Kapitel 19
Amelia
Einen Monat später
I ch war immer nervös, wenn ich Richard zum Kaffee traf. Selbst einen Monat nach dem Raubüberfall und der Sache mit Dom raste mein Herz, weil ich erwartete, dass Richard mir sagen würde, wie dumm ich war, und dass er mich verurteilen würde.
Aber das tat er nie.
„Bist du sicher, dass es dir gut geht?“ Das fragte er mich immer. Jede Woche, wahrscheinlich in der Erwartung, dass meine Antwort anders ausfallen würde.
Ich nickte. „Es geht mir gut. Bei dir auch?“
„Gut. Wirklich gut, um ehrlich zu sein.“
Ich lächelte über seine Antwort.
Er legte seine Hand über meine um meinen Becher.
„Ich kann nicht sagen, dass ich jemals verstehen oder akzeptieren werde, warum du mit ihm zusammen bist, Amelia. Er ist kein guter Mensch. Sieh dir an, wie er seinen Lebensunterhalt verdient.“ Er zuckte die Achseln und seufzte. „Aber du bist ein kluges Mädchen. Du bist der klügste Mensch, den ich kenne.“
Ich wusste nicht, ob ich das wirklich war, aber es Richard sagen zu hören, machte mich glücklich, ja sogar stolz.
„Du hattest in deiner Kindheit ein beschissenes Los, aber schau dir die Frau an, die du jetzt bist. Du gehst in die Uni, beschäftigst dich noch dazu mit so vielen Dingen. Und trotz all der negativen Sachen, die in deinem Leben passiert sind, hast du dich immer noch verbessert und Erfolg gehabt.“ Er drückte meine Hand noch einmal, bevor er sich zurückzog.
Ich vermisste die Rauheit seiner Finger, seiner gegerbten Haut. Es gab einem Teil von mir das Gefühl, zu Hause zu sein.
„Und du weißt, ich werde immer für dich da sein, egal was passiert. Ich bin nur einen Telefonanruf entfernt.“
Er schenkte mir ein Lächeln und ich erwiderte es, weil ich wusste, dass er immer da sein würde, dass er die Wahrheit sagte.
Wir hielten uns weiterhin von Themen wie Dom oder dem Juweliergeschäft oder der Tatsache fern, dass Richard wegzog und nach dem Tod seiner Frau endlich mit seinem Leben weitermachte … nach dem Vorfall im Juweliergeschäft. Unser Gespräch drehte sich um die kleinen, alltäglichen Dinge, die mich zum Lachen und Lächeln brachten, die mich mit Zufriedenheit erfüllten. Es war ein Gespräch zwischen zwei Menschen, die einfach nur die Gesellschaft des anderen genossen. Die den anderen wirklich gern hatten, und ich war froh, dass er verstehen konnte, wie meine Lage war, was ich fühlte, und es akzeptierte.
Er versuchte nicht, mich zu ändern oder mich umzustimmen. Er gab mir seinen unausgesprochenen Segen, sein Verständnis, und ich wusste, dass er immer da sein würde. Und das war genau das, was ich brauchte. Das war genau das, was jeder brauchte, der noch nie etwas in seinem Leben besessen hatte.
Aber jetzt besaß ich etwas. Ich hatte Dominik, und zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich tatsächlich das Gefühl, nicht allein zu sein.
Ich stand vor Dominiks Haustür. Die ganze Situation war surreal und ein wenig seltsam. Das war der Mann, der mich entführt hatte, doch ich war weggefahren und wieder zurückgekommen. Ich würde nun in sein Haus gehen, als ob wir es teilten, als ob ich hier immer wohnte.
Es war verrückt, aber die gute Art von Verrücktheit, bei der ein Mensch das Gefühl hatte, dass das Leben einen Sinn hatte, dass es Aufregung und Vorfreude gab. Ich wusste nicht, ob mich jemals jemand verstehen würde, aber das spielte keine Rolle. Denn ich verstand mich selbst. Und Dominik tat es.
Das war alles, was mir wichtig war.
Ich versetzte mich in die Gegenwart zurück, öffnete die Tür und trat ein. Und, ganz ehrlich, der Raubüberfall und meine Zeit in seinem Zimmer schienen mir jetzt wie eine ferne Erinnerung, als wäre es jemand anderem vor Ewigkeiten passiert.
Ich schloss die Tür hinter mir und hörte Tumult in der Küche. Wahrscheinlich hätte ich nicht hineingehen und mich einmischen sollen, aber es war, als ob es mich anzog und ich mich nicht davon abhalten konnte, auf den Lärm zuzugehen.
Ich hielt an, bevor ich in die Küche kam, stand direkt vor dem Eingang und sah alle vier Brüder um die Kücheninsel herumstehen. Cullen lehnte mit verschränkten Armen am Herd, die Kappe, die er trug, tief ins Gesicht gezogen. Langsam hob er seinen Blick in meine Richtung, und ich fühlte, wie ein kleiner Schauer über mich lief.
Er mochte mich nicht, mochte meine Anwesenheit nicht. Er glaubte, ich würde ihm seinen Bruder wegnehmen, seine Familie. Es war egal, was die anderen sagten, im Gegenteil, denn in der kurzen Zeit, in der ich Cullen nun kannte, war mir klar geworden, dass er ein Einzelgänger war und nach seinen eigenen Regeln lebte.
„Du kannst tun und lassen, was immer du willst, Cullen, aber das ist Blödsinn und das weißt du auch.“ Dom war derjenige, der sprach, seine Stimme waren knapp und bündig. Er war wütend, und ich wusste, dass es in diesem Gespräch um mich und die ganze Situation ging.
Es spielte keine Rolle, dass es offensichtlich war, dass ich niemanden ausliefern würde, aber ich hatte mich in ihr Leben eingefügt, und es war klar, dass Cullen das nicht gewohnt war und es nicht akzeptieren wollte.
„Ich muss Dom zustimmen“, warf Frankie ein. „Ich glaube, das ist nur eine Ausrede, denn du bist immer noch sauer, weil du dich mit dem Mädchen nicht durchsetzen konntest.“
„Amelia“, fauchte Dom. „Nicht das Mädchen . Amelia. Sag es nächstes Mal richtig.“
Frankie hielt seine Hände kapitulierend hoch.
Ich konnte nicht umhin, zu lächeln, als ich hörte, wie Dom mich verteidigte.
„Wenn du gehen willst, gut. Aber gib wenigstens zu, warum du es tust“, fügte Wilder hinzu.
Trotzdem sagte Cullen nichts, er starrte mich nur mit diesen toten Augen an.
Eine ganze Minute verging.
„Lass uns eines klarstellen“, sagte Cullen schließlich, die Arme immer noch vor der Brust verschränkt, die Baseballmütze immer noch tief gezogen. „Es ist mir scheißegal, ob du was zum Vögeln gefunden hast, Dom, oder dass du verliebt bist, oder dass du heiraten und ein Haus voller Kinder haben willst.“ Er zuckte die Achseln und sah Dom an. „Es ist mir scheißegal, ob du dein Märchen von glücklich bis ans Ende deiner Tage gefunden hast.“
Ich zitterte beim Klang von Cullens Stimme.
„Ich muss hier raus, denn wir haben einen Job nach dem anderen erledigt. Ich gehe in die Hütte, um meinen Kopf frei zu bekommen. Wenn ich weiß, dass wir alle bereit sind, uns wieder zu konzentrieren, können wir erneut anfangen, ja?“ Er formulierte es wie eine Frage, aber es war alles andere als eine. Er sah jeden seiner Brüder an, und obwohl Cullen so hart war, spürte ich, wie all diese Gefühle von ihm ausgingen.
Mir war nicht bewusst, ob die anderen Jungs das erkannten, ob sie sehen konnten, wie verletzt Cullen tatsächlich war. Ich verstand bis zu einem gewissen Grad. Ich hatte ihr Ökosystem durcheinandergebracht, den Status quo. Er war das nicht gewohnt. Seine einzige Reaktion war Wut. Er tat, was er tun musste, und entschuldigte sich nicht.
Ich sagte nichts, weil ich wusste, dass es die Dinge nur noch schlimmer machen würde.
Cullen machte einen tiefen Ton im hinteren Teil seiner Kehle und senkte den Blick, während er den Kopf schüttelte. „Ich muss einfach weg, meinen Kopf frei bekommen.“ Ohne etwas anderes zu sagen oder jemanden anzusehen, verließ er die Küche. Das Aufwirbeln der Luft, als er an mir vorbeikam, bewegte sich an meinem Körper entlang, und an meinen Armen bildete sich Gänsehaut.
Alle waren lange still, nachdem er die Haustür geschlossen hatte, und das Geräusch seines wegfahrenden Autos erklang. Dann ertönte der Donner von dem drohenden Sturm. Ich hatte ihn in der Luft gespürt und den bevorstehenden Regen gerochen, als ich aus dem Café gekommen und zu Dom gefahren war.
Ich drehte mich um und schaute wieder in Richtung Küche. Frankie und Wilder murmelten leise vor sich hin und waren definitiv verärgert, und Dom hatte seinen Fokus auf mich gerichtet, einen entschuldigenden Blick auf dem Gesicht. Ich fühlte, wie ich dahinschmolz. Es war klar, dass er sich Sorgen um mich machte, wahrscheinlich darüber, wie ich mich fühlte, nachdem ich das alles miterlebt hatte.
Ich ging zu ihm hinüber, schlang meine Arme um seine Taille, legte meinen Kopf auf seine Brust und genoss einfach nur die Tatsache, dass er mir gehörte.
Es war mir egal, dass seine Brüder uns sahen und ich spürte, dass ihre Blicke direkt auf uns gerichtet waren. Es war mir gleichgültig, wer die Zuneigung sah, die wir für einander empfanden.
„Wir sehen euch später“, sagte Wilder.
„Ja, macht ihr mal euer Ding“, fügte Frankie belustigt hinzu.
Dann wurden wir allein gelassen. Dom hatte seine Arme um mich gelegt und er küsste mich auf den Scheitel.
„Es liegt nicht an dir, Baby“, murmelte Dom über meinem Kopf. „Cullen war schon immer eine verlorene Seele. Er ist monatelang mal verschwunden und geht in die Hütte, die uns gehört und ein paar Stunden von hier entfernt liegt.“ Er strich über meinen Hinterkopf. „Verdammt, wir wissen nicht einmal, ob er noch lebt, wenn er weg ist, denn er ruft uns nicht an, antwortet nicht, wenn wir versuchen, ihn zu erreichen.“
Das brach mir ein wenig das Herz.
„Macht ihr euch keine Sorgen, wenn er einfach so loszieht und niemanden kontaktiert?“
Ich spürte, wie er tief einatmete und ebenso stark ausatmete. „Nein. So ist Cullen immer gewesen, seit unser Vater gestorben ist, und er sich keine Sorgen um Misshandlungen oder um Streit machen musste, der zwischen uns ausbrechen könnte.“
Ich verstärkte meinen Griff und schloss die Augen. „Dom, ich liebe dich.“ Ich zog mich zurück und schaute zu ihm auf. „Ich liebe dich“, wiederholte ich leise, von ganzem Herzen. Ein Gefühl huschte über sein Gesicht, dann beugte er sich vor, legte seine Lippen auf meine und küsste mich zögernd und zärtlich.
„Ich liebe dich auch“, murmelte er an meinem Mund. „Und ich weiß nicht, was ich getan habe, um zu verdienen, dich in meinem Leben zu haben. Gott weiß, ich bin ein verdammter Bastard, stehle, um zu überleben, und habe eine beschissene Vorgeschichte, habe richtige Scheiße getan, um am Leben zu bleiben, die mich in Flammen aufgehen lassen würde, wenn ich in eine Kirche gehen würde.“ Er legte die Hand an meine Wange. „Ich werde dir für den Rest meines Lebens zeigen, wie viel du mir bedeutest, dass ich dir ein guter Mann sein kann und ich deiner Liebe würdig sein kann.“
Ich strich über seine Wange, erhob mich dann auf die Zehenspitzen und war diejenige, die ihn küsste. Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Ich musste mich auch seiner Liebe würdig erweisen.
Aber anstatt etwas zu sagen, küsste ich ihn wieder und wieder und wieder und liebte es, dass zwei verlorene, gebrochene Seelen ganz sein konnten, wenn die Sterne richtig standen.