Kapitel 3
Der Typ ging ihm echt unter die Haut. Lars fragte sich, ob es eine gute Idee war, Julian zu sich nach Hause mitzunehmen. Aber er konnte sich nicht selbst belügen. Er wollte Juli in seinem Bett, mal über sich, mal unter sich. Es war die Tatsache, wie sehr er diesen Mann wollte, die ihn wirklich erschreckte. Das machte ihm Angst. Verknallt zu sein war in Ordnung, der Sex machte dann viel mehr Spaß.
Aber das hier war mehr als das. Lars wusste es, spürte es, und er konnte nichts dagegen tun. Die Stimme der Vernunft sagte ihm, dass er besser das Weite suchen sollte, solange es noch Zeit war. Seine Gefühle sagten etwas ganz anderes, und insgeheim wusste er, dass es ohnehin längst zu spät war. Er war bereits bis über beide Ohren in Julian verliebt.
Kein unverbindlicher Fick und dann tschüss. Was er vorhin zu Juli gesagt hatte, das meinte er auch so. Mehr als ein One-Night-Stand hatte es zuerst nicht werden sollen. Aber das kam jetzt irgendwie nicht mehr in Frage. Eine kurze, unverbindliche Affäre auch nicht. Wie war das bloß so schnell passiert? Er kannte Juli doch eigentlich gar nicht.
Aber dessen Hand in seiner fühlte sich so gut an. Die wissenden Blicke von Julis Freunden ignorierte Lars, als sie sich verabschiedeten. Nur am Rande registrierte er, dass Nils und Jan ebenfalls im Aufbruch begriffen waren. Lief da was zwischen den beiden? Irgendwie hoffte er es für seinen besten Freund, aber dann war der Gedanke auch schon wieder vergessen.
Seine ganze Wahrnehmung richtete sich auf den schlanken Mann an seiner Seite. Die warmen Finger, die sich zwischen seine eigenen geschoben hatten und damit irgendwie … Lars wusste nicht, wie er das am besten ausdrücken sollte. Da gab es eine Verbindung zwischen ihnen, die über Sex hinausging. Die Art, wie Juli ihre Finger verflochten hatte und nun auch noch sanft mit dem Daumen über Lars' Haut strich, schien irgendwie ein Symbol für diese neu entstandene Verbindung zu sein.
»Das ist doch verrückt«, murmelte Lars, während sie ganz dicht nebeneinander zu seinem Wagen gingen. Dass er den Gedanken laut ausgesprochen hatte, wurde ihm erst klar, als Juli ihm antwortete.
»Ja, das ist es.« Juli blieb stehen, was Lars dazu veranlasste, sich zu dem anderen Mann umzudrehen. »Hör zu, ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat. Aber wenn du es hier und jetzt beenden willst, dann verstehe ich das.«
Hastig schüttelte Lars den Kopf. »Nein! Das will ich nicht.« Er biss sich auf die Unterlippe. »Du denn? Ich meine … wäre dir das lieber?«
Als Juli stumm den Kopf schüttelte, war Lars einerseits total erleichtert. Aber andererseits … er wäre zwar wahnsinnig enttäuscht gewesen, wenn Juli jetzt doch einen Rückzieher machte, aber diese Achterbahnfahrt seiner Gefühle hätte ein Ende gefunden. Er hatte Schiss. Richtig Schiss. Was, wenn er diese Sache total vermasselte? Oder wenn Juli am nächsten Morgen beschloss, es doch bei einem One-Night-Stand zu belassen? Was, wenn – Julis warme Lippen auf seinen unterbrachen seine Gedanken.
Es fühlte sich so gut und richtig an. Nicht nur dieser Kuss, sondern auch die Nähe, die über das Körperliche hinausging. Das konnte nicht falsch sein. Vielleicht sollte er aufhören, sich so viele Gedanken zu machen, und es einfach auf sich zukommen lassen. Blieb ihm überhaupt etwas anderes übrig? Wohl kaum. Entschlossen zog er Juli mit sich zu seinem Wagen und schloss auf. Schweigend stiegen sie ins Auto und schnallten sich an.
Lars fuhr aus der Parklücke und warf Juli einen kurzen Seitenblick zu. Ihre Augen trafen sich im schwachen Licht der Instrumente am Armaturenbrett. Sanft legte sich Julis Hand auf Lars' Oberschenkel. Er streichelte ihn nicht, ließ die Hand einfach ruhig liegen. Die Wärme drang durch den Stoff der Jeans und verursachte ein Kribbeln in Lars. Er nahm die rechte Hand vom Lenkrad und umschloss Julis warme Finger mit den seinen. Keiner von ihnen sagte ein Wort, aber das Schweigen war nicht unangenehm.
Die Fahrt zu seinem kleinen Haus dauerte nicht lange. Noch während er den Motor abstellte, öffnete er sein Gurtschloss. Zeitgleich hörte er neben sich ein leises Klicken, das ihm sagte, dass auch Juli sich abgeschnallt hatte. Sie warfen sich einen kurzen Blick zu, lächelten einander an und stiegen aus. Auf dem Weg zum Haus fasste Lars nach Julis Hand, der sofort die Finger zwischen seine schob.
Wenig später standen sie vor der Tür und Lars musste über sich selbst lächeln, weil seine Hand leicht zitterte, während er den Schlüssel ins Schloss schob. Dass Juli sich in diesem Moment von hinten an ihn schmiegte und den Arm um seine Taille schlang, war da nicht besonders hilfreich. Der Kerl machte ihn echt fertig. Erleichtert stieß Lars schließlich die Haustür auf und zog Juli mit sich in den Flur. Die Tür bekam einen Schubs und knallte ins Schloss, aber das war ihm egal. Hauptsache, sie war zu und die restliche Welt blieb draußen. Endlich waren sie ganz allein.
Ohne Licht zu machen, schlang Lars die Arme um Juli und küsste ihn. Irgendwie hatte er erwartet, dass sie nun wild übereinander herfallen würden. Aber das hier war überraschend anders. Ja, da war eine Menge Leidenschaft. Aber vor allem war da Zärtlichkeit, auf beiden Seiten, und sie blieb auch, als der Kuss länger andauerte und sie sich schließlich heftig atmend voneinander lösten.
Einen Augenblick lang standen sie einfach nur eng umschlungen da und hielten sich fest. Sanft löste sich Lars aus der Umarmung, fasste nach Julis Hand und zog ihn mit sich. Warum er das Wohnzimmer und nicht sein Schlafzimmer ansteuerte, darüber dachte er nicht nach. Es kam ihm falsch vor, Juli jetzt einfach ins Bett zu zerren. Im Halbdunkel ging er zu der großen Couch, setzte sich und zog den anderen neben sich.
»Juli?«
»Hm?«
»Ich will nicht mit dir schlafen.« Shit. Hatte er das eben wirklich gesagt? Ja, hatte er, aber so, wie es heraus gekommen war, hatte er es gar nicht gemeint.
***
Im ersten Moment war Juli wie vom Donner gerührt. Die Worte versetzten ihm einen Stich. Aber dann begriff er, was Lars ihm damit sagen wollte. Zumindest hoffte er, dass er es richtig interpretierte.
»Du meinst, du willst jetzt nicht mit mir schlafen?« Er holte tief Luft. »Oder überhaupt nicht?«
Neben ihm seufzte Lars. »Jetzt nicht. Tut mir leid, dass ich das so formuliert habe. Ich will dich, Juli. Wirklich. Aber ich … ich will einfach nicht, dass es doch in einem One-Night-Stand endet. Ergibt das für dich Sinn? Ist das okay für dich?«
Juli spürte die Unsicherheit des anderen Mannes. Dass es Lars scheinbar genauso ging wie ihm selbst, machte alles so viel einfacher.
»Ja, das ergibt Sinn, und es ist völlig okay für mich. Das mit uns ist irgendwie total anders als ich es bisher kannte.«
»Ich mache mal Licht, okay?«, erwiderte Lars, und das war Juli mehr als recht. Er wollte Lars' Gesicht sehen.
Gleich darauf blinzelten sie beide gegen die Helligkeit der Leselampe neben der Couch. Mit einem leisen Fluch streckte sich Lars und dimmte das Licht. »Sorry, aber ich lese gerne abends auf der Couch, deshalb ist sie so hell eingestellt.«
»Schon okay. Dass du gerne liest, ist noch ein Pluspunkt für dich.«
Mit einem Lächeln zog Lars die Brauen hoch. »Noch ein Pluspunkt? Machst du etwa eine Liste?«
Irgendwie war das Juli peinlich und er hätte die Frage am liebsten mit einer lässigen Bemerkung abgetan. Aber das kam ihm falsch vor, deshalb ließ er es sein. Mit Lars war wirklich alles anders.
»Nun ja … Ja, sieht so aus.«
Ein forschender Blick traf ihn. »Und? Welche Seite ist länger? Plus oder Minus?« Lars gab sich keine Mühe, seine Verunsicherung zu verbergen, und das gefiel Juli. Diese Ehrlichkeit zwischen ihnen, das tat gut. Kein Verstellen, das war nicht nötig.
»Plus. Viel länger sogar. Auf der Minusseite gibt es im Moment nur einen Punkt, und ich bin mir nicht sicher, ob der wirklich dahin gehört.«
»Lass mich raten. Ist es die Tatsache, dass dich das zwischen uns durcheinander bringt? Denn so ist es bei mir, und ich weiß nicht, ob das nun gut oder schlecht ist.«
Juli nickte. »Genau das.« Er stieß einen erleichterten Seufzer aus. »Ist es nicht seltsam, dass wir offenbar so auf einer Wellenlänge sind? Du scheinst mich genauso gut zu verstehen wie mein bester Freund, obwohl wir uns kaum kennen. Irgendwie ist das … Keine Ahnung.«
Auch Lars seufzte. »Es ist seltsam, ja, und beängstigend. Aber auch sehr schön. Und ich bin erleichtert, dass du verstehst, warum ich jetzt nicht mit dir ins Bett will.«
Juli lächelte offen. »Ich verstehe es wirklich, und ich bin auch froh, dass es nicht nur mir so geht. Das zwischen uns ist Neuland für mich.«
»Ja, für mich auch. Keine Ahnung, woran es liegt, aber ich möchte dich gerne besser kennenlernen, bevor wir miteinander schlafen.«
»Ich dich auch, und aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. Lass uns einfach ein wenig reden und schmusen, okay?« Schmusen? Das hatte Juli gesagt, ohne nachzudenken. Er wusste nicht, wann er das letzte Mal mit einem Mann nur geschmust hatte. Jedenfalls nicht, seit er aus dem Alter raus war, in dem er für richtigen Sex noch nicht den Mut gehabt hatte. Aber der Gedanke, mit Lars nur zu schmusen und zu kuscheln war alles andere als seltsam für ihn. Er freute sich sogar darauf.
»Das hört sich gut an. Dann hänge ich mal unsere Jacken auf und hole uns was zu trinken. Ich hab Cola, Orangensaft, Wasser, Kaffee und Tee. Alkohol hab ich keinen da, nicht mal ein Bier.«
»Das macht nichts.« Juli zwinkerte ihm zu. »Du vernebelst mir das Hirn schon genug, da brauche ich nicht auch noch Alkohol. Bring mir einfach ein Wasser mit.« Er lachte leise, während er seine Jacke auszog und sie Lars hinhielt, der ihn verblüfft anstarrte.
»Ich verneble dir das Hirn?«
»Ja, tust du. Mir gefällt diese Ehrlichkeit zwischen uns, warum sollte ich das also nicht zugeben?«
»Da hast du auch wieder recht. Und nur damit du es weißt: Mir geht es genauso.«
Juli sah dem anderen Mann einen Moment hinterher, dann ging er in den Flur und zog seine Schuhe aus. Die Tür zu der kleinen, aber modernen Küche stand offen und Juli lehnte sich an den Türrahmen. »Ich muss mal wohin. Verrätst du mir, wo das Klo ist?«
»Klar. Die Gästetoilette ist schräg gegenüber.«
Juli erwiderte das Lächeln und wandte sich dann ab. Als er ins Wohnzimmer zurückkam, wartete Lars schon auf ihn und klopfte auf das Polster neben sich. Als er ihm die Hand entgegen streckte, nahm Juli sie mit einem Lächeln und ließ sich auf die Couch ziehen.
»Brr. Vorhin waren deine Hände wärmer.«
»Das Wasser am Waschbecken ist ziemlich kalt. Aber du kannst sie ja aufwärmen.«
Lars grinste und zog ihn an sich. »Ich wärme dich gerne auf.« Wenig später lagen sie eng aneinander geschmiegt auf der breiten Couch, redeten über Gott und die Welt und küssten sich zwischendurch immer wieder.
»Bleib heute Nacht hier«, murmelte Lars irgendwann. »Nur kuscheln und schmusen. Aber vielleicht etwas mehr als jetzt und mit weniger Reden.«
Juli lachte leise. »Gerne, und geredet haben wir wirklich genug für einen Abend, oder?«
Lars rappelte sich hoch und stand auf. »Dann lass uns ins Bett gehen«, sagte er leise.
Bereitwillig nahm Juli die ausgestreckte Hand und ließ sich hochziehen. Das Herz schlug ihm plötzlich bis zum Hals. Irgendwie fühlte er sich wie ein Teenager vor dem ersten Mal. Das hier war wirklich neu für ihn. Er hatte noch nie eine ganze Nacht mit einem Mann verbracht, ohne dabei richtigen Sex zu haben. Es war irgendwie aufregend zu wissen, dass sie nicht aufs Ganze gehen und sich dennoch sehr nah sein würden.
Hand in Hand gingen sie die Treppe hinauf. Lars deutete auf die erste Tür rechts. »Da ist übrigens das Bad«. Während er das sagte, öffnete er die Tür auf der linken Seite. »Und das hier ist mein Schlafzimmer.« Er ging zum Bett, schaltete die Nachttischlampe ein und kam dann zu Juli zurück. »Fühl dich wie Zuhause«, sagte er mit einem Lächeln, während er im Flur das Licht ausmachte und die Tür schloss.
Juli blieb neben dem großen Bett stehen, drehte sich zu seinem Freund um und schaute ihn an. Sein Blick ließ den des anderen Mannes nicht los, als er die beiden obersten Knöpfe seines Hemdes öffnete.
»Warte!« Lars' leise Stimme stoppte seine Bewegungen. »Lass mich das machen.«
Gleich darauf spürte Juli die warmen Hände durch den Stoff. Knopf für Knopf öffnete Lars das Hemd und küsste immer wieder die nackte Haut, die dabei zum Vorschein kam. Juli war längst hart, als das Hemd endlich achtlos zu Boden fiel. Als Lars den Knopf seiner Hose öffnete und den Reißverschluss quälend langsam herunterzog, stöhnte er leise.
»Wenn du unbedingt meine Selbstbeherrschung auf die Probe stellen willst, sollte ich dich wohl besser warnen«, brachte er heiser hervor. »Davon ist nämlich nicht mehr viel übrig.«
Lars lachte ganz leise. »Macht nichts. Mir geht es genauso.«
Juli atmete tief durch und schob seinen Freund ein Stück von sich. »Du bist an der Reihe.« Er drehte den Spieß einfach um und schälte Lars auf die gleiche sinnliche Weise aus seinen Klamotten, wie der es eben noch mit ihm gemacht hatte. Juli genoss das leise Keuchen, das sein Freund von sich gab, als er den Reißverschluss der Jeans aufzog und mit den Fingerknöcheln dabei ganz bewusst über die harte Erregung strich.
»Okay, das reicht«, stieß Lars hervor und wich zurück. »Den Rest mache ich selbst, sonst komme ich, bevor wir überhaupt im Bett liegen.«
Juli grinste, trat ebenfalls einen Schritt zurück und ließ den anderen keinen Moment aus den Augen, während er seine Hose, die Pants und die Socken auszog. Lars' Blicke hingen genauso gebannt an Juli, während er ebenfalls die restlichen Kleidungsstücke abstreifte.
»Du bist so verdammt heiß«, flüsterte Lars, als sie sich nackt gegenüberstanden.
Juli überbrückte die kurze Distanz, legte die Arme um ihn und zog ihn an sich. »Du auch.«
Gleich darauf lagen sie eng umschlungen auf dem Bett, rieben sich aneinander und küssten sich immer leidenschaftlicher.
»Das halte ich nicht mehr lange aus«, keuchte Lars, als sie den Kuss kurz unterbrachen.
»Ich auch nicht.« Juli spürte die harte Erektion heiß an seiner eigenen, rieb sich mit einem leisen Stöhnen noch fester an Lars. Das hier war einfach unbeschreiblich. Der feste warme Körper an seinem, Lars' Hände auf seiner Haut, einfach alles. Lange würde er das wirklich nicht mehr aushalten.
Mit einem Stöhnen schob er die Hand zwischen ihre Körper, umschloss sie beide zusammen und ließ die Hand auf und ab gleiten. Er spürte die geballte Hitze in seinem Unterleib, die immer stärker wurde. Als Lars die Hand auf seine legte und den Druck so noch verstärkte, kam Juli mit einem heiseren Laut. Nur Sekunden später erschauerte Lars und folgte ihm auf den Höhepunkt.
Noch während die letzten Schauer ihn durchliefen, küsste er Lars wieder und zog ihn noch enger an sich. Er wollte ihn ganz nah bei sich haben. Minutenlang lagen sie einfach nur so da, küssten sich und hielten einander fest.
»Wir sind ziemlich klebrig«, murmelte Juli irgendwann.
»Ja, sind wir. Gehen wir noch kurz unter die Dusche?«
»Aber wirklich nur duschen, mehr nicht«, erwiderte Juli mit einem Lächeln. »Ich werde gerade so angenehm müde.«
Lars rieb die Nase kurz an seiner. »Ich auch. Alles andere heben wir uns für morgen auf.«
Sie beließen es tatsächlich bei einer schnellen Dusche. Eng aneinander gekuschelt lagen sie nur Minuten später wieder im Bett.
»Juli?«
»Hm?«
»Ich bin froh, dass du da bist.«
»Ich auch«, murmelte Juli, küsste Lars zärtlich und zog ihn noch näher. Dann schloss er zufrieden die Augen und schlief ein.