Der Fahrtwind wehte Lexi die Haare um die Ohren. Jonne stand neben ihr, seine Hände lagen ruhig auf der Reling der Fähre. Gestern hatte er lebhaft gestikuliert, während er Remys Freund Noah erklärt hatte, wie er seine Drachen baute. Es faszinierte Lexi immer wieder, wie unvermittelt er von Leidenschaftlichkeit zu völliger Ruhe wechseln konnte.
Sie hatten abends noch lange auf der Terrasse des Blockhauses bei Broten und Wein zusammengesessen, nachdem alle Gartenbesucher fort waren. Remy und Lexi hatten über die Gärten gesprochen, während Noah und Jonne über Kochrezepte, alte Möbel und eben den Drachenbau diskutierten. Remy saß dabei die meiste Zeit an Noah gelehnt, der auf eine Art den Arm um ihre Schulter gelegt hatte, die deutlich zeigte, dass sie das gewöhnt waren. Die beiden gingen so harmonisch und vertraut miteinander um, auf eine solch liebevoll selbstverständliche Art, dass Lexi auf einmal froh war, dass Jonne mitgekommen war und sie nicht allein hier saß. Auch wenn sie kein Paar waren, angesichts dieser Harmonie hätte sie sich sonst geradezu verloren gefühlt.
Sie hatte Remy davon erzählt, dass Mervin Lerner einmal in Valentinas Garten gewohnt hatte. Die hatte sich riesig über diese Information gefreut, da sie immer noch dabei war, die Puzzlestücke von Mervins Geschichte zusammenzufügen. Dann hatte Remy sich nach Lexis Plänen erkundigt. Sie war eine gute Zuhörerin und stellte geschickte Fragen.
»Ich werde Augen und Ohren offenhalten«, hatte sie Lexi schließlich versprochen. »Durch die Zeitung und das ausführliche Recherchieren für Artikel, aber natürlich auch von den vielen Menschen, die hierherkommen, höre ich eine Menge. Vielleicht erfahre ich einmal etwas über ein Grundstück oder ein Unternehmen, das für deine Pläne passen würde.«
»Ich kann mir kein Grundstück leisten«, sagte Lexi. »Vorerst bleibt es nur ein Traum. Aber vielleicht könnte ich irgendwo mitarbeiten, in einer größeren landwirtschaftlichen Einrichtung, die ein offenes Ohr für pädagogische Projekte hat.«
»Wie gesagt, ich werde darauf achten. Früher oder später begegnet mir möglicherweise etwas.« Remy schob den Zuckerstreuer hin und her. »Ich dachte damals auch, dass ich es mir niemals würde leisten können, Mervins Garten zurückzukaufen, der längst einem Großbauern gehörte. Dann begegnete mir diese wunderbare alte Dame, die in Mervin verliebt gewesen war und etwas Vernünftiges mit ihrem Erbe anfangen wollte. Heute glaube ich, es sollte einfach so sein. Manchmal ergeben sich Dinge aus Gründen, die wir noch nicht kennen.« Sie hob den Blick und sah Lexi in die Augen. »Man darf aber auch nicht darauf warten, dass sie an die Tür klopfen. Man muss sich auf den Weg machen.« Sie blickte zu Noah hinüber. »Und die richtigen Freunde finden, natürlich.«
Noah lächelte sie an. »Und eine Energie haben wie Remy.« Er zwinkerte Lexi zu. »Aber ich glaube, die hast du.« Anscheinend hatte er ihnen aufmerksam zugehört, obwohl er auch Jonnes Erläuterungen folgte.
»Ja, die hat sie auf jeden Fall!«, stimmte der nun entschieden zu. Lexi hoffte, dass es schon so dunkel war, dass er ihre verlegene Freude nicht bemerkte.
Später waren sie noch einmal durch den Garten gegangen, der jetzt so still dalag. Mondviolen leuchteten in der Dämmerung, weißer Flieder duftete mit den Maiglöckchen um die Wette. Kleine helle Nachtmotten schwirrten dazwischen umher.
»Mervin schrieb davon, dass er und Clara in diesem Garten in ganz besonderen, wenigen Augenblicken einen bestimmten großen Nachtfalter gesehen haben«, erzählte Remy. »Mit langgezogenen Flügelspitzen und von grünlicher Farbe. Er erschien immer nur dann, wenn jemand gerade glücklich und alles ganz perfekt war.«
»Und? Hast du ihn auch schon einmal gesehen?«, fragte Lexi gespannt.
Remy warf einen Blick zu Noah hinüber und lächelte. »Nein. Aber ich weiß auch so, dass alles perfekt ist. Trotzdem bin ich neugierig, ob er mir einmal begegnen wird und wenn, dann wann. Dadurch, dass ich manchmal daran denke, fallen mir die schönen Momente öfter und bewusster auf. Vielleicht war das alles, was Mervin mit seiner Geschichte bezwecken wollte.«
»Wenn der Falter existiert – ob es ihn dann auch woanders gibt?«, überlegte Lexi laut.
»Ich weiß es nicht. Aber ich habe die Geschichte einmal in der Zeitschrift veröffentlicht und darum gebeten, dass die Leser mir schreiben, falls jemand ihn sieht. Vielleicht taucht er ja am Ende sogar in Valentinas Garten auf.« Remys Ton wurde ernster. »Ich wünsche dir wirklich Glück, Lexi! Deine Ideen sind so gut, sie verdienen es, dass du sie umsetzen kannst. Sprich mit Linnea auf Hiddensee, sie kann dir sicherlich besser weiterhelfen als ich.«
Aber Lexi war stehengeblieben. »Remy, was ist das dort? Sind das etwa …« Sie deutete auf die große Sonnenuhr, die auf einem dicken Baumstumpf stand. Am Nachmittag hatte Lexi beobachtet, wie der Schatten des Zeigers darauf wanderte. Jetzt lag die Uhr im Dunkeln – und doch nicht! Zwei glühende Punkte bewegten sich auf dem Baumstumpf wie in einem langsamen Tanz.
»Glühwürmchen. Ja.« Es war inzwischen zu dunkel, um Remys Gesicht zu sehen, aber Lexi hörte die Aufregung in ihrer Stimme. »Sie waren schon im letzten Jahr hier, zu unserer großen Freude. Und in diesem Jahr scheinen sie besonders früh dran zu sein. Wahrscheinlich, weil es so warm ist. Noah, hast du gesehen? Sie sind da!«
»Das war toll, gestern die Glühwürmchen zu erleben«, sagte Lexi jetzt. Hier, auf der Fähre nach Hiddensee im Morgenlicht, erschien es ihr fast, als wäre der gestrige Abend nur ein Traum gewesen, jener magische Garten in der Dämmerung.
Als sie Lexis Geschichte von dem Nachtfalter gehört hatte, war ihr eines klargeworden. Sosehr sie Valentinas Garten liebte, so sicher war sie, dass sie diesen Falter dort niemals sehen würde. Jemand anderes vielleicht. Sie selbst nicht. Für sie war nicht alles perfekt.
Jonne wandte sich zu ihr um. »Ja, das war es wirklich! Ich habe gerade drüber nachgedacht, einen Glühwürmchendrachen zu bauen. Wir haben bei den Drachenfestivals oft einen Höhepunkt zum Abschluss, mit beleuchteten Drachen in der Nacht. Sie sind voller kleiner Lampen. Oder sie werden von unten angestrahlt. Aber ein Drachen, der aussieht wie ein wirkliches Glühwürmchen, das wäre doch mal was anderes. Du könntest mir helfen, dass es biologisch ganz korrekt wird.«
Lexi stellte sich das vor. Sie könnte dazu eine Unterrichtseinheit machen. »Unbedingt. Ich bin dabei!«
Auf Hiddensee am Hafen wartete ein Ponywagen. Eine junge Frau mit einem kurzen blonden Pferdeschwanz sprang herunter und kam auf sie zu.
»Hallo, du musst Lexi sein! Das SeeReh. Ich habe deinen Blog gelesen und dein Profilbild gesehen. Ich dachte, ich hole euch mit dem Floh ab, es ist doch ganz schön weit zu laufen. Obwohl auf Hiddensee eigentlich nichts weit ist.« Sie zückte ihr Handy. »Bleibt mal bitte kurz stehen, darf ich ein Bild von euch machen? Ich wollte dich nämlich fragen, ob ich dich mal in Valentinas Garten besuchen und einen Beitrag darüber drehen darf. Das ist doch genau mein Thema, ein pädagogischer Garten!«
»Ja, natürlich, sehr gerne.« Lexi bemühte sich, diesem Energiebündel gedanklich zu folgen. Linnea Joneleit wollte in ihrem Garten drehen? Linnea, die schon einen Preis gewonnen hatte und für den nächsten nominiert war? Und deren Filme zur Hauptsendezeit liefen, auch wenn sie nur kurz waren? Ihren Schülern würde das auch gefallen.
Sie blieb mit Jonne vor dem Schiff stehen, während Linnea ein paar Aufnahmen machte. »Dann kann ich später euren Besuch hier in meinen Beitrag einbinden«, erklärte sie.
»Du drehst deine Beiträge wirklich alle nur mit dem Handy?«, fragte Lexi, die davon gelesen hatte.
»Ja, am Anfang fand ich es auch gewöhnungsbedürftig, aber es ist tatsächlich sehr praktisch.« Linnea lachte. »Steigt ein! Dann sind wir ruckzuck in Timmos Garten. Wir sind erst seit dem frühen Frühling dabei, ihn anzulegen, also erwartet nichts Großartiges. Allerdings haben wir mächtig losgelegt. Die halbe Insel hat mit angepackt!«
»Du sagtest Floh, ist das der Name des Ponys?«, fragte Jonne.
»Ja.« Linnea gab ein Kommando, und das Pony setzte sich in Bewegung. »Hier auf der Insel sind ja keine Autos erlaubt, und da haben wir festgestellt, dass wir nicht alles mit dem Fahrrad machen können. Darum hat Juna den Wagen und das Pony angeschafft. Floh darf beim Nachbarn auf die Weide. Juna ist die Besitzerin des Gartens«, sagte sie erklärend zu Jonne. »Ich helfe ihr nur, und ich darf den Garten als Basis für meine Filme benutzen.«
»Ich habe deinen Film über die Suche nach der goldenen Libelle gesehen«, sagte Linnea. »Juna taucht ja nur im Text des Abspanns darin auf, aber ihre Geschichte macht mir Mut. Dass sie in ihrer zweiten Lebenshälfte noch mal einen Garten anlegt und etwas ganz Neues, Großes beginnt, das zeigt mir, dass ich das erst recht schaffen sollte.«
»Natürlich kannst du das schaffen.« Linnea ließ das Pony etwas schneller laufen. Floh schien das zu genießen. »Du hast mir ja einiges von deinen Ideen geschrieben. Remy hat mich heute Vormittag auch schon angerufen. Sie traut dir eine Menge zu! Wir arbeiten beide daran, das Wissen über die Natur und vor allem den Respekt davor mehr an die Öffentlichkeit zu bringen. Aber nicht so trocken wie die Lehrbücher und schon gar nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern wir versuchen, die Liebe dazu und das Staunen darüber zu vermitteln. Es soll anstecken. Ich meine, was gibt es Größeres als das hier?« Sie breitete die Arme aus und schien zu vergessen, dass sie die Zügel dabei anzog. Floh blieb verwirrt stehen.
Linnea lachte über sich selbst und gab dem Pony ein Signal. Eifrig legte es wieder los. Lexi sah sich um. Linnea hatte völlig recht. Die Farben hier waren unglaublich, der blühende Ginster auf grünen Wiesen, im Hintergrund das Meer, noch blauer als um Rügen herum. Oben auf der Erhebung, die sie Dornbusch nannten, kam jetzt der strahlend weiße Leuchtturm in Sicht. Schilf in Grün und Gold säumte die Gewässer, und bis auf das Klappern der Pferdehufe war es ungewohnt still, weil hier keine Autos fuhren. Durch diese Stille hörte man unzählige Vögel rufen, und am Wegrand summten die Hummeln in einer Fülle von Wildblumen, die nicht einmal Lexi alle kannte.
»Remy ist sehr erfolgreich damit, dieses lebendige Wissen und Staunen mittels ihrer Zeitung zu verbreiten«, fuhr Linnea fort. »Sie ist gut mit Worten. Ich mache es mit Bildern, das ist meine Stärke. Seit ich auch die Kinderausgabe meiner sogenannten Neugierigen Minute mache, abonnieren sie immer mehr Lehrerinnen wie du. Ich freue mich sehr darüber, dass sie bei deinen Schülern so gut ankommt. Aber was uns fehlt, ist die Umsetzung in der Praxis. Hier in Timmos Garten, wo ich viele der Beiträge auch drehe, um zu zeigen, wie sich ein neu angelegter Garten entwickelt und was hier alles lebt, werden wir auch Schüler einladen, wenn wir so weit sind. Aber wir haben nicht den Platz und die Mittel und Möglichkeiten, solche Dinge zu veranstalten, wie sie dir vorschweben. Unterricht im Freien, Beete für die Schüler, gemeinsame Projekte. Du wärst die ideale Ergänzung für unsere Zusammenarbeit!« Linnea schien schon viel darüber nachgedacht zu haben, seit Lexi ihr geschrieben hatte. »Angenommen, du hättest dieses Grundstück, das dir vorschwebt, und würdest solche Projekte erfolgreich umsetzen. Ich könnte nicht nur darüber berichten, ihr könntet doch auch zum Abschluss der Projekte von euren gezogenen Pflanzen Ableger in Remys Geschichtengarten bringen. Es würde den Kindern sicher etwas geben, wenn sie ihre Gedanken und Erfolge dort aufgeschrieben sähen. Und Erlebnisberichte, vielleicht sogar Tagebücher könnten zum Beispiel hierher in Timmos Garten, der ja auch ein Lesegarten werden soll, so wie er bei den alten Mönchen im Klosterhof war. Gäste können dort sitzen, sich erholen und lesen, ohne dass sie jemand stört. Wir sind dabei, eine besondere Bibliothek anzulegen. Ihr werdet gleich sehen, dass wir mit diesem Teil des Gartens schon relativ weit gekommen sind.«
»Linnea, das klingt wunderbar. So eine Zusammenarbeit, das wäre …« Lexi fand gar keine Worte dafür. So lange hatte sie sich schrecklich allein gefühlt mit ihren unfertigen Ideen und Sehnsüchten. Und jetzt auf einmal traf sie auf Gleichgesinnte! Nur weil Jonne ihr einen Schubs gegeben hatte. Remy hatte recht gehabt, man durfte nicht darauf warten, dass die Veränderungen an die Tür klopften, man musste ihnen entgegengehen.
»Ich könnte ein Interview mit dir senden und einen Aufruf starten, ob jemand weiß, wo du deine Ideen verwirklichen kannst«, schlug Linnea vor.
Lexi dachte darüber nach. Jonne saß ruhig neben ihr und hörte zu, eine Gegenwart, die sie ankerte. »Nein, vielen Dank, ich glaube nicht, zumindest noch nicht. Remy hat gesagt, manche Dinge ergeben sich von selbst. Ich habe so ein komisches Gefühl, dass das stimmen könnte. Dein Angebot ist sehr nett, aber das können wir immer noch machen, wenn es keinen anderen Weg gibt. Ich weiß ja noch nicht einmal, was ich mit meinem eigenen Garten machen soll.«
»Na klar, wann immer es dir passt«, sagte Linnea fröhlich und bog in eine kurze Einfahrt ein, die an einem blauen Tor endete. Ein etwa vierzehnjähriges Mädchen kam gerade heraus.
»Hallo, Susa. Magst du dich um Floh kümmern? Das wäre super, danke«, sagte Linnea und stieg aus. »Susa wohnt in der Nähe und ist uns eine große Hilfe«, erklärte sie. »Herzlich willkommen in Timmos Garten!«
Susa begann bereitwillig, Floh auszuspannen. Solch eine Hilfe bräuchte ich auch, wenn es je zur Verwirklichung meiner Pläne kommt, dachte Lexi. Ich könnte Schulpraktika anbieten. So viele Jugendliche sind immer auf der Suche nach Plätzen dafür.
Lexi und Jonne folgten Linnea um ein gelbes Haus mit blauen Fensterläden herum in den Garten. Überall blühten und dufteten alte Ginsterbüsche. Auf der Seite kamen sie an einem Teich vorbei, über den Libellen schwirrten. »Der ist natürlich auch neu angelegt, man erkennt es an der noch spärlichen Randbepflanzung«, erklärte Linnea. »Aber wie man sieht, hat er schon die ersten Lebewesen angelockt. Darüber freut sich Juna besonders.«
»Ja, meine Klasse und ich haben deine Beiträge darüber verfolgt, wie ihr den ausgebaggert und die Folie gelegt habt und bepflanzt und befüllt. Sie fanden es total spannend«, sagte Lexi. »Ich habe den Plan, einmal mit ganz vielen Kindern einen Brunnen zu bauen.«
»Na, darüber zu berichten, darauf freue ich mich jetzt schon«, sagte Linnea. »Wir könnten überhaupt einmal wöchentlich oder vierzehntägig einen Beitrag aus deinem Projekt senden und die Rubrik Neugierige Kinder statt Neugierige Minute nennen, was meinst du? Es könnte andere anregen, solche Sachen mit ihren Kindern oder Schülern in die Praxis umzusetzen.«
»Du lässt wirklich nichts anbrennen, Linnea«, sagte Jonne belustigt.
Linnea grinste ihn an. »Im Mediengeschäft muss man manchmal fix sein. Und resolut. Vielleicht liegt es auch an meinem Freund Reon. Er sammelt Spenden für den Naturschutzbund und muss dabei auch manchmal ein wenig aufdringlich sein. Vielleicht färbt das auf mich ab. Juna findet mich auch immer zu forsch, aber wir ergänzen uns hervorragend. So, hier seht ihr unseren ganzen Stolz! Den Lesegarten, der dem alten Klosterhof nachempfunden ist, nur auf eine leichtere, modernere Weise.«
Sie waren nun auf der Rückseite des Hauses angekommen. Dort wuchs Spalierobst an der Wand. Noch waren die Bäume klein, aber man sah ihnen bereits an, dass sie sich wohl fühlten. Sie hatten sogar einige erste Äpfel und Birnen angesetzt. Die schmale Terrasse bildete die eine Seite eines großen Rechtecks, das an den anderen drei Seiten von Plattenwegen aus Natursteinen ergänzt wurde. Die Terrasse und die Wege waren mit breiten Metallbögen und Gittern überdacht, an denen überall junge Pflanzen wuchsen. »Das sind alles Kletterpflanzen, die einmal die Rankgitter überwuchern und richtige Laubengänge bilden sollen, wie es im Kloster die Säulengänge gab«, erläuterte Linnea. »Hier wachsen Blauregen und Klematis in allen Farben und jede Menge Jelängerjelieber. Und Kletterrosen. Außerdem Sternjasmin und Kletterhortensien, Trompetenblume und auch Winterjasmin. Wir werden Geduld brauchen, aber auch wenn sie noch nicht sehr hoch sind, tragen sie schon erste Blüten.«
Lexi sah vor sich, wie das einmal wirken würde. Alle Farben und Düfte würden vertreten sein und sich schützend über die Gänge legen, schöner als jedes Gewölbe aus Stein. Ein Ort von ganz besonderem Zauber.
In regelmäßigen Abständen standen Bänke, auf denen man sich niederlassen konnte und nachdenken, ausruhen oder lesen. Sie waren alle unterschiedlich, manche aus Stein, manche kunstvoll aus Holz gefertigt, jede mit einem eigenen Charakter. »Davon sammeln wir noch mehr«, sagte Linnea. »Alles auf einmal geht eben nicht.«
»Wenn ihr erst im Frühjahr begonnen habt, seid ihr aber schon sehr weit gekommen.« Jonne blickte sich anerkennend um. In der Mitte des Rechtecks wuchs Rasen, auf dem das Auge sich ausruhen konnte. Ganz in der Mitte aber stand ein alter Brunnen, von dem Linnea aus einem Beitrag wusste, dass er halb verfallen gewesen und liebevoll wieder aufgebaut worden war. Von jeder Bank aus hatte man ihn durch den Rahmen aus Rankpflanzen hindurch im Blick. Aus Natursteinen gemauert, bildete er ein verlässliches Rund, wie ein Anker inmitten der vergänglichen Blüten. Daneben wuchs eine einzige Rose, deren erste Knospen sich gerade öffneten.
»Junas Lieblingsrose«, bemerkte Linnea. »Ein Ableger einer sehr alten Sorte.«
Auf einigen Bänken saßen Gäste mit einem Buch in der Hand und nickten Linnea zu. Sie sahen ausgeruht und glücklich aus. Wie die Kinder nach einem Wochenende in Valentinas Garten, dachte Lexi.
Lexi und Jonne wanderten einmal rund um den Laubengang. Zwischen den Trittplatten war begehbarer Thymian gesät worden, der bei jedem Schritt duftete. Lexi ertappte sich bei dem Wunsch, dass Jonne ihre Hand nehmen würde. Daraufhin versenkte sie ihre Hände lieber in den Hosentaschen, um nicht unwillkürlich nach seiner zu greifen. Bis jetzt war Jonne so unverbindlich geblieben, dass sie keinen Fehler machen wollte. In ihrer Tasche fühlte sie den glatten Stein, den er ihr an jenem Tag beim Spaziergang an der Westküste geschenkt hatte.
Die Dinge müssen sich ergeben, hatte Remy gesagt. Das galt sicher nicht nur für Gärten.