15
Amy war lange nicht mehr geritten, doch ihr Körper erinnerte sich an die Bewegungen, also schloss sie die Augen, das Gesicht der Sonne zugewandt. Die ledernen Zügel lagen weich in ihren Handflächen, und die sanfte Bewegung des Wallachs unter ihr wirkte hypnotisierend. Sie nahm den Duft von Wildblumen, Sommergras und Erde in sich auf; lächelte, während die Hufe auf dem Boden stampften.
Vermutlich hätte sie sich Sorgen wegen des flatternden Gefühls in ihrem Bauch machen sollen, aber egal. Nakos hatte ihr gestern Abend einen Orgasmus verschafft. Selbst wenn sie nie einen weiteren haben sollte, würde sie diese Erinnerung immer im Herzen tragen. Noch besser war aber das Vergnügen gewesen, das sie ihm bereitet hatte. Nichts in ihrem Leben hatte sich je so richtig angefühlt. Lag es daran, dass es Nakos gewesen war? Oder eher daran, dass sie nach dem Orgasmus noch immer auf Wolke sieben geschwebt hatte? Aber so oder so – sie war nicht nervös gewesen, hatte keine Zweifel verspürt. Nakos und sie waren vollkommen aufeinander eingestimmt gewesen.
Seine Reaktion zu beobachten hatte etwas in ihrem Kopf zementiert. Hatte ihr das begreiflich gemacht, was er ihr jetzt schon seit einer Weile versicherte: Er wollte sie. Nicht, weil Olivia inzwischen vergeben war oder weil er sich ruhelos fühlte, sondern weil er sie tatsächlich begehrte. Zuerst hatte sie das nicht glauben wollen. Es war schwer, dem Gefühl zu vertrauen, wenn man in seinem Leben nie viel Bestätigung erfahren hatte. Die meisten Kerle hatten in ihr nur ein Mittel zum Zweck gesehen.
Sie hatte bei den falschen Männern nach genau dem gesucht, was Nakos ihr geschenkt hatte. Er log niemals und manipulierte niemanden. Das lag nicht in seiner Natur. Die Art, wie er sie ansah – und wie er gestern in ihren Armen Erfüllung gefunden hatte –, bewies, dass er ihr die Wahrheit gesagt hatte. Kein Mensch konnte ein derartiges Interesse vorspielen. Sie war mit genug Partnern intim gewesen, um das zu wissen. Er hatte es genossen – richtig genossen –, wie sie ihn berührt hatte. Sie hatte ihn … befriedigt.
Eines der Pferde wieherte, dann sorgte ein leises Murmeln von Stimmen dafür, dass sie die Augen öffnete. Tante Mae hatte ein Mittagessen zusammengepackt, und Nakos hatte Olivia und Nate gefragt, ob sie sie auf dem Ritt zum Devil’s Cross begleiten wollten.
Nun saßen sie alle vier auf ihren Pferden und stiegen ab, als sie das Steilufer am Fluss erreichten. Während Olivia die Pferde an eine Pappel band, sah Amy sich um.
Sie befanden sich am östlichsten Ende der Ranch, an einem Punkt, wo im Norden eine felsige Landschaft begann und sich im Süden weite Weiden öffneten. Von diesem Aussichtpunkt aus konnte man fast die gesamte Ranch überblicken. Die Laramie Mountains erhoben sich in der Ferne, und neben den Pferden fiel das Ufer steil zu einem schmalen Fluss ab. Eine Reihe von groben Steinstufen führte in die Tiefe zum Wasser.
Nakos und Olivia gingen nach unten, doch Nate setzte sich in den Schatten einer kleinen Baumgruppe und ließ die Beine über die Kante eines Felsvorsprungs baumeln, um ihren Abstieg zu beobachten. Amy setzte sich neben ihn, weil sie nicht in der Stimmung war, schwimmen zu gehen.
Sobald Olivia und Nakos die ersten Schritte ins kühle Nass getan hatten, begann Olivia, mit dem Fuß Wasser in Nakos’ Richtung zu spritzen. Er schüttelte warnend den Kopf, was nur dafür sorgte, dass Olivia breiter grinste. Sie hatten ihre Kleidung abgeworfen – die jetzt auf den Steinstufen verteilt lag –, und der Anblick von Olivia in einem schwarzen Bikini erinnerte Amy an ihre eigene Unvollkommenheit. Ihre Freundin war schlank und hatte helle, sommersprossige Haut, kombiniert mit kastanienrotem Haar, das in der Sonne wie Feuer leuchtete. Amy bestand nur aus Kurven, mit durchschnittlichem braunem Haar, wie es unzählige Frauen besaßen.
Nakos trug rote Boardshorts und war gut einen halben Kopf größer als Olivia. Seine olivfarbene Haut glänzte in der Sonne fast golden, und seine Muskeln wölbten sich bei jeder Bewegung verführerisch. Schmale Hüften, feste Brust, Waschbrettbauch. Er hatte seinen Cowboyhut abgenommen und trug sein rabenschwarzes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Seine Zähne blitzten weiß auf, als er ein seltenes Grinsen zeigte, bevor er sich Olivia mit drohenden Schritten näherte. Sie kreischte, doch er packte sie um die Hüfte und stürzte sich mit ihr im Arm in das hüfttiefe Wasser.
«Das erinnert mich an unsere Kindheit.» Amy lächelte. Sie waren früher oft hierhergekommen, um der Schwüle des Sommers zu entkommen. Es war eine Weile her, dass sie Nakos zum letzten Mal so locker und verspielt gesehen hatte. Selbst als Junge hatte er sich das immer nur in ihrer Gegenwart gestattet. Meist beschränkte er sich auf stoische Gleichmut und ruhige Beobachtung des Geschehens. «Willst du nicht auch ins Wasser?», fragte sie Nate.
Er brummte. «Mir geht es gut hier. Ich könnte sie den ganzen Tag beobachten.» Er rieb sich den kahlrasierten Kopf, als wäre ihm sein Eingeständnis peinlich. Die Tätowierungen auf seinen Armen schienen bei der Bewegung zum Leben zu erwachen. «Sie wirkt glücklich, nicht wahr?»
«Du machst sie sehr glücklich.»
Er sah kurz zu Amy, dann richtete er den Blick wieder auf ihre Freunde und schüttelte den Kopf. «Diese atemberaubende Frau ist meine Ehefrau. Ich kann es immer noch nicht fassen. Vermutlich werde ich mich mein Leben lang darüber wundern.»
Überrascht von seiner Offenheit, lehnte Amy sich zurück, um sich auf den Händen abzustützen. «Wieso? Du bist nicht gerade ein Oger, Nate. Und jeder kann sehen, dass du Olivia mehr liebst als alles andere.»
Er nickte langsam. «Ja, das tue ich.» Je länger er Nakos und vor allem Olivia beobachtete, desto weicher wurde sein Lächeln. «Mehr als die Luft zum Atmen. Aber ich vermute, du verstehst – besser als die meisten anderen –, wie es ist zu zweifeln.» Er hob den Kopf, und Amy entdeckte einen Verdacht in den Tiefen seines Blicks. «Du und ich gehören zu einer anderen Art von Menschen.»
«Wie meinst du das?» Amy hatte bisher selten Gelegenheit gehabt, mit Nate allein zu reden. Doch schon als sie ihn das erste Mal gesehen hatte, hatte sie eine gewisse Seelenverwandtschaft empfunden. Es war kein romantisches Gefühl und kam bei weitem nicht an die spirituelle Verbindung mit Nakos heran. Nein, bei Nate ging es um etwas anderes. Schuldgefühle, die Schuldgefühle erkannten, oder Schmerz, der den Schmerz eines anderen spiegelte.
Er richtete den Blick wieder auf das Wasser. Olivia war inzwischen auf Nakos’ Rücken gesprungen und versuchte, seinen Kopf unter Wasser zu tauchen. «Ich bin in Pflegefamilien aufgewachsen, wusste nie, wie es ist, jemandem etwas zu bedeuten. Du bist in einem Haus mit deinen Eltern aufgewachsen, und trotzdem hat man dir das nicht beigebracht.»
Amy beugte sich vor und fragte sich, wie er das hatte erkennen können, obwohl sie sich gerade zum ersten Mal wirklich unterhielten. Vielleicht hatten Nakos, Olivia oder Tante Mae etwas gesagt? Doch auch die kannten alle nur die Hälfte der Geschichte – und wieso sollten sie sich die Mühe machen, Nate gegenüber etwas zu erwähnen?
«Ich war Soldat», erklärte er, als hätte er ihre Gedanken gelesen. «Daher bin ich darauf trainiert, Situationen und Menschen schnell und präzise einzuschätzen.» Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln. «Ich will nicht urteilen. Ich erkenne nur unsere Ähnlichkeiten. Leuten wie uns wurde nie Liebe entgegengebracht, also vertrauen wir diesem Gefühl nicht, wenn es uns begegnet. Diese beiden dagegen?» Er deutete mit dem Kinn auf ihre Freunde. «Sie kennen nichts anderes. Ihre Familien haben sie mit Zuneigung überschüttet und ihnen Selbstachtung beigebracht. Sie haben niemals grundsätzliche Dinge in Frage gestellt, anders als wir.»
«Ja», sagte sie seufzend, weil ihr bewusst wurde, dass er recht hatte. «Ich frage mich, wie sich das anfühlt. Muss schön sein.»
«Keine Ahnung, aber es ist auf jeden Fall schön, die andere Seite zu sehen. Ist eine Erleichterung zu wissen, dass es so was auch gibt. Nicht nur Dunkelheit.»
Sie nickte, weil sie keine Ahnung hatte, was sie sagen sollte. In ein paar kurzen Sätzen hatte er sie selbst perfekt beschrieben … Und das nur, weil sie sich so ähnlich waren, sie und Nate. «Gibt es einen Grund, warum du das angesprochen hast, oder zauberst du einfach gerade Humphrey-Bogart-mäßig einen Das-ist-der-Beginn-einer-wunderbaren-Freundschaft -Moment aus dem Hut?»
Er warf den Kopf in den Nacken und lachte. «Das Mädchen hat Casablanca gesehen», murmelte er. «Ich wusste, dass ich mehr an dir mag als nur deine schlagfertigen Antworten.» Er lächelte, dann wurde er wieder ernst. «Ich will Folgendes sagen: Dass uns nie jemand geliebt hat, bedeutet nicht, dass wir nicht lieben können. Oder dass wir keine Liebe verdient hätten. Olivia musste erst meine Schutzmauern einreißen, bevor ich das kapiert habe. Ich wache immer noch jeden Morgen auf und muss mich selbst daran erinnern. Doch sie beweist es mir mit jedem Lächeln.» Er nagelte Amy mit einem Blick fest, der keinen Widerspruch zuließ. «Ich liebe sie mehr als alles andere. Und im Gegenzug bin ich fähig, sie glücklich zu machen.»
Verdammt, Nate war wirklich eine Nummer. «Je härter die Schale, desto weicher der Kern, was? Kein Wunder, dass sie so in dich verschossen ist.»
Wieder lachte er laut, dann seufzte er. «Also. Du und Nakos.»
«Aha. Ich erkenne langsam, worauf das hinausläuft.» Sie musterte den Mann, der neben Olivia im Fluss stand. Die beiden hatten aufgehört, sich gegenseitig unterzutunken, und unterhielten sich inzwischen. «Willst du mir Ratschläge geben, oder sammelst du Informationen, Nate?»
«Beides.»
Hmmm. «Unsere Situation ist unterschiedlich.» Nate war es wert, von Olivia geliebt zu werden. Hätten daran noch irgendwelche Zweifel bestanden, hätte er sie gerade mit seinen Worten ausgeräumt. Aber Amy hatte Nakos nicht verdient. «Das ist keine Liebe. Wir haben nur angefangen … miteinander auszugehen.»
«Ich verwette meinen rechten Arm und meinen linken Hoden darauf, dass du dich irrst. Ihr habt euch schon geliebt, bevor ihr je etwas in dieser Richtung unternommen habt.»
«Als Freunde. Das ist nicht dasselbe.»
Nachdenklich starrte Nate in Richtung Horizont. «Ich verstehe, dass die Grenzen vielleicht etwas verschwimmen, aber du hast sein Gesicht nicht gesehen, als du bei der Hochzeit auf uns zugeschritten kamst. Welches Wort hast du eben verwendet? Verschossen ? Ja, das passt gut.»
Wirklich? Das war gewesen, bevor er sie geküsst hatte.
«Ich habe das mit der Liebe einmal probiert.» Sie schüttelte den Kopf. «Hat mir nichts als Narben eingebracht.»
«Willst du wirklich über Narben reden?» Nate zog herausfordernd die Augenbrauen hoch. «Außerdem warst du in Wahrheit nicht mit diesem Arsch verheiratet. Du warst mit einem Konzept verheiratet.»
«Ein Konzept? Bitte erleuchte mich, oh weiser Mann.»
Für einen kurzen Moment huschte ein Grinsen über sein Gesicht, dann rieb er sich das Kinn. «Lass es uns so ausdrücken: Liebe ist im Grunde nur ein Wort. Fünf Buchstaben und zwei Silben, die eine bestimmte Bedeutung haben. Aber wenn man nur eine Kleinigkeit verändert, kann das eine riesige Auswirkung haben.» Er sah Amy tief in die Augen. «Nehmen wir die Silbe ver -. Nur drei Buchstaben, richtig? Aber was, wenn man sie vor lieben setzt? Wenn aus lieben verlieben wird? Dann ändert sich die ganze Bedeutung des Worts. Du magst, irgendwann und irgendwie mal, in Chris verliebt gewesen sein – oder zumindest in die Vorstellung davon, was ihr hättet sein können. Aber du hast ihn nie geliebt. Gleiches gilt für Nakos. Seine romantischen Gefühle in Bezug auf Olivia waren auch nur eine vorübergehende Verliebtheit.»
Diese Aussage hörte sie jetzt zum dritten Mal von der dritten Person, aber sie war sich immer noch nicht sicher, ob sie es glauben sollte. «Ich denke, du irrst dich.»
Er zuckte mit den Achseln. «Tja, dann sind wir uns wohl einig, uns uneinig zu sein. Ich mag Nakos wirklich sehr – aber glaubst du ernsthaft, ich würde zulassen, dass er Olivia berührt, wenn ich davon ausgehen würde, dass er sie begehrt?» Er deutete nach unten.
Olivia klammerte sich an Nakos fest und tauchte schon wieder seinen Kopf unter Wasser. Er bäumte sich mit ihr auf den Schultern auf und warf sie flussaufwärts in die Fluten.
«Der Kerl hat seine Hände überall auf ihr. Und bei mir zuckt nicht mal das Augenlid.» Nate brummte. «Weißt du, warum? Weil er alle paar Sekunden zu uns nach oben sieht, um nach dir zu schauen. Warte kurz. Drei, zwei, eins …»
Und tatsächlich, Nakos sah auf, wobei er sich schützend die Hand über die Augen hielt. Wasser rann über seine sonnengeküsste Haut wie in einer Sonnencreme-Werbung. Einen Augenblick später nickte er und wandte sich wieder Olivia zu.
«Er lächelt, wenn er dich sieht. Jedes Mal. Und ich muss nicht Gedanken lesen können, um zu wissen, was in seinem Kopf vor sich geht. Da drin laufen ein paar wirklich dreckige Phantasien ab. Ist so eine Männersache.»
Amy lachte schnaubend, doch gleichzeitig wurde ihr warm, und ihr Herz raste. Je länger Nate sprach, desto vernünftiger hörte sich all das an. Die Möglichkeiten, die sich daraus ergaben, sorgten dafür, dass ihr schwindelte. Vielleicht fiel es ihr leichter, Nate zu glauben, weil er keinerlei persönliches Interesse an ihr hatte. Vielleicht verlieh auch die Tatsache, dass er als Außenseiter zu ihrer Clique gestoßen war, seinen Worten mehr Gewicht. Mehr Glaubwürdigkeit.
Was auch immer die Gründe sein mochten, langsam verdrängten Glücksgefühle ihre Zweifel. Doch das größte Problem lauerte immer noch am Rand ihrer Gedanken. Bei all dem Dreck, den sie schon durchgemacht hatte – all den schrecklichen Dingen, die man zu ihr gesagt und die man ihr angetan hatte –, würde es sie vollkommen zerstören, wenn Nakos sie verließ. Egal, wie oft das Leben auch versucht hatte, sie in die Knie zu zwingen, sie war immer wieder aufgestanden. Hatte dem Universum den Stinkefinger gezeigt. Aber ein Ende ihrer Beziehung mit Nakos würde sie vernichten. Wenn sie ihn verlor, ob nun als Liebhaber oder als Freund, würde sie das nicht überleben.
Olivia und Nakos stiegen die Stufen nach oben.
Nakos ließ seine Kleidung neben Amy fallen und trocknete sich mit einem Handtuch ab, bevor er sich vorbeugte und ihren Kopf sanft nach hinten zog. Er drückte verkehrt herum einen Kuss auf ihre Lippen und lächelte sie an. «Worüber habt ihr beide euch so lange unterhalten?»
Sie warf einen Blick zu Nate, der inzwischen Olivia samt Handtuch auf seinen Schoß gezogen hatte. «Über den Sinn des Lebens.» Er zwinkerte Amy zu.
Olivia schnaubte. «Die Antwort darauf ist einfach. Schokolade.» Sie zog den Picknickkorb näher. «Okay. Trauben reichen fürs Erste auch.» Sie schob sich eine Frucht in den Mund und fütterte Nate mit einer zweiten.
Nakos setzte sich hinter Amy, schlang einen Arm um ihre Taille und zog sie an seine Brust, sodass sie zwischen seinen gespreizten Beinen an ihm lehnte. «Und wie beantwortest du diese Frage? Ich fürchte mich fast vor der Antwort.»
«Das ist streng vertraulich.» Amy streckte den Arm aus und stahl Olivia ein paar Trauben. «Aber ich gebe dir einen Tipp. Schokolade ist es nicht.» Sie hielt eine Traube über ihre Schulter, und Nakos pflückte sie mit den Lippen aus ihren Fingern.
«Lügnerin. Schokolade ist alles.» Olivia seufzte verträumt, während sie den Kopf schüttelte, und als sie in Richtung Amy sah, wurde auch ihr Blick verträumt. Sie war schon immer eine Romantikerin gewesen. «Schaut euch beide an. Ihr seid so süß. Würde ich es nicht mit eigenen Augen sehen, würde ich es nicht glauben.»
«Fang besser an, es zu glauben», sagte Nakos und schluckte die Traube hinunter. «Wir sind zusammen.»
Nate zog in einer Habe-ich-dir-doch-gesagt -Geste die Augenbrauen hoch und starrte Amy an. Eindringlich. «Ich denke, Nakos sollte auch streng vertrauliche Informationen bekommen.»
Jaja. «Ich werde darüber nachdenken.»
«Ja, bitte.» Sie spürte die Vibrationen in seinem Brustkorb, wenn Nakos sprach. Weil er die Arme um sie gelegt hatte. Besitzergreifend. Was zum Glück ü-b-e-r-h-a-u-p-t nicht dafür sorgte, dass sie sich ganz mädchenhaft und euphorisch fühlte. Nein, tat es nicht. «Sonst mache ich mir nur Sorgen, ob Amy und du gemeinsam eine Intrige spinnt.» Nakos’ Tonfall war locker, doch sie spürte die Anspannung in seinem Körper – was in ihr die Frage aufwarf, ob er die Tatsache hasste, dass sie mit Nate allein gewesen war. «Ihr plant nicht zufällig, die Weltherrschaft an euch zu reißen oder etwas in der Art? Mit deinem militärischen Background und Amys teuflischem Verstand müssten wir uns vermutlich auf das Schlimmste vorbereiten. Nicht wahr, Little Red?»
«Amen.» Olivia nickte.
«Oh.» Amy drückte sich eine Hand an die Brust. «Ihr denkt, ich wäre teuflisch? Das ist das schönste Kompliment, das ich je bekommen habe.»
Nakos drückte ihr einen Kuss auf den Hals, dann schüttelte er den Kopf. «Wenn du meinst, anim
Olivia kniff die Augen zusammen. «Was bedeutet dieses Wort? Das ist neu.»
Amy schob Nakos eilig noch eine Traube in den Mund, bevor er antworten konnte. «Es bedeutet meine Herrin und Meisterin
Sein Mund drückte sich an ihr Ohr, dann flüsterte er so leise, dass nur sie ihn hören konnte: «Das passt eigentlich ganz gut, nachdem du die Herrin über mein Herz, meinen Geist und meinen Körper geworden bist. Soll ich anfangen, dich statt Engel so zu nennen?»
Seine raue Stimme jagte einen Schauder über ihren Rücken. Ein knurrender Alpha-Mann, der seine Unterwerfung eingestand. Sexy und voller Verheißung. Ohne einen Anflug seiner üblichen Sanftheit.
Doch aus der Verheißung wurde nichts. Der Rest der Woche verging, als müsste Nakos ihr etwas beweisen. Als wollte er seine Ritterlichkeit demonstrieren, trotz des Verlangens, das ihm deutlich anzusehen war.
Am Montag, während Amy gerade Karotten für Tante Maes Bison-Gulasch klein schnitt, kam Olivia in die Küche und erklärte, Nakos würde sie suchen. Amy trocknete sich die Hände ab und ging zur Scheune, wobei sie tief die frische Morgenluft einatmete. Dann lehnte sie sich neben dem Scheunentor an die Wand und beobachtete Nakos, wie er mit ruhiger Stimme die Aufträge an die Arbeiter verteilte.
Als er damit fertig war, ließ er den Blick kurz zu ihr streifen, bevor er wieder die Männer ansah. «Eine Sache noch. Es gibt eine neue Entwicklung, von der ihr alle erfahren solltet.» Plötzlich drehte Nakos sich um, kam auf Amy zu und zog sie an seine Brust, sodass ihr der Atem stockte. Direkt vor allen Arbeitern beugte er sich vor und küsste sie schwindelig. Während sie noch um Luft rang, sah er von einem erstaunten Gesicht zum nächsten. «Irgendwelche Fragen?»
«Heilige Scheiße.» Kyle schüttelte den Kopf, wobei er genauso benommen wirkte, wie Amy sich fühlte. «Du hast gerade meine Schwester geküsst und lebst noch.»
Am Dienstagmorgen wachte Amy auf und stellte fest, dass ihr ganzes Bett von Schoko-Bonbons bedeckt war. Von Hershey’s Kisses, um genau zu sein. Er musste mindestens drei Packungen um sie herum verteilt haben. Auf dem Nachttisch lag eine Nachricht von Nakos.
Die sind nicht wirklich ein Ersatz. Komm nach unten, um dir echte Küsse zu holen.
Am Mittwoch, dem Tag, an dem sie gewöhnlich früher Feierabend machten, weil es nicht so viel zu tun gab, ging Amy sofort wieder nach draußen, nachdem sie am späten Nachmittag in Nakos’ Haus angekommen waren. Sie wollte das herannahende Gewitter fotografieren. Als sie eine Stunde später in die Küche trat, hatte Nakos das Abendessen fertig. Das er selbst gekocht hatte. Und der Tisch war ordentlich gedeckt, mit Platzdeckchen. Und Kerzen.
Donnerstagabend verschwand er nach oben, während sie noch die Küche aufräumte. Als sie fertig war, war Nakos immer noch nicht wieder aufgetaucht. Neugierig, was er wohl ausheckte, ging sie in den ersten Stock und stoppte abrupt. Zwei Post-it-Zettel klebten auf dem Boden, einer mit einem Pfeil, der geradeaus führte, der zweite ein paar Schritte dahinter mit einem Pfeil Richtung Badezimmer.
Zögernd betrat sie das kleine Bad und stellte fest, dass das Licht ausgeschaltet war, zwei Kerzen in farbigen Gläsern auf der Kommode leuchteten und die Badewanne mit heißem Wasser gefüllt war. Blütenblätter schwammen auf der dampfenden Oberfläche, und auf dem Badewannenrand stand ein Glas Wein. An den Kacheln klebte ein weiteres Post-it.
Für dich. Entspann dich.
Am Freitag war Amy nervös und neugierig, was er als Nächstes tun würde. Sie wusste einfach nicht, was sie von diesen Gesten halten sollte. Worauf zielte das alles ab? Er küsste sie jeden Morgen und jeden Abend, bevor sie ins Bett gingen, doch es hatte keine weiteren Verführungsversuche gegeben. Kein Rummachen auf der Couch und keine Orgasmen. Sie hätte schwören könne, dass seine Aufmerksamkeiten eine verdrehte Art von Vorspiel waren, nur eben auf romantische Art, statt auf die übliche Methode.
Mit seinen Händen oder seinem Mund oder seinem wunderbaren Körper.
Als sie nach dem Arbeitstag das Haus betrat, schloss sie die Haustür hinter sich und sah sich um, konnte aber nichts Außergewöhnliches entdecken. Trotzdem ging sie in die Küche, schlenderte durchs Wohnzimmer und ging dann nach oben. Nichts. Alles normal.
Sie stand in der Mitte ihres Schlafzimmers, die Hände in die Taille gestemmt, und runzelte die Stirn. Fast rechnete sie damit, dass ein dicker kleiner Kerl mit Pfeil und Bogen aus dem Schrank springen würde, um dann einen herzverzierten Pfeil auf sie abzuschießen. Doch statt des Dickerchens erschien Nakos.
Er lehnte sich an den Türrahmen, die Arme verschränkt. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. «Du wirkst verwirrt, anim
«Was hast du heute getan?» Sie kniete sich hin und sah unters Bett. Aber auch dort versteckte sich kein Orchester, das Liebeslieder fiedelte. «Welche Überraschung lauert auf mich?»
Er schnaubte amüsiert. «Bist du vielleicht ein wenig paranoid?»
«Hast du ein Kätzchen in deinem Bett versteckt?»
«Kätzchen? Wieso in aller Welt sollte ich …»
«Weil ich immer ein Kätzchen wollte, und du das mit Sicherheit irgendwie herausgefunden hast. Meine Eltern haben mir kein Haustier erlaubt, und Chris hat Katzen gehasst. Aber darum geht es nicht. Wo ist die Überraschung? Sag es mir einfach.»
«Du bist süß, wenn du so nervös bist.» Die Erheiterung in seinen Augen verstärkte sich. «Mochtest du meine kleinen Aktionen nicht?»
Sie ließ sich auf die Fersen zurücksinken und pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht. «Doch, ich mochte sie.» Sie hatte sie geliebt, um genau zu sein. Seine Überraschungen hatten dafür gesorgt, dass ihr ganz warm und schwindelig wurde. Sie wusste nur einfach nicht, was sie mit … diesem netten Nakos anfangen sollte. Er vertiefte ihre Küsse nicht mehr und benahm sich ganz allgemein nicht so, als erwarte er etwas für seine Freundlichkeit. Bis auf Geburtstagsgeschenke von Kyle, Olivia und Nakos hatte sie diese Form von Aufmerksamkeit bisher selten erfahren. Okay, noch nie erfahren. «Was für ein Spiel spielst du?»
Seine Augen wurden hart. Unendlich langsam löste er sich vom Türrahmen und kam zu ihr. Ohne den Blick auch nur eine Sekunde von ihr abzuwenden, beugte er sich vor, griff unter ihre Arme und stellte sie auf die Füße.
Er musterte ihr Gesicht, legte eine Hand an ihren Hals und ließ seinen Daumen über ihren Pulspunkt gleiten. «Das ist kein Spiel für mich.» Er trat dicht an sie heran, dann senkte er den Kopf, sodass seine Lippen über ihren Mund strichen, als er weitersprach. «Du bist kein Spielzeug. Du bist ein Mensch, der mir wichtig ist.» Er schob einen Arm hinter ihren Rücken, um sie eng an sich zu ziehen. «Ich will dich. Sehr. Aber Sex ist nicht der einzige Grund, warum ich mit dir zusammen bin. Ich wollte, dass du das weißt, bevor wir uns körperlich näherkommen. Verstanden?»
Ihr Atem stockte, und ehrlich, hätte ihr Herz nicht so heftig geschlagen, hätte sie vermutet, dass sie gestorben war. Sie nickte, unfähig zu sprechen, weil ein Kloß aus Gefühlen ihr die Kehle zuschnürte.
«Gut. Jetzt, wo das geklärt ist, kann ich dir meine Pläne für heute Abend eröffnen.» Er zog sich ein kleines Stück von ihr zurück, und sie erkannte Hitze und Entschlossenheit in seinem Blick. «Ich werde dich zum Höhepunkt bringen, wie ich es vor einer Woche getan habe. Ich kann es kaum erwarten, zu sehen, wie du explodierst, und ich werde jeden Augenblick genießen. Ich habe an nichts anderes gedacht, seitdem du das letzte Mal unter mir lagst. Doch diesmal werde ich nicht meine Hand benutzen. Sondern meinen Mund.»