Kapitel 4
Verschlafen machte Lars die Augen auf. Direkt vor seinem Gesicht war ein nackter Rücken und im gleichen Moment registrierte er die warme Haut an der seinen. Juli. Im Schlaf hatte sich Lars eng an den Rücken des anderen Mannes geschmiegt. Den Arm hatte er um den schlanken Körper geschlungen, seine Hand ruhte auf der nackten Brust. Er spürte die glatte Haut und unter seiner Handfläche das ruhige, gleichmäßige Schlagen von Julis Herz.
Einen Moment lang lag er einfach nur da und genoss diese Nähe. Irgendwie hatte das etwas sehr Vertrautes, obwohl er Juli noch nicht einmal 24 Stunden lang kannte. Lächelnd hauchte Lars einen Kuss zwischen Julis Schulterblätter, dann einen weiteren auf seinen Nacken. Unter seiner Hand beschleunigte sich der Herzschlag und das brachte ihn noch mehr zum Lächeln. »Du bist ja wach.«
»Hm, halbwegs.« Julis Stimme klang etwas kratzig und ziemlich verschlafen.
Lars stützte sich auf den Ellbogen und legte das Kinn auf Julis Schulter. »Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?«
Juli drehte leicht den Kopf, machte die Augen auf und schaute ihn an. »Ja, und du?«
»Ich auch. Erstaunlich gut sogar.« Als Juli fragend die Augenbrauen hochzog, zuckte Lars die Schultern. »Ich bin es gewohnt, allein zu schlafen.«
Einen Augenblick lang schaute Juli ihn grübelnd an, dann lächelte er. »Normalerweise schickst du deine Lover also nach dem Sex nach Hause.«
»Ich nehme selten jemanden mit hierher«, erwiderte Lars offen. »Und ja, wenn ich es tue, dann gehen sie nach dem Sex. Es ist Ewigkeiten her, dass einer über Nacht geblieben ist.«
»Dann sollte ich mich wohl geehrt fühlen«, scherzte Juli leise.
»Solltest du, ja.« Lars lächelte, dann wurde er ernst. »Du bist wirklich etwas Besonderes für mich.« Shit! Vielleicht sollte er erst einmal an die Tür klopfen, statt direkt damit ins Haus zu fallen!
Aber Juli schien damit kein Problem zu haben. Während er sich enger an Lars schmiegte, lächelte er ihm über die Schulter zu. »Du für mich auch, und ich bin froh, dass du deine Meinung offenbar nicht geändert hast.«
Lars wusste sofort, worauf der Andere hinaus wollte. »Du meinst von wegen schneller Fick und dann tschüss? Nein, es hat sich nichts geändert.«
»Gut«, flüsterte Juli, drehte den Kopf noch weiter zu ihm um und gab ihm einen kurzen Kuss. Gleichzeitig drückte er seinen Hintern an das Becken von Lars.
Der stöhnte leise auf. Seine Morgenlatte schmiegte sich genau zwischen die festen Pobacken. »Führe mich nicht in Versuchung.«
»Tue ich das?«, grinste Juli ihn vergnügt an.
»Als ob du das nicht ganz genau wüsstest«, murmelte Lars und holte sich noch einen Kuss. Dann löste er sich von seinem Freund. »Vorschlag: Zähneputzen und zusammen duschen. Dabei können wir was dagegen unternehmen.« Mit einer sanften Berührung strich er über Julis empfindlichste Stelle. Er war genauso hart wie Lars.
»Gute Idee«, brachte Juli hervor und seufzte.
Lars löste sich von ihm und stand auf. »Dann komm mit.«
Eine halbe Stunde später saßen sie nebeneinander in der kleinen Küche. Lars bekam das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Sie hatten sich unter der Dusche gegenseitig verwöhnt, und es war wirklich schön gewesen, obwohl sie nur gefummelt hatten.
Er kam sich fast vor wie ein Teenager. Wann immer sich ihre Hände beim Frühstücken flüchtig streiften, durchlief ihn ein warmer Schauer. Das war völlig verrückt. Und aufregend. Dieses Kribbeln in seinem Bauch wurde immer stärker, und es hatte nichts mit der Erwartung auf Sex zu tun. Nur damit, dass Juli hier bei ihm war, dicht neben ihm, und ebenfalls ständig lächelte. Schmetterlinge im Bauch. Jetzt wusste er, was damit gemeint war.
Er warf Juli einen Blick zu und musste grinsen. »Schade.«
Juli schaute ihn an, trank einen Schluck Kaffee und zog fragend die Braue hoch. »Was ist schade?«
»Dass du keine Marmelade am Mund kleben hast. Die könnte ich dann beseitigen.«
Juli lachte leise. »Brauchst du einen Grund, um mich zu küssen?«
»Keine Ahnung. Brauche ich einen?«
»Meinetwegen nicht. Aber ...« Juli stippte kurz die Fingerspitze auf sein Marmeladenbrötchen und dann gegen seine Unterlippe. Ein winzig kleiner Klecks Marmelade blieb daran hängen. »Falls doch, hast du jetzt einen.«
Das ließ Lars sich nicht zweimal sagen. Er legte die Hand in Julis Nacken und zog ihn sanft an sich. Flink ließ er die Zungenspitze über die Unterlippe gleiten. »Du schmeckst nach Himbeere.«
Der Kuss war ebenso leidenschaftlich wie zärtlich. Diese unvergleichliche Mischung, die noch keiner von ihnen zuvor erlebt hatte. Als sie sich voneinander lösten, atmete Lars tief durch.
»Du bringst mich völlig durcheinander.«
Juli lehnt die Stirn gegen seine. »Du mich auch. Ich steh irgendwie total neben mir.«
Lars seufzte. »Ja, das beschreibt es ziemlich genau. Ich hab keine Ahnung, worauf das mit uns hinausläuft, aber es ist völlig anders als sonst.« Sanft löste er sich von Juli. »Ich will dich wirklich besser kennenlernen. Aber wenn wir hier zusammen in der Wohnung sind, kann ich bald für nichts mehr garantieren.«
***
Juli wandte den Kopf ab, er wollte nicht, dass Lars mitbekam, wie sehr ihn dieser Rauswurf traf. »Ich trinke noch meinen Kaffee aus, bevor ich gehe, wenn das okay ist. Ich sollte mir schon mal ein Taxi bestellen, mein Auto haben ja Chris und Andy.«
»Ich kann dich fahren«, erwiderte Lars leicht verwirrt. »Aber können wir das Auto nicht später abholen?«
Überrascht schaute Juli ihn an. »Später? Ich dachte, ich soll verschwinden?«
»Wie kommst du denn – Shit. Alles klar. Weil ich gesagt habe, dass wir besser nicht zusammen hier in der Wohnung bleiben sollten? So war das nicht gemeint.«
»Wie dann?«
»Na ja, es ist zwar kalt draußen, aber trocken und sonnig. Wir könnten was zusammen unternehmen. Ich würde gerne den ganzen Tag mit dir verbringen.«
Ein ganzer Steinbruch löste sich von Julis Herz, so erleichtert war er. Hastig wandte er den Blick ab, Lars musste das ja nicht unbedingt mitbekommen. Lars wollte ihn nicht loswerden. Aber über seine eigene Reaktion sollte er sich vielleicht mal Gedanken machen. Dieser Kerl warf ihn total aus der Bahn. Wie konnte es sein, dass er nach nicht einmal 24 Stunden regelrecht abhängig von ihm war? Das war ihm noch nie passiert, nicht mal mit seinem Ex, und in den war er … verliebt gewesen.
Nein. Er konnte unmöglich innerhalb so kurzer Zeit solche Gefühle für Lars entwickelt haben. Oder? Blödsinn. An Liebe auf den ersten Blick hatte er noch nie geglaubt. Aber als sich ihre Blicke trafen, schlug ihm das Herz bis zum Hals, alles kribbelte, und … Okay, vielleicht hatte er sich ja doch verliebt.
»Was ist? Unternehmen wir etwas?« Lars wirkte bei dieser Frage seltsam unsicher. So als ob ihm wirklich viel daran liegen würde.
»Ja«, erwiderte Juli mit einem Lächeln. »Sehr gerne. An was hast du denn gedacht?«
Lars grinste. »Draußen liegt immer noch eine Menge Schnee. Wie wäre es mit einem Spaziergang und vielleicht einer gepflegten Schneeballschlacht?«
Erstaunt starrte Juli ihn an, dann lachte er. »Du willst wirklich eine Schneeballschlacht mit mir machen?«
»Warum denn nicht?« Lars grinste breit.
»OK, ich bin dabei. Aber dann müssen wir noch kurz bei mir vorbei. Dafür bin ich nicht richtig angezogen. Wir könnten dann auch gleich das Auto abholen.«
»Lass uns das lieber heute Abend machen, okay? Nichts gegen deine Freunde, sie sind sehr nett, aber ich will da nicht hängen bleiben. Der Tag wird ohnehin zu schnell vorbeigehen. Wenn es heute Abend dunkel ist, können wir dein Auto doch immer noch holen.«
Diesem Argument konnte sich Juli nicht verschließen. Ob er nun ohne oder mit Lars bei seinen Freunden auftauchte: Sie würden ihn ganz sicher mit Fragen löchern. Dazu war der Tag wirklich zu schade, und im Moment wusste er auch nicht, was er ihnen sagen sollte. Vielleicht war er in einigen Stunden etwas schlauer, was ihn und Lars betraf. Er war sich ja nicht einmal darüber im Klaren, was er wirklich fühlte. War das nur eine Schwärmerei, oder war da tatsächlich mehr? In den nächsten Stunden könnte er das eventuell herausfinden.
Sie frühstückten in Ruhe zu Ende, räumten noch schnell die Küche auf und machten sich auf den Weg. Als Lars 15 Minuten später vor dem schmucklosen dreistöckigen Haus hielt, war Juli etwas verlegen. Mit dem gepflegten Einfamilienhaus, in dem Lars wohnte, konnte der alte Kasten nicht mithalten.
»Die Wohnungen sind viel besser, als es von außen den Anschein hat«, erklärte er.
»Ich gebe nicht viel auf solche Äußerlichkeiten«, erwiderte Lars leise, streckte die Hand aus und strich Juli ganz kurz über die Wange.
Der saß wie festgenagelt da. Eine solche Geste hatte er nicht erwartet. Es fühlte sich ungewohnt an, intim. Aber auch sehr schön, und richtig. Mühsam schluckte er, dennoch klang seine Stimme rau, als er Lars fragte, ob der mit rauf kommen wollte.
»Besser nicht. Du und ich in der Nähe eines Bettes, das ist im Moment keine gute Idee.«
Juli nickte. Das war es wahrscheinlich wirklich nicht. Zumindest nicht, wenn sie etwas die Distanz wahren wollten. »Ich beeile mich.« Er löste den Gurt und stieg aus.
***
Lars seufzte, als er seinem Freund nachsah. Seinem Freund? Ja, so sah er ihn mittlerweile. Nicht irgendein Freund, sondern seiner. Mann, er hatte keine Ahnung, wo das hinführen sollte. Wie konnte man sich innerhalb weniger Stunden so Hals über Kopf verlieben? Und er hatte absolut keine Ahnung, wie Juli dazu stand. Das musste er erst noch herausfinden. Es fiel ihm wirklich schwer, die Finger von Juli zu lassen, aber es war besser so, zumindest für den Moment.
Die Worte seines besten Freundes kamen ihm in den Sinn. Erst vor kurzem hatten sie sich darüber unterhalten, wie anders Nils den Sex mittlerweile sah. Früher hatte er nichts anbrennen lassen. Durch die Beziehung mit Alex hatte sich seine Sichtweise völlig geändert. Du stehst mittlerweile auf Sex mit Gefühlen, ich mag es unverbindlich,
hatte Lars zu ihm gesagt.
Bis du irgendwann auch den richtigen Mann triffst
, war die Antwort gewesen. Genau das war wohl passiert. Zumindest fühlte es sich so an. Aber das war doch völlig verrückt, er kannte Juli ja noch nicht einmal 24 Stunden. Das war unvernünftig.
Aber seine Gefühle scherten sich offenbar nicht um Vernunft. Als Juli nur wenige Minuten später aus dem Haus kam, wurde ihm das deutlich klar. Ein alter Song kam ihm in den Sinn. Seit Jahren hatte er nicht mehr daran gedacht, aber seltsamerweise fiel ihm der Wortlaut in diesem Moment wieder ein.
Dieses Kribbeln im Bauch, das man nie mehr vergisst, als ob da im Magen der Teufel los ist. Dieses Kribbeln im Bauch, kennst du doch auch, wenn man glaubt fast überzuschäumen vor Glück.
So ähnlich jedenfalls, aber der genaue Text spielte auch keine Rolle. Genau dieses Gefühl hatte er in diesem Moment, als Juli in den Wagen stieg und ihn anlächelte. Er konnte gar nicht anders, als das Lächeln zu erwidern. Lars startete den Motor und konzentrierte sich auf die Straße. Sie hatten sich schon auf der Fahrt zu Julis Wohnung darauf geeignet, zu einem ruhigen Naherholungsgebiet zu fahren, das nur 10 Kilometer entfernt war.
Auf dem Parkplatz standen lediglich zwei andere Autos. Erstaunlich, wenn man bedachte, wie schön das Wetter war. Es war zwar sehr kalt, aber der Himmel war strahlend blau und die Sonne schien. Das perfekte Wetter, um einen Spaziergang um den kleinen See zu machen. Als sie den Rundweg betraten, ergriff Lars die Hand von Juli. Sie trugen zwar beide warme Handschuhe, aber er konnte den sanften Druck von dessen Fingern trotzdem spüren.
»He, den Song kenne ich doch«, meinte Juli, als sie eine Weile schweigend nebeneinander her gegangen waren.
»Welchen Song?«
»Das Lied, das du die ganze Zeit schon summst. Ist das nicht von Pe Werner? Kribbeln im Bauch
?«
Erwischt! Das war ihm selbst gar nicht bewusst gewesen. Lars spürte förmlich, wie ihm das Blut in die Wangen schoss. Mit etwas Glück konnte er das auf die kalte Luft schieben. Nein, offenbar nicht, denn Juli blieb einfach stehen und zog ihn an der Hand zu sich herum.
»Hey.« Das war ganz leise.
Lars holte tief Luft und schaute Juli an. Gestern Abend war er ihm größer erschienen, aber so viel Unterschied war da gar nicht zwischen ihnen. Höchstens 10 cm, eher weniger. Er musste jedenfalls kaum den Kopf heben, um direkt in Julis braune Augen zu sehen. Was er dort sah, ließ sein Herz schneller schlagen.
»Weißt du, so geht es mir gerade«, gab Juli leise zu. »Dieses Kribbeln im Bauch, meine ich. Und ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll.«
»Dann geht es uns beiden so.« Lars holte tief Luft. »Ich glaube, ich bin auf dem besten Weg, mich in dich zu verlieben.«