Ich bin kaum im Haus, da drückt mir schon jemand ein Bier in die Hand, und Harper stürmt heran. «Oh Gott, ich bin so aufgeregt. Ich kann gar nicht abwarten, dass Sam seine Geburtstagsgeschenke aufmacht. Denkst du, er wird sich freuen? Hoffentlich freut er sich. Wenn er sich nicht freut, dann merkt man ihm das sofort an. Er lächelt dann nämlich total übertrieben und sagt bestimmt fünfmal hintereinander ‹toll, großartig, toll, toll, ganz toll›.» Sie trägt ein kurzes Kleid mit Streublumenprint und sieht süß und unglaublich nervös aus.
«Das können wir bei meinem Geschenk für deinen Freund gleich ausprobieren», sage ich und deute auf das Päckchen unter meinem Arm. «Aber ich bin sicher, dass Sam sich über deine Überraschung freuen wird.»
«Was ist das für ein Stoff? Ist das Seide?» Sie streicht über den langen Ärmel meines Kleides, das vorne hochgeschlossen und fast etwas zu warm ist, und reibt den silbrig schwarzen Stoff dann zwischen zwei Fingern.
«Ich glaube nicht. Ich habe es im Sale gekauft, und heute das erste Mal an. Im Laden kam es mir nicht so tief ausgeschnitten vor, aber ich fürchte, sie haben hinten am Stoff gespart.» Ich drehe Harper den Rücken zu, und sie stößt ein Quietschen aus.
«Oh mein Gott, Ivy, das ist verdammt tief ausgeschnitten. Aber es steht dir wirklich gut.» Sie gibt mir einen Kuss auf die Wange und zieht mich ins überfüllte Wohnzimmer. Mein Geschenk lege ich zu
den anderen auf eine Kommode. Es ist laut, es ist stickig, und jede Sitzmöglichkeit in diesem Haus scheint bereits besetzt zu sein. Harper biegt in Richtung Küche ab, und ich folge ihr. «Wow», stoße ich aus, als ich das riesige Buffet sehe. «Wie viele Tage soll die Party dauern? Fünf?»
«Das ist typisch für Sams Mom», meint Harper und verdreht die Augen. «Sie hat tagelang eingekauft und das Essen vorbereitet, und dann verschwindet sie, weil sie Sorge hat, sie würde uns stören. Ich find’s wirklich schade, dass sie nicht dabei ist. Sind denn Asher und Noah mit dir gekommen?», fragt sie. «Ich habe sie noch gar nicht gesehen.»
«Ich auch nicht.» Ich hatte überlegt, Noah eine WhatsApp zu schreiben und zu fragen, ob wir zusammen rübergehen sollen. Was mich davon abgehalten hat, war die Sorge, dass es so aussehen könnte, als hätte ich Angst, allein hierherzukommen. Auch wenn es stimmt, aber das muss er ja nicht wissen. Und Asher – in meinem Magen rumort es, sobald ich seinen Namen auch nur denke. Am liebsten würde ich mich hier in der Küche verstecken, bis die Party vorbei ist oder bis es wenigstens so spät ist, dass ich ohne schlechtes Gewissen verschwinden kann, ohne ihm zu begegnen.
«Kann ich dich kurz allein lassen?»
Ich nicke, und im nächsten Moment ist Harper schon wieder weg. Ich nehme ein paar schmutzige Teller von einem Mädchen im Minikleid entgegen, das in der offenen Tür steht, und kratze die Reste in den Mülleimer, bevor ich sie in die Spülmaschine stelle.
«Hey, Cinnamon.» Eine Hand fasst mir von hinten an den Kopf und strubbelt mir die Haare durch.
Ich stoße einen Ellbogen nach hinten, aber Noah weicht mir lachend aus. «Du weißt echt, wie man sich beliebt macht,
Blödmann.» Ich versuche, meine Haare wieder glatt zu streichen, und strecke ihm die Zunge raus. Er nimmt mich so fest in den Arm, dass ich vor Schreck aufquieke.
«Okay, spuck’s aus, für welchen Kerl hast du dieses heiße Teil angezogen? Ich befürchte nur, du hast es falsch rum an. Gehört das nicht eigentlich nach vorne?» Grinsend zupft er am tiefen Ausschnitt meines Rückenteils herum. «Hey, Alter, was meinst du? Ob Ivy dachte, dass Winston heute hier auftaucht?»
Ich bekomme schlagartig weiche Knie, als Asher in die Küche kommt. Er trägt immer noch den Anzug, in dem ich ihn vorhin gesehen habe. Nur das Jackett hat er ausgezogen und den Krawattenknoten gelockert.
«Was weiß ich.» Er sieht nicht zu mir, während er zum Kühlschrank marschiert, um sich ein kaltes Bier herauszuholen. Ich verstehe nicht, wie er das macht. Wie er einfach so an mir vorbeigehen kann, ohne mich auch nur anzusehen. Meine Augen werden von ihm angezogen wie von einem Magneten, und selbst wenn ich wollte, könnte ich den Blick nicht von ihm lösen. Er betritt denselben Raum wie ich, und alle meine Sinne richten sich wie eine Kompassnadel nach ihm aus.
«Lass uns zu den anderen gehen», meint Noah. «Asher ist nur so schlecht gelaunt, weil er zu viele Stunden in diesem Kackbüro rumhängen musste. Immer schön seine Pflicht erfüllen, nicht wahr?» Er streckt Asher brüderlich einen Mittelfinger entgegen und schiebt mich vor sich her zurück ins Wohnzimmer. In den nächsten Minuten stellt Noah mich jedem Menschen vor, der uns begegnet, ob sie wollen oder nicht. Er bringt mich dazu, einen Long Island Ice Tea zu
trinken, ein Gemisch aus Wodka, weißem Rum, Gin, Tequila, Triple Sec, Saft und Cola, allerdings stelle ich das mehr als halbvolle Glas heimlich irgendwo ab. Wir tanzen gemeinsam zu Beggin for Thread
, und ich lasse mich schließlich sogar zu einer Runde Beer Pong überreden, bei der Noah fast doppelt so oft Bier trinken muss wie ich. Wobei ich glaube, dass er absichtlich verliert, weil er es darauf anlegt, sich zu betrinken. Zweimal habe ich das Gefühl, beobachtet zu werden, und drehe mich suchend nach Asher um, aber sobald sich unsere Blicke treffen, wendet er sich ab, ohne eine Reaktion zu zeigen.
Irgendwann fängt Sam unter Gelächter an, seine Geschenke zu öffnen, und ich bin froh, dass ich nicht mitbekomme, wie er mein Bild auspackt. Aber ich sehe später, dass es im Esszimmer an der Wand neben seinen botanischen Zeichnungen hängt.
Ich habe den Spruch, für den ich mich schließlich entschieden habe, mit einem schneeweißen Chalkpen auf schwarze Pappe gezeichnet. Die Wörter sehen so aus, als hätte man sie hastig mit einem breiten Pinsel an eine Hauswand gestrichen. Es ist schlicht, aber schön, und jeder, der als Kind nach Zahlen gemalt oder Rätselhefte gelöst hat, wird bei diesem Spruch sofort ein Bild vor Augen haben.