Kapitel 4
Dom
I ch wusste, dass ihr klar war, dass ich sie nicht aus den Augen gelassen hatte, seit wir hinten im Wagen eingestiegen waren. Sie hatte immer wieder zu mir herübergeblickt. Schatten und ein gelber Lichtschimmer wechselten über ihr Gesicht wegen der Straßenlaternen, an denen wir vorbeifuhren.
Ich hatte meine Maske abgenommen, aber Wilder behielt sie auf, offensichtlich immer noch gereizt wegen der ganzen Situation. Ich nahm es ihnen nicht übel. Ich konnte keinem meiner Brüder vorwerfen, wie sie reagiert hatten. Ich hätte genauso gehandelt. Aber sie mussten verstehen, dass es das war, was ich wollte, und ich ließ mich nicht beirren.
Nicht ein verdammtes bisschen.
Unser Stützpunkt war eine gute halbe Stunde vom Juweliergeschäft entfernt, ein Haus, das unserem Vater vor seinem Tod gehört hatte. Er war uns gegenüber ein Bastard gewesen, während wir aufgewachsen waren, ein Drogenhändler und drogenabhängiger Krimineller, der uns alles beigebracht hatte, was wir wussten.
Vermutlich waren wir ihm dafür etwas schuldig.
Aber der Mistkerl war gestorben und hatte uns nichts hinterlassen. Nicht einen Cent. Nicht einmal das Haus, in dem wir wohnten. Als alles geregelt war, kauften wir das verdammte Ding. Wir hätten einfach weggehen können, ein neues Zuhause erwerben, aber trotz all der Scheiße und der schlechten Erinnerungen, die wir mit diesem Ort verbanden, besaßen wir auch viele gute.
Wir bauten es aus, erweiterten die Räume, stellten das Untergeschoss fertig, so dass wir alle unsere eigenen Wohnbereiche hatten, getrennte Wohnungen innerhalb eines Hauptgebäudes.
Und es klappte auch verdammt gut.
„Ich weiß nicht, was zum Teufel du mit ihr vorhast, aber wir müssen miteinander reden, wenn wir zurücksind“, sagte Wilder, und ich blickte zu ihm hinüber und erwiderte seinen Blick eine Sekunde lang im Rückspiegel, bevor er sich wieder auf die Straße konzentrierte.
Wir hatten den Wagen der Reinigung stehenlassen und befanden uns nun in einem beschissenen Perversenauto. Nun, so nannte es Wilder. Es war einer dieser verdächtigen Lieferwagen, die in einer Nachmittagssendung zu sehen gewesen wären, verbunden mit der Warnung, keine Süßigkeiten von Fremden anzunehmen.
Ich antwortete nicht, sondern konzentrierte mich wieder auf sie. Verdammt, ich konnte ihre Angst praktisch riechen. Sie war geradezu greifbar, und ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass mich das Wissen, dass sie Angst hatte, aber vorgab, stark zu sein, nicht anmachte.
Es gab mir ein High aufgrund des Machtgefühls.
Der Rest der Reise verlief schweigend, und ich konzentrierte mich die ganze verdammte Zeit auf sie. Ich konnte nicht anders, schaffte es nicht, mich zurückhalten. Ich könnte mir nicht einmal erklären, was es mit ihr auf sich hatte, dass ich mich so fühlte. Dass ich wahnsinnig und besitzergreifend genug geworden war, um meinen Bruder anzugreifen und meinen Anspruch auf sie direkt während eines verdammten Jobs anzumelden.
Ich war so irre gewesen, dass ich mich zum ersten Mal in meinem Leben nicht auf die anstehende Aufgabe konzentrierte, sondern mich völlig daneben benommen hatte. Ich hatte eine Geisel genommen … sie verdammt noch mal entführt, und zwar aus einem einzigen Grund.
Ich wollte sie haben.
Wilder wurde langsamer, und ich wusste, dass wir an dem Haus ankommen würden, in dem wir alle einmal aufgewachsen waren. Aber sobald wir erwachsen geworden waren, waren Frankie und Wilder kurz nach Cullen ausgezogen. Sie hatten gewollt, dass ich das Haus verkaufe, aber vielleicht hatte ich es aus Sentimentalität oder weil es eine verdammte Investition war behalten. Obwohl wir dank unseres Vaters beschissene Erinnerungen an unsere Kindheit und Jugend hier hatten, hatte ich mit meinen Brüdern auch einige unglaublich gute.
Ich wusste, dass der Rest meiner Brüder in einem anderen Lieferwagen hinter uns waren, und ich mir eine Menge Scheiß dafür würde anhören müssen, dass ich die Frau hierher mitgenommen hatte. Mehr als von Cullen im Juweliergeschäft.
„Verbinde ihr die Augen“, sagte Wilder, und es war keine Frage. Es war ein Befehl.
Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf ihn und knurrte tief, wollte in seine Richtung gehen, um ihn in seine verdammten Schranken zu weisen. Aber ich wusste, dass er Recht hatte. Obwohl ich nicht die Absicht hatte, sie gehen zu lassen, brauchte sie nicht mehr zu sehen, als ich ihr bereits gezeigt hatte.
Damit meinte ich auch nicht nur die Fahrt hierher. Sie hatte eine Seite von mir erlebt, die nicht einmal meine Brüder gesehen hatten. Und das war gefährlich. Sie machte mich noch gefährlicher und instabiler.
Auf dem Boden des Lieferwagens lag ein Stofffetzen, den ich aufhob. Dann rückte ich näher an sie heran. Sie versteifte sich und drückte sich mit dem Rücken an den Sitz, die Augen weit aufgerissen. Ich roch ihre Angst, als wäre ich eine Art Tier – dieses starke Aroma, das sämtliche Beschützerinstinkte in mir aufsteigen ließ. Und es machte mich an.
Ich wollte ihr sagen, dass sie sich keine Sorgen machen musste, dass ich nicht zulassen würde, dass ihr etwas zustieß. Aber stattdessen hielt ich meinen Mund, schloss meine Augen und setzte eine harte, kalte Miene auf. Ich durfte niemanden wissen lassen, dass sie mich schwach machte und mich diese Dinge fühlen ließ. Ich hatte bereits mehr Emotionen gezeigt als in meinem gesamten verdammten Leben und ich wusste nicht einmal, wer sie war, kannte ihren Namen nicht, wusste nicht, wie alt sie war … Ich wusste verflucht noch mal nicht das Geringste über sie.
Alles, was ich wusste, war, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben und seit ich sie zum ersten Mal gesehen hatte, diese Frau so sehr wollte wie keine andere. Ich würde alles tun, um sie zu bekommen. Selbst wenn das hieß, meinen Bruder bei der Arbeit anzugreifen.
„Es ist zu deinem eigenen Schutz. Zu deinem Besten“, sagte ich schroff. Unsere Blicke trafen sich. Ein Augenblick verging, aber dann sah ich den Moment, in dem sie nachgab, sich unterwarf. Es war nicht so, als hätte sie eine Wahl gehabt.
Ich legte den Stoffstreifen über ihre Augen und versuche nicht einmal, zu verbergen, dass ich die seidigen Strähnen ihres dunkelroten Haares durch meine Finger gleiten ließ. Ich hielt mich auch verdammt noch mal nicht davon ab, mich vorzulehnen und meine Augen zu schließen, während ich tief den Blumenduft einatmete, der in den Locken lag.
Sie versteifte sich. „Was machen Sie da?“, fragte sie so leise, dass nur ich sie hörte.
Ich bewegte mich nicht, mein Gesicht so nah, mein Mund ein paar Zentimeter von ihrem entfernt.
Scheiße, ich wollte sie küssen. Stattdessen machte ich den Knoten fertig und zog mich zurück, räusperte mich und warf einen Blick zu Wilder. Er beobachtete mich wieder über den Rückspiegel, die Brauen zusammengezogen. Ich wusste, dass er die Interaktion gesehen hatte, aber das war mir scheißegal.
In diesem Moment war mir nichts und niemand außer ihr wichtig.