Die Tage gehorchen einem neuen Rhythmus. Ich hatte meine Studenten den Sommer über vermisst und erscheine mit frischem Elan beim Unterricht. Ich nehme an allen furchtbaren Fakultätssitzungen teil, ertrage geistesabwesend das Gemecker meiner Dekanin und werde mehreren Ausschüssen zugeteilt; in einem muss ich wieder Stapel von Verwaltungsunterlagen ausfüllen, eine Aufgabe, die ich nicht ausstehen kann, aber ich verpasse keine Sitzungen mehr und erledige meine Arbeit. Im Grunde alles nur ein kleiner zu zahlender Preis dafür, dass meine Familie hat, was sie braucht.

Eines Nachts schüttelt Andrew mich wach.

»Wo ist Wolfgang?«, sagt er.

Ich fahre mit der Hand über einen Stapel Kissen neben mir.

»Hier ist er nicht. Liegt er nicht in seinem Bett?«

Ich suche in seinem Zimmer, rufe nach ihm. Wir suchen ihn in der ganzen Wohnung.

»Ist er im Bad?«

»Nein.«

Schließlich finden wir ihn. Er hat sich unter einem Stapel Kissen auf der Couch im Wohnzimmer versteckt und ist hellwach.

»Warum liegst du nicht in deinem Bett?«, frage ich.

»Was ist denn los?«, fragt Andrew.

»Ich kann die Ängste sehen«, sagt Wolfgang. »Sie sind überall.«

»Ach, schon wieder die Spinnen«, sage ich.

»Sag nicht ihren Namen!«, jammert Wolfgang. Vor Kurzem hatte er einen Film gesehen, in dem Spinnen aus einer Müslischale über den Löffel auf den Arm des Protagonisten gekrabbelt sind, und jetzt hat er Angst vor Spinnen. Ihm war unbegreiflich, wie beim banalen Verzehr von Müsli etwas so Grässliches passieren kann, und er fragte sich, wo sie noch lauern könnten. Er glaubte, die Ängste im Stoff zu sehen, in unseren Vorhängen, unter dem Herd. Die Ängste lebten in den Falten der Decken, die ich jeden Abend über ihn legte.

Ich bringe Wolfgang wieder ins Bett und verspreche, bei ihm zu bleiben. Andrew, der den Schlaf aufgegeben hat, geht in die Küche und kocht Kaffee.

»Ich habe Angst«, sagt Wolfgang.

»Aber dir passiert nichts«, sage ich. »Das ist nur deine Fantasie.«

»Meine Fantasie ist sehr, sehr unheimlich.«

»Stell dir irgendwas Schönes vor«, sage ich zu meinem Sohn.

»Und was?«

»Vielleicht einen Donut.«

Er schließt die Augen und zuckt dann zusammen.

»Die Ängste krabbeln auch aus dem Donut.«

Ich lege mich zu ihm ins Bett und ziehe ihn an mich, starre auf seinen Haarscheitel. So viele Stunden habe ich schon auf diesen Kopf gestarrt, den Duft seiner Haut eingeatmet und gewünscht, ich könnte ein Stückchen von ihm in mich zurückholen.

»Schlaf jetzt«, sage ich.

»Ich kann nicht. Ich muss die Decke im Auge behalten.«

Ich blicke zu den selbstklebenden Sternen hoch, die in künstlichem Grün über uns leuchten. Wolfgang und ich hatten sie zusammen angebracht und sorgfältig zu Sternbildern arrangiert.

»Die Sterne sind Löcher«, sagt er. »Die Ängste kommen durch die Löcher und fallen auf mein Gesicht.«

Ich küsse sein Haar und döse langsam ein.

»Mom?«, sagt Wolfgang. »Mom, bist du wach? Du darfst nicht einschlafen und mich allein lassen.«

Andrew ist in der Küche. Ich höre, wie er seinen Kaffeebecher leise auf die Theke stellt.

»Ich bin wach.«

»Ich habe Angst«, sagt er.

Ich erinnere mich an Wolfgangs schlimmsten Unfall. Als er drei Jahre alt war, fiel er hin, und ein Metallstück, das von einem Zaun hing, hinterließ eine Schnittwunde über seinem linken Auge. Es war nicht so schlimm, aber Kopfwunden bluten. Als wir ihn vom Park nach Hause geschafft hatten, war er voller Blut. Wegen des vielen Bluts sah der Schnitt schlimmer aus, als er war. Wolfgang hatte Angst gehabt und geweint und immer wieder gesagt: Mein Kopf ist nass, mein Kopf ist nass, was ist passiert? Er blinzelte Blut weg, berührte das Blut auf seiner Wange und schrie. Er sah übel aus, ganz blutig, aber es ging ihm gut. Ich konnte ihn nicht beruhigen. Andrew konnte ihn nicht beruhigen. Wir konnten die Wunde nicht reinigen, weil Wolfgang ständig schrie, sein Kopf sei nass. Mir kam eine Idee. Ich sagte: Okay, schließ die Augen. Er gehorchte, und ich führte ihn zum Schrank. Mein Mann fragte: Was hast du vor? Ich sagte: Okay, Wolfgang, sieh dich an. Er öffnete die Augen und stand vor einem Ganzkörperspiegel. Ich sagte: Das ist mit dir passiert, so sieht es aus. Er beugte sich vor und berührte sein von Blut, Rotz und Tränen rosa verschmiertes Gesicht, betrachtete die Wunde, aus der noch Blut tropfte, berührte sein blutiges Hemd und sagte schließlich: Das ist richtig cooooool.

»Lass die Augen offen«, sage ich. »Schau fest auf die Sternlöcher an der Decke. Lass sie nicht aus den Augen.«

»Aber die Ängste fallen auf mein Gesicht.«

»Also, mal sehen. Wir beobachten sie und warten ab.«

»Okay«, sagt er, aber seine Lider flattern. Er kann die Augen nicht auf halten, weil er sehr müde ist.

»Ich beobachte die Decke«, sage ich. »Zehn Sekunden lang. Ich zähle, und dann bist du dran und beobachtest die Decke.«

»Okay«, sagt er. »Nur zehn Sekunden. Aber ich zähle.« Und er zählt eins, zwei, drei und ist eingeschlafen.

Der Morgenhimmel ist grau, später fliederfarben. Dann blau. Ich blinzle, und plötzlich ist die Sonne da und das Zimmer ist hell. Ich bin allein in Wolfgangs Bett. Dann höre ich seine Stimme. Er ruft mich aus dem Schrank.

»Fertig?«, fragt er.

»Für was?«

»Die große Enthüllung!«

Ich höre Stoffgeraschel und klappernde Kleiderbügel.

»Ich komme«, und die Schranktüren öffnen sich schwungvoll. Er tritt heraus, verkleidet als Tod, mit Sense und allem. »Süßes oder Saures«, knurrt Wolfgang.

Im Eingangsbereich der Schule stehen Lehrer, die als diverse Tiere, Superhelden oder Harry-Potter-Figuren verkleidet sind. Sie empfangen die Kinder mit Süßigkeitentüten, die Wolfgang neugierig beäugt. Andrew hatte ein Kürbisgesicht auf einen Kissenbezug gemalt, den Wolfgang aufhält, damit er gefüllt wird. Ein Schüler kommt über den Pausenhof.

»Wer soll das denn sein?«, fragt er Wolfgang.

»Der Sensenmann«, sagt Wolfgang.

»Ist das aus Minecraft

»Nein«, sagt Wolfgang grinsend, »das ist aus wenn wir alle sterben.«

Auf dem Nachhauseweg kommen Andrew und ich an derselben Bodega vorbei wie immer, an unserer Apotheke, unserem Haushaltsgeschäft, unserem Café und unserer Bar. Wir gehen nach oben in unsere Wohnung, lieben uns, sehen fern, räumen die Spülmaschine aus. Vor unserem Fenster ein vertrautes Gurren und Platschen. Tauben kacken auf unsere Klimaanlage. Andrew erfindet ein Lied über die Tauben und singt es unserer Katze vor. Wir besprechen das Abendessen. Schon wieder Gyozas aus der Tiefkühltruhe. Andrew stößt eine Tasse mit kaltem Kaffee um, macht anschließend sauber. Er geht zur Arbeit, und ich korrigiere Aufsätze. Ich laufe durch unsere Wohnung, falte ein Paar von Wolfgangs winzigen Socken zusammen, die ihm zwei Nummern zu klein sind, und lege sie in eine besondere Schachtel zu den anderen Andenken in seiner Schublade. Unsere Katze schläft.

Nach der Schule sieht sich Wolfgang Videos auf seinem iPad an, während ich am Telefon in der Warteschleife der Apotheke hänge. Gedämpfte, blecherne Musik dringt durch den Lautsprecher meines Telefons und erfüllt unsere Wohnung. Wolfgang lächelt und nickt mit dem Kopf zur Melodie. Für einen Moment sind wir vereint im Rhythmus des Wartens und in den Klängen der mechanischen Musik. Wolfgang wackelt mit dem Kinn, als würde er – und nicht die Finger eines Fremden irgendwo, irgendwann auf einem Piano – die Arpeggien spielen.

Unser Freund Lincoln zieht bei uns ein. Er schläft auf unserer Couch und erzählt Einzelheiten seiner kürzlich erfolgten Trennung. Er bewegt sich vorsichtig durch unsere Wohnung, berührt behutsam Türknäufe und Schubladengriffe und tritt leicht auf, als könnte das kleinste bisschen Kraft auch dieses Heim zerbrechen lassen. Er spielt Videospiele mit Wolfgang und macht uns zum Abendessen Ziti-Aufläufe. Er ist schon seit vielen Jahren ein guter Freund von mir.

Bobby lebt immer noch bei uns. Seine Freundin Jess, die Künstlerin, übernachtet oft bei ihm. Auch sie hatte vor Kurzem eine üble Trennung durchgestanden und ist Bobby gegenüber vorsichtig, oft verschlossen und distanziert, sie will nicht, dass sich die beiden zu schnell zu nahekommen. Sie fragt mich, wie sie es vermeiden kann, ihn zu verletzen. Sie kitzelt Wolfgang und ärgert ihn so lange, bis vor Lachen kein Ton mehr aus seinem weit geöffneten Mund kommt.

Meine alte Freundin Becca lebte in Florida, hatte einen guten Job, war mit einem netten Mann zusammen und kümmerte sich um eine Katze, die sie innig liebte. Dann starb die Katze, der Job und ihr Freund wurden ihr lästig, und so kündigte sie, kehrte dem Freund und Florida den Rücken, rief mich an, und ich sagte: »Zieh nach Brooklyn«, und das tat sie.

An manchen Abenden sitzen wir alle zusammen im Wohnzimmer, reden und essen, und ich stelle fest, dass ich ganze Abende durchstehen kann, ohne lieber woanders zu sein.

An Lincolns Geburtstag treffen wir ein paar Freunde in einer Bar. Andrew bleibt zu Hause bei Wolfgang. Ich komme zu spät, alle sitzen bereits hinten an einem großen Tisch. Sie glühen, haben eindeutig schon ein paar Gläser hinter sich. Einige spielen stümperhaft Billard. Alle in der Runde sind Autorinnen, Redakteure oder anderweitig mit der Verlagswelt verbunden, und sie nutzen die Gelegenheit, um Getränke zu spendieren, was sie im Gegenzug dazu berechtigt, ihre Klagen über aktuelle Arbeitsprojekte eine Zeit lang vor einem Publikum auszubreiten. So lauten die Regeln.

Zu zehnt sitzen wir im Kreis und reden über die Vorzüge dieses oder jenes Buchs oder Artikels und versuchen, uns gegenseitig mit Klatsch über verschiedene Schriftsteller zu übertrumpfen. Lincoln lacht, ich bin glücklich. Dann erwähnt er einen Artikel von mir, der vor Kurzem einige Beachtung fand, und alle heben kurz ihr Glas und nicken in meine Richtung.

Alle außer Kyle. Er scheint diesen kleinen Toast zu meinen Ehren nicht zu registrieren.

Kyle sagt: »Meine Zähne tun weh.«

Kyle ist ein Freund von Lincoln, ein Bekannter von mir, den ich ausschließlich auf Partys, in Bars oder am Rand von literarischen Veranstaltungen herumschleichen sehe. Er ist attraktiv und hat wirklich unglaublich schönes schwarzes lockiges Haar. Ich glaube, dass er es zu Recht wegen seiner Haare im Leben ziemlich weit gebracht hatte. Sie sind einfach toll. Aber er ist auch klug und belesen und war angeblich ein guter Autor. Er hatte mal bei einer hippen Literaturzeitschrift gearbeitet, wurde aber aus mir unbekannten Gründen gefeuert. Er sitzt neben mir und redet immer noch über seine Zähne.

»Warst du schon beim Zahnarzt?«, frage ich.

»Niemand kann zum Zahnarzt gehen«, erwidert er.

»Wieso kann niemand zum Zahnarzt gehen?«

»Weil niemand in dieser Runde krankenversichert ist.«

»Ich schon«, sage ich.

»Und wie kannst du dir das leisten?«, fragt Kyle und sieht mich überrascht an.

»Durch meinen Lehrerjob.«

»Ach so«, sagt Kyle. »Ich versuche zu schreiben.«

Die Unterhaltung geht weiter. Die Runde zerpflückt die kürzlich veröffentlichte Longlist eines Literaturpreises. Mein Redakteur von GQ, Kevin, ist auch da. Wir plaudern ein bisschen über Bücher und ein bisschen über Tennis, aber vor allem sprechen wir aufgeregt über meinen nächsten Auftrag, der ein völlig neues Thema behandelt und ambitionierter ist. Kevin gibt mir und Lincoln Getränke aus. Kyle verschwindet ziemlich lange auf der Toilette und kommt mit glasigen Augen und abwesend zurück.

Ich beobachte, ob Lincoln irgendwie traurig wirkt, schließlich ist dies sein erster Geburtstag seit vielen Jahren ohne seine Freundin, aber er wirkt zufrieden, fast glücklich. Er erzählt unserer Gruppe, dass er vorläufig bei mir wohnt und Wolfgang ihn um Erlaubnis gebeten hat, seine Geburtstagstorte zu backen. Wolfgang hatte mit Buntstiften einen genauen Plan für die Torte gezeichnet, die eigentlich gar keine war, sondern ein dicker Mischmasch aus Teigen – Kuchen, Kekse, Brownies. Obendrauf mit Streuseln. Am Ende der Anekdote erfreut Lincoln alle, indem er eine Plastiktüte mit Wolfgangs Leckereien hervorholt, die wir nach seinen genauen Angaben gemacht hatten. Jeder probiert ein Stück, und man ist sich einig, dass sie köstlich sind.

Jedes Jahr gibt es in Brooklyn einen perfekten Herbstabend, an dem die Luft von drückend und feucht zu frisch und sauber wechselt, und dieser Abend ist heute. Die Bar ist voll, aber nicht überfüllt. Meine Drinks schmecken köstlich. Meine Freunde sind hier. Aber ich merke, auch ich bin hier. Ein normaler Mensch, der mit Freunden trinkt.

Als es Zeit für mich ist zu gehen, verabschiede ich mich von der Runde mit Umarmungen und Küsschen. Ich sage Lincoln, er soll noch bleiben, dass ich ihm die Couch zurechtmache. Ich freue mich auf den Spaziergang allein in dieser ersten Herbstnacht. Ich freue mich darauf, nach Hause zu kommen. Ich bin mir sicher, dass der Zeitpunkt für meinen Aufbruch genau richtig ist – ich bin angesäuselt, aber nicht betrunken, satt, aber nicht voll. Ich weiß, wenn ich jetzt gehe, schließt sich an diesem Abend ein Kreis und beschenkt mich mit einer klaren Erinnerung, doch auf dem Weg nach draußen komme ich am Billardtisch vorbei, wo Kyle mit dem Queue in der Hand steht. Er macht ein finsteres Gesicht, ist am Verlieren.

Er richtet sich auf, um sich zu verabschieden. Wir umarmen uns, und als ich mich zur Tür drehe, fragt er, ob er kurz mit mir sprechen könne.

»Klar«, sage ich.

Er würde mir, setzt er an, gerne etwas über die Hölle erzählen, durch die er gerade geht. Er leide unbeschreibliche Qualen, die er mir im Folgenden beschreibt.

Kyles Frau – eine Künstlerin, die ich als talentiert, fleißig und freundlich kannte – erlebte gerade großen beruflichen Erfolg. Kyle erzählt mir, der Erfolg habe sie zu jemandem gemacht, den er nicht mehr kannte. Dann ließ sie sich von ihm scheiden.

»Das tut mir leid«, sage ich und meine es aufrichtig. Ich glaube wirklich, dass er sehr leidet. Man sieht es an seinem Gesicht.

Kyle fährt fort.

»Das ist noch nicht alles«, sagt er. »Und es hat mit dir zu tun.«

»Mit mir?«

Anfang des Jahres hatte man seiner Frau, inzwischen Ex-Frau, eine chronische Krankheit attestiert. Sie fühlte sich oft unwohl, lag tagelang im Bett.

»Auf Partys wollte sie früh nach Hause gehen«, sagt Kyle. »Sie war so müde. Sie wollte nicht mehr so oft zu Konzerten. Manchmal musste sie ein Taxi nehmen, und ich ärgerte mich, dass sie unser Geld so verplemperte.«

Dann gab es irgendeinen Vorfall mit seinen Zähnen – einer war abgebrochen und ein anderer ausgefallen, glaube ich, obwohl ich mir nicht ganz sicher bin, ich konnte der ganzen Geschichte von den Zähnen dieses Mannes nicht so recht folgen. Jedenfalls war er mit diesen schrecklichen Zähnen zu seiner Frau, jetzt Ex-Frau, nach Hause gekommen, und sie lag mit Schmerzen im Bett. Er schaute sie an und dachte, eigentlich stünde ihm an diesem Abend Mitleid und Aufmerksamkeit zu, aber er würde nicht genug davon bekommen, weil die Krankheit seiner Frau beides für immer in Anspruch nahm.

Seine Zähne, erklärt er, tun ihm immer noch weh.

»Es war einfach alles zu viel«, sagt Kyle. »Ich kam nach Hause und sie liegt im Bett. Sie war ständig müde und plötzlich musste ich mich um sie kümmern.«

Seine Ex-Frau gehört zu den großen Schönheiten der Kunstwelt. Als sie jedoch müde und krank war, war sie ihrem Mann nicht mehr schön genug. Sie war jemand geworden, den er nicht kannte, jemand, der ihm einiges abverlangte. Das, verbunden mit wer weiß was noch allem, hatte einen Graben zwischen ihnen geschaffen, und jetzt waren sie geschieden.

Kyle hält inne und sieht mich an, sucht in meinem Gesicht nach Zustimmung. Ich weiß schon, was er sagen wird, aber ich zwinge ihn, es auszusprechen.

»Ich habe mich also gefragt«, setzt er an, »ob du mir helfen könntest.«

»Wie das?«

»Vielleicht kannst du mir erklären, wie dein Mann mit der Bürde deines Körpers klarkommt.«

Ich gehe in der Dunkelheit nach Hause. Die Luft riecht süßlich nach Herbstmoder. Ein kühler Wind weht, ich bekomme Gänsehaut auf den Armen. Ich denke an Kyles Worte und dann an den Abend vor eineinhalb Jahren in einer anderen Bar in Brooklyn mit Colin und Jay, aber vor allem denke ich an den nächsten Artikel, den ich für Kevin schreiben werde, an seine Begeisterung und seinen Glauben an meine Fähigkeit, ihn zu schreiben. Ich bin fast zu Hause, als ich in Gedanken noch einmal zu Kyle zurückkehre.

Vor einem Jahr hätte ich seine unverschämte Frage vielleicht noch als Waffe gegen mich eingesetzt. Aber als ich Kyle heute Abend zuhörte, hatte ich in mir nach Wut oder dem Impuls, mich zurückzuziehen, gesucht. Ich fand nur Vorsicht. Ich musste nicht in den neutralen Raum. Es war sein Schmerz, nicht meiner, und ich machte ihn mir nicht zu eigen. Er sollte bei ihm bleiben. Seine Traurigkeit warf ihn aus der Bahn. Er wirkte aufgelöst; seine Stimme überschlug sich wie Billardkugeln, die nach dem Eröffnungsstoß gewaltsam auseinanderstieben; er weinte ein wenig, und unter dem zitternden Neonlicht, dem Neonlicht im Mondschein, sah ich den Schmerz eines zerrissenen Selbst, ich sah Reue, Selbsthass, Unwissenheit, aber auch seinen aufrichtigen Wunsch, von mir verstanden und klar gesehen zu werden, Nähe zu jemandem zu spüren. Doch das konnte ich ihm nicht geben. Ich konnte ihm lediglich meinen Glauben schenken, dass er mehr war als die Frage, die er mir gestellt hatte. Ich konnte ihm diesen schwierigen Moment verzeihen, ihn als das sehen, was er war, eine komplizierte Sache voller Widersprüche.

Ich hatte nicht immer das Glück, dass man einen zweiten oder dritten Gedanken an mich verschwendete, und ich wurde nicht immer als Ganzes gesehen, daran würde sich nichts ändern; es gab immer einen anderen Kyle, einen anderen gleichgültigen Mann, eine andere Gruppe von Fremden in einer anderen Gasse, einen anderen Colin. Aber ich konnte mich dafür entscheiden, Kyle als Ganzes zu sehen. Das kostete mich nichts, während mich das Festhalten an all der Wut, dem Unbehagen, der Angst und der Abscheu, die ich früher in der Gegenwart anderer empfand, fast alles gekostet hatte.

Kyles Frage hatte nichts mit mir zu tun. Daran erinnerte ich ihn und wünschte ihm alles Gute, ehe ich nach Hause ging.

Andrew schläft, wird aber wach, als ich mich neben ihn ins Bett lege.

»War ich eine Bürde für dich?«, frage ich.

»Nein«, sagt er und lacht.

»Nicht mein Körper, sondern ich?«

»Nein.«

»Aber ich war ständig unterwegs.«

»Ja.«

»Und war das hart?«

»Klar.«

»Bist du sauer auf mich?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Ich wusste, dass du auf dem Weg warst, die Person zu werden, die du sein wolltest, und wenn ich dich einfach in Ruhe ließ, würdest du es schaffen.«

»Aber was, wenn ich es nicht geschafft hätte? Hattest du keine Angst, dass ich vielleicht nicht mehr zurückkomme?«

»Nein, ich kann nicht kontrollieren, was du tust.«

»Du hättest es versuchen können. Viele tun das.«

»Aber nicht die, die länger als eine Minute über ihr Handeln nachdenken.«

»Du hast also nur darüber nachgedacht?«

»Man kann niemand zwingen, etwas zu fühlen oder zu tun, schon gar nicht dich. Ich kann dich ja nicht mal dazu bringen, dein Handtuch nach dem Duschen aufzuhängen. Egal, wie oft ich dich darum bitte, am Ende landet es immer auf dem Bett.«

»Aber du hast mich doch bestimmt –«

»Das ist eklig. Es trocknet nicht richtig und kriegt so einen, keine Ahnung, nicht unbedingt schimmeligen, aber muffigen Geruch.«

»Ich weiß. Tut mir leid.«

»Ich mag deine Marotten, aber die nicht.«

»Sorry.«

»Das Handtuch-Problem.«

»Ja.«

»Aber ich kann dich nicht dazu bringen, dein Verhalten zu ändern. Es würde mir viel bedeuten, wenn du es tun würdest, aber ich kann es nicht erzwingen. Du musst es wollen.«

»Gut, ich will mein Handtuch aufhängen.«

»Toll, wir werden sehen.«

»Ab jetzt nach jedem Duschen. Ich meine es ernst.«

»Ich weiß.«

»Glaubst du, ich kann mich ändern?«

»Ja«, sagt er, und ich weiß, dass er recht hat, denn Kyle zuzuhören hatte sich anders angefühlt, als seinerzeit Colin zuzuhören. Ich war nicht mehr derselbe Mensch, bewegte mich in eine neue Richtung. Kyles Worte drangen nicht wirklich zu mir durch. Und es lag nicht daran, dass ich ihn geringschätzte, sondern dass ich mich selbst nicht mehr geringschätzte.

»Wir haben uns beide verändert«, sagt Andrew. »Weißt du noch, wie ich war, als wir uns kennenlernten? Ich habe jeden Tag eine große Salamipizza verputzt, zu viel geraucht und die ganze Nacht an der Spielkonsole gesessen. Weißt du noch, wie du warst? Wir haben uns beide verändert, mit dem Unterschied, dass ich keine Ahnung hatte, wer ich werden wollte, während es für dich klar war. Und deshalb durfte ich dir nicht im Weg stehen und musste dich einfach die werden lassen, die du sein wolltest und die, wie ich wusste, im Grunde gut war. Ich wusste, dass du gut sein wolltest.«

»Wieso wusstest du das und ich nicht?«

»Ich kann dich sehen«, sagt er.

»Es war dir also egal, dass ich wegging?«

»Mir ist wichtig, dass du glücklich bist. Dein Glück macht mich froh. Mein Fokus liegt darauf, wie du dich fühlst, und nicht, was du tust«, sagt er.

Wir halten uns lange im Arm. Unser Atem geht im Gleichtakt. Ein Autoalarm, eine Sirene, Geschrei auf der Straße.

»Du hättest mich zwingen können, nach Hause zu kommen«, sage ich.

»Nein, ich kann nur hoffen, dass ich der Mensch bin, zu dem du gern nach Hause kommst.«

Wolfgang und ich stehen unter einem mürrischen Himmel. Die Schule ist zu Ende, aber er will mit seinen Freunden noch eine Weile auf dem Spielplatz bleiben, bevor ich ihn zur Bodega und nach Hause schleppe. Ich gebe ihm noch zehn Minuten und beobachte, wie er an einem Klettergerüst herumturnt. Er spielt unbeschwert und gern mit anderen Kindern. Über uns ballen sich Wolken zusammen und bilden Formen, die ich bestimmten Kategorien zuordne – Schwein, Schuh, Hut –, aber die Kategorien sind nicht von Dauer. Die Formen lösen sich auf, die Wirklichkeit bleibt in unruhiger Bewegung; es war schön, es war Schönheit, diese Berührung, dieses Greifen und Loslassen, dieses kurze, aber reale Wahrnehmen des Flüchtigen und wie es meine Aufmerksamkeit von mir auf die Welt richtet.

Wir erledigen unsere Einkäufe. Auf dem Heimweg drückt Wolfgang eine Tiefkühlpizza an seine Brust.

»Welche Formen siehst du in den Wolken?«, frage ich.

»Nur ein paar Pokémon«, sagt Wolfgang.

Nach dem Abendessen machen wir zu dritt einen Spaziergang. Jeder kennt uns. Die Frauen aus der Apotheke schenken Wolfgang einen Lutscher. Wir holen uns eine Flasche Wasser aus der Bodega, und Wolfgang streichelt die vertrauten Katzen. Nagelstudio, chinesischer Imbiss, Waschsalon. Am Rand des Prospect Park entdecken wir die Ankündigung für eine Zaubershow.

»Da sollten wir hin«, sagt Andrew.

»Ich weiß nicht«, sagt Wolfgang.

»Was denn? Bist du nicht neugierig?«

»Neugierig worauf?« Wolfgang zuckt die Schultern. »Dass jemand Tricks macht und so tut, als ob es Zauberei ist?«

»Aber vielleicht ist es diesmal Zauberei«, sagt Andrew. »Vielleicht wird es das Beste, was wir je gesehen haben.«

Wolfgang willigt widerstrebend ein, und wir gehen zu einer Wiese, wo viele Kinder in seinem Alter im Kreis um die Große Moody Trudy sitzen. Ich erkenne einige von Wolfgangs Freunden aus der Schule und sage ihm, er soll sich zu ihnen setzen, aber er will nicht und bleibt hinten am Rand der Menge neben mir stehen.

Die Große Moody Trudy wedelt mit den Händen über ein Fischglas, legt ein Tuch darüber, spricht ein paar Zauberworte, entfernt das Tuch und enthüllt einen Fisch. Die Kinder klatschen und jubeln, aber Wolfgang ist nicht beeindruckt.

»Der Fisch war die ganze Zeit am Grund von dem Glas«, sagt er.

Die Große Moody Trudy beginnt den nächsten Trick mit einer Zeitung. Sie gießt klares Wasser darauf, doch als sie das Papier auswringt, ist das Wasser grün.

»Die Druckertinte ist Lebensmittelfarbe«, sagt Wolfgang.

Die Große Moody Trudy zerknüllt die Zeitung und setzt dann zu einer leidenschaftlichen Rede über die Umwelt an und wie wichtig es ist, keinen Abfall zurückzulassen. Mit einer Hand hinterm Ohr wendet sie sich dem Publikum zu.

»Jetzt kommt schon, Kinder«, sagt sie. »Diese Zeitung sollte nicht im Gras in diesem schönen Park liegenbleiben! Sie gehört in den …?«

Und alle Kinder schreien: »Müll!«

Wolfgang schlägt ungläubig die Hand vors Gesicht und flüstert: »Recycling! Diese Idioten.«

Die Große Moody Trudy gießt Limonade in eine Tasse, trinkt einen Schluck, dann tut sie so, als würde sie stolpern, und überall ist Glitzer.

»In der Tasse war nie Limonade«, sagt Wolfgang.

Als Nächstes zeigt sie einen Trick mit Jonglierbällen, von denen einer verschwindet.

»Sie hat ihn im Ärmel verschwinden lassen«, sagt Wolfgang.

»Sag es ihr, Wolfgang!«, fordere ich ihn auf. »Sag ihr, dass sie dich nicht täuschen kann.« Andrew schaut mich böse an.

»Ich weiß, wie Sie den Trick machen«, sagt Wolfgang laut genug, dass alle es hören.

Ich ziehe Wolfgang an mich. Er nimmt meine Hand. Wir sind vereint, sicher, abgetrennt, gegen die anderen, aber zusammen.

Beim letzten Trick geht es um ein Plüschkaninchen, das auf eine Reise geht. Das Kaninchen, erfahren wir, geht in den Wald des Glücks und kehrt mit dem Schlüssel zu einer geheimen Kiste zurück, mit dem es das echte Kaninchen befreit.

Die Große Moody Trudy hebt eine Kiste hoch und stellt sie auf ein Podest. Dann zieht sie eine Schublade auf, um zu zeigen, dass sie leer ist.

»Die Schublade hat eine doppelte Rückwand«, sagt Wolfgang.

»Wo ist es? Wo ist das echte Kaninchen? Ist es in dieser Schublade?«, fragt die Große Moody Trudy.

»Nein!«, rufen alle Kinder zurück.

»Doch, klar ist es drin«, sagt Wolfgang.

»Sag ihr, dass sie aufgeflogen ist«, sage ich, stupse Wolfgang an und wir lachen los. »Sag ihr, du hast sie durchschaut.«

Andrew verzieht das Gesicht. »Hör auf damit«, sagt er zu mir.

»Versprecht es mir«, sagt die Große Moody Trudy. »Versprecht es mit euren erhobenen Fingern. Versprecht, dass ihr es keinem erzählt, wenn ich euch das Geheimnis meines Tricks verrate.«

»Ich muss Ihnen nichts versprechen«, sagt Wolfgang, und wir klatschen uns ab.

»Chloé«, sagt Andrew. »Lass das.«

»Er ist schlau. Sieh dir an, wie schlau er ist! Er hat alle Tricks durchschaut«, sage ich zu Andrew.

»Okay«, sagt die Große Moody Trudy, »es wird Zeit, das Kaninchen zu treffen.« Sie klopft auf die falsche Rückwand der Schublade, und Wolfgang grinst und sagt: »Siehst du, ich hab’s ja gesagt …«, aber dann bricht die Rückwand zusammen, die ganze Kiste fällt auseinander und da ist kein Kaninchen. Wolfgang hält inne und starrt.

Die Große Moody Trudy hält das Plüschkaninchen hoch und sagt: »Ich schätze, da war doch kein echtes Kaninchen.«

Wolfgangs Gesicht verrutscht. Die Große Moody Trudy tut so, als steckte sie das Plüschkaninchen in ihre Tasche zurück, dann zieht sie schwungvoll die Jacke aus und schwingt sie wie einen Umhang in der Luft zwischen uns und dem Plüschkaninchen, und als sie die Jacke zurückzieht, sitzt ein niedliches echtes Kaninchen in ihren Händen. Die Menge ist nicht mehr zu halten, auch Wolfgang nicht. Er ist begeistert, hat etwas Magisches gesehen.

»Wie hat sie … ich kann nicht … wo war es?«, sagt er strahlend.

»Na bitte! So schlau seid ihr doch nicht, ihr zynischen kleinen Spinner«, sagt Andrew.

Die Große Moody Trudy winkt die Kinder zu sich und bietet ihnen an, das Kaninchen zu streicheln. Zu meiner Überraschung flitzt Wolfgang nach vorn, um sich in die Schlange zu stellen, schaut voller Bewunderung und ohne eine Spur von Verlegenheit zu der Großen Moody Trudy auf und sagt ihr, sie sei die größte Zauberkünstlerin, die er je gesehen hat. Er streichelt zärtlich das Kaninchen, stupst es mit der Nase an, und die Große Moody Trudy neigt sich zu ihm herunter und sie umarmen sich.

Wir stehen am Rand des Parks und beobachten Wolfgang beim Spielen mit den anderen Kindern.

Andrew fragt mich: »Weißt du, woran ich dachte, als Wolfgang während der Zaubershow hinten bei uns stand?«

»Nein.«

»Ich dachte daran, dass ich zu Schulbällen ging, aber nicht tanzte.«

»Oh«, sage ich. »War bei mir genauso.«

Als Kinder waren wir beide gezwungen, Erlebnisse abzutun, von denen wir uns ausgeschlossen fühlten. Wir stützten unser ganzes Selbstwertgefühl auf die Vorstellung, dass es eine Form höheren Denkens sei, sich gegen die anderen zu behaupten, was manchmal stimmte und manchmal nur Feigheit war. Es gelang uns nicht besonders gut, den Unterschied zu erkennen, aber Andrew kann das inzwischen ganz gut, während ich noch lerne.

»Ich habe mich nicht beteiligt«, sagt er. »Dabei wäre es vielleicht gut gewesen, sich mit meinesgleichen zusammenzuschließen. Ich habe die Chance verpasst, es herauszufinden.«

»Stimmt«, sage ich.

»Wenn ich Wolfgang betrachte, sehe ich ein kluges, freundliches Kind«, sagt Andrew. »Ich möchte, dass er kritisch ist, aber nicht auf Kosten von Kameradschaft. Er ist mitfühlend und intelligent genug, um beides zuzulassen, wenn wir ihm nur nicht –«

»Nicht was?«

»Wenn wir ihm nicht in die Quere kommen.«

Iris Murdoch schreibt: »Wenn wir unsere Augen öffnen, sehen wir nicht unbedingt, womit wir es zu tun haben.«

Wir sind, so glaubt sie, ängstlich und selbstbezogen, und wir sehen durch einen selbst geschaffenen, verfälschenden Schleier, der uns die Welt nur bruchstückhaft zeigt.

Wir suchen Orte, um der Realität zu entfliehen. Wohin gehst du?, hatte mein Vater gefragt.

Unser Bewusstsein ist oft getrübt von wirklichkeitsfernen Neigungen, Fantasien, Träumereien, und diese Rückzüge aus der Realität sind ihr zufolge »zutiefst verbunden mit unseren Energien und der Fähigkeit, zu entscheiden und zu handeln«.

Um bessere Entscheidungen zu treffen und gerechter zu sein, müssen wir also unser Bewusstsein ändern, und Murdoch glaubt, dass Schönheit diese Veränderung bewirken kann, allerdings nicht durch Berufung auf Ordnung, Proportion, ideale Form, Perfektion. Stattdessen erleichtert die Schönheit es uns, aufmerksamer für die Welt außerhalb von uns zu werden. Schönheit kann uns helfen, die Erfahrungsqualität unseres Bewusstseins zu verbessern, indem sie uns einen Anlass zum »Entselbsten« gibt und uns mit einer kurzzeitigen Pause von unserem »dicken unerbittlichen Ego« beschenkt. Die Schönheit des schwebenden Falken aufzunehmen, befreit sie einen Moment lang von ihr selbst.

»Das grübelnde Selbst mit seiner verletzten Eitelkeit ist verschwunden. Jetzt gibt es nichts außer dem Falken. Und wenn ich dann meine Gedanken an die andere Sache wieder aufnehme, scheint sie weniger wichtig.«

Ein Tag verschmilzt mit dem nächsten. Abends gehen wir nach draußen. Es ist so warm wie seit Wochen nicht mehr. Die tiefstehende Sonne taucht alles in goldenen Schimmer. Halloween ist vorbei, doch viele sind immer noch in Kostümen unterwegs. An der Ecke steht ein Doctor Strange und raucht E-Zigarette. Wolfgangs verschwitztes Haar klebt an seinen Schläfen. Ich halte seine kleine Hand, und wir gehen die Straße entlang, zwei versprengte Fragmente, die durch die Ephemera anderer Leben gehen.

Eine Brise, ein aufblitzendes Licht. Mein Sohn lächelt mich an. Jetzt, in dieser Sekunde, ist er zufrieden und sicher, auf einem Spaziergang im Herbst mit seiner Mutter, einem Spaziergang, an den er sich nicht erinnern wird. Auch für mich gibt es im Augenblick nur diesen Spaziergang, der noch ein paar Blocks und ein paar Minuten dauern wird, die langweiligsten, normalsten und schönsten Minuten meines Lebens, und ich glaube, wenn ich mich stark genug konzentriere, kann ich die Minuten dazu bewegen, ihren Schatten auf mir zu hinterlassen. Ich will nicht, dass die Minuten verblassen, ich will sie versteinern und in meinem neutralen Raum analysieren, doch stattdessen nehme ich den Moment wahr, und dann lasse ich ihn los und werde am nächsten Tag mit neuer Schönheit belohnt: ein Morgenlied, eine einfache Melodie, das rhythmische Schlurfen von Andrews Füßen in der Küche, der singende Wasserhahn, perlendes Wasser, das über Töpfe und Teller läuft, bevor es auf das metallene Spülbecken tropft, dann leise schwappender Seifenschaum in der schmutzigen Kaffeekanne.