Kapitel 5
Erleichterung, Glücksgefühle, Wärme. Alles gleichzeitig und Juli konnte nicht verhindern, dass er wie ein Honigkuchenpferd strahlte. Es war ein Sprung ins kalte Wasser gewesen, aber Lars hatte ihn nicht allein springen lassen. Und siehe da, das Wasser war gar nicht kalt.
Er zog Lars näher an sich, schlang die Arme um ihn und rieb kurz seine Nase an der seines Freundes. »Ich mich auch in dich.«
Der unsichere Ausdruck verschwand aus dem schmalen Gesicht von Lars und machte einem Lächeln Platz. Es ging Juli durch und durch, und er konnte gar nicht anders, als den Kerl zu küssen. Als sie sich nach einem langen, zärtlichen Kuss voneinander lösten, legte Juli die Stirn an die des anderen Mannes. Keiner sagte etwas, Worte waren in diesem Moment auch gar nicht nötig.
Immer noch schweigend machten sie sich wieder auf den Weg um den kleinen See. Diesmal hatte Juli den Arm um die Schultern von Lars geschlungen, und der hatte seinen um die Taille des Freundes gelegt. Anfangs schweigend spazierten sie langsam den Weg entlang.
»Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich mal so schnell verlieben würde«, sprach Juli seinen Gedanken schließlich aus.
»Ich auch nicht. An einer Beziehung war ich bisher nie ernsthaft interessiert. Genau genommen hatte ich auch noch nie eine. Klar, ich war ein paar Mal verknallt, aber das war nie etwas Ernstes.«
»Ist es das jetzt für dich?« Juli konnte es noch immer nicht so recht glauben, er musste es einfach hören. Ihre Blicke trafen sich. Es war völlig verrückt, weil er Lars ja kaum kannte, aber dennoch konnte er die Antwort in dessen Augen erkennen, noch bevor er sie aussprach.
»Ja. Einerseits macht mir das Angst, aber andererseits fühlt es sich unglaublich gut an. Richtig. Weißt du, als Nils damals mit Alex zusammenkam, da habe ich oft darüber nachgedacht, ob eine feste Beziehung für mich nicht auch das Richtige wäre.«
»Aber?« Juli hatte ein wenig Angst vor der Antwort. Nur weil Lars offenbar genauso fühlte wie er selbst, hieß das noch lange nicht, dass er auch wirklich zu einer Beziehung bereit war.
»Es hat sich nicht ergeben, und als Alex dann den tödlichen Unfall hatte, da … Mann, Nils ging es so beschissen. Er hat darunter wirklich sehr gelitten. Damals war ich froh, dass ich niemanden hatte. So was möchte ich nicht durchmachen müssen.«
Juli hatte einen Kloß im Hals, als er an Jan und Mike dachte. »Ich weiß, was du meinst. Jan ist fast daran zugrunde gegangen, als Mike starb. Er hat eine verdammt harte Zeit hinter sich. Deshalb hoffe ich sehr, dass er und Nils vielleicht … Nun ja, ich hoffe, dass es zwischen den beiden klappt.«
»Ich auch«, stimmte Lars leise zu.
Eine ganze Weile liefen sie wieder schweigend nebeneinander her, bis Juli den Gesprächsfaden wieder aufnahm. »Wie denkst du jetzt darüber? Über eine Beziehung, meine ich.«
Der Griff um seine Taille wurde etwas fester. »Ich denke … Mit dir ist es mir das Risiko wert. Ja, es macht mir Angst, aber ich möchte es gerne versuchen.«
Juli zog seinen Freund näher und blieb dann stehen. »Ich auch«, flüsterte er und küsste Lars. »So sehr. Aber eines solltest du von vorneherein wissen: Ich bin nicht der Typ für eine offene Beziehung. Daran ist meine bisher einzige Beziehung gescheitert. Dirk konnte die Finger nicht von anderen Typen lassen. Das ist nichts für mich. Kommst du damit klar?«
***
Lars knirschte mit den Zähnen bei dem Gedanken, dass ein anderer Kerl Juli anfasste. Wow, wo kam das denn her? Noch nie im Leben war er eifersüchtig gewesen, aber genau das war es. Eifersucht. Er holte tief Luft.
»Erstens: Dein Ex ist ein Idiot, aber ich bin ihm auch irgendwie dankbar dafür, sonst wären wir beide jetzt wahrscheinlich nicht hier. Zweitens: Ich komme mehr als gut damit klar, ich will es sogar so. Nur du und ich. Keine anderen Kerle.«
Juli gab sich keine Mühe, seine Erleichterung zu verbergen, und das gefiel Lars. Noch besser gefiel ihm das Lächeln, das sein Freund ihm zuwarf, während er nickte. »Einverstanden. Nur du und ich, exklusiv.«
»In Ordnung. Lass es uns versuchen und sehen, wohin uns das führt.« Lars erwiderte das Lächeln, legte die Hand in den Nacken seines Freundes und zog ihn an sich. Eng umschlungen standen sie da und küssten sich immer wieder. Ihm wurde verdammt warm bei diesen Küssen, aber er genoss das Gefühl, das er tief in sich hatte. Es war ungewohnt, aber sehr schön.
Als sie sich schließlich voneinander lösten, waren sie beide etwas außer Atem. Mit einem Lächeln fasste Lars nach Julis Hand und zog ihn mit sich. Niemand begegnete ihnen auf dem Weg um den kleinen See. Das war wahrscheinlich auch gut so. Die Leute hätten bestimmt den Kopf geschüttelt über die kleine Balgerei im Schnee, die sie sich unterwegs lieferten.
Lars hatte seine Hand aus der seines Freundes gelöst und sich blitzschnell gebückt. Er schleuderte eine Handvoll losen Schnee in Julis Richtung, den diese Aktion völlig überraschte. Doch dann nahm er sich eine Handvoll Schnee und kam lachend auf Lars zu, der einige Schritte zurückgewichen war. »Na warte!«
Hastig drehte sich Lars um und flüchtete. Doch Juli holte ihn schnell ein, bekam den Stoff seiner Jacke zu fassen und zog ihn mit einem Ruck zu sich. Lachend landeten sie beide auf dem Boden und balgten sich vergnügt im Schnee. Schließlich saß Juli über ihm auf seinen Hüften.
Lars zog ihn zu einem Kuss zu sich herunter. Im Moment wünschte er sich ein weiches Bett, um Juli noch näher zu sein. Sein Herz schlug bei dem Gedanken wie verrückt. Sie beide, Haut an Haut. Dabei ging es ihm noch nicht einmal darum, mit Juli zu schlafen. Irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft würde genau das passieren, das wussten sie beide. Aber diese Nähe zwischen ihnen war ihm viel wichtiger.
»Wir sollten uns langsam auf den Weg machen«, flüsterte er mit Bedauern, als sie sich wieder voneinander lösten.
»Ja, das sollten wir wohl. Trockene, warme Klamotten wären jetzt sicher kein Fehler.«
Sie brauchten fast eine halbe Stunde bis zum Wagen, und inzwischen froren sie beide. Sobald sie im Auto saßen, fuhr Lars los und drehte die Heizung voll auf. Als er schließlich vor Julis Haus stoppte, stellte er den Motor ab und zog den Schlüssel ab. »Deine Hosen werden mir wahrscheinlich zu lang sein, aber ich wäre trotzdem dankbar, wenn du mir eine leihen könntest. Meine Jeans ist vorhin am Hintern ziemlich feucht geworden, als wir zusammen den Schnee weggeschmolzen haben. Das fühlt sich nicht gerade angenehm an.«
Juli lachte. »Den Schnee weggeschmolzen? So kann man es auch ausdrücken. Klar bekommst du trockene Sachen, du sollst schließlich nicht krank werden. Lass uns schnell nach oben gehen.«
Lars bekam keine Gelegenheit, sich gründlich umzusehen. Kaum hatten sie die Wohnung betreten, öffnete Juli eine Tür und schob ihn in ein kleines, aber modernes Bad, in dem es angenehm warm war.
»Wenn du magst, geh duschen, dann wird dir schnell wieder warm. Ich mache in der Zwischenzeit Kaffee und bringe dir trockene Klamotten. Da drüben im Regal sind saubere Handtücher.«
Gleich darauf hatte Juli die Tür geschlossen und Lars war allein. Eine heiße Dusche war eine gute Idee, aber er hätte sie gerne zusammen mit Juli genommen. Andererseits war es wahrscheinlich gut, dass sie das nicht taten. Denn er war immer noch fest entschlossen, das Ganze nicht zu überstürzen. Das mit Juli war etwas wirklich Besonderes. Über kurz oder lang würden sie miteinander ins Bett gehen, aber das musste nicht an diesem Tag sein. Sie hatten Zeit, und das fühlte sich gut an.
***
Im Schlafzimmer zog Juli sich fröstelnd trockene Sachen an und griff nach einer Jeans und einem Pulli für Lars. Als er das Wasser im Bad rauschen hörte, holte er tief Luft. Er stellte sich seinen Freund nackt unter der Dusche vor und ihm wurde heiß dabei. Auch eine Art, sich wieder aufzuwärmen. Sehr gern wäre er zusammen mit dem anderen Mann duschen gegangen, aber wo das wahrscheinlich geendet hätte, wusste er. Seltsam, irgendwie war es ihm wirklich wichtig, Lars zuerst besser kennenzulernen.
Lächelnd öffnete er die Badezimmertür und konnte sich einen Blick nicht verkneifen. Leider war die Abtrennung der Duschkabine aus Milchglas, daher konnte er nicht viel erkennen. »Hier sind die trockenen Sachen. Ich mache uns schnell Kaffee.«
Beim Klang seiner Stimme hielt Lars kurz in seinen Bewegungen inne. »Ich beeile mich.«
»Schon okay, lass dir Zeit. Ich bin in der Küche, den Flur runter rechts.«
Leise verließ Juli das Bad und ging in die Küche. Nachdem er den Kaffee aufgesetzt hatte, holte er Tassen aus dem Schrank. Kurz darauf kam Lars in die Küche und Juli musste grinsen. Sein Freund war zwar nicht so viel kleiner als er, aber die Hose war trotzdem ein ganzes Stück zu lang, und auch etwas zu weit. Der Pulli passte besser.
»Hast du zufällig auch Socken für mich? Ich war wirklich nass bis auf die Haut.«
»Ja, klar, ich hole dir welche.« Juli zog die Augenbrauen hoch. »An Unterwäsche habe ich nicht gedacht. Brauchst du auch eine Pants?«
»Nur, wenn es dich stört, dass ich im Moment keine anhabe«, grinste Lars.
Juli seufzte. »Stören? Nein. Aber zu wissen, dass du nichts drunter hast, macht mich ziemlich wuschig.«
Lars kam zu ihm und legte die Arme um ihn. »Der Gedanke gefällt mir gut.«
»Dachte ich mir.« Juli erwiderte das Lächeln, gab ihm einen kurzen Kuss und schob ihn dann sanft von sich. »Ich hole dir Socken. Und dann sollten wir überlegen, was wir wegen des Essens machen. Mir knurrt ganz schön der Magen. Sollen wir was kochen?«
»Ich habe auch Hunger. - Du kannst kochen? Ich bin da völlig talentfrei.«
»Es hat sich noch keiner über mein Essen beschwert. Ich kann es dir beibringen, wenn du willst, und heute Abend leistest du mir einfach Gesellschaft, während ich koche. Aber jetzt hole ich dir erst einmal Socken.«
Als Juli in die Küche zurückkam, reichte er seinem Freund warme schwarze Strümpfe und sah dann zur Uhr. »Vielleicht sollten wir zuerst noch mein Auto holen. Große Lust habe ich nicht, aber die habe ich später noch weniger.«
»Ich könnte dich morgen früh hinfahren, ich habe frei. Ehrlich gesagt habe ich auch keine Lust, heute noch durch die Gegend zu fahren. Wir könnten uns einfach einen gemütlichen Abend machen.«
»Bleibst du dann heute Nacht hier?«, fragte Juli rau.
»Wenn du mich lässt.«
»Hätte ich sonst gefragt?« Lächelnd zog er Lars an sich und küsste ihn. Als sie sich nach einer Weile voneinander lösten, seufzte Juli leise. »Ich kann mir morgen auch frei nehmen. Im Moment ist nicht viel zu tun, und ich habe noch jede Menge Überstunden. Wir könnten ausschlafen.«
»Das wäre toll, aber motzt dein Boss nicht, wenn du erst am späten Vormittag Bescheid sagst?«
»Das mache ich nachher, bevor ich Chris und Andy anrufe.« Juli drehte sich zur Kaffeemaschine um, die inzwischen fertig war und goss beide Becher voll. »Brauchst du Zucker oder Milch?«
»Nein, ich trinke ihn schwarz.«
Mit dem Kaffee setzten sie sich an den Tisch und Juli griff nach dem schnurlosen Telefon. Das Gespräch mit seinem Boss verlief kurz und schmerzlos. Sein Vorgesetzter hatte nichts dagegen, wenn er sich am nächsten Tag frei nahm. Juli trennte die Verbindung und rief bei seinen Freunden an. Als er Andy mitteilte, dass er Besuch hatte und das Auto erst am nächsten Tag abholen würde, versuchte der, aus ihm heraus zu bekommen, was los war, aber Juli hatte keine Lust, lange Erklärungen abzugeben. »Morgen, okay?«, wimmelte er Andy ab. Der lachte unbekümmert. »Alles klar. Besuch, ja? Ich vermute mal Lars. Dann noch einen schönen Abend mit dem Süßen.«
***
Lächelnd beobachtete Lars, wie seinem Freund während des Telefonats mit Andy verlegene Röte ins Gesicht stieg. Das war wohl der Fluch der Rothaarigen. Wirklich süß. Nachdem Juli auch dieses Telefonat beendet hatte, griff Lars nach seiner Hand. »Wir können auch etwas zu Essen bestellen, wenn du nicht kochen willst.«
Juli grinste ihn an. »Angst, dass ich dich vergifte?«
»Nein, überhaupt nicht«, erwiderte Lars amüsiert. »Ich dachte nur, du musst dir nicht die ganze Arbeit machen.«
»Das ist schon okay, ich koche gerne, und ich werde mir wirklich Mühe geben, damit es schmeckt. Kannst du wenigstens Salat putzen?«
»Ich glaube, das bekomme ich hin.«
Wenig später standen sie nebeneinander an der Arbeitsfläche. In einem Topf köchelte Reis und Lars putzte den Salat, während Juli schnell und geschickt Fleisch in Streifen schnitt. Kochen hatte Lars nie interessiert, aber mit Juli zusammen könnte ihm das wirklich Spaß machen. Er schaute zu, wie sein Freund das Fleisch in einer Pfanne scharf anbriet und mit verschiedenen Zutaten schließlich eine lecker duftende Mahlzeit entstand.
»Wow, das ging aber schnell. So lange hätte der Heimservice auch gebraucht«, meinte Lars erstaunt, als sie sich an den Tisch setzen. Er nahm sich Reis und gab Geschnetzeltes darüber. »Und es schmeckt toll«, lobte er gleich darauf begeistert.
»Danke, das freut mich«, erwiderte Juli und dann war es still am Tisch, bis sie beide satt und zufrieden die Teller von sich schoben.
Lars trank einen Schluck Kaffee und schaute Juli neugierig an. »Wo hast du so gut kochen gelernt?«
»Meine Mutter hat darauf bestanden, dass wir alle kochen lernen, und ich bin ihr wirklich dankbar dafür.«
»Ihr alle?«
»Wir sind vier Geschwister, alles Jungs. Meine Mutter wollte unbedingt ein Mädchen, aber nach mir haben sie es dann aufgegeben. Ich bin der Jüngste«, erwiderte Juli lächelnd. »Wir sind ein großer, verrückter Haufen. Meine Brüder sind alle verheiratet und haben Kinder. Da geht es auf Familienfesten immer hoch her.«
Lars lächelte zurück, aber innerlich versetzte es ihm einen Stich. »Hört sich an, als ob ihr gut miteinander auskommt.«
Juli nickte, schaute ihn aber nachdenklich an. »Ja, das tun wir. Du mit deinen Leuten nicht?«
Seufzend schüttelte Lars den Kopf. »Nein, wir verstehen uns nicht besonders gut. Sie kommen mit meiner sexuellen Orientierung nicht klar, weder meine Eltern noch meine einzige Schwester. Wir reden zwar miteinander, aber im besten Fall wird ignoriert, dass ich schwul bin. Ich sollte langsam mal wieder normal werden, findet meine Familie. Das musste ich mir schon oft anhören.«
»Autsch.«
»Das kannst du laut sagen. Die Einstellung meiner Familie ist mit ein Grund, warum ich hier in der Provinz gelandet bin, obwohl ich damals davon ausgegangen bin, dass es hier noch schlimmer ist als in Düsseldorf. Ist es aber zum Glück nicht. Erstaunlich, wie liberal die meisten Leute sind. Mir gefällt es hier wirklich gut.«
»Das mit deiner Familie tut mir echt leid. Aus Düsseldorf kommst du also? Ich konnte deinen Akzent nicht so recht einordnen. Wie bist du denn hier in der Saarpfalz gelandet?«
»Meinen
Akzent? Na hör mal. In der ersten Zeit hier dachte ich manchmal, ich bin in China, so ungewohnt ist euer Plattdeutsch«, gab Lars lachend zurück. »Ich bin durch Nils hier gelandet. Sein Mann hat in Düsseldorf studiert, aber für Alex stand immer fest, dass er wieder hierher zurück will, wenn er seinen Abschluss hat. Nils ist mit ihm umgezogen und hat die Agentur eröffnet. Am Anfang hat er nebenbei gejobbt, weil es nicht sehr gut lief. Nach einem ziemlich heftigen Streit mit meinen Eltern hab ich Alex und Nils besucht, und bin dann hier hängen geblieben. Ich bin in die Agentur mit eingestiegen, aber es hat eine ganze Weile gedauert, bis das Geschäft gut lief. Bereut habe ich den Entschluss niemals.«
»Ich bin froh darüber, sonst würden wir jetzt nicht hier sitzen.«
Dem konnte Lars nur zustimmen. Es gab so viele Wenn und Aber im Leben. Seltsam, welche Windungen das Schicksal manchmal nahm. Es tat ihm immer noch sehr leid um Alex, aber wenn er noch leben würde, dann hätte er Juli vielleicht nie kennengelernt. Es war irgendwie furchtbar, in Alex' Tod etwas Gutes zu sehen. Nein, so stimmte das nicht. Daran war nichts gut, aber letztendlich schien doch noch etwas Positives daraus zu entstehen.