Morgens wurde Sila vom Zwitschern der Meisen geweckt. Einen Augenblick wusste sie nicht, wo sie war, bis sie das grünliche Licht wiedererkannte, das durch die Weinblätter hereindrang.
Früher war sie jeden Tag so aufgewacht, unter diesem alten Dach in diesem Licht. Draußen wartete eine Welt voller Blüten, Grün und Bienen auf sie.
Es hielt sie nicht mehr im Bett. Wenige Minuten später stand sie auf der Türschwelle und konnte sich nicht sattsehen an der klaren Luft und der grünen Weite. Das Wetter meinte es gut. Nur Schäfchenwolken trieben über ihr. Im Gras funkelte Tau.
Sila kochte sich Kaffee, aß eines der Brötchen von gestern und machte sich als Erstes daran, das Tor zu reparieren. Sie schraubte hier und ölte da und dachte daran, dass Wanda jetzt vielleicht irgendwo beifällig nickte, als es sich wieder stabil und lautlos öffnen und schließen ließ. »Alles wieder gut, Wanda«, sagte sie laut.
Dabei war es nur ein winzig kleiner Anfang. Aber es fühlte sich gerade so gut an. Anzufangen war stets das Wichtigste. Das hatte Wanda ihr immer eingeschärft.
Dann zog es sie auf die Streuobstwiese. Im Geräteschuppen fand sie den alten Leiterwagen, in den man endlos Dinge laden konnte. Sie warf Handschuhe hinein, eine Säge, eine lange Astschere, eine kurze Baumschere und eine Schaufel.
Zwischen den Obstbäumen duftete es so himmlisch wie am Vortag, nur noch frischer, weil es Morgen war. Zitronenfalter, Bläulinge und ein Postillion flatterten zwischen Löwenzahn und Klee, Margeriten tanzten filigran im Wind. Voller Energie wie lange nicht mehr machte sich Sila zunächst über die Äste her, die überall herumlagen. Sie füllte einen großen Haufen in den Leiterwagen. Diejenigen, die abgeknickt herunterhingen, kappte sie mit der Säge. Als der Wagen voll war, schichtete sie daneben einen zweiten Haufen auf.
Bald schmerzten sie Muskeln, von denen sie nicht mehr gewusst hatte, dass es sie gab, aber sie blickte sich zufrieden um. Wie viel so ein bisschen Arbeit bereits ausmachte! Schon wirkte der Obstgarten nicht mehr ganz so vernachlässigt. Selbst der laue Frühlingswind schien befreiter zu wehen und wirbelte ihr ein paar Blütenblätter um die Ohren. Eine rotblonde Katze mit dunklen Streifen wand sich durch das Gras, blieb stehen und warf Sila einen fragenden Blick zu.
»Hallo, bist du Kopernikus? Oder Curie?« Sila bückte sich und streckte die Hand aus, aber das Tier warf ihr nur einen kurzen Blick zu und stolzierte weiter auf seinem Weg.
Sila war so in Schwung, dass sie auch noch einige wilde Sträucher und eine Menge Brennnesseln herausriss, die die Wiese zu ersticken drohten, und oben auf den Leiterwagen warf.
Nur wohin jetzt damit? Das hätte sie sich eher überlegen sollen. Sie dachte nach. Da war doch der große Komposthaufen bei Wandas Gemüsegarten gewesen. Daneben wurde manchmal Laub verbrannt und Holz.
Wenn sie unten an der Wiese entlang abkürzte, würde sie vermutlich hinter dem Gemüsegarten herauskommen.
Nächstes Mal musste sie unbedingt eine Wasserflasche und einen Strohhut mitnehmen. Die Sonne brannte mächtig auf ihren dicken schwarzen Haaren.
Sie setzte sich unter einen Apfelbaum, lehnte sich an den Stamm und zog die Handschuhe aus. Sie war müde, verschwitzt und glücklich. Neben ihrem Schuh, zwischen Spitzwegerich und Hirtentäschelkraut, bewegte sich etwas im sandigen Boden. Eine Rotschopfige Sandbiene!
»Hallo, Andrena«, sagte Sila erfreut.
Auf dem Hirtentäschelkraut entdeckte sie eine weitere alte Freundin. Eine Maskenbiene.
»Sie sind noch da, Wanda«, sagte Sila leise. »Hier kann man gar nicht einsam sein.«
Sie hatte gelesen, dass ein Wissenschaftler herausgefunden hatte, dass Bienen tatsächlich träumen. Er hatte es mit einer Kamera anhand der Bewegungen erforscht, die sie im Schlaf machten. Bestimmt träumten sie genauso, wie Wanda es erzählt hatte. Von Weite und Wiesen, Nektar und Blüten, von Tagen voller Licht und Wärme. Sie haben dieselben Träume wie wir Menschen. Eigentlich wollen sie nur ihre Freiheit und dass am nächsten Morgen wieder die Sonne aufgeht. Dass es Luft und Farben gibt und etwas Süßes zu essen. Das ist nicht viel.
Jetzt, da sie hier saß, mitten im Paradies, musste Sila zugeben, dass das völlig genügte.
Nie hätte sie gedacht, dass sie einmal so wunderbar allein sein würde mit ihrem Kindheitsparadies. Ohne die ganzen Schwierigkeiten und Streitereien, die lautstarke oder vorwurfsvolle Unzufriedenheit ihrer Mutter und die sporadische Anwesenheit eines unerreichbaren Vaters, ohne die Betrunkenen in der Gaststube, ohne die Erwartungen, die Sila nicht erfüllen konnte.
Aber leider auch ohne Wanda.
Doch Wanda war hier, in jeder Biene, die flog, in jedem Kraut, das blühte. Und in Silas Souveränität im Umgang mit Gartenarbeit, über die sie selbst überrascht war. Es fühlte sich an, als würde sie das jeden Tag machen und wüsste genau, was sie tat.
Habe ich dir ja auch beigebracht, sagte Wandas Stimme im Wind. Aber davon, dass du hier herumsitzt, macht sich die Arbeit nicht. Es gibt eine Zeit zu arbeiten und eine Zeit zu träumen.
Sila lächelte die Sandbiene an, die jetzt in einer violetten Taubnessel zugange war, und raffte sich auf. Mit Mühe bekam sie den Leiterwagen in Gang. Er war jetzt schwer, aber die großen alten Räder waren so zuverlässig wie eh und je. Wie oft hatten Lisann und Sila einander damit über Stock und Stein gezogen!
Der Pfad, den sie weiter unten vermutet hatte, war nur noch stellenweise zu erahnen. Mit mehreren Unterbrechungen, um Steine und Äste aus dem Weg zu räumen, gelang es ihr, bis hinter den Stall zu kommen, wo sich ihrer Erinnerung nach der Gemüsegarten befand. Dort blieb sie stehen. Ja, da war der Steinwall drum herum und die Hochbeete oder jedenfalls die Reste davon. Die Rückseite der Stallwand war mit Spalierobst und Brombeeren bewachsen. Wie vertraut es duftete! Feuchter war es hier, die Erde fruchtbar und dunkel. Es roch nach Kompost und Regenwürmern und Wurzeln, nach Dill und Maggikraut.
Sila ließ den Leiterwagen stehen und fing an, die Kräuter vom Unkraut zu befreien, damit diese wieder Licht bekamen. Sie kostete vom Schnittlauch, dann von der Petersilie. Herrlich, wie das nach Frühling schmeckte! Davon musste sie unbedingt etwas mit in die Küche nehmen.
Hier war Wanda besonders gegenwärtig. Im Kürbisbeet glaubte Sila für einen Augenblick, ihre blaue Schürze blitzen zu sehen. Und da, bei den Gurken! Wie oft hatte Wanda sie rasch hierhergeschickt, frische Gurken zum Abendbrot zu holen. Frisch geerntet auf einem Butterbrot, mit Salz und frischem Dill … Ein paar junge Pflanzen hatten sich selbst aus liegengebliebenen Früchten besamt und wanden sich bereits über die Erde. Wenn sie sich ein wenig darum kümmerte, würde es auch dieses Jahr Gurken geben.
Doch was jetzt mit dem Geäst? Sila fiel etwas ein. Der Gemüsegarten wurde an einer Seite von der Backsteinwand der Stallrückseite begrenzt, wodurch er warm und geschützt lag. An zwei Seiten bildete ein Wall aus Feldsteinen die Grenze, bewachsen mit Mauerpfeffer und Phlox. Er bot wunderbare Verstecke für Eidechsen und Mauerbienen. Aber an der Ostseite war doch früher eine Hecke gewesen?
Richtig, eine Benjeshecke! Jetzt fiel ihr ein, was in ihrem Unterbewusstsein gearbeitet hatte. Eine Benjeshecke wurde zwischen Reihen aus Pflöcken aus Ästen aufgeschichtet, unten die dicken, oben das Reisig. Mit der Zeit wuchsen dann Wildkräuter hindurch. Käfer, Bienen, Vögel, Igel, jede Menge Kleingetier siedelte sich darin an. Windschutz bot sie auch. Mit der Zeit verrottete sie von unten, und man konnte sie von oben nachschichten.
Von der einstigen Hecke waren nur noch die Pflöcke übrig, und auch davon waren einige abgefault. Man sah noch Reste herumliegender Zweige.
Sila inspizierte die Pflöcke. Die wenigen kaputten konnte sie ersetzen, und dann würde es ein Leichtes sein, den alten Windschutz wiederherzustellen. Das war ein guter Verwendungszweck für das Holz, und die Tiere würden begeistert sein.
Während sie noch abschätzte, wie viele Pflöcke sie brauchen würde, näherte sich ein Auto. Als der Motor verstummte, hörte sie ein lautes Quietschen und andere seltsame Geräusche. Sie lief um den Stall herum nach vorn und sah Lisann, die ihr mit einer Tiertransportkiste in jeder Hand entgegenkam. Das Quietschen und Grunzen wurde noch lauter.
»Was …?«, begann Sila.
Lisann stellte die Kisten ab. »Sie wiegen wohl mehr als noch vor ein paar Tagen«, sagte sie außer Atem. »Ich glaube, ich habe sie zu gut gefüttert. Sie sind aber auch einfach zu süß.«
Sila bemühte sich, durch die Schlitze der Boxen etwas zu erkennen. »Bitte, Lisann, was um Himmels willen ist das?«
»Na, Kopernikus und Curie. Hat Wanda das nicht erwähnt? Harry auch nicht?« Lisann fing an zu lachen. »Nimm mal die eine Box mit. Wirst es gleich sehen. Die Weide mit dem Stall ist da hinten. Wanda wollte sie nicht ganz so nahe am Haus haben, weil sie recht laut sein können, wenn sie sich freuen.«
Sila griff verwirrt nach dem Henkel. In der Box klapperte, raschelte und quiekte es. Ein Stück hinter dem Gemüsegarten befand sich eine eingezäunte Weide mit einem kleinen Stall darauf, wohin Sila noch nicht vorgedrungen war.
»Ich habe mich um sie gekümmert, aber unser Pferch ist auf Dauer zu klein«, sagte Lisann. »Auch wenn sie aussehen wie Schoßtiere, sie brauchen viel Auslauf.« Sie stieg über den Zaun und öffnete die Box. Ein schokoladenbraunes Wesen schoss heraus und tobte über das Gras, dann kam es zurück und rieb sich an Lisanns Bein. Es war nicht einmal kniehoch, vielleicht siebzig Zentimeter lang und hatte ein so fröhliches Gesicht, dass Sila nicht anders konnte und laut loslachte. »Ferkel? Wanda hatte Ferkel?«
Lisann nahm ihr die andere Box ab und öffnete sie ebenfalls. Ein identisches Kerlchen sauste heraus, nur diesmal rotblond mit ein paar dunkleren Flecken.
»Nein, keine Ferkel. Sie sind schon ausgewachsen. Es sind Minischweine. Stubenrein, sehr verschmust und hochintelligent«, sagte Lisann. »Allerdings auch lebhaft und nicht gerade leise. Aber sie machen unweigerlich gute Laune. Wanda hat sich auf einem Ausflug zu einem anderen Hof auf den ersten Blick in sie verliebt, und Harry hat sie ihr geschenkt. Das dunkle ist Kopernikus, weil es oft dasteht und in den Himmel guckt. Keine Sorge, es werden nicht mehr, er ist kastriert. Und das helle ist Curie. Steckt ihre Nase überall rein.«
»Ich kann verstehen, warum Wanda sich verliebt hat.« Sila ging es ähnlich. Sie hockte sich hin und kraulte Kopernikus, der sich an sie lehnte und genüsslich die Augen schloss. Seine kleine runde Wärme, die lustigen Ohren und die freche Nase, das ganze Wesen strahlte Heiterkeit und Lebensfreude aus.
»Was fressen sie denn?«
»Obst, Gemüse, Getreide, Heu. Du findest Futter im Schuppen. Man darf sie nur nicht überfüttern. Und natürlich brauchen sie immer frisches Wasser.«
»Du sagtest, sie sind stubenrein? Kommen sie denn auch ins Haus?«
»Wenn man das will. Im Winter hat Wanda sie manchmal hereingeholt. Aber ich meinte vor allem, dass sie auf der Weide immer in die dafür vorhergesehene Ecke gehen. Ihre Hinterlassenschaft ist gut für den Kompost. Du kannst sie auch herauslassen, sie laufen nicht weg. Aber sie pflügen durch die Blumenbeete, wenn du nicht aufpasst. Im Prinzip ist die Weide groß genug. Tägliche Streicheleinheiten verlangen sie aber schon. Sie sind wirklich verschmust.«
Kopernikus war jetzt dabei, sich in einer Schlammpfütze zu suhlen, dafür drängte sich Curie an Sila. Scheu vor Fremden kannten die zwei wohl nicht. Sila bückte sich und begann, Curie zu kraulen.
»Wie geht es dir denn jetzt, nach einer Nacht in der alten Heimat?«, fragte Lisann.
»Merkwürdig. Kannst du dich an die doppelbelichteten Fotos erinnern, die die Kameras früher gemacht haben, wenn man den Film nicht richtig weitergespult hat? Da saß man dann im Auto mitten auf dem Müggelsee oder so ähnlich. So kommt es mir jetzt auch vor. Als ob sich ein Bild ständig vor das andere schiebt. Ich bin gleichzeitig in der Gegenwart und in der Vergangenheit. Manchmal fühlt es sich richtig an und dann wieder falsch.« Curie galoppierte davon, und Sila stand auf und setzte sich neben Lisann auf den Zaun. »Ich hatte vergessen, wie schön es hier ist. Jedenfalls ohne Menschen, die sich streiten. Zwei Dinge weiß ich schon. Erstens: Ich kann nicht auf Dauer bleiben. Es sind zu viele Erinnerungen hier. Und vor allem möchte ich mich vorwärtsbewegen in meinem Leben und nicht zurück.« Sie schwieg. »Ich bin Wanda dankbar dafür, dass sie mich aus dem Stillstand der letzten Zeit herausgerissen hat«, ergänzte sie schließlich.
Lisann baumelte mit ihren langen Beinen. »Und zweitens?«
»Wie? Ach so. Zweitens ist mir klargeworden, dass ich zu sehr an alldem hier hänge, um es einfach sich selbst zu überlassen oder an den ersten Besten zu verscherbeln.«
»Dann hast du ein Problem«, stellte Lisann fest. »Hier kannst du froh sein, wenn überhaupt jemand auftaucht. Ich kenne Leute, die können ihr Grundstück seit Jahren nicht verkaufen.«
»Ich weiß.« Sila sah ihren neuen Mitbewohnern zu, die sich gegenseitig über das Gras jagten und vor Freude quiekten. »Aber jetzt habe ich ja immerhin Schwein. Sogar doppelt.«
Lisann lachte auf. »Stimmt. Möge es helfen.«
»Ich wollte gerade nachsehen, ob noch Kartoffeln im Keller sind. Es gibt so tolle Kräuter. Magst du zum Mittagessen bleiben?«
»Warum nicht? Ist ja Samstag. Keine Schule heute. Nachher muss ich aber noch Tests korrigieren.«
Im Kartoffelkeller roch es wie früher. Eine der hölzernen Stiegen war noch voll. Ein paar schrumpelige Kartoffeln nahmen sie für die Schweine mit hoch, die besseren legte Sila in den alten Dampfkochtopf. Dann gingen sie Kräuter ernten. Quark hatte Sila noch unter ihren mitgebrachten Vorräten.
Lisann sah zu den Greifvögeln auf, die über ihr kreisten. »Ich möchte jedenfalls nirgendwo anders leben. Ich habe mir die Welt angesehen, als es dann ging, und festgestellt, dass ich genau da bin, wo ich sein will. Aber ich habe auch nur gute Erinnerungen.«
»Für die guten bin ich auch dankbar.« Sila schnupperte am Dill. Herrlich. Die gekauften Kräuter in der Stadt waren weit entfernt von diesem Aroma. »Heute Morgen im Obstgarten war ich total glücklich.«
»Und fleißig, wie ich sehe.« Lisann betrachtete den Reisighaufen.
»Ja, ich will die Benjeshecke erneuern.«
»Wenn du Hilfe brauchst, mein Mann ist Landwirt. Der kann fast alles. Er heißt Martin.«
»Danke. Gut zu wissen. Wenn ich das Auto nicht zum Laufen bekomme, brauche ich ihn vielleicht wirklich bald. Habt ihr Hühner?« Sila hatte plötzlich Appetit auf Eier. So richtige, frische.
»Ja, ich kann dir gern regelmäßig welche bringen. Und frisches Brot, wenn du magst. Ich backe oft.«
»Das klingt großartig.«
Später saßen sie auf der Bank und aßen Kartoffeln mit Kräuterquark. Sie konnten noch immer gut zusammen schweigen, ebenso wie reden.
»Schade, dass du nicht hierbleiben willst«, sagte Lisann. »Freundinnen sind hier dünn gesät. Aber ich freue mich einfach, solange du hier bist. Was ist mit dir, bist du verheiratet?«
»Nein.« Wie sollte sie Lisann Devin bloß erklären?
Lisann deutet ihr Zögern richtig. »Aber da ist jemand?«
Sila leckte den letzten Quark vom Löffel. Das könnte sie jeden Tag essen, dachte sie. »Ja. Devin. Wir kennen uns, seit ich ein Teenager war. Er ist ein paar Jahre älter als ich und hat mich immer beschützt. Ich habe meine Lehre bei ihm gemacht. Irgendwann später haben wir uns verliebt.«
»Und dann?«, fragte Lisann, als die Pause zu lang wurde.
»Eine Zeitlang habe ich bei ihm gewohnt, meine Wohnung aber nie aufgegeben. Dann hat es auf einmal nicht mehr gepasst. Es war uns zu eng. Er sagte mir zu oft, was ich tun oder lassen sollte. Und er fühlte sich nicht ernst genug genommen. Außerdem dachte ich, er will vielleicht Kinder und sollte die Gelegenheit dazu haben, mit einer anderen Frau, weil ich keine bekommen kann.«
»Und? Wollte er?«
Sila zuckte mit den Schultern. »Anscheinend nicht. Irgendwann waren wir wieder eine Weile zusammen. Aber vor einiger Zeit haben wir beschlossen, es bei Freundschaft zu belassen. Er hat jetzt eine andere Freundin. Ich hatte auch mal eine Beziehung. Zu einem Kunden. Devin ist trotzdem nach wie vor die wichtigste Person in meinem Leben. Mein Fels in der Brandung. Wir sind immer füreinander da. Als Freunde passen wir perfekt zusammen.«
»Und was hält seine Freundin davon?«
»Ich weiß nicht, wie ernst das mit ihr ist.«
»Klingt kompliziert«, sagte Lisann. »Immerhin schön, dass du ihn hast.«
»Ja, es klingt kompliziert«, gab Sila zu. »Aber wenn wir zusammen sind, scheint es eigentlich ganz einfach. Wir sind uns wichtig. Punkt.«
»Na, vielleicht tut euch ein bisschen Abstand ja gut«, sagte Lisann. »Ich finde, das wirkt nicht optimal. Irgendwie inkonsequent. Willst du nicht mal richtig glücklich sein? So wie ich mit Martin? Ich würde es dir wünschen.«
»Dafür hat mir heute schon der Obstgarten genügt«, sagte Sila.
Sie konnte es kaum erwarten, den Hof weiter zum Leben zu erwecken, auch wenn ihr Rücken gerade begann, mörderisch zu schmerzen. »Ich freue mich über die Minischweine. Hier hat was Lebendiges gefehlt.«
»Vergiss Runaj nicht«, sagte Lisann und deutete nach oben auf zwei würdevoll kreisende schwarze Punkte unter den Wolken. »Der Fürst des Wickenhofs. Mir scheint, er hat eine Gefährtin gefunden. Vielleicht nisten sie wieder hier?« Die Rufe der Vögel hallten zu ihnen herunter. Für Sila klangen sie wie eine Frage.
Die Zukunft schien offen, weit und hell wie die Felder.