas sehr viel Bedeutsameres ist im Entstehen. Gleichwohl bemerkt er, dass Hattons Augen denselben schlüpfrigen Ausdruck annehmen wie schon einst, als Dee ihm erzählte, dass Saelminck im Ludgate war.
Himmel, er will tatsächlich darauf eingehen. De Lannoy muss ihm eingeredet haben, dass sich damit Geld scheffeln lässt!
Tatsächlich willigt Hatton ein.
»Fünfzig Pfund die Tonne, Dee. Nicht einen Penny mehr.«
Dee muss unwillkürlich grinsen. Er reicht Hatton die Hand, der sie nach kurzem Zögern ergreift. Seine Hand fühlt sich wunderbar glatt an.
»Morgen früh werde ich mir in den Hintern beißen, Sir Christopher«, sagt er. »Und dann noch einmal, wenn ich Euch in einem goldenen Boot über die Themse fahren sehe.«
Was für eine schöne Vorstellung. Hatton lacht vergnügt auf.
»Immer langsam, Doktor. Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.«
Dee nickt. »Sehr richtig.«
»Es wird eine Woche dauern, bis ich das Gold aufgetrieben habe«, erklärt Hatton. »Doch wenn es so weit ist, werden wir das Geschäft zum Abschluss bringen.«
Das Geschäft zum Abschluss bringen! Der Kerl tut wirklich so, als ob er ein Geschäftsmann wäre.
Dee nickt. Zu einer Antwort kommt er nicht mehr, da in diesem Augenblick eine weitere Fanfare ertönt und die Höflinge plötzlich allesamt zu den Booten drängen. Dee wird ein Platz im vorletzten zugewiesen, während Ihre Majestät als krönender Abschluss im letzten fahren wird.
Dee setzt sich auf einen Platz gleich hinter den Ruderern, alles kräftige Burschen, und zu seinen Füßen streckt sich Francis aus. Neben ihm lässt sich ein Mann nieder, der sofort beginnt, ihm etwas von einem Landgut in Shropshire zu erzählen. Dee hört ihm nicht zu.
Komischer Kerl, denkt er. Aber immerhin hat er ein Schwert.
Und jetzt fahrt endlich los!
Nach einer gefühlten Ewigkeit legen die Boote ab und steuern auf die Strömung in der Mitte zu. Im vordersten sitzen Trompeter, die eine Fanfare anstimmen, als sie die Biegung bei Limehouse umrunden. Von dort aus hat seinerzeit der Attentäter Hamilton versucht, die Königin zu erschießen.
Unwillkürlich reckt Dee den Hals und späht nach hinten zu Elizabeth, um zu sehen, ob sie Hatton die Stelle zeigt. Sie tut es, und trotz allem freut Dee sich darüber.
Aber das war früher. Die Gegenwart ist jetzt.