KAPITEL NEUNZEHN

»Wir haben nicht mehr viel Wasser.« Gunther schüttelte seinen Wassersack, in dem es kaum noch schwappte.

Marty nickte. Der Hinweis wäre nicht nötig gewesen. Er hatte sein letztes Wasser Munatas überlassen.

Mittlerweile lutschte er selbst an einem kleinen Kieselstein. Ein weiterer von Lowannas Tricks, um die Speicheldrüsen anzuregen, und er funktionierte. Sein Mund fühlte sich tatsächlich nicht so ausgedörrt an. Außerdem bemühte er sich, nur durch die Nase zu atmen, vor allem aus. Lowanna hatte ihm erklärt, dass die Nasenhaare beim Ausatmen wie ein natürlicher Filter wirkten, der Wasser zurückhielt. Angeblich verhalf es auch zu einer erhabeneren Haltung des Kopfs, doch das interessierte Marty weniger. Er sprach wenig, hielt überwiegend den Mund geschlossen. Mary stellte sich vor, er wäre ein alter Shaolin-Mönch, der nicht nur durch die Haut atmen, sondern der Luft auch Feuchtigkeit entziehen konnte. Auf psychologischer Ebene half es vielleicht. Zumindest lenkte es ihn ab.

Aber nichts davon konnte die Müdigkeit und Benommenheit eindämmen, die auftraten, als sich der Wassermangel bemerkbar machte. Seine Haut fühlte sich wie erhitztes Papier an, und allmählich glaubte er, die Fähigkeit zu schwitzen zu verlieren. Was kein gutes Zeichen sein konnte.

Noch 23 Tage.

Aber 23 Tage bis was?

Während sie durch den anbrechenden Sommer nach Osten wanderten, wurde der Boden langsam trockener. Die Umgebung bestand immer noch aus Grasland, nicht aus der Dünenlandschaft, zu der sie viel später werden würde, wenn die Sahara sie verschluckte, aber das Gras wurde welk, brüchig und gelb. Fließendes Wasser hatten sie zuletzt vor Tagen überquert, die unterwegs gesammelten Melonen und sonstigen Früchte waren aufgegessen.

Marty marschierte an der Spitze der Hauptgruppe. Lowanna und Badis bildeten die Nachhut, Surjan und Kareem gingen voraus und kundschafteten den Weg aus. Gunther öffnete den Verschluss des Wasserschlauchs, offenbar verlockt vom leisen Plätschern der Flüssigkeit darin. Dann jedoch überlegte er es sich anders und versiegelte ihn wieder. Surjan kam zurückmarschiert.

»Wasser«, sagte er. Dabei zeigte er zum nördlichen Horizont, wo Marty einen etwas dunkleren, gelbbraunen Fleck vor einem helleren gelbbraunen Hintergrund ausmachte.

»Wir können nicht wissen, ob das Wasser ist«, sagte Marty. »Könnte auch nur Gestein anderer Farbe sein.«

»Oder Gras«, meinte Gunther.

»Ich kann das Wasser riechen.« Surjan stöhnte. »So deutlich. Ihr nicht?«

Marty schüttelte den Kopf. »Aber ich weiß, dass deine Nase besser ist als meine. Wie weit ist es entfernt?«

Surjan schaute hin und überlegte. »Ungefähr drei Kilometer. Ein Umweg, aber wir müssen ihn einschlagen.«

Marty schaute zurück zur Gruppe. Es hätte seiner Natur entsprochen, in der Gruppe darüber zu diskutieren. Aber zwei der jüngeren Speerkämpfer waren krebsrot, und Gunthers rissige Lippen bluteten. Sie brauchten Wasser, und zwar sofort.

Er nickte Surjan zu.

Der große Sikh und Kareem scherten vom Weg aus und führten sie nach Norden. Die Prärie wirkte flach, was sich jedoch als Illusion entpuppte, weil das gelbe Gras in allen Richtungen gleich aussah. Bald ertappte sich Marty dabei, die Schritte zu beschleunigen, um zu den beiden Kundschaftern aufzuschließen. Sie drohten nämlich, in einem regelrechten Labyrinth zu verschwinden, das mit leichten Vertiefungen im Gelände begann, aus denen breite Gräben und schließlich regelrechte Schluchten wurden. Aber Surjan und Kareem hatten mittlerweile viele Tage Übung darin, die Gruppe anzuführen. Marty ließ sie gern wegen der erstaunlichen Sehkraft des jüngeren Mannes und Surjans Geruchssinns vorausgehen, ganz zu schweigen von der Kampfkraft des großen Sikhs. Die beiden hinterließen eine deutliche Spur aus kleinen Steinhaufen, der man leicht folgen konnte.

Einer der Männer aus Ahuskai zupfte an Martys Ellbogen. Er hieß Udad. Jung, strahlende Augen, lange, leicht gebogene Nase. »Ich bin hier schon gewesen, Seher.«

»Und gibt es hier Wasser?«, fragte Marty.

»Es gibt hier eine Höhle«, erwiderte Udad. »Darin werden Kranke geheilt. Man hat mich als Kind hergebracht, weil ich lahm war. Ich wurde in die Höhle gesteckt und musste dort übernachten. Die Kraft der Höhle hat meine Beine gerichtet, und ich konnte wieder laufen.«

»Und Wasser?«, bohrte Marty nach. Heilende Höhlen klangen schön und gut an, aber wenn die Gruppe drei Kilometer vom Weg abwich und kein Wasser fand, würden es vielleicht nicht alle zurück schaffen.

»Ich glaube schon.«

Als Marty die Kundschafter eine halbe Stunde später endlich einholte, standen sie an einem Teich.

Das Gewässer erstreckte sich blau und kristallklar vor ihnen. Marty konnte sogar den weichen Sand auf dem Grund erkennen. Ein paar Schritte davon entfernt sprudelte Wasser aus dem Boden und floss hinein. Der Tümpel lag am Fuß eines dunkelorangefarbenen Felshangs, dessen Farbe sie aus der Ferne gesehen hatten. Ein dichter, verworrener grüner Hain umgab das Wasser. Marty erblickte darin Datteln und Feigen. Das Rascheln im Geäst ließ zudem auf Tiere schließen.

Surjan und Kareem standen neben der Quelle und starrten zum Felshang.

»Wie ist das Wasser?«, fragte Marty.

»Süß«, antwortete Surjan. »Es kommt direkt aus der Erde, ist von ihr gefiltert und muss nicht abgekocht werden.«

Marty drängte Udad, zuerst zu trinken. Erst danach legte er sich selbst auf den Bauch, um den eigenen Durst zu stillen. »Was siehst du dir an?«, fragte er Kareem.

Der junge Mann wies auf die Stelle. Marty sah, dass eine bröcklige Felsformation von einer Ecke des Teichs die Felswand hinauf verlief. In einer Höhe von etwa 15 Metern direkt über dem kleinen Gewässer bildete das Gestein einen leichten Überhang. Darunter prangte ein Riss in der Felswand.

Marty stieß einen überraschten Pfiff aus.

Es handelte sich nicht um einen schlichten Einschnitt im Gestein, sondern eindeutig um die Form eines Anch.

»Also siehst du es«, sagte Kareem. »Was bedeutet das?«

»Na ja«, begann Marty zögerlich. »Könnte entweder eine Laune der Natur oder von Bedeutung sein.« Während er auf die Form starrte, die unbestreitbar einem Anch ähnelte, spürte er, wie ihm ein kalter Schauder über den lief. Schwer vorstellbar, dass so etwas zufällig entstanden sein könnte.

Kareem sah ihn erwartungsvoll an. Marty grinste.

»Hat es eine Bedeutung?« Marty zuckte mit den Schultern. »Gute Frage, nur würde ich sie noch nicht stellen. Wir müssen erst mehr Daten erheben. Davor sollte man nichts beurteilen. So bewahrt man sich als Wissenschaftler die Objektivität. Man muss immer offen bleiben, sowohl für die Möglichkeit, dass sich kein Sinn dahinter verbirgt, als auch für die, dass doch ein tieferer Sinn dahintersteckt.«

Surjan lachte. »Er meint damit, dass es vielleicht nur ein Loch in einer Felswand ist. Tief im Herzen rechnest du immer noch damit, Ägypten zu erreichen, wo die Ausgrabungsstätte immer noch auf uns wartet, Marty, oder?«

Marty zwinkerte Surjan zu. »Ich bin nicht bereit, ohne stichhaltige Beweise irgendwelche übernatürlichen Vermutungen anzustellen. In der Hinsicht bin ich eigen.«

»Bei allem Respekt, Seher«, ergriff Udad das Wort. »Man hat mich als Junge in diese Höhle gebracht.«

»So Gott will, beschaffe ich Beweise.« Kareem lächelte. Der junge Ägypter besaß die Eigenart, gleichzeitig schneidig und leichtsinnig zu wirken. Er setzte sich in Richtung der Felsspalte in Bewegung.

Marty folgte ihm.

Kareem hievte sich mühelos auf die Felshalde. Er bot Marty die Hand an, der jedoch abwinkte und ohne Hilfe hinaufsprang.

Im Wald hinter ihnen hörte er ein Rascheln. Es ging von François aus. »Was ist mit mir?«, fragte der Franzose und streckte die Hand aus. Marty hievte ihn hoch.

Von dem erhöhten Aussichtspunkt aus sah er, wie Lowanna und Badis schließlich die Oase erreichten. Sie wechselten ein paar Worte mit den Männern, dann legten sich beide auf den Bauch, um zu trinken und die Wasserschläuche zu füllen. Udad stand allein da und beobachtete Marty.

»Hast du keinen Durst?«, wandte sich Marty an François.

Der Franzose schnaubte.

Die Halde war etwa so breit wie ein Radweg, stieg jedoch steil an. Kareem und François bewältigten sie auf allen vieren. Marty hingegen stellte fest, dass er mühelos, wenngleich nicht sonderlich bequem auf den Fußballen balancieren und aufrecht gehen konnte.

Nachdem sie die Höhe mehrerer Stockwerke überwunden hatten, wurde die Halde breiter und flacher. Sie verlief unter dem Überhang, wo sich Fledermausdreck auf dem Boden angehäuft hatte. Aus der Nähe erkannte Marty, dass die Öffnung tatsächlich in eine Höhle führte, die so tief reichte, dass sie sich in Schatten verlor. Aus dieser Perspektive erinnerte die Form des Eingangs nicht mehr an ein Anch.

»Siehst du?«, wandte sich Marty an Kareem. »Vielleicht ist es doch bloß ein Zufall, dass die Öffnung von unten wie ein Anch aussieht. Von hier sieht sie nur wie ein unregelmäßiges Loch aus.«

»Oh ja«, sagte François. »Endlich!«

»Kein Grund, allzu sehr aus dem Häuschen zu geraten«, sagte Marty.

»Nein, schau her!« François rieb sich die Hände. »Fledermausguano!«

»Ah, okay.«

Kareem starrte in die Höhle. Marty trat an den Rand der Halde und spähte hinunter – seine Leute ernteten Datteln und ruhten sich im Schatten aus, wirkten bereits deutlich erfrischt. Udad stand immer noch abseits und schaute zu ihm hoch.

»Ich gehe rein«, kündigte Kareem an.

»Warte«, warnte Marty.

Kareem grinste ihn an. »Wir brauchen Daten, um Udads Überzeugung zu untermauern.« Damit trabte er leichtfüßig in die Höhle.

Marty folgte ihm. Der Boden bestand aus weichem Sand, und der Gang verlief gerade und leicht abschüssig nach hinten. Dann schwenkte er erst nach links, dann nach rechts, und plötzlich nahm Marty einen penetranten, bitteren Geruch wahr. Er kam ihm bekannt vor – war ihm nicht derselbe Gestank in der Festung der Sethianer in der Unterkunft der Hathiru in die Nase gestiegen?

Er schnappte eindeutig einen Hauch von Petroleum auf.

Und die hefige, ölig riechende Substanz auf dem Gelände der Ametsu war mit Sicherheit dieselbe gewesen, die sie angezündet und geworfen hatten, flüssig und klebrig wie Napalm.

Kareem verschwand in der Dunkelheit.

»Kareem?«, rief Marty. »Kareem?«

* * *

Für Kareem erfüllten seltsame neue Farben die Welt. Er hatte keine Bezeichnungen für sie, doch sie schienen annähernd rötlich zu sein. Das war ihm bereits aufgefallen, als die Gruppe auf dem Jebel Mudawwar gelandet war, aber richtig zeigte es sich in der Dunkelheit. Nachts konnte Kareem durch die seltsamen Farben den Boden unter den Füßen und Objekte in der Finsternis ausmachen, die für ihn eigentlich unsichtbar sein sollten – Pflanzen hatten eine Schattierung, Tiere eine andere. Und manche Farben, beispielsweise die von Stein und Erde, veränderten sich im Verlauf einer Nacht.

In der Höhle konnte er dadurch noch immer die Wände und den Boden sehen, nachdem Marty gezwungen war, anzuhalten. An der Decke hängende Fledermäuse nahm er als rötlich schillernde Kleckse wahr. Kareem ging weiter. Er hörte Marty nach ihm rufen, war jedoch zu aufgeregt über die Neuartigkeit seines Unterfangens, um aufzuhören.

Möglicherweise empfanden ausländische Archäologen so, wenn sie auf die Gräber und Schätze ägyptischer Könige stießen. Welche geheimnisvollen Schätze würde Kareem vielleicht in dieser Höhle mit dem Eingang in Form eines alten Pharaonenkreuzes entdecken? Er stellte sich Särge aus Gold und haufenweise Juwelen vor.

Oder massenhaft Daten für Marty.

Beim Gedanken an ihn drehte sich Kareem um. Sein Herz legte einen Freudentanz hin, als er hinter sich die eigenen Fußabdrücke in seltsamen Farben erblickte. Allerdings verblassten sie langsam, und er fürchtete, sie würden nicht lang genug halten, um mit ihrer Hilfe den Rückweg zu finden. In der Ecke des Raums sammelte er einen Haufen Kieselsteine auf. Er füllte sich damit die Taschen und trug weitere in den Händen.

»Keine Sorge!«, rief er zurück. »Ich sehe mich nur um!«

»Zünde nur auf keinen Fall irgendwelche Fackeln an und verursache keine Funken. Ich rieche hier drin Öl.« Martys Stimme klang entfernt und eindringlich. Zum Glück konnte Kareem nach wie vor bestens sehen. Bisher hatte er nicht mal daran gedacht, seinen Anzünder zu benutzen.

Er hinterließ eine stete Spur aus Kieselsteinen. Wenn er genau hinsah, konnte er alte Fußabdrücke auf dem Boden erkennen. Nicht durch ihre Farbe, sie konnten also nicht neu sein. Vielmehr in Form von Vertiefungen im Sand, die ihm zeigten, welche Gänge beschritten worden waren und welche nicht.

Die Luft wurde dichter, je weiter er ging. Es roch wie in der Werkstatt seines Cousins Ahmed, wo es nach Jahrzehnten von Ölflecken auf dem Boden und dem Schweiß der Männer stank, die an den Autos darin hantierten und hämmerten.

Er folgte den Spuren im Sand vorbei an großen Galerien, hohen Schloten, widerhallend tiefen Schächten und schmalen Spalten. Die Farben veränderten sich, je weiter er vordrang, aber er konnte immer gut sehen.

Und dann endete der Raum abrupt. Er sah sich einer glatten Wand gegenüber, die seltsam fleckig aussah. Am Boden darunter befand sich ein kastenförmiges Gebilde aus Stein. Es erinnerte an einen primitiven Sarkophag. An anderer Stelle in dem Raum lagen Decken und verschiedenes Bettzeug gestapelt.

Kareem untersuchte die Wand. Bei genauerer Betrachtung stellte er fest, dass es sich bei den fleckigen Formen wohl um Hieroglyphen handelte, nur konnte er kaum Einzelheiten erkennen. Nur einen knienden Mann, eine Feder, eine Gestalt mit erhobenen Armen und ein Anch.

Tatsächlich tauchte das Anch vielfach auf.

Aber etliche Hieroglyphen waren für ihn zu verworren, um sie deutlich zu sehen, und lesen konnte er sie ohnehin nicht. Vielleicht könnte er bei normalem Licht und gewöhnlicher Sehkraft ausmachen, was die Bilder zeigten. Und vielleicht könnte Marty sie lesen.

Aber bemalte Wände stellten keinen Schatz dar. Grabschätze fand man in Särgen. Kareem nahm die rechteckige Form in Augenschein.

Behutsam zog er an der Oberseite, aber sie rührte sich nicht. Mit seiner eigenartigen Farbsicht ließ sich schwer erkennen, ob sie auf die anderen Steinplatten zementiert war oder ob es sich um ein Gebilde aus einem einzigen Stein handelte. Sicherheitshalber zog er auch der Vorderseite und den Seiten, die sich jedoch ebenfalls nicht rührten.

Aber als er gegen die Rückseite drückte, trat sich etwas.

Der Stein glitt zur Seite und gab den Innenraum frei. Kareem presste sich an die Felswand und versuchte, hineinzuspähen, konnte jedoch nichts sehen. Er hatte viele Geschichten über Flüche und Fallen in antiken Grabstätten gehört, doch sein Onkel Abdullah hatte ihm versichert, das wäre alles bloß Unfug. Schließlich fasste er sich ein Herz, holte tief Luft und griff hinein.

Und fand darin eine kleinere Box.

Sie bestand Holz, dreimal so lang wie breit und eher flach.

Kareem holte sie heraus.

Kein Fluch kam über ihn.

Flüche waren blanker Unsinn.

Allerdings gab es auch keinen Grund, sich noch länger in der Höhle aufzuhalten. Kareem eilte zurück in Richtung des Ausgangs. Seine Spur aus Kieselsteinen schimmerte rot vor ihm. Der Rückweg gestaltete sich viel schneller als der Abstieg.

Als er ins Tageslicht gelangte, warteten François und Marty noch dort, wo er sie zurückgelassen hatte. François kratzte gerade Fledermausdreck zusammen und verstaute ihn in einem Lederbeutel. Hatte er etwa einen Wasserschlauch dafür geopfert? Das kam Kareem wie eine Dummheit vor.

Surjan, Lowanna und Gunther hatten sich ihnen mittlerweile angeschlossen. Als Kareem auf der Feldhalde wieder zu ihnen stieß, setzte er sein breitestes Lächeln wie das eines Filmstars auf und zeigte ihnen das Kästchen.

»Ich hab da drin eine Schrift gefunden«, schilderte er. »Hieroglyphen. Und das.«

»Eine Schrift?«, hakte François nach. »Da drin? Wie konntest du überhaupt was sehen?«

»Er hat ziemlich gute Augen«, sagte Marty. »Vielleicht gibt’s im Inneren einen Luftschacht oder so.«

»Nein, es war finster. Aber ich kann im Dunkeln sehen.« Kareem zögerte und überlegte, wie er es erklären sollte. »Ich glaube, kalte Sachen haben eine andere Farbe als warme.«

François sah Lowanna an und schüttelte den Kopf. »Alle außer mir«, murmelte er.

»Was ist in dem Kästchen?«, fragte Marty.

Kareem zuckte mit den Schultern und öffnete es.

Darin befand sich ein goldenes Anch, das genauso aussah wie jenes jedes Mitglieds der ursprünglichen Gruppe. Es schimmerte im Schatten des Überhangs.

»Nicht anfassen«, sagte François.

Marty streckte die Hand aus. »Warum nicht?«

François ergriff das Kästchen an den beiden Seiten und klappte es zu. »Denk nach, Marty. Du und ich sind alt, nicht wahr? Na ja, ich bin alt, du bist auf dem Weg in die mittleren Jahre. Jedenfalls schlafen wir wenig, marschieren den ganzen Tag, kommen ohne Wasser aus, und wie geht’s uns dabei?«

»Ziemlich gut«, räumte Marty ein. »Erstaunlich gut.«

»Du erträgst und leistest mehr als diese Jungspunde aus Ahuskai, dabei stammen sie aus diesem Klima. Besser als ziemlich gut, würde ich sagen. Irgendetwas hat dich in körperliche Höchstform gebracht.« François zog die Augenbrauen hoch. »Uns alle.«

»Die saubere Lebensweise«, schlug Lowanna vor.

»Die körperliche Ertüchtigung«, fügte Gunther hinzu.

»Unsinn.« François schüttelte den Kopf. »Ich halte es für eine gute Hypothese, dass es an den Anchs liegt. Denn wir spüren diese Auswirkungen alle, nicht wahr? Es sind die Anchs. Auch die jüngeren unter uns wirken noch jünger und stärker!«

»Ein Wunder, dass Kareem nicht wieder in den Windeln liegt«, scherzte Lowanna.

Kareem spürte, wie er rot anlief.

»Lacht ruhig«, sagte François. »Aber es könnte durchaus sein, dass die Berührung des Anch verjüngend wirkt. Zumindest für uns Menschen. Und wenn man halt nicht gerade davon gepfählt wird.« Er warf Surjan einen belustigten Blick zu. »Außerdem waren unsere Anchs am Anfang golden, und als wir sie zum ersten Mal berührt haben, ist die Farbe in uns geflossen. Zumindest habe ich es so erlebt.« Er drehte sich den anderen zu.

Marty nickte. »Ich auch.«

Surjan und Lowanna nickten.

»Jedenfalls«, fuhr François fort, »sollten wir diese heilende Energie nicht vergeuden, indem wir das Anch anfassen, bis wir geklärt haben, welche Rolle es bei all dem spielt.«

Marty schien tief in Gedanken versunken zu sein. »Udad hat gesagt, dass man ihn für eine Heilung hergebracht hat.«

Lowanna zerzauste François das Haar. »Ich sehe schon, was in Wirklichkeit los ist. Dein Haar kommt zurück. Du hast ein magisches Haarwuchsmittel gefunden und willst es für dich allein behalten.«

Marty runzelte die Stirn.

François knirschte mit den Zähnen. »Wir lassen es in dem Kästchen. Müssen wir darüber wirklich diskutieren?«

»Er hat recht«, sagte Marty.

»Was ist mit den Hieroglyphen?«, fragte Gunther. »Bist du nicht neugierig und willst reingehen, um sie zu lesen?«

»Nach den ersten ein, zwei Biegungen wird es stockdunkel«, sagte Marty. »Und da drin stinkt es nach Öl, wahrscheinlich aus einer natürlichen Spalte, die tief in den Boden reicht. Ich fürchte, wenn ich mit einer Fackel reingehe, könnte es eine sehr kurze Lesestunde werden. Ich schlage vor, wir lagern heute Nacht hier, füllen unsere Wasservorräte auf und brechen morgen früh wieder auf.«