41

London Bridge,
der Geburtstag Ihrer Majestät,
7. September 1578

Der Lärm, ein fürchterliches Flattern und Hämmern, dringt aus der Stoffhöhle – oder vielleicht von irgendwo unter der Bühne. Alle erstarren vor Überraschung und Schreck. Eine Bewegung ist nur noch dort zu sehen, wo der heilige Georg einen Gegenstand aus der Stoffhöhle herausgezerrt hat, der an einen gigantischen, fetten Wurm erinnert und den er jetzt so hält, dass seine merkwürdige Messingnase über das Brückengeländer hinausweist. Als er sie nach unten aufs Wasser richtet, schießt plötzlich mit einem satten Knall eine Flamme heraus, und ein bestialischer Gestank breitet sich aus. Eine schwarze Rauchwolke steigt auf und verschlägt allen auf der Brücke den Atem. Jane Frommond, die abseits steht, bekommt die Hitze zu spüren.

Walsingham scheint sofort zu wissen, was hier geschehen ist, Beale ebenso. Beherzt springen sie auf die Bühne, doch im selben Moment reißen drei Männer die Kulisse ein. Anders als der heilige Georg sind sie mit echten Schwertern bewaffnet und gehen auf Walsingham und Beale los. Kurz können die drei die beiden zurückdrängen, und das Klirren von aufeinanderprallenden Klingen zerschneidet die Luft. Doch im nächsten Moment greifen auch schon drei Leibgardisten ein. Eigentlich müssten die drei Angreifer jetzt die Flucht ergreifen, doch das tun sie nicht. Stattdessen tauchen hinter ihnen drei weitere Kerle auf, und die sind nicht bereit, ihr Leben billig zu verkaufen.

»Um Himmels willen, löscht das Feuer!«, brüllt Walsingham einen der Leibgardisten an.

Jane Frommond erkennt, dass es sich um Jeffers handelt.

Doch der Mann ist noch unter Schock und reagiert nicht. Dafür fällt Jane mit einem Mal Dees Beschreibung ein: Blasebalg, Schlauch, Fass, Schlauch, Düse, Feuer.

Sie windet sich unter die Bühne, von wo das ganze Donnern kommt. Im Halbdunkel macht sie vier Männer aus, die sich damit abmühen, den Blasebalg zu betätigen. Die vier bemerken sie zwar, halten aber nicht inne. Was soll eine Frau denn schon ausrichten, noch dazu eine, die nicht mit Schwert oder Pistole bewaffnet ist? Nicht einmal ein Speisemesser hat sie dabei!

Entschlossen packt Jane den ersten Schlauch mit beiden Händen. Er ist steif und rutschig, weil die Lederhülle eingefettet ist. Überdies hat er zwei Innenwände und ist derart prall mit Luft vollgepumpt, dass sie ihn weder biegen noch zudrücken kann. Nichts zu machen.

Der Schlauch schlängelt sich weiter zu einem Fass am hinteren Ende, das beinahe so groß ist wie sie selbst. Wie sie nun erkennt, führt von dort der zweite Schlauch – fast ebenso dick und nicht minder starr – nach oben zum heiligen Georg, der auf der Brüstung der Brücke steht und immer noch versucht, den Mechanismus des Dings in seinen Händen unter Kontrolle zu bekommen. Da ihm das nicht vollständig gelingt, schießt das Feuer ungezähmt aus der Düse und ergießt sich in hohem Bogen auf den Fluss. Eine Handbreit über Janes Kopf bebt und dröhnt währenddessen die Bühne unter dem Stampfen der miteinander kämpfenden Männer.

Von niemandem bemerkt, macht sie sich auf den Weg zum heiligen Georg. Eine Waffe hat sie zwar nicht, wohl aber eine Haarnadel. Sogar zwei. Sie muss sich verbiegen und ducken und dabei aufpassen, dass sie mit ihren Röcken nicht an all den Verstrebungen in diesem Gebäude hängen bleibt, aber irgendwie kämpft sie sich zu dem Schauspieler durch. Als sie sich aufrichtet, sind ihre Augen auf Höhe seiner Waden – er steht mit dem Rücken zu ihr.

Sie schielt nach oben. Im selben Moment registriert er eine Bewegung, dreht den Kopf und senkt den Blick.

Jane erkennt ihn auf Anhieb. Saelminck! Der Mann, der Alice Rutherford verführt, ruiniert und schließlich ermordet hat. Der Mann, der schuld daran ist, dass sie beinahe unter Deck in dem Boot gestorben wäre.

Sie starren einander an. Seine Augen sind von einem wässrigen Blau und einer schier unfassbaren Kälte. Seine Hände umklammern den mit einer Düse versehenen Lederschlauch, aus dem geschmolzenes Feuer spritzt.

Und ihre Hände? Sie halten immer noch die zwei silbernen Haarnadeln. Jede davon ist sechs Zoll lang, so dick wie die Stricknadeln einer armen Frau und dabei so scharf wie das Messer eines reichen Mannes. Sie umschließt sie mit den Fäusten wie ein Häftling das Gitter vor seiner Zelle – und dann hebt sie die Fäuste und rammt Saelminck die Nadeln in die Waden.

Er brüllt auf und rudert wild mit den Armen, wobei ihm der Schlauch entgleitet. Der entwickelt auf dem Boden plötzlich ein Eigenleben, und Feuer spritzt in einem wilden Bogen über den Fluss.

Hektisch versucht Saelminck, die in seinen Beinen steckenden Nadeln zu erreichen. Doch während er so auf der Brüstung herumfuhrwerkt, schlägt Jane voller Wut nach ihm, bis er das Gleichgewicht verliert. Er kracht auf die Brüstung, schafft es aber, sich im Fallen umzudrehen und sie an den Schultern zu packen. Sich an ihr festkrallend, versucht er, sich wieder aufzurichten. Sie brüllen und kreischen einander ins Gesicht, während Jane sich wie eine Wilde gegen ihn wehrt. Natürlich ist er viel größer und stärker, außerdem hat er sich fest in sie verkrallt, doch sie windet sich in seinem Griff und versucht, sich loszureißen. Saelminck hängt mittlerweile schief auf der Brüstung, die Füße über dem Wasser.

Langsam erlischt das Griechische Feuer, denn das Fass ist so gut wie leer. Aber die Konstruktion, die Dee gebaut hat, ist alles andere als perfekt. Obwohl die Flamme des flüssigen Feuers nur noch matt flackert, fallen die letzten Tropfen der Flüssigkeit auf Saelmincks Bein und setzen es in Brand.

Mit einem Knurren, das rasch zu einem Brüllen anschwillt, wälzt er sich zum Fluss hin. Nun kann ihn nur noch Wasser von seinen Qualen erlösen – glaubt er. Auf einmal zerrt er Jane zu sich heran und umklammert ihre Arme mit einem Griff so fest wie ein Schraubstock. Sie hat keine Möglichkeit mehr, sich dagegen zu wehren, kippt auf die Brüstung und wird von Saelminck mit in den Fluss gerissen.