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In der Sekunde, in der Nakos mit seinen Lippen Amys berührte, wusste er, dass er in Schwierigkeiten steckte. In einem Meer von Schwierigkeiten, in dem man sich verlieren konnte. Ohne jede Hoffnung auf Rettung. Er hatte Amys Gesicht umfasst, den Kopf gesenkt und die Lippen auf ihren nie stillstehenden Schmollmund gedrückt.
Und dann war jeder klare Gedanke aus seinem Kopf verschwunden.
Sie bewegten sich kaum, hingen in einem Moment der Schockstarre fest, doch Bewegung spielte ohnehin keine Rolle. Auch so konnte er die federleichte Berührung ihrer Lippen in jeder Zelle seines Körpers spüren.
Hihcebe , diese Frau trieb ihn in den Wahnsinn. Die ständigen Diskussionen und Ablenkungsmanöver. Das reichte aus, einen Mann irre zu machen. Was ihre momentane Situation bewies.
In all den Jahren, die er für Olivia geschwärmt hatte, hatte er nicht ein Mal die Kontrolle verloren. Er hatte nie den Drang verspürt, Grenzen zu überschreiten, unsichtbare Linien zu übertreten oder seinem Verlangen nachzugeben. Bei Amy allerdings? Sie startete ständig Angriffe auf seine Selbstkontrolle, bis jede Zurückhaltung sich in Luft auflöste. Zu Staub zerfiel. Amy ging ihm unter die Haut, beherrschte seine Gedanken, bis nichts mehr Sinn ergab.
Der Wind wehte den Duft ihres Parfüms in seine Nase, vertraut und doch irgendwie neu. Ihr Duft war schwer zu beschreiben. Er erinnerte ihn an Sommernächte und Mondlicht und warme Brisen. Atmosphärisch, natürlich und sinnlich zugleich. Unverwechselbar Amy. Das erste Mal hatte er ihren Duft damals in der Highschool bemerkt, beim Abschlussball. Seitdem hatte er immer mal wieder einen Hauch davon wahrgenommen – woraufhin er dann stets so durcheinander gewesen war, dass er sich kaum mehr konzentrieren konnte.
Amy stieß ein leises Geräusch aus, fast wimmernd und unendlich feminin. Ihre Finger krümmten sich an seiner Hüfte, bis sie den Stoff seines Hemds in den Fäusten hielt. Doch sie versuchte nicht, ihn von sich zu stoßen. Oder ihn näher heranzuziehen.
Zur Hölle damit. Wenn er schon alles in den Sand setzte, dann konnte er es auch richtig machen.
Nakos vergrub seine Finger in ihrem weichen Haar. Den anderen Arm legte er um ihre Taille. Dann schob er sie langsam zum Baum, drängte sie dagegen. Mit rasendem Herzen presste er seinen Mund fester auf ihren.
Zwei Dinge fesselten sofort seine Aufmerksamkeit.
Zum einen, wie sich ihre weichen Kurven an seinem harten Körper anfühlten. Es war, als wäre sie speziell für ihn erschaffen worden. Genau hierfür. Perfekte Harmonie. Trotz des Größenunterschiedes zwischen ihnen passten sie perfekt zusammen. Amys volle Brüste drängten sich an seine Brust, und sie hatte die Beine gespreizt, damit er zwischen sie treten konnte.
Und zum zweiten: Er hatte ja schon immer gewusst, dass ihr Mund eine Waffe war. Ob nun ihre scharfe Zunge oder dieses Grinsen, mit dem sie den Verkehr stoppen konnte … das Militär hätte sich beides sichern sollen. Doch obwohl er das gewusst hatte, hatte er die Verheerung unterschätzt, den ihr Mund wirklich anrichten konnte.
Er war vollkommen hilflos. Ausgeliefert. Sie hatte seine Burg gestürmt. Die Invasion war abgeschlossen. Zumindest dachte er das, bis Amy die Lippen öffnete und ihre Zunge seiner begegnete. Eine heiße, süße Berührung, die ihn traf wie eine Explosion. Die Burg gestürmt? Von wegen! Sie hatte sie gesprengt, so dass kein Stein mehr auf dem anderen geblieben war.
Er hätte nie erwartet, dass Amy sich ihm ergeben würde. Hätte jemand das ihm gegenüber behauptet, wäre er wahrscheinlich vor Lachen gestorben. Zweimal. Doch hier stand sie nun, von ihm an den Baum gedrängt, aber nachgiebig und willig. Bereit, ihn tun zu lassen, was auch immer er wollte.
Und er wollte Amy. Mit seinem gesamten Sein.
Wobei es irgendwie typisch war: Ausnahmsweise einmal war Amy bereit, sich ganz hinzugeben und ihm die Führung zu überlassen. Und dann geschah das ausgerechnet in einem Moment, in dem er sich kaum an seinen eigenen Namen erinnern konnte. Heiß wie Magma schoss das Blut durch seine Adern. Sein Herz konnte sich nicht entscheiden, ob es stehenbleiben oder schnell genug schlagen wollte, um ihm die Rippen zu brechen. Nakos nutzte die unverhoffte Chance und vertiefte den Kuss, eroberte und erkundete die warmen Tiefen ihres Munds. Amy schmeckte nach Limonade, deren Süße das Feuer in seinen Adern weiter anfachte. Seine Brust wurde eng, und er drängte sich fester an sie.
Amy wölbte sich ihm entgegen. Ihre Hände glitten an seiner Wirbelsäule auf und ab, als wäre sie sich nicht sicher, wo oder wie sie ihn berühren sollte. Ihre Atmung beschleunigte sich. Ihre harten Nippel glitten über seine Brust und verlangten nach Aufmerksamkeit. Nakos grub die Finger in ihren Rücken, streichelte mit dem Daumen über ihr Shirt. Noch lieber hätte er die Hand daruntergeschoben. Ihre Haut gespürt.
Er hatte sich selbst immer als geduldigen Mann gesehen. Bei seinen bisherigen Partnerinnen hatte er es vorgezogen, langsam vorzugehen, ein schrittweiser Aufstieg zum Höhepunkt. Gemächlich. Genießerisch. Doch bei Amy ließ sein Körper das nicht zu. Der primitive Drang, sie zu beherrschen, erfüllte ihn. Intensiv. Barbarisch. Dieses Verlangen erschütterte ihn bis ins Mark. Verdammt, er wollte sie mit Haut und Haar.
Der Kuss wurde wilder, verzweifelt, und er stieß ein Knurren aus. Als müsste sie sich vergewissern, dass wirklich er dieses Geräusch erzeugt hatte, ließ Amy die Fingerspitzen über seine Brust gleiten. Also tat er es wieder. Er brauchte ihre Nähe, immer mehr davon. Es war zu viel und doch nicht genug. Amys andere Hand fand seinen Nacken; ihre Fingernägel kratzten leicht über seine Haut – ein Gefühl, das seine Nervenbahnen augenblicklich zu seiner Erektion weiterzuleiten schienen. Er erschauerte.
Mit einem Keuchen löste er seinen Mund von ihren Lippen. Stattdessen drückte er die Wange gegen ihre und starrte die Baumrinde an, nur Zentimeter vor seinem Gesicht, und schnappte nach Luft.
Lange Augenblicke vergingen, in denen sich keiner von ihnen bewegte. Er wagte nicht, sie anzusehen. Sie hatte auf ihn reagiert – war genauso verloren gewesen wie er –, aber er hatte keine Ahnung, was er jetzt in den blaugrünen Tiefen ihrer Augen entdecken würde. Die Unsicherheit war nervenaufreibend. Dass sie immer noch zitterte – nach einem einzigen Kuss –, setzte noch ein Ausrufezeichen hinter das Gefühl, das ihn gerade beherrschte: Heilige Scheiße!
So etwas war ihm noch nie passiert. Anziehung, Verlangen, Zuneigung? Sicher. Aber animalische Triebe? Ungezügelte Leidenschaft? Eine seelenzerreißende, jede Selbstkontrolle vernichtende Verbindung? Nein. Niemals.
Nach einer gefühlten Ewigkeit hörte er Amy schlucken, dann holte sie Luft, als wolle sie etwas sagen.
Bitte nicht. Er konnte jetzt keinen Amy-typischen, wegwerfenden Kommentar ertragen. Oder, noch schlimmer, dass sie ihm mit einer weiteren Wahrheit die Eingeweide herausriss.
Also löste er die Hand von ihrem Hinterkopf und drückte sie sanft auf ihren Mund. «Sag nichts.» Er schloss die Augen, drehte das Gesicht zu ihr und presste seine Stirn gegen ihre Schläfe. Seine Nase glitt über ihre Wange, und sein Herz verkrampfte sich. «Gib mir fünf Sekunden, um zu verarbeiten, was gerade passiert ist. Bitte.»
Amy konnte immer einen Witz reißen oder eine schlagfertige Antwort aus dem Ärmel schütteln. Aber er war nicht so clever. Er brauchte viel länger, um sich Worte zurechtzulegen. Schon unter normalen Umständen hatte er meist keine Ahnung, wie er auf sie reagieren sollte. Und nun hatte sie ihm quasi noch das Gehirn gesprengt. Was bedeutete: Er war wirklich geliefert.
Sie hatten soeben einundzwanzig Jahre Freundschaft über den Haufen geworfen. Und er war immer noch hart.
Sie murmelte etwas an seiner Handfläche.
Obwohl er wusste, dass er es bereuen würde, senkte er die Hand.
«Das waren jetzt fünf Minuten, nicht fünf Sekunden.» Sie atmete tief ein und ließ ihre Finger über seinen Pferdeschwanz gleiten. «Nicht, dass ich mich beschweren will, aber hast du vor, in nächster Zeit auch mal was zu sagen?»
Die Unsicherheit in ihrer Stimme riss ihm zum zweiten Mal den Boden unter den Füßen weg. Oder zum dritten Mal? Zum fünften Mal? Egal. Wenn Amy sich nicht sicher war, dann gab es absolut keine Hoffnung für ihn.
Wie er jetzt reagierte, konnte alles retten oder zerstören, was sie einander bedeuteten. Sie war schon einmal verletzt worden, zutiefst, und das von einem Mann, der sie eigentlich hätte lieben sollen. Das Selbstbewusstsein eines Menschen war ein unglaublich fragiles Gebilde. Und auch wenn Amy ihm nie zerbrechlich erschienen war, hatte er doch gelernt, dass selbst sie brechen konnte.
Vor drei Monaten war sein Herz stehengeblieben, als er sie auf dem Boden der Scheune vorgefunden hatte. Und zu seinem Entsetzen musste er feststellen, dass es gerade erst wieder angefangen hatte zu schlagen. Nichts, was er jetzt sagte, konnte seine Gefühle richtig erklären. Weil er nämlich selbst nicht genau wusste, was er empfand. Und bis er das herausgefunden hatte, musste er eines verhindern: dass er Amy, die schon so viele Verletzungen erlebt hatte, noch weiter verletzte. Denn das wollte er auf keinen Fall. Lieber würde er sterben.
Er ließ die Hand über ihr Haar gleiten, glättete ihre Strähnen und atmete langsam aus. «Wir reden später. Gib mir eine Stunde, um die Pferde in die Boxen zu bringen, dann können wir zurück zum Haus fahren.»
Ohne auf eine Antwort zu warten, trat er zurück und griff sich seinen Hut vom Boden, dann stiefelte er den Hügel hinunter in Richtung Scheune. Wie auf Autopilot striegelte er die Pferde, brachte sie zurück in die Boxen und fütterte sie.
Seine Knie waren immer noch weich und sein Verstand wie gelähmt, als er eine Stunde später erneut nach Amy Ausschau hielt. Er fand sie genau dort, wo er sie verlassen hatte. Sie saß an den Baum gelehnt, die Beine vor sich ausgestreckt, den Kopf des Hundes auf dem Schoß.
Sie starrte ins Leere und schien nicht einmal zu bemerken, dass er näher kam. Ihre Miene war ausdruckslos. Weil er ihren Gesichtsausdruck nicht deuten konnte, wusste er auch jetzt nicht, was er sagen sollte. Sein Körper jedoch kribbelte in ihrer Nähe.
«Bist du so weit?» Er räusperte sich. «Ich dachte, wir fahren noch beim Laden vorbei und kaufen uns etwas zum Abendessen.»
Mit einem Nicken stand sie auf und griff nach ihrer Kamera. Auf dem Weg zum Laden sprach sie kein Wort. Amy wartete im Truck, statt ihn zu begleiten. Auch auf der Rückfahrt zur Hütte schwieg sie eisern. Kaum hatte sich die Tür hinter ihnen geschlossen, ging sie nach oben. Wo sie den gesamten Rest des Nachmittages blieb.
Als er schließlich den Grill anzündete, war seine Sorge bis in ungeahnte Höhen gestiegen. Da er nicht wusste, ob Amy so wenig aß, weil sie eine Diät machen wollte, hatte er zwei Hühnerbrüste und Gemüse gekauft. Das sollte sie auf jeden Fall essen können. Er drehte das Alufolien-Paket mit Brokkoli, Karotten und roten Paprika um und behielt das Hühnchen im Blick, während er darüber nachdachte, wie er das ansprechen sollte, was am Baum geschehen war.
Doch auch als er das Essen auf Tellern verteilt und nach drinnen zum Tisch getragen hatte, war er noch kein Stück klüger. Er stieg die Treppe nach oben und klopfte an Amys offenstehende Zimmertür. Sie saß auf dem Bett, den Laptop auf dem Schoß. Neben ihr lagen einige ausgedruckte Bilder.
«Kann ich reinkommen?»
«Es ist dein Haus, Nakos.»
Er biss die Zähne zusammen. Ein Schritt vor, drei zurück – so lief das bei ihr immer ab. «Und es ist dein Zimmer.»
Sie warf ihm einen bösen Blick zu. «Sicher, aber du musst trotzdem nicht fragen.»
Er fluchte. Es war, als hätte irgendwer ihr eingebläut, dass sie nicht einmal grundlegende Höflichkeit verdient hatte. «Das Abendessen ist fertig.» Als sie ihn nur verwirrt ansah, erklärte er: «Ich habe uns Hühnchen gegrillt.» Sie hatte vorhin nur Sachen für ihn gekauft, jetzt war er mit seinem Gegenzug dran. Diese Mein-Essen-dein-Essen -Sache, die sie hier durchziehen wollte, würde heute noch ein Ende finden.
Amy senkte den Blick wieder auf den Bildschirm. «Ich habe keinen Hunger, danke.»
Er unterdrückte ein erschöpftes Seufzen und erinnerte sich daran, dass es nichts helfen würde, sie zu erwürgen. «Du hast den ganzen Tag über kaum etwas gegessen. Und ich habe genug für zwei gemacht. Würdest du bitte mit mir zusammen essen?»
Sie kaute auf der Lippe. Starrte ins Leere. Blinzelte. Schließlich, nach der längsten Stille in der Geschichte der Frauenwelt, stellte sie den Laptop weg und stand auf. «Sicher.»
Gott sei gelobt. Ein Fortschritt. Er deutete auf die Fotos. «Sind die von heute?» Sie nickte. «Bringst du sie mit runter? Ich würde sie gerne sehen.»
Und schon wieder sah sie ihn mit diesem überraschten und verwirrten Gesichtsausdruck an. Gott verdammt.
«Okay.» Sie sammelte die Ausdrucke ein und folgte ihm. In der Küche beäugte sie die Teller. «Das sieht wirklich gut aus. Danke.»
Nakos setzte sich ihr gegenüber, ohne etwas zu sagen. Er hatte sie dazu gebracht, runterzukommen, er sollte besser nichts riskieren. Er wartete, bis sie das erste Stück Hühnchenbrust abgeschnitten hatte, bevor er selbst mit dem Essen begann. Und als sie tatsächlich kaute, fühlte er eine überwältigende Erleichterung.
Amy mochte stark, wild und unabhängig wirken, doch über die Jahre hatte Nakos einen anderen Eindruck von ihr bekommen. Besonders in letzter Zeit. Er konnte seine Gefühle auf keine bestimmte Beobachtung zurückführen, aber sie waren trotzdem da. Ihre Tapferkeit wirkte aufgesetzt. Ohne etwas zu sagen, strahlte Amy manchmal eine widersprüchlich Mischung aus Nimm mich und Nimm mich in den Arm aus.
Der plötzlich aufwallende Drang, beides zu tun, war einfach zu stark, um ihn zu ignorieren.
Schweigend griff Nakos nach den Fotos und blätterte sie durch. Verdammt, Amy war gut. Das Bild von der Sonne hinter dem Blätterdach des Baums war unglaublich. Dann lachte er über ein Foto von Bones mit einem Marienkäfer auf der Nase.
Er drehte das Bild, um es ihr zu zeigen. «Olivia wird das hier lieben.»
Sie lächelte. «Ich werde es ihr morgen in groß ausdrucken.»
Er nickte, dann sah er sich weiter Fotos an, während er aß. Es gab eine Nahaufnahme von einem Gänseblümchen mit Grashalmen drum herum. Ein schlichtes Bild, doch durch die Farben und den verschwommenen Hintergrund zugleich sehr berührend.
Als er im letzten Stapel ein Bild von sich selbst entdeckte, hielt er inne. Dann blätterte er langsam weiter. Da waren noch mehr. Zwei, bei denen er an der Scheune lehnte, und drei, wie er vor dem Hund kauerte. Er hatte sich nie wohl damit gefühlt, fotografiert zu werden, doch diese Bilder waren eher künstlerisch als entblößend. Und … sehr emotional, falls das Sinn ergab.
Amy war stets die Erste, die anderen Komplimente machte oder ihnen Zuspruch gab. Immer ehrlich und unterstützend. Doch noch weitaus mehr als ihre Handlungen und Worte verrieten diese Fotos über sie. Sie erzählten die Geschichte aus Amys Blickwinkel, und genau das hatte ihn immer daran fasziniert.
Doch diese Bilder von ihm? Zum ersten Mal erhielt er einen ungefilterten Blick darauf, wie Amy ihn sah. Stark. Nachdenklich. Galant. Und die Fotos strahlten eine seltsam romantische Stimmung aus. Je länger er sie anstarrte, desto enger wurde seine Brust.
Unsicher, ob er nervös oder gerührt sein sollte, drehte er die Bilder um. «Ich wusste gar nicht, dass du mich auch erwischt hast.»
Ihr Grinsen raubte ihm den Atem. «Ich bin ziemlich hinterhältig. Keine Sorge. Ich werde sie niemandem zeigen. Auch wenn das eine Schande ist. Die sollten eigentlich für eine Werbeanzeige oder so was benutzt werden.»
«Was?»
«Ich meine es ernst.» Sie legte ihre Gabel auf den leeren Teller. «Es gibt jede Menge Bildarchivseiten, wo Werbeleute und Journalisten ihre Bilder einkaufen. Manche Leute kaufen sie auch für den privaten Gebrauch. Aber den meisten Umsatz macht man mit Cover-Designern und Autoren. Mit den Bildern von dir könnte ich ein Vermögen verdienen.»
Er legte den Fotostapel zwischen ihnen auf den Tisch, fast schockiert, dass seine Hände nicht zitterten. «Hast du Accounts auf diesen Seiten?» Wie viele Bilder hatte sie noch von ihm?
«Nein, aber ich denke darüber nach. Vielleicht kann ich damit nebenbei etwas dazuverdienen.» Sie presste die Lippen aufeinander. «Es würde eine Weile dauern, mir einen festen Kundenstamm aufzubauen, aber wenn ich die richtigen Tags setze, könnten die Leute meine Bilder finden. Am meisten Geld lässt sich mit Bildern wie diesem verdienen.» Sie tippte auf eines der Fotos von ihm. «Einzelaufnahmen mit Models, vor allem wenn man die Exklusivrechte daran vergibt.»
Huh. Er wusste nicht, was sie mit Tags und all dem Zeug meinte, aber sie sollte sich dringend bei diesen Seiten anmelden und die Sache ins Rollen bringen, wenn sie damit Geld verdienen konnte. Außerdem wäre es wunderbar, wenn sie ihre Arbeit endlich öffentlich machte.
Erneut griff er nach den Bildern von sich und musterte sie. Er hasste jede Form von Aufmerksamkeit – und die Vorstellung, auf einem Buchcover oder in einer Anzeige aufzutauchen, jagte ihm kalte Schauder über den Rücken. Aber wenn ihr das half, würde er nicht zögern. «Wenn du willst, kannst du die hier verwenden.»
Sie erstarrte, die hübschen Meerjungfrauenaugen weit aufgerissen. «Wie bitte?»
«Auf keinem davon sieht man mein Gesicht. Da ziehe ich die Grenze. Ich will nicht erkannt werden. Aber solange du meine Erlaubnis einholst und mir die Bilder vorher zeigst, kannst du sie gerne hochladen und verkaufen.» Er hielt inne. «Wieso schaust du mich so an?»
Sie atmete zitternd aus und rieb sich die Schläfen. «Du …», setzte sie und schüttelte völlig entgeistert den Kopf, als wären ihm gerade Flügel gewachsen und er würde behaupten, er wäre die Zahnfee. «Wieso würdest du mir das erlauben?»
Es gab nur sehr wenig, was er nicht für sie tun würde, und es nervte ihn ziemlich, dass sie das nicht wusste. Offensichtlich hatte er es nie geschafft, ihr zu zeigen, wie viel sie ihm bedeutete, sonst wäre sie jetzt nicht so schockiert. «Weil Woods Photography ziemlich gut klingt.»
Sie legte nachdenklich den Kopf schief, dann ließ sie das Kinn in die Hand sinken. «Stimmt.» Sie sah zögernd ihn an. «Bist du dir sicher? Ich kann das auch ohne deine Bilder machen.»
«Ich bin mir sicher.» Er stand auf und schnappte sich die Teller, um sie in der Spüle abzuwaschen. «Tu es, Ames. Zeig der Welt deine Fotos.» Er trocknete sich die Hände, drehte sich zu ihr um und lehnte sich an die Arbeitsfläche.
Sie musterte ihn mit einer Mischung aus Erstaunen und Ungläubigkeit. Ihre Miene erinnerte ihn an den Zustand, in dem er quasi den gesamten Tag verbracht hatte. Und das erinnerte ihn an das Gespräch, das sie so dringend führen mussten.
«Wegen dem, was vorhin passiert ist …»
Ein langsames Blinzeln, dann wandte sie den Kopf ab. «Nicht.»
«Wir müssen darüber reden.»
«Nein, müssen wir nicht.» Sie sah ihn an, und die Leere in ihrem Blick brachte ihn fast um. «Es ist passiert. Jetzt ist es vorbei. Lass uns die ganze Sache ignorieren.»
Warum? Er wollte es nicht ignorieren. Zur Hölle, er wusste nicht mal, ob er das konnte . Und wenn er schon mal dabei war: Wie konnte sie das? Es war ja nicht so, als hätte sie nicht mitgemacht. Bereitwillig. Eifrig.
Verdammt, die Erinnerung brachte sein Blut erneut zum Kochen. Nakos rieb sich das Kinn und wählte seine Worte sorgfältig. Er hatte keine Ahnung, was gerade in ihrem Kopf vorging. «Das war ein phantastischer Kuss. Einfach so zu tun, als hätte es ihn nicht gegeben, wird nur zu Problemen führen.» Er schickte ein Stoßgebet Richtung Himmel und flehte um göttliche Weisheit, weil er keine Ahnung hatte, was er tun sollte. «Ich …»
Sie hob eine Hand, um ihm das Wort abzuschneiden, und stand auf. «Du hast es nicht ernst gemeint, und über das Ganze zu reden, bauscht es nur noch mehr auf.»
Nicht ernst gemeint? Machte sie Witze? Er hatte es so ernst gemeint, dass sein Reißverschluss vermutlich einen dauerhaften Abdruck auf seiner Erektion hinterlassen hatte. «Ich verstehe dich einfach nicht.»
«Nicht? Denk doch mal nach, Nakos. Denk wirklich nach.»
Er musste sich den Kuss nicht erst in Erinnerung rufen. Sein Hirn spielte die Bilder in Endlosschleife vor seinen Augen ab. Himmel, er wollte es sofort wieder tun. Und dann noch einmal. Er hatte sie gebeten – hatte sie quasi angefleht  –, ihm die Frage zu beantworten, ob sie sich von ihm angezogen fühlte. Ihre Verweigerung und die Verzweiflung in ihrem Blick hatten ihm die Antwort geliefert, die er brauchte. Was also beabsichtigte sie damit, wenn sie versuchte, ihn dazu zu bringen, alles zu ignorieren?
«Ich bereue es nicht, anim . Nicht ein bisschen», beharrte er auf ihr Kopfschütteln hin.
«Wir werden das nicht tun. Wir werden nicht darüber reden.»
Er stopfte die Hände in die Hosentaschen, um Amy nicht zu erwürgen. «Warum nicht?»
Nichts. Keine einzige Silbe.
Schön. Dann würde er es auf andere Weise versuchen. «Was willst du?»
«Spielt keine Rolle.»
«Natürlich spielt es eine Rolle.»
Sie stemmte die Hände in die Hüften und schnaubte. «Hat es eine Rolle gespielt, was du wolltest, als Olivia deine Gefühle nicht erwidert hat?»
Verdammt! Sie hätte Anwältin werden sollen. «Das hier ist eine ganz andere Situation.» Wie Tag und Nacht. Öl und Wasser. Politik und Ehrlichkeit …
«Inwiefern?»
«Weil du meinen Kuss erwidert hast.» Das hätte Olivia nie getan – wenn er dämlich genug gewesen wäre, es zu versuchen. Amy allerdings? Er musste ein Stöhnen unterdrücken. Diese Anziehung war definitiv nicht einseitig.
Der brutal offene Blick, dem sie ihm zuwarf, traf ihn bis ins Mark. «Dein Körper hat auf unseren Kuss reagiert. Richtig?»
Zur Hölle, ja. Er nickte, weil er sich nicht sicher war, ob er sprechen konnte. Oder sollte.
«Dein Körper hat reagiert, ja. Aber das ist Instinkt, nicht mehr. Dein Kopf und dein Herz wollen mich nicht. Nein.» Erneut hob sie die Hand, um jeden Widerspruch zu verhindern. «Lüg mich nicht an. Kannst du ehrlich behaupten, dein erster Gedanke war nicht: Oh scheiße, habe ich gerade Amy geküsst? Was zur Hölle soll ich jetzt machen? »
Okay, da hatte sie ihn kalt erwischt.
Doch das bedeutete nicht, dass er Amy nicht wollte. Körperlich und emotional. Er musste einfach nur mit ihr darüber sprechen. Die Möglichkeiten ausloten. Sie hatten nie Probleme gehabt, auch über ernste Themen miteinander zu reden, und er hasste die Art, wie sie ihm jetzt jedes Gespräch verweigerte. Dieses Thema war zu wichtig, um es einfach zur Seite zu schieben, verdammt noch mal. Wie sollten sie beide je herausfinden, was daraus werden konnte, wenn sie den Kuss einfach ignorierten?
Amy verschränkte die Arme. Gleichzeitig sanken ihre Schultern nach unten und sie ließ den Kopf hängen. «Das hatte ich mir schon gedacht. Es ist okay, Nakos. Mach dich nicht wegen eines kleinen Fehlers fertig.» Sie wandte sich ab. «Danke fürs Abendessen. Es war köstlich.»
Und bis er endlich seine Kinnlade vom Boden aufgesammelt hatte, hatte sie den Raum bereits verlassen.