Kapitel 2
Lars sah seinem Freund nachdenklich hinterher, als der Richtung Toiletten verschwand. Er war ganz schön durch den Wind, was grundsätzlich nicht schlecht war. Es wurde Zeit, dass Nils endlich wieder ein normales Leben führte. Allerdings sollte er sich diese verrückte Verliebtheit schnell wieder aus dem Kopf schlagen. Sich einfach in einen Kerl verknallen, den er nur zweimal kurz gesehen hatte, und dem er wahrscheinlich nie wieder begegnen würde.
Aber der hübsche Tänzer mit den hellbraunen Haaren, der wohl im Moment dafür verantwortlich war, dass Nils etwas neben sich stand, versprach da Abhilfe. Er schien Nils wirklich zu gefallen, und vielleicht ergab sich da ja etwas. Das half ihm dann hoffentlich über diese Verliebtheit hinweg. Außerdem sah der Kerl wirklich gut aus.
Unter anderen Umständen hätte Lars versucht, bei ihm zu landen. Aber so? Er würde seinem besten Freund ganz sicher nicht ins Gehege kommen. Beim Tanzen hatte er sogar behauptet, dass er den Rothaarigen viel attraktiver fand, nur um Nils aus der Reserve zu locken.
Okay, der Rotschopf war schon irgendwie heiß. Gerade beugte er sich neben Lars über den Tresen und bestellte etwas zu trinken. Eigentlich stand Lars nicht besonders auf Rothaarige, aber abgesehen von der Haarfarbe war der Kerl genau sein Typ. Nicht zu groß und eher schmal gebaut. Klar, es gab viele Männer, die besser aussahen. Doch er hatte definitiv was, und hässlich war er ganz sicher nicht.
Sein Lächeln war jedenfalls toll, stellte Lars fest, als der Mann sich ihm zuwandte und ihn offen ansah.
»Hey. Ich bin Juli. Du bist neu hier, oder?«
»Lars. - Neu nicht, aber ich war schon Ewigkeiten nicht mehr hier. Normalerweise treibe ich mich in anderen Clubs herum. Bevorzugt welche mit Darkroom.«
Juli lachte leise und zwinkerte. »Ich auch. Schade, dass ich dir da bisher noch nie begegnet bin.«
Oha. Der Typ fackelte offenbar nicht lange. Das versprach, noch ein sehr interessanter Abend zu werden. Allerdings nur, wenn Juli nicht fest mit dem anderen Kerl zusammen war. Doch der Abend war noch jung, das würde Lars schon herausfinden, ohne gleich mit der Tür ins Haus zu fallen und direkt zu fragen. Deshalb nickte er nur und grinste.
»Bist du im Sommer geboren?«, wollte er statt dessen wissen.
»Nö, im April. Wie kommst du darauf?« Die Frage schien den Mann etwas verwirrt zu haben.
»Dein Name. Ich dachte, Juli ist ein Spitzname und geht vielleicht auf deinen Geburtsmonat zurück.«
»Es ist die Abkürzung von Julian. Ich werde schon seit meiner Kindheit Juli gerufen.«
»Julian …« Mit voller Absicht ließ Lars sich den Namen geradezu auf der Zunge zergehen, und sah dem anderen Mann dabei in die Augen. Für einen Rothaarigen war das tiefe Braun eine ungewöhnliche Augenfarbe, fand Lars. Aber irgendwie passte es dann doch. Ein Kribbeln breitete sich in seinem Bauch aus, als Juli den Blick einfach erwiderte, ohne etwas zu sagen.
»Kommst du oft hierher?«, brach er schließlich das Schweigen.
»Im letzten Jahr nicht. Heute bin ich mit der Clique da, wir wollten endlich mal wieder tanzen. Und ihr? Seid ihr beide allein hier oder trefft ihr euch mit Freunden?«
Noch bevor Lars antworten konnte, brach der Augenkontakt ab, als sich Julis Blick auf etwas hinter ihm richtete. Oder besser gesagt, jemanden, stellte Lars fest, als sein Freund neben ihn trat.
»Da bist du ja. Nils, das ist Julian. Er ist mit einigen Freunden hier.«
Sein Freund gab nur ein Brummen von sich und schaute ziemlich finster drein. Innerlich seufzte Lars darüber. Was war denn nun wieder los?
»Möchtet ihr nicht mit an unseren Tisch kommen?«, fragte Juli in diesem Moment.
»Gute Idee, wir sind alleine hier«, erwiderte Lars und beantwortete damit auch gleichzeitig die andere Frage von Juli. Er drehte sich zu seinem Freund um, doch der schien in Gedanken weit weg zu sein. »Was meinst du, Nils?«
Der nickte nur, und schaute gleich darauf ziemlich verwirrt, als Lars aufstand und ihm sein Glas in die Hand drückte. Bevor sein Freund einen Rückzieher machen konnte, schob er ihn einfach vor sich her, während er Juli folgte.
An einem großen Tisch direkt an der Tanzfläche blieb Juli stehen. „Jan, das sind Lars und Nils. Die beiden sind alleine hier, und für zwei Leute haben wir ja noch Platz an unserem Tisch.“
»Ihr beide tanzt wirklich gut«, meinte Jan, als sie sich gesetzt hatten.
»Danke, aber ihr seid unbestritten besser«, gab Lars bereitwillig zu. »Ihr tanzt wohl schon länger zusammen?«
Juli lachte leise. »Seit gefühlten hundert Jahren. Tatsächlich sind es fünfzehn oder sechzehn.«
Lars pfiff leise durch die Zähne, während er sich gedanklich von einem One-Night-Stand mit Juli verabschiedete. Er drängte sich nicht in eine feste Beziehung, auch wenn es scheinbar eine offene war. Denn Juli hatte genauso mit ihm geflirtet wie umgekehrt. Das bildete er sich nicht nur ein. Wirklich schade. »Wow, so lange seid ihr schon zusammen?«
»Nein, wir sind kein Paar. Jannick ist mein bester Freund, wir kennen uns schon seit unserer Kindheit. Wir sind beide Singles.«
Schön, das zu hören, aber so
erleichtert sollte sich Lars dabei eigentlich nicht fühlen, oder?
»Oh, wie bei uns beiden. Nils und ich kennen uns schon seit der Schule. Ebenfalls beste Freunde und Singles«, erklärte er rasch.
»Wir beide schon seit dem Kindergarten“, gab Julian lächelnd zurück, dann schaute er Jan an. »Du hast vorhin gesagt, du bist Nils neulich zufällig begegnet. Wo denn?«
Jan und Nils kannten sich? Davon hatte Nils bisher nichts erzählt. Jan war es offensichtlich gar nicht recht, dass Julian das erwähnt hatte, denn er warf seinem Freund einen ärgerlichen Blick zu.
»Ich bin auf der Treppe im Ärztehaus mitten in ihn hineingerannt. Zufällig sind wir später im Supermarkt nochmal zusammengestoßen«, beantwortete Jan schließlich die Frage.
So war das also! Was für ein witziger Zufall. Zuerst stießen die beiden gleich zweimal an einem Tag zusammen und dann trafen sie sich hier nochmal? Damit hätte Lars nun wirklich nicht gerechnet. Aber andererseits standen die Chancen, dass Nils seine erotischen Fantasien in die Realität umsetzen konnte, plötzlich gar nicht mal so schlecht. Kein Wunder, dass er vorhin so reagiert hatte.
»Ach, das warst du?« Lars grinste und schaute seinen Freund wissend an. »Na, sieh mal einer an.«
Für die Bemerkung kassierte er prompt einen »Halt den Mund!«-Blick, aber das war ihm egal.
»Na ja, wann stößt man schon zweimal mit einem Fremden zusammen?«, brummelte Nils und bei dieser Antwort musste sich Lars das Lachen verbeißen.
»Och, das war es wohl weniger, was dich so beeindruckt hat.« Wenn Blicke töten könnten, wäre Lars jetzt von der Bank gekippt, soviel stand fest, als Nils ihn giftig anschaute.
Es war ganz gut, dass in diesem Moment die Freunde von Juli und Jan zurück an den Tisch kamen. Schnell entspann sich ein interessantes Gespräch. Als die Musik schließlich wieder zu Discofox wechselte, erhob sich Julian. »Komm schon, Jan. Ich will tanzen.«
Nils war schon dabei aufzustehen, als Lars ihm zusätzlich einen kleinen Schubs versetzte. »Los, hinterher«, flüsterte Lars. »Diese Gelegenheit will ich nutzen.«
»Was meinst du?«
»Ich hab einen Narren an Julian gefressen, und du doch genauso an Jan. Wir wechseln nach ein paar Songs einfach die Tanzpartner.«
Lars war sich seiner Sache längst nicht so sicher, wie er vorgab. Er hoffte einfach, dass er sich nicht irrte, was Julis Interesse an ihm betraf.
***
Juli registrierte, dass die beiden anderen Männer ihnen auf die Tanzfläche gefolgt waren. Das war gut, so bekam er vielleicht die Gelegenheit, Lars näher zu kommen. Irgendwie machte ihn der Gedanke, mit dem hübschen Twink zu tanzen, ziemlich hibbelig. Am liebsten hätte er gleich um einen Wechsel des Tanzpartners gebeten, aber er wartete, bis der zweite Song fast zu Ende war.
»Nicht sauer sein, Süßer«, sagte er leise zu Jan. »Aber Lars hat es mir echt angetan.«
»Wieso sollte ich deshalb sauer sein?«, fragte Jan verblüfft.
Ohne zu antworten, tanzte Juli mit seinem Freund dicht neben das andere Paar. Sein Herz schlug plötzlich wie verrückt.
»Nils, überlässt du mir deinen Tanzpartner für einige Songs?«, fragte er, sah dabei aber Lars an. Ohne die Antwort abzuwarten, ließ Julian seinen Freund los, und Lars löste sich bereits aus Nils’ Griff.
Gleich darauf lag Lars' Hand warm und fest in der von Juli. Der genoss diesen ersten Kontakt sehr und legte den Arm um die schmale Taille des anderen. Unter dem weichen, weißen Stoff des Hemdes konnte er den festen Körper und die Wärme spüren. Das jagte seinen Puls noch mehr in die Höhe, verstärkte das Kribbeln in seinem Bauch.
Mann. Wann hatte er sich zuletzt so gefühlt? Das war lange her. Komm wieder runter
, ermahnte er sich selbst. Er war auf einen One-Night-Stand aus, da hatten diese Gefühle nichts dabei zu suchen. Mehr als eine unverbindliche Affäre war nicht drin. Die konnte gerne auch einige Wochen dauern, aber Gefühle wollte er nicht investieren. Hatte er nicht erst vor einigen Stunden darüber nachgedacht, dass es ohne feste Beziehung völlig okay für ihn war? Einmal Liebeskummer hatte ihm wirklich gereicht. Das brauchte er nicht nochmal.
Schon eine blöde Sache mit der Vernunft. Denn die ging ziemlich flöten, als er Lars für die erste Drehung enger an sich zog. Den schmalen Körper in voller Länge an seinem zu spüren, war nicht gerade hilfreich. Es geht nur um Sex
, trichterte er sich ein. Es war völlig normal, dass er so stark auf den attraktiven Mann in seinen Armen reagierte, oder? Seit Wochen hatte er keinen Sex mehr gehabt, da war es doch kein Wunder, wenn er etwas ausgehungert war. Untervögelt. Daran lag es, mehr war es nicht.
Aber je länger sie miteinander tanzten, desto klarer wurde ihm, dass er sich da etwas vormachte. Sie redeten nicht, tanzten schweigend, aber trotzdem kommunizierten sie irgendwie miteinander. Durch ihre Blicke, ihre Berührungen. Es ging um mehr als nur um Sex. Da konnte sich Juli innerlich noch so sehr dagegen sträuben, es änderte nichts. Er verfiel gerade diesem Mann in seinen Armen, mit Haut und Haaren.
Nur am Rande nahm Juli wahr, dass die Musik von schnellem Foxtrott zu einer langsamen Ballade wechselte. Das passte dann wenigstens zu ihrem Tanz. Denn sie tanzten schon eine Weile nicht mehr nach den schnellen Rhythmen, wurde ihm nun klar. Sie waren dicht aneinander geschmiegt, seine Arme umschlangen eng den schmalen Körper, während die von Lars um seinen Nacken lagen.
Ihre Blicke klebten regelrecht aneinander, als sie sich langsam hin und her wiegten. Das heiße Kribbeln in seinem Bauch hatte sich über seinen ganzen Körper ausgebreitet, sein Herz raste und sein Kopf war wie leergefegt. Er hätte hinterher nicht sagen können, wer von ihnen beiden die Initiative ergriffen hatte. Es spielte auch keine Rolle. Wichtig war in diesem Moment nur der weiche Mund auf seinem, die Zunge, die mit seiner spielte. Noch nie hatte Juli so geküsst. Entweder war es zärtlich gewesen, oder leidenschaftlich. Aber noch nie beides auf einmal. Doch es fühlte sich so verflucht richtig an. Es ging nicht nur um Sex. Das hier war so viel mehr.
Irgendwann unterbrachen sie den Kuss, um Luft zu holen. »Juli«, flüsterte Lars dicht an seinem Mund. Nur seinen Namen, mehr nicht. Aber das ging ihm durch und durch. Er konnte nichts sagen, seine Kehle war wie zugeschnürt. Also küsste er Lars einfach wieder.
Zeit spielte keine Rolle mehr. Als der andere Mann sich irgendwann von ihm löste, wollte Juli protestieren. Aber Lars' Hand, die sich mit der seinen verschränkte, und der Blick aus den graugrünen Augen hinderten ihn daran.
Lars lehnte sich an ihn. »Ich möchte mit dir allein sein. Kommst du mit zu mir?«
Tief atmete Juli durch und versuchte, seine Gedanken zu sortieren. »Ein schneller Fick, und das war es dann? Sorry, nein. Das kann ich nicht.« Oh Mann, hatte er noch alle Tassen im Schrank? Er wollte Lars. Natürlich wollte er ihn. Aber nicht für einen One-Night-Stand. Jetzt nicht mehr.
Hörte irgendwer die Steine poltern, die ihm vom Herz fielen, als Lars den Kopf schüttelte und seine Hand noch fester umfasste?
»Nein. Kein schneller Fick. Kein One-Night-Stand und dann tschüss. Nicht mit dir«, erwiderte Lars leise.
Juli zögerte nur einen kurzen Moment, dann nickte er, beugte sich zu Lars und küsste ihn sanft. »Okay. Dann lass uns gehen.«