Amy lehne am Kopfende von Olivias Bett im Haupthaus, die Beine vor sich ausgestreckt. «Also, wie viele heiße Kerle in Kilts hast du gesehen? Sei ehrlich.»
Lachend zog Olivia ein Oberteil aus dem Wäschekorb und faltete es zusammen. «Ein paar. Allerdings keinen, bei dem ich nachsehen wollte, was er unter dem Kilt trägt, wenn du weißt, was ich meine.» Sie räumte das Oberteil in eine Schublade und griff nach dem nächsten. «Aber Schottland war unglaublich. Nate hat meine Vorfahren recherchiert, und wir haben diesen alten Friedhof gefunden, auf dem ein paar von ihnen beerdigt sind. Ich wollte immer schon nach Schottland, aber jetzt bin ich froh, dass ich auf ihn gewartet habe, um es das erste Mal zu sehen.»
Amy, die Wyoming noch nie verlassen hatte, wäre überall gern hingereist. «Zumindest habt ihr ein paar Touristensachen gemacht. Obwohl es eure Hochzeitsreise war und alles. So ein Trip wäre ziemlich verschenkt, wenn du nur das Innere eines Hotelzimmers gesehen hättest.»
«Ha. Da haben wir auch eine Menge Zeit verbracht.» Olivia zwinkerte Amy zu, doch gleichzeitig errötete sie leicht. Dann strich sie sich eine kastanienrote Strähne aus dem Gesicht und stellte den leeren Korb zur Seite. «Meine Güte. Wir waren nur in den Flitterwochen, nicht auf Weltreise. Keine Ahnung, wie wir es geschafft haben, so viel Wäsche zu produzieren.» Sie setzte sich ans Fußende des Betts. «Aber in einem Punkt
hat mich die Reise enttäuscht. Ich habe Nessie nicht gesehen.»
Amy verdrehte die Augen. «Wie rücksichtslos von dieser mystischen Kreatur.» Es war unglaublich süß, wie besessen ihre beste Freundin vom Monster von Loch Ness war. Und seltsam.
«Finde ich auch. Aber ich habe dir ein Geschenk mitgebracht.» Olivia stand auf und zog etwas aus ihrem Koffer im Schrank. «Wir waren in diesem Laden, und die Sachen, die dort verkauft wurden, sind einfach unglaublich. Das Paar, das ihn führt, stellt Dinge aus Gegenständen her, die andere weggeworfen haben.» Sie legte drei Bilderrahmen aufs Bett – zwei etwas kleinere und einen großen. «Ich dachte, du könntest deine eigenen Bilder reintun.»
«Wow. Wie cool.» Der große Bilderrahmen bestand aus verschiedenen Denim-Fetzen, manche ausgebleicht und zerrissen, andere neuer und noch marineblau. Die beiden kleineren Rahmen bestanden aus Holz. Beim ersten schien es Treibholz zu sein, der zweite bestand aus rohen Planken mit verrosteten Nägeln. «Ich liebe sie. Vielen Dank.» Sie legte sie auf den Nachttisch neben sich, um sie später mit ins Blockhaus zu nehmen.
Olivia setzte sich im Schneidersitz aufs Bett. Ihr Knie stieß gegen das von Amy. «Ist hier irgendetwas passiert, während ich weg war?»
«Nicht wirklich.» Sie zuckte mit den Achseln. «Es war eigentlich immer der alte Trott.» Nur, dass das nicht stimmte. Aber sie überlegte noch, wie viel sie Olivia anvertrauen sollte. Sie war sich einfach nicht sicher, was Nakos davon halten würde, wenn sie Olivia alles erzählte. «Ich habe diese Woche eine Gewerbelizenz beantragt.»
«Wofür?»
«Ich habe meine eigene Foto-Firma gegründet. Irgendwie.»
«Wirklich?» Olivia packte Amys Schultern. «Das ist phantastisch. Und wurde auch langsam Zeit. Gratulation!»
«Danke. Der ganze Papierkram ist wichtig, damit ich nicht persönlich für eventuelle Schulden der Firma hafte. Nur für alle Fälle.» Nach dem, was mit ihrem Ex passiert war, wollte Amy kein Risiko eingehen. Sie erzählte Olivia von den Bildarchivseiten. «Ich habe auch schon über eine Website nachgedacht. Dann müsste ich nicht alle Bilder in diese Archive stellen, sondern könnte ein paar zurückhalten und exklusiv auf meiner Seite verkaufen, zu einem höheren Preis.»
«Schau dich an. Eine echte Künstlerin. Und du benimmst dich, als wäre das keine große Sache.» Olivia schlug sie leicht auf den Arm. «Ich bin so stolz auf dich.»
Glücksgefühle wallten in Amy auf. «Danke. Ich werde damit wahrscheinlich nicht viel verdienen, aber zumindest wird es ein wenig dabei helfen, die Schulden zu tilgen.»
«Du wirst super erfolgreich sein. Das weiß ich einfach. Du bist viel zu talentiert, um zu versagen.» Olivia seufzte. «Da bin ich mal für ein paar Tage weg, und wenn ich zurückkomme, ist alles anders. Du bist bei Nakos eingezogen.»
Ach ja, was das betraf …
Olivia schlang die Arme um Amy und ließ sich seitwärts auf die Matratze fallen. Sie lagen einander zugewandt da, wie sie es als kleine Mädchen immer getan hatten – so nah, dass ihre Nasen sich fast berührten. Diese Position hatte etwas wunderbar Vertrautes. Sie war beruhigend, weil es zeigte, dass ein paar Dinge sich nicht änderten. Amy genoss die Verbundenheit. Wie sehr sie sich immer gewünscht hatte, Olivia wäre wirklich ihre Schwester – besonders in ihrer
Kindheit.
«Wie geht’s dir? Weißt du, seitdem Chris ins Gefängnis gekommen ist, haben wir nie groß darüber geredet. Ich mache mir Sorgen um dich.» Olivia nahm Amys Hände und drückte sie. «Von den Schlägen ganz abgesehen, hat er auch ein paar wirklich schreckliche Dinge zu dir gesagt.»
Olivia wusste nichts über das wahre Ausmaß seiner Beleidigungen. Und würde es auch nie, wenn es nach Amy ging.
«Es geht mir gut.» Sie lächelte, um die Lüge abzumildern und ihre Freundin zu beruhigen. Eines Tages würde es ihr gut gehen. Auf diesen einen Tag wartete sie jetzt allerdings schon ihr gesamtes Leben. Doch die Hoffnung aufzugeben hieße, ganz aufzugeben. «Du kennst mich. Ich bin wie eine Katze. Ich falle immer auf die Füße.»
Ein leises Lachen, dann seufzte Olivia. «Ja, das tust du. Ich wünschte, ich wäre nur halb so stark wie du.»
Amy war nicht stark. Sie war nur gut darin, Stärke vorzuspielen. «Dafür hast du doch Nate. Der Kerl stemmt schon vor dem Frühstück ein paar Autos.» Olivias Grinsen sorgte dafür, dass Amy einen leichten Anflug von Neid zurückdrängen musste. «Er betet dich an. Ich freue mich für dich.»
«Ich wusste gar nicht, dass Liebe so sein kann.» Olivia wandte die blauen Augen ab. «Ohne ihn habe ich das Gefühl, nicht atmen zu können. Ich denke ständig daran, wie ich ihm zeigen kann, dass er meine Welt ist und dass ich immer da sein werde. Himmel, die Dinge, die er durchgemacht hat. Und obwohl er all diese Scheußlichkeiten erleben musste, ist er immer noch so … sanft.»
«Ich bin mir ziemlich sicher, dass Liebe genau so sein sollte.» Nicht, dass Amy einen blassen Schimmer von dem hatte, wovon
Olivia gerade sprach. Die Liebe, egal in welcher Form, hatte nie an ihre Tür geklopft. «Du bist die perfekte Frau für ihn. Diejenige, die ihm zeigt, dass er liebenswert ist. Und viel wichtiger ist noch, dass du ihn genau so brauchst wie er dich, Liv.»
Olivia rümpfte bei dem Spitznamen unwillig die Nase. Sie mochte ihn nicht. Tja, Pech für sie. «Das stimmt.» Olivia atmete tief durch. «Ich finde es traurig, dass du nicht mehr hier wohnst. Erinnerst du dich noch, als wir klein waren? Wir haben gesagt, wir würden immer zusammenwohnen und alles machen, was wir wollen, wann immer wir es wollen.»
Amy lachte. «Drei Monate war doch schon mal nicht schlecht. Außerdem bist du jetzt verheiratet und lebst glücklich bis an dein Lebensende.» Wenigstens hatte es eine von ihnen geschafft. Sie hätte geschworen, dass es keine Märchen gab. Aber der Gegenbeweis lag direkt vor ihrer Nase. «Ich rechne bald mit Nichten und Neffen. Und beachte bitte, dass ich den Plural nicht aus Versehen verwende.»
«Ich hätte kein Problem damit.» Olivia stemmte den Ellbogen auf die Matratze und stütze ihren Kopf ab. Ihr breites Grinsen verrutschte ein wenig. «Ich bin froh, dass du bei Nakos wohnst. Um ihn mache ich mir auch Sorgen. Er lebt so zurückgezogen, geht gar nicht mehr aus. Es ist sicher gut für ihn, dich in seiner Nähe zu haben.»
«Na ja, er ist gern allein.» Amy imitierte Olivias Haltung. «Und ich bin mir ehrlich gesagt überhaupt nicht sicher, ob es was Gutes ist, dass ich da bin.»
«Warum?»
Wo sollte sie anfangen? «Er ist angespannt. Wir fahren jeden Morgen hier rüber zum Haupthaus und dann am Abend zurück. Wir
essen zusammen, aber wir reden nicht. Wir sind wie zwei Geister, die im selben Haus spuken.» So war es die ganze Zeit gewesen – seit sie die romantischen Komplikationen zwischen Nakos und ihr im Keim erstickt hatte. Sie war davon überzeugt gewesen, das tun zu müssen, um ihre Freundschaft zu retten, doch leider hatte es den gegenteiligen Effekt. Die Freundschaft verwelkte vor ihren Augen.
Langsam setzte Olivia sich auf. «Das sieht euch beiden gar nicht ähnlich. Er ist bei dir viel offener, als er es je bei mir war. Wir stehen uns nahe, sicher, aber ihr beide seid immer auf einer Wellenlänge gewesen.» Olivia rieb sich mit zitternder Hand über die Stirn. «Du glaubst nicht … Es hat nichts mit der Hochzeit zu tun, oder? Er schien klarzukommen. Immer hat er für Nate …»
«Es liegt nicht an dir, Liv.» Amy umfasste Olivias Hand, dann ließ sie wieder los, um sich ebenfalls aufzusetzen. «Er freut sich für euch.»
«Was ist dann los? Dieses Verhalten ist doch untypisch für ihn.»
Amy schloss kurz die Augen und presste sich zwei Finger gegen die pochende Schläfe. «Nakos hat mich geküsst.»
Olivia riss überrascht die Augen auf. «Er hat was getan?»
«Mich geküsst. Am Tag nach der Hochzeit. Und ja, ich war auch überrascht. Vollkommen geschockt trifft es vermutlich besser.»
«Also hat er dich so richtig geküsst, oder war es nur ein kurzes Streifen mit den Lippen? Mund? Wange?»
«Mund, Lippen, Zunge, das volle Programm.» Und er hatte sie an sich gepresst. Bei der Erinnerung seufzte sie wohlig. «Ich konnte hinterher kaum noch stehen.»
«Also war es gut?»
Amys Lachen war so trocken, dass es sie fast wunderte, keine Staubwolke aus ihrem Mund aufsteigen zu sehen. «Lass es mich so ausdrücken. Unser nachdenklicher,
grüblerischer Freund versteckt ein wildes Tier unter all seinem Stoizismus.»
Olivia nickte, die Überraschung verschwand aus ihrer Miene, und sie wirkte nun schlicht interessiert. «Tja.» Sie legte den Kopf schräg. «Das kann ich mir sogar vorstellen. Nakos ist ziemlich aufmerksam, kann dominant sein, wenn er will, und besitzt die Geduld eines Heiligen. All das zusammen muss einen ziemlich talentierten Küsser abgeben.»
«Vergiss nicht seine Gründlichkeit.» Und seinen unglaublich heißen Körper.
«Moment.» Olivia wedelte mit der Hand. «Wie kam es überhaupt dazu? Ihr beide habt noch nie miteinander rumgemacht.»
«Wie auch. Er stand ja immer auf dich.»
Olivia starrte ins Leere, den Mund nachdenklich zusammengepresst. «Um ehrlich zu sein, glaube ich inzwischen, dass das gar nicht stimmt. Ich weiß, dass alle das denken, und vielleicht gab es da eine oberflächliche Anziehung, aber ich …» Sie stieß den Atem aus. «Das klingt jetzt dämlich, aber ich glaube, ich war die sichere Option.»
«Du hast recht.» Amy kniff die Augen zusammen. «Das klingt dämlich.»
«Lass mich ausreden.» Olivia lehnte sich nach hinten und stützte sich auf den Händen ab. «Als wir uns getroffen haben, war ich ganz anders als alle Mädchen, die er bisher gesehen hatte, richtig? Mein Haar, meine Haut … Er war fasziniert, und im Grunde ist dieses Gefühl nie weggegangen. Zusammen mit unserer Freundschaft wurde dann alles etwas verworren.»
Amy dachte darüber nach, durchleuchtete Olivias Argumentation genauer. Die Theorie hatte durchaus etwas für
sich, aber ein Kerl schwärmte nicht sein halbes Leben für jemanden, von dem er sich nicht angezogen fühlte.
«Du kennst ihn genauso gut wie ich.» Olivia strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. «Normalerweise versucht er zu bekommen, was er will. Ja, er lässt sich viel Zeit, durchdenkt alles erst mal zu Tode und beobachtet vom Rand aus, bis er seine Chancen einschätzen kann. Aber untätig bleibt er trotzdem nicht.» Sie beugte sich vor, bis ihre Unterarme auf ihren Schenkeln ruhten. «Bei mir hat er keinen einzigen Versuch gestartet. Ein paarmal hat er mir sogar erklärt, dass er nicht der richtige Mann für mich ist. Er hatte jede Gelegenheit, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, bevor Nate auf der Bildfläche erschienen ist. Ich glaube, tief im Inneren wusste er, dass die Gefühle nicht echt sind. Und die Krönung des Ganzen? Er hat nicht mit Nate um mich gekämpft. Tatsächlich hat er uns sogar geholfen zusammenzukommen. Wäre er wirklich in mich verliebt gewesen, hätte er mich wirklich gewollt, hätte er das niemals getan.»
Okay, da war etwas dran. Amy konnte Olivias Logik nichts entgegensetzen. Trotzdem dachte Nakos, dass er Olivia liebte – egal, warum –, so war es schon seit Jahren.
«Er hat mich nie geküsst.»
Amy starrte Olivia an.
«Mich hat er nie geküsst, aber dich schon.» Olivia zog die Augenbrauen hoch. «Das bedeutet etwas.»
Sicher, es bedeutete, dass die Frau, die er wollte, plötzlich endgültig unerreichbar war, sodass er einfach die nächstbeste nahm. Amy bezweifelte nicht, dass Nakos sie körperlich attraktiv fand. Das war deutlich zu erkennen. Doch – wie sie ihm ebenfalls erklärt hatte –
sie hielt es für eine rein körperliche Reaktion. Und Lust verblasste mit der Zeit.
«Ich finde den Zeitpunkt interessant», beharrte Olivia.
Himmel, soweit Amy wusste, handelte Nakos einfach nur aus Langeweile oder Verzweiflung.
«Gefühle verändern sich nicht so schnell, Amy. Er hätte dich nicht vierundzwanzig Stunden nach meinem Ja-Wort geküsst, wenn er dabei an mich gedacht hätte. Nakos spielt keine Spielchen.» Als Amy nichts erwiderte, fragte Olivia: «Was ist danach passiert? Du hast gesagt, dass es zwischen euch angespannt ist.»
Amy lachte erstickt. Es gab Anspannung, und dann gab es das, was sie da gerade machten. «Er ist erst mal verschwunden, nach dem längsten Oh-Mist-was-habe-ich-getan
-Moment in der Geschichte der Menschheit. Später hat er versucht, mit mir darüber zu reden, aber ich habe abgeblockt. Habe ihm gesagt, dass wir dieses Gespräch nicht führen werden.»
«Warum?»
«Ach, komm schon, Liv.» Wut und Frust ließen Amys Schläfen pulsieren. «Seine erste Reaktion hat Bände gesprochen. Ich bin nicht diejenige, die er will. Und ich bin auch nicht diejenige, die eine lebenslange Freundschaft wegen vorübergehender Unzurechenbarkeit ruiniert, die sich als Verlangen tarnt.»
Olivias Brauen schossen nach oben. «Also hat deine Abfuhr nichts damit zu tun, dass du keine Gefühle für ihn hast?»
Hinterhältig. Wirklich hinterhältig.
Amy seufzte tief, antwortete aber nicht.
«Wir haben über Nakos gesprochen, aber was ist mit dir? Was willst du?»
Ihn. Sie wollte ihn. Sie schaffte es einfach nicht, diesen Gedanken wieder loszuwerden. Und je länger sie es nicht schaffte, desto klarer wurde Amy, dass sie ihn schon immer gewollt hatte. Doch jemanden wollen und jemanden bekommen waren zwei unterschiedliche Paar Stiefel. Dass Olivia in allen Punkten recht hatte, änderte daran gar nichts.
«In Ordnung», brummte ihre Freundin. «Also was hat den Kuss ausgelöst?»
«Ein Streit. Oder eigentlich eine Meinungsverschiedenheit. Er hat versucht, mich in Bezug auf meine Gefühle zur Rede zu stellen, und ich bin ausgewichen. Das hat ihn irritiert und … Na ja, du weißt schon.»
«Okay, lass mich das mal zusammenfassen.» Olivia zählte die Punkte an den Fingern ab. «Er hat die Kontrolle verloren und dich geküsst. Nebenbei, wann war das letzte Mal, dass Nakos sich nicht vollkommen unter Kontrolle hatte? Richtig», sagte sie, ohne Amys Antwort abzuwarten. «Das ist bisher noch nie vorgekommen. Er hat versucht, mit dir darüber zu reden, aber das hast du nicht zugelassen. Und erst nachdem du ihn hast auflaufen lassen, wurde die Sache seltsam, und das große Schweigen setzte ein. Habe ich damit das Wesentliche erfasst?»
Amy verdrehte die Augen so heftig, dass es fast weh tat. «Jep.»
«Bei mir war er ganz anders», sagte Olivia, die anscheinend grad versuchte ein Grinsen zu unterdrücken – nicht sonderlich erfolgreich. «Er hat vielleicht drei Wörter in meiner Gegenwart gesagt, sobald ich herausgefunden hatte, dass er auf mich steht. Irgendwann haben wir das Problem natürlich gelöst. Aber ungefähr zwei Wochen lang hat er maximal drei Wörter mit mir gesprochen.
Vielleicht fünf.»
Stirnrunzelnd richtete Amy ihren Blick auf Olivia, weil sie sich fragte, was gerade im Kopf ihrer Freundin vorging. Das war doch exakt dasselbe Verhalten, das Nakos jetzt wieder an den Tag legte. «Mich schweigt er auch an.»
«Oh nein. Anders als bei mir ist er direkt zu dir gegangen, obwohl er die Situation auch einfach hätte ignorieren können. Er hat versucht, mit dir zu reden … über das zu sprechen, was passiert ist. Du warst es, die das verhindert hat. Er ist weder ausgewichen, noch hat er dich auflaufen lassen. Du
hast das getan.» Olivia schenkte Amy ein fieses Grinsen, ihr Gesicht nur Zentimeter von dem ihrer Freundin entfernt. «Er kämpft um dich. Zugegeben, er tut das auf seine verdrehte, unendlich umständliche Nakos-Art, aber genau das tut er gerade. So wie ich ihn kenne, spielt er gerade den Gentleman und gibt dir Freiraum, weil du – zumindest hat er das so verstanden – nein gesagt hast.»
Amys Herz klopfte wie wild, und ihr Puls raste, während Hoffnung in ihr aufstieg und sich in ihrer Brust ausbreitete, als wollte sie sich dort dauerhaft einnisten. Was höchst gefährlich war, weil Optimismus in ihrem Leben noch nie funktioniert hatte. Tatsächlich waren ihre Wünsche und Träume so oft zerbrochen, ihre Erwartungen so oft enttäuscht worden, dass es sie fast schockierte, so etwas wie Hoffnung überhaupt noch aufbringen zu können.
Olivia hob die Hand und tippte Amy ans Kinn, das Gesicht immer noch direkt vor ihrem. «Wovor hast du solche Angst? Nakos ist nicht Chris. Er ist ein phantastischer Mann. Warum versuchst du es nicht? Du hast etwas Gutes in deinem Leben verdient.»
Aber Nakos verdiente nur das Beste, dachte Amy, und das war sie
nicht. Vielleicht würde sie es eines Tages werden, aber das bezweifelte sie schwer. Außerdem musste sie irgendwann anfangen zu glauben, dass sie mehr sein konnte als die zweite Wahl. Der Trostpreis.
Ein Klopfen erklang. Als Amy den Kopf drehte, entdeckte sie Nate im Türrahmen. Tatsächlich füllte er den Türrahmen mit seinem riesigen Körper komplett aus. Dieser Kerl schien nur aus Muskeln und Tätowierungen zu bestehen. Aber er lächelte so entspannt, wie Amy es noch nicht oft bei ihm gesehen hatte.
Er legte die Hände an den Rahmen und lehnte sich vor, was den Stoff des schwarzen T-Shirts über all den Muskeln leicht dehnte. «Zwei Frauen im Bett. Verpasse ich hier gerade etwas?»
Amy schnaubte. «Für dich wäre auch noch Platz.»
Olivia schüttelte grinsend den Kopf. «Ist unten alles okay?»
Er betrat den Raum und beugte sich vor, um seiner Frau einen liebevollen Kuss auf den Mund zu drücken. Dieser Kerl war Olivia vollkommen verfallen. «Alles prima. Nakos sucht in der Scheune nach dir.»
«Wenn man vom Teufel spricht.» Olivia warf Amy einen Blick zu, dann erhob sie sich vom Bett. «Weißt du was? Wir sollten heute Abend ausgehen, nur wir vier. Nate muss erst am Montag wieder arbeiten, und du und Nakos wart seit Ewigkeiten nicht mehr unterwegs.»
Nate nickte. «Was auch immer du willst, Baby.»
Amy war nicht so fügsam. «Was hast du vor?»
Olivia drückte sich eine Hand an die Brust und spielte die Unschuldige. «Wer? Ich?» Auf dem Weg zur Tür tätschelte sie Nates Schulter. «Ich werde mit Nakos reden. Sieben Uhr? In der Bar?» Sie
wartete nicht auf eine Antwort, sondern verschwand.
«Und dann waren es nur noch zwei.» Amy seufzte. «Ich habe gehört, euer Honeymoon war wunderbar.»
Nate nickte, dann beäugte er die Bilderrahmen auf dem Nachttisch. «Wir hätten mehr davon kaufen sollen, aber wir waren uns nicht sicher, ob wir sie heil nach Hause bekommen.»
«Ich liebe sie. Vielen Dank.»
Er brummte, dann strich er mit den Fingern über die Ausdrucke der Bilder, die Amy mitgebracht hatte. Er fächerte sie auf und lächelte leicht. «Sind die neu?»
«Jep. Habe ich mit der Kamera gemacht, die du mir gekauft hast.»
Er verzog das Gesicht zu einer Erwischt
-Miene. «Nakos hat es dir erzählt?»
«Ja.» In diesem Moment sehnten sich ihre Finger nach der Kamera. Die Art, wie Nate im Profil vor ihr stand – der Inbegriff von Männlichkeit –, während er mit einem sanften Lächeln ihre Fotos musterte, enthielt genau die Widersprüche, die sie so gern in ihren Bildern einfing. «Ich bin mir nicht sicher, was dich dazu gebracht hat, aber danke.»
Das Lächeln verschwand. «Es war einfach nicht richtig, was dieses Arschloch mit deinen Sachen angestellt hat.» Er sah sie an. «Oder was er dir angetan hat.» Seine Miene wurde hart, und die goldenen Augen glitten über ihren Körper, als suche er nach den Wunden, die schon lange verheilt waren. «Diesen Tag würde ich gerne vergessen.»
«Ich auch.» Nate war allerdings nicht für Chris’ Handlungen verantwortlich. Und genauso wenig war es seine Aufgabe, die beschädigten Gegenstände zu ersetzen. «Auch auf das Risiko hin, dass ich klinge wie eine hängen gebliebene Schallplatte: Danke! Für
die Fotoausrüstung und für die Rettungsaktion.»
Nate wandte den Kopf zur Seite. Seine Miene ließ vermuten, dass seine Gedanken für einen Moment abdrifteten, bevor er den Blick wieder auf den Nachttisch richtete. Er tippte auf die Bilder. «Mehr Dank als das hier brauche ich nicht.»
Schweig still, mein Herz.
Kein Wunder, dass Olivia ihn liebte. «Sie hat Glück, dich gefunden zu haben.»
Ein Lächeln, dann schüttelte er den Kopf, als wolle er sagen, dass er derjenige war, der sich glücklich schätzen konnte.
«Hey.» Amy wartete, bis Nate sie ansah. «Es gibt quasi niemanden, den ich so sehr liebe wie Olivia. Niemanden, der freundlicher ist oder echter.» Aber Nate war ebenso einzigartig. Dass er so tief lieben konnte, obwohl er vor Olivia kaum Zuneigung im Leben erfahren hatte, bewies nur, wie bewundernswert er war. «Sie hat Glück, dich zu gefunden zu haben.»