IM HOF IST ES KALT, Pietro spürt auf seinen Backen die Feuchtigkeit des Nebels, der sich sacht über alles senkt und alles bedeckt, alles grau macht, den Himmel, den Asphalt, die Wände der Häuser, die gelben Blätter an den Bäumen, der die herbstlichen Schattierungen verwischt, Bedeutung wegnimmt. Der Temperatursprung hat sein Gesicht zart rot gefärbt, seine Lippen jucken, er hätte gern eine Lippenpomade.
Du hast ganz rissige Lippen, hatte die Lehrerin in der Schule während der Pause zu ihm gesagt. Eine Mutter sieht so etwas, hatte sie gesagt.
Er läuft über den Asphalt, der Nebel gefällt ihm, es gefällt ihm, dass alles versteckt ist, dass hinter dieser grauen Mauer alles geschehen kann, er stellt sich vor, er sei ein Entdecker, ein Astronaut und sei auf einem Planeten gelandet, der nur aus Zement besteht, dann wieder, er sei von Dinosauriern umzingelt, sei auf der Flucht und renne um sein Leben, müsse sich vor Vampiren verstecken, die herumschleichen, obwohl es Tag ist.
Er mustert die riesige Werkstatthalle. Der Himmel hat das Dach verschluckt und reicht fast bis zum Eingangstor, das verschlossen ist, die Stille, die ihn umgibt, macht alles noch geheimnisvoller.
Er nimmt eine Schaufel, die an der Mauer lehnt, beginnt einen Schützengraben auszuheben und macht mit dem Mund die Geräusche der Geschosse, die an ihm vorbeipfeifen, die Feinde an der anderen Front schreien in einer fremden Sprache herum, sie werden uns niemals kriegen, wir kämpfen bis zum Tod, sagt er sich immer wieder, während er weiterschaufelt in der Vorstellung, er bewache ein Lager, in dem die kriegsentscheidende Waffe untergebracht ist.
Nur Mut, sagt er sich, während er schwitzend weiter kleine Erdschollen hochhebt und sich den Schweiß trocknet, da er sich nicht traut, seine Jacke auszuziehen; schnell, schnell, feuert er sich an, indem er sich die Befehle eines Generals vorstellt, der vor der Grausamkeit der Schlacht nicht zurückschreckt.
Er gräbt weiter, bis er spürt, dass die Spitze der Schaufel auf etwas Hartes stößt, er hört, dass es unter dem Stoß zerbricht, den er der herbsttrockenen Erde versetzt, es sieht aus wie ein Zweig, ist aber heller, er bückt sich, um es aufzuheben, säubert es, indem er es erst abpustet, dann mit den Fingernägeln die Erde abkratzt, die an diesem Knochen klebt.
Ein Schauder läuft ihm über den Rücken, er spürt, wie sich der Schweiß der Anstrengung in etwas anderes verwandelt.
Als er den Knochen fertig gesäubert hat, setzt er sich und betrachtet das gegrabene Loch, er hört die Stimme seines Vaters, der ihn ruft, und denkt, was für ein Glück, dass er hier sitzt, hinter der Werkstatt versteckt, jetzt schwitzt er und hat Angst, während er den Knochen in die Tasche steckt.
Erneut hört er seinen Vater rufen, lauter.
Ich komme, antwortet er.
Beeil dich, das Frühstück ist fertig, sagt sein Vater zu ihm. Vorsichtig steigt er die Treppe hinauf, stützt sich mit einer Hand an der Wand ab, atmet tief, widersteht dem Impuls loszulaufen, sein Magen knurrt vor Hunger.
Er riecht den Geruch der Werkstatt, der an den von irgendjemandem an die Mauer geklebten Fliesen, am Fußboden, an den Stufen zu haften scheint, ein Geruch, der sich nicht vertreiben lässt, obwohl sie es auf jede Weise probiert haben.
Er erinnert sich daran, wie er sich das Frühstück einmal allein zubereitet hatte, wie er vor dem Herd auf einen Stuhl geklettert und darauf stehen geblieben war, bis er gesehen hatte, wie sich auf der Milch diese Haut bildete, die er nicht mochte. Er hatte sie mit dem Löffelchen abgeschöpft und sich mit der Tasse in den Händen aufs Sofa vor den ohne Ton laufenden Fernseher gesetzt.
Nach einer Weile, als er schon ausgetrunken hatte, war sein Vater erschienen. Im Fernsehen lief ein Film über einen, der einen anderen umgebracht hatte und gerade von einem elegant gekleideten Mann verhört wurde. Pietro sah zu, ohne diese flimmernde Bilderflut zu verstehen, sein Vater hatte ihm nicht Guten Morgen gesagt, war in der Küche verschwunden, um sich einen Kaffee zu machen, und hatte sich damit neben ihn gesetzt.
So waren sie sitzen geblieben, hatten schweigend auf den stummen Fernseher gestarrt, bis der Film zu Ende war.
Am folgenden Sonntag, während sein Vater draußen die Treppe putzte, hatte er es wieder gemacht, hatte das Töpfchen mit Milch gefüllt, und als er da auf dem Stuhl stand, um aufzupassen, dass sich keine Haut bildete, war ihm eingefallen, dass er doch auch einen Kaffee aufstellen und seinem Vater bringen könnte, der ihm vielleicht dafür danken würde.
Er mochte diesen Duft im Haus, dieses ihm verbotene, schwarze Getränk, das ihm ins Gesicht dampfte, während er den Flur entlangging, um auf den Treppenabsatz hinauszutreten.
Gebückt schrubbte sein Vater die Stufen, der Schweiß bildete Flecken auf seinem stets weißen T-Shirt, glänzte auf seinen Armen, seinem Gesicht und rann ihm über den Bart, obwohl es früh am Morgen war. Er erinnert sich an die Stille, an den beißenden Geruch der Putzmittel, den Duft des Schaums, den Atem seines Vaters, seinen verdrossenen Ausdruck, die Anstrengung in seinem Blick, den Stolz darauf, sich nützlich zu machen, seinen Vater glücklich zu machen, dessen zerstreute Antwort, als er gesagt hatte, hallo Papa, ich habe dir einen Kaffee gemacht.
Ja, hatte sein Vater erwidert, ohne aufzublicken.
Pietro hatte ihm die Hand auf den Rücken gelegt und gesagt, fast geflüstert, trink ihn, sonst wird er kalt.
Sein Vater hatte geräuschvoll weitergeputzt, ohne sich umzudrehen. Daraufhin hatte Pietro lauter gerufen, die Hand in das T-Shirt gekrallt. Er hatte zugesehen, wie sein Vater sich umwandte, die weit offenen Augen gerötet von den Strömen von säurehaltigen Putzmitteln, hatte gesehen, wie er aufstand und sich aufrichtete, das Licht der Sonne auslöschte, das durch das kleine Fenster über der Tür am Ende der Treppe hereinfiel, sein Gesicht rieb und fragte, ist was?
Ich hab dir einen Kaffee gemacht, hatte Pietro wiederholt.
Im Halbdunkel des Treppenabsatzes hatte er die Augen niedergeschlagen und seine nackten Füße betrachtet. Er hatte gespürt, wie der Vater suchend umherblickte, dann auf die Tasse starrte, die er noch in der Hand hielt, und dabei den ganzen Größenunterschied auf sich lasten gefühlt, die Spannung, die in dieser Stille zwischen ihnen in der Luft lag, er hatte zu schwitzen angefangen, während die Hände seines Vaters ihn fest an den Schultern packten.
Er hatte gespürt, wie die Hände ihn am Kragen des Pyjamas hochhoben, wie seine Füße sich mit einer Leichtigkeit vom Fußboden lösten, die er nur bei den Superhelden der Comics für möglich gehalten hätte, und die Augen geschlossen, als er seinen Vater sagen hörte, sieh mich an.
Er hatte gehorcht und den wütenden Gesichtsausdruck gesehen, die Hände beinah um seinen Hals.
Mach das nie wieder, hatte der Vater zu ihm gesagt und ihn an die kahle Mauer des umlaufenden Balkons gedrückt, wobei ihm die Tasse aus der Hand fiel, zerbrach und der schwarze Kaffee überallhin spritzte. Mach das nie wieder, hatte er wiederholt und ihn mühelos halbhoch in der Schwebe gehalten.
Es ist gefährlich, hatte er gesagt, bevor er ihn losließ, bevor Pietro reglos da an der Mauer stand, während sein Vater in die Wohnung zurückging mit den Worten, jetzt mach sauber.
Pietro hatte sich nicht gerührt, bis die Tür zuknallte und ihn aus der Angst aufweckte, dass sein Vater ihn nie mehr hineinlassen würde, bis er kalte Füße bekam auf dem falschen Marmor, aus dem die Treppe bestand. Er hatte sich hingekniet, den Schwamm aus der Schüssel mit dem schon schmutzigen Wasser genommen, ihn ausgedrückt und begonnen, den Kaffee von den Stufen und von den Fliesen zu wischen, die die Wand bedeckten. Vorsichtig hatte er die größeren Keramiksplitter aufgesammelt, er wollte sich nicht schneiden, nicht wegen des Schmerzes, sondern um seinen Vater nicht bitten zu müssen, ihm ein Pflaster darauf zu kleben, denn er fürchtete, dass sein Vater es nicht tun und zu ihm sagen würde, schau, wie du zurechtkommst. Als er fertig war, hatte er in der Luft geschnuppert, der Kaffeeduft war fast verflogen, der Geruch der Putzmittel schwächer geworden, aber der Werkstattgeruch war noch da, allgegenwärtig.
Er wollte auch gar nicht, dass er wegging, denn das war der Geruch seines Vaters, und er wollte genauso riechen, wenn er groß war.
Ettore wartet auf der Schwelle, die Hände in die Seiten gestemmt, los, komm, sagt er zu ihm, wir müssen gehen, ich habe eine Überraschung für dich, sagt er, aber vorher musst du frühstücken und deine Spielsachen aufräumen.
Pietro trinkt die Milch, die schon auf dem Tisch bereitsteht, isst die Kekse, die sein Vater so auf dem Teller angeordnet hat, dass sie einem lächelnden Gesicht gleichen, und sieht dabei zu, wie er die Kleider aufhängt, das Geschirr vom Vorabend abspült, hört, wie er leise vor sich hin pfeift.
Als Pietro abräumt, als er ihm die leere Tasse und den Teller bringt, beugt Ettore sich hinunter, um sich zu bedanken, ihn auf die Haare zu küssen und mit Spülwasser ein bisschen vollzuspritzen.
Pietro zieht sich die Schuhe und die Jacke an, trällert die Erkennungsmelodie seines liebsten Trickfilms, wartet vor der Tür auf seinen Vater, ungeduldig, verstummt vor dem, was ihm wie eine unmenschliche Langsamkeit vorkommt, der Langsamkeit, mit der sein Vater sich die Stiefel zuschnürt.
Ungern setzt er die Mütze auf, es gefällt ihm, die Kälte an den Ohren und am Kopf zu spüren. Doch an diesem Sonntag freut er sich, als sein Vater sie ihm bis über die Augen, bis über den Mund zieht und zu ihm sagt, so erkältest du dich bestimmt nicht, komm, wir gehen.
Der Nebel hat sich wirklich verzogen, zartgelb färbt das Licht der Sonne die grauen Wolken, die das Blau des Himmels an diesem Morgen verbergen.
Pietro klettert in die Ape, es gefällt ihm, in dem engen Gehäuse so dicht neben seinem Vater zu sitzen, vom Röhren des Motors zum Schweigen gezwungen, die Stirn am Fenster, um hinauszuschauen, im Rücken den Ellbogen seines Vaters, der das Steuer hält.
Sie fahren durch Straßen, die er kennt, vorbei an Wohnhäusern, am Fußballplatz, an der riesigen Traktorenfabrik, über die Piazza, und er betrachtet die Leute, die aus der Messe kommen, entdeckt ein paar elegant gekleidete Klassenkameraden, hebt die Hand und winkt zum Gruß, ohne dass sie ihn bemerken. Dann fahren sie durch Straßen, die Pietro noch nie gesehen hat, aus dem Dorf hinaus, vor ihm liegt die Landschaft, diese endlose Ebene, die sein Vater hasst, die gepflügten Felder, die unscharfen Umrisse von Bäumen und Häusern und ganz hinten der Horizont, verborgen von einem grauen Dunstschleier.
Schwungvoll nehmen sie die Kurven, sein Vater hat es offenbar eilig, es gefällt Pietro, wenn die Ape unter ihm kippelt, das Gefühl, von der Erde abzuheben, und das Kribbeln im Bauch, wenn es scheint, als würden sie sich gleich überschlagen. Sie kommen an Kanälen vorbei, in denen Wasser steht, an einer üppig grünen Wiese, einem Feld, an dem sein Vater anhält, mitten im Nirgendwo.
Sind wir da?
Nein, aber ich will dir etwas zeigen.
Sie steigen aus, die Stille ist beeindruckend. Ettore legt seinen Finger auf die Lippen, als Pietro weiterfragen will, nimmt ihn auf den Arm, hebt ihn hoch und setzt ihn sich auf die Schultern, man hört nur das Rascheln ihrer Kleidung, nur das und das Geräusch ihres Atems.
Von dort oben kann Pietro das grüne Gras sehen, das auf dem Feld wuchert, die Ebene, die Bäume, ganz hinten Fabbrico, er weiß, dass im Sommer hier überall Sonnenblumen wachsen, fühlt den festen Griff seines Vaters um die Fußgelenke, streicht ihm über die Wangen, fühlt den harten Bart und hat in dem Moment eine unbändige Lust, erwachsen zu werden.
Er erschrickt ein bisschen, als er seinen Vater vor diesem unermesslichen Panorama applaudieren hört, ein Beifall, der die Stille beleidigt, die sie umgibt, er hört, wie er vier Mal laut in die Hände klatscht, nichts geschieht, er klatscht noch lauter und fordert Pietro auf, auch zu klatschen, bis schließlich aus dem Grasmeer vor ihnen ein Fasan auffliegt, bis der Dunst einen Sonnenstrahl durchlässt, der auf den grün schimmernden Federn des Vogels aufleuchtet, auf dem Rot der Augen, bis die Ebene ihre vollen, dichten Farben wiedererlangt, das Braun der Erde, das Grün des Grases und der Schattierungen, die den Fasan verschlucken am Ende seines kurzen, plumpen Flugs.
Hast du gesehen?
Ja.
Hast du gesehen, wie schön?
Ja.
Das Haus, in das sie hineingehen, ist nicht weit weg, es ist ein altes Haus so wie das, in dem er geboren wurde und das sie jetzt abgerissen haben. An einem dicken Baumstumpf mitten auf der Tenne, gegenüber von einem verfallenen Stall, ist ein dösender Hund angekettet, die Schnauze auf die Vorderpfoten gelegt.
Sein Vater hupt, dann sagt er, Pietro solle aussteigen. Der Hund hebt nicht den Kopf, er rührt sich nicht, und Pietro denkt, was für ein schlechter Wachhund.
Dann sieht er einen Schatten, der aus dem Stall huscht und vorbeisaust, um hinter einem Gebüsch zu verschwinden, hört das schrille Gackern einer Henne und fühlt ihren Schrecken. Gleich darauf kehrt im Hof wieder Stille ein.
Inzwischen öffnet sich die Haustüre, und ein Mann, der älter ist als sein Vater, kommt ihnen entgegen, eine halb erloschene Zigarre im Mund. Pietro schaut ihn nicht an, bleibt weiter auf den Busch konzentriert, auf den Welpen, der mit der Henne im Maul herauskriecht und langsam und noch tapsig auf den an dem Baumstumpf festgemachten Hund zuwankt, um ihm das tote Tier vor die Pfoten zu legen, ein Geschenk für seine Mutter, die dort an der Kette gefangen gehalten wird.
Er beobachtet den Welpen, der sich auf die Hinterbeine setzt, den zufriedenen Ausdruck, als seine Mutter ihn leckt und es aussieht, als würde sie ihn küssen und mit den Pfoten streicheln, lauscht dem misstönenden Freudengebell.
Er hört den Aufschrei des Mannes und das Lachen seines Vaters, das Knirschen der Schritte auf der Tenne, die Beleidigungen, sieht den Welpen flüchten, aufs offene Land, während seine Mutter aufheult und jault, als der Mann sich bückt, um die Henne aufzuheben, und sie an den Krallen hochhält.
Dann beobachtet er die Mutter des Welpen, ihren bedrückten, untröstlichen Ausdruck, liest in ihren Augen die Last des Angekettetseins und möchte einen Moment lang am liebsten auf den Baumstumpf zulaufen, um sie zu befreien, damit sie weglaufen kann.
Sein Vater kehrt mit einer Holzkiste zurück, so einer, wie man sie bei der Obsternte braucht, hat ein Seil und einen Stock auf der Schulter. Pietro hört seine Schritte und dreht sich um, sieht, wie er näher kommt, mit gesenktem Blick und einem verschmitzten Lächeln auf dem Gesicht, er scheint sich zu freuen.
In der anderen Hand hält er ein Stück rohes Fleisch, Pietro hat nichts mitgekriegt, er hat nicht gesehen, wie sie ins Haus gegangen sind, kein Wort ist an sein Ohr gedrungen, sein Blick ist starr auf den Hund gerichtet, auf diese gefangene, angekettete Mutter, auf den Himmel, der allmählich seine Farbe offenbart.
Auf dem Gras gehen sie am Feldrand entlang, Pietro gehorcht, als sein Vater sagt, er solle stehen bleiben. Noch ist es kalt, obwohl jetzt überall auf dem Land die Sonne funkelt. Hinter ihnen heult die Mutter des Welpen.
Regungslos schaut er zu, wie sein Vater die Schnur an dem Stock befestigt, auf den er dann den einen Rand der Kiste so aufstützt, dass sie ziemlich schräg steht, damit der Welpe in diese improvisierte Falle hineintappen kann.
Er schaut zu, wie sein Vater langsam rückwärtsgehend die Schnur vorsichtig abrollt, nähert sich, schaut ihn an, während der Vater immer noch vergnügt lächelnd zu ihm sagt, verstecken wir uns.
Sie ducken sich hinter einen kahlen Baum, hinter den großen, knotigen Stamm, lehnen sich an das Moos, das auf der Seite wächst, wo die Sonne nicht hinkommt, dort ist es noch kälter und ihr Atem bildet kleine Wölkchen.
Er hat keine Handschuhe, friert an den Fingern, fühlt, dass die Haut spannt, die Wunden wieder aufgehen, steckt die Hände in die Taschen und sagt nichts zu seinem Vater, der jetzt vor ihm kniet, auf Augenhöhe, und ihn feierlich ansieht.
Wenn der Welpe kommt, um das Fleisch zu fressen, sagt der Vater, ziehe ich an der Schnur, und du musst hinlaufen und dich auf die Holzkiste setzen, damit er nicht weglaufen kann, schaffst du das?
Pietro sagt nichts, er ist sich gar nicht sicher, er wird alles vermasseln, der Welpe wird weglaufen, es wird ihnen nicht gelingen, ihn heimzubringen, und er wird daran schuld sein.
Er presst die Lippen aufeinander, will mutig wirken, sagt, er schafft es, in den Taschen ballen sich seine Hände zu Fäusten.
Sie setzen sich und warten, die Zeit vergeht langsam, während die Sonne am Himmel höher steigt, sie haben sie jetzt vor sich, hinter ihnen werden die Schatten ihrer Körper länger, es wirkt, als seien sie gleich groß.
Pietro starrt weiter vor sich hin, ohne sich über das Licht zu beklagen, das ihn blendet, er hält sich die Hand über die Stirn, ab und zu wechselt er sie, weil ihm die Armmuskeln wehtun, doch er sagt nichts, seine Beine sind eingeschlafen und schmerzen, er fragt sich, ob er überhaupt rennen kann, ob er es bis zu der Kiste da hinten schaffen wird.
Langsam und still beschließt er, sich hinzuknien, man hört nur das Rascheln der Kleidung, der dicken Jacke und wie sie beide atmen.
Er sieht als Erster die Bewegung mitten im Gras, zeigt mit dem Finger und sagt, da.
Der Welpe bewegt sich mit gestrecktem Rücken, den Bauch am Boden, die Schnauze schnuppernd in der klaren Luft, tapsig und unkoordiniert, ein Kind, das versucht, sich wie ein Erwachsener zu verhalten.
Pietro hört seinen Vater fragen, ob er bereit sei loszulaufen.
Er nickt, hebt die Hand zum Mund und beginnt, an seinen Fingernägeln zu kauen, spielt mit einem Zahn, der ihm gerade wächst, mustert den Welpen, der immer näher kommt, immer ruhiger und langsamer, sprungbereit, um das Stück Fleisch zu ergattern. Pietro will die Mütze abnehmen, er schwitzt und sein Kopf juckt, aber er beherrscht sich und schiebt eine Hand darunter, um sich zu kratzen.
Er hofft, dass alles glattgeht, dass sie es schaffen, den Welpen zu fangen, er sieht, wie das Tier an dem Stock und der daran gebundenen Schnur schnuppert, dann an dem Stück Fleisch, die Schnauze immer näher, die Hinterbeine im Schatten.
Er hört, wie sein Vater an der Schnur zieht und ruft, lauf zu, während die Holzkiste den jaulenden, strampelnden Welpen gefangen hält.
Und Pietro rennt, die Füße rutschen auf der Erde, auf dem Gras, er scheint gleich zu stürzen und fängt sich wieder und läuft weiter, die Arme weit ausgebreitet wie flatternde Flügel. Er hört die in der Mitte des Hofs an dem Baumstumpf angekettete Mutter des Welpen bellen, eine Antwort auf das Jaulen, das die Stille durchbricht. Er läuft und läuft, verliert die Mütze und hält nicht inne, um sie aufzuheben, einen Augenblick lang scheint es, als liefe er zu schnell, als würde er an der Kiste vorbeirennen und nicht rechtzeitig anhalten können.
Schließlich springt er, wirbelt durch die Luft, vollführt eine halbe Drehung um sich selbst und fällt mit dem Hintern auf die Kiste, und dann kippt er nach hinten und knallt mit dem Rücken aufs Gras, während die Kiste sich zu heben und umzukippen scheint. Er sieht den Welpen schon flüchten, die Niederlage, hört auf zu denken und steht unbeholfen wieder auf, schmutzig von Erde und Gras, wirft sich auf die Kiste, legt die Arme darum, der Schwanz des Welpen ist geknickt, das Jaulen wird lauter, während Pietro die Augen geschlossen hält.
Reglos hockt er im Gras und schaut dem Mann und seinem Vater zu, die den Welpen befreien. Er hält sich die Ohren zu, um das Jaulen und Heulen der Mutter nicht zu hören, die springt und an der Kette zerrt, bis sie sich fast erwürgt, dann macht er die Augen zu und wartet, dass alles vorbei ist, dass sein Vater sagt, gehen wir.
Sie setzen den zitternden Hund in den mitgebrachten Käfig, schließen das Türchen und laden ihn hinten auf die Ape. Pietro rührt sich nicht, im Stehen schaut er zu, wie sein Vater dem Mann zum Abschied die Hand schüttelt, wie er auf der Fahrerseite einsteigt. Mit hängenden Armen steht er da, die Hände noch zu Fäusten geballt, fühlt, wie das, was er für Wut hält, in Weinen umschlägt.
Er sieht, wie sein Vater aussteigt, auf ihn zugeht und versucht, ihn zu überreden.
Steig ein, sagt er, komm, wir fahren, mach dir keine Sorgen, zu Hause wird es ihm gut gehen, das verspreche ich dir, verlass dich auf deinen Papa, es ist normal, dass er jetzt weint, aber das geht vorbei.
Das Kind hebt den Blick und schnieft.
Versprochen?
Ja, antwortet sein Vater.
Darf ich mich hinten zu ihm setzen, fragt es.
Ja, sagt der Vater noch einmal.
Daraufhin lässt sich Pietro auf die Ladefläche heben, kniet sich neben den Käfig, hält sich fest, als sein Vater den Gang einlegt, lauscht dem Motor der Ape, dem Klang des Metalls, dem Klappern des Käfigs, dem Jaulen des Welpen. Er betrachtet die Landschaft, das Gras, die kahlen, gepflügten Felder, die Gräben, und fragt sich, während er eine Hand in die Tasche schiebt und den Knochen streichelt, den er noch einstecken hat, ob sein eigener Schmerz je vergeht, ob er je aufhören wird, seine Mutter zu vermissen.