Für Weintrinker:
Welterbesteig Wachau

Land: Österreich | Länge: 180 km
Schwierigkeit: * | Budget: €€ | Jahreszeit: ganzjährig
Natur: ** | Kultur: *** | Special Interest: Wein und Brettljausen

 

Wer oder was zum Teufel sind die Welter, frage ich mich verwirrt, als ich zum ersten Mal vom österreichischen Welterbesteig lese. Spontan tippe ich auf ein alpenländisches Adelsgeschlecht oder einen ausgestorbenen Handwerksberuf. Angesichts der Vielzahl von Steigen, Pfaden und Traumschleifen in der deutschsprachigen Wanderwelt wundere ich mich auch nicht über den Begriff Besteig, sondern halte ihn für eine misslungene Marketingidee. Ein Bindestrich hätte meine Verwirrung verhindert: Hinter dem Namen Welterbe -Steig steckt nämlich die Aufnahme der niederösterreichischen Wachau in die Liste der UNESCO- Weltkulturerbestätten im Jahr 2000.

Der so geadelte Landstrich an der Donau ist zwischen den Orten Melk und Krems gerade mal 35 Kilometer lang. Der Welterbesteig, der als Rundweg auf beiden Seiten des Flusses verläuft, misst jedoch knapp 180 Kilometer. Ein Blick auf die Wanderkarte zeigt den Grund für diese wundersame Streckenvermehrung: Während der populäre Donauradweg gradlinig am Ufer entlangführt, schlägt der Welterbesteig in jeder Etappe gewaltige Schlaufen hinauf zu den Donauhängen und dann gleich wieder zurück ans Wasser. Wer bei diesem Flusswanderweg also eine gemütliche Tour ohne nennenswerte Steigungen erwartet, wird schnell eines Besseren belehrt. 7500 Höhenmeter sind insgesamt zu bewältigen, höchster Punkt ist mit 960 Metern der Jauerling, die größte Erhebung in der Wachau. Die schweißtreibenden Aufstiege werden allerdings mit traumhaften Ausblicken versüßt, die den Radlern am Ufer versagt bleiben.

Das Postkartenidyll der Wachau ist so kitschig-schön, dass mir schon auf der ersten Etappe fast die Augen schmerzen. Von den vielen Rastplätzen am Weg aus bewundere ich die akkurat gepflanzten Weinstöcke, die sich in perfekten geometrischen Linien schachbrettartig über die steilen Hänge erstrecken, dazwischen immer wieder Bildstöcke und farbenfroh blühende Rosensträucher. Unter mir liegen die engen Gassen der historischen Altstadt von Krems, am anderen Ufer thront hoch über dem Dunkelsteiner Wald das imposante Stift Göttweig, und auf dem Fluss ziehen schwer beladene Schubboote vorüber.

In diesem Wanderparadies quält mich zu Beginn allerdings eine ganz spezielle Frage: Wo soll ich in dieser intensiv genutzten Kulturlandschaft wild zelten? Die steilen Hänge sind zwar mit kunstvoll geschichteten Trockensteinmauern terrassiert und böten somit perfekte Lagerplätze zwischen den Weinstöcken, doch wären die Winzer sicher nicht begeistert, mich und mein Zelt morgens dort vorzufinden …

Während meiner einwöchigen Tour löst sich diese Sorge zum Glück schnell in Wohlgefallen auf, denn am Welterbesteig wechseln sich die unterschiedlichsten Landschaftsformen ab. Mich erwarten Weinberge, Obstgärten und wogende Getreidefelder, aber auch ausgedehnte Waldgebiete und schroffe Felsformationen, an denen ich sogar Kletterer beobachten kann; dazwischen immer wieder Rastplätze und Aussichtstürme mit Panoramablick. Mit ein wenig Geduld finde ich jede Nacht ein diskretes Plätzchen, wo mich morgens Vogelgezwitscher und kein aufgebrachter Winzer weckt. Nur einmal schreckt mich beim Abendessen eine unerklärliche Knallerei auf. Ein wild gewordener Jäger? Vogelschreck? Oder ein Feuerwerk für Touristen? Da dämmert mir, dass ich zur Zeit der Fußballweltmeisterschaft unterwegs bin, und eine Internetrecherche bestätigt: Mit den Böllerschüssen wird ein Tor der österreichischen Mannschaft gefeiert.

Mit ausreichend Budget muss man natürlich nicht zelten. In der Wachau gibt es eine riesige Auswahl an Hotels, Pensionen und Privatzimmern. Der Donauradweg mit seinen jährlich über 600 000 Radlern sorgt dafür, dass Aufenthalte von bloß einer Nacht überhaupt kein Problem sind. Für Welterbesteig-Wanderer wird außerdem Gepäcktransport angeboten. Da zwischen Krems und Melk eine Buslinie im Stundentakt verkehrt und die beiden Donauufer zusätzlich zu den dortigen Brücken auch noch durch drei Fähren verbunden sind, kann man die Wanderung sogar etappenweise von einem Standquartier aus unternehmen.

Der Rundweg Welterbesteig überquert die Donau an seinem Scheitelpunkt auf der Staumauer des Wasserkraftwerks Melk. Hier verlaufen Wander- und Radroute für ein paar Hundert Meter gemeinsam, die Radreisenden passieren mich im Minutentakt. Doch kaum trennen sich die Wege wieder, bin ich stundenlang allein unterwegs. Im Gegensatz zu seinem deutschen Pendant, dem fast schon überlaufenen Rheinsteig, wird der als einer der »Best Trails of Austria« vermarktete Welterbesteig nämlich erstaunlich wenig begangen.

Dabei ist er nicht nur landschaftlich, sondern auch kulinarisch ein Juwel. Ich lasse morgens mein übliches Müsli im Zelt ausfallen und steuere stattdessen die nächste Bäckerei an für ein Nussbeugerl (Nusshörnchen) oder eine Topfengolatsche (Quarktasche). Für die berühmten Marillenknödel bin ich leider zu früh, im Juni sind die Aprikosen noch nicht reif. Dafür kann ich am Wegesrand ein paar saftige Kirschen schnabulieren, natürlich nur von herrenlosen Straßenbäumen. Ehrenwort!

Berühmt ist die Wachau allerdings für ihren Weißwein, vor allem für Riesling und Grünen Veltliner. Meist weisen Schilder an den Weinbergen auf die jeweilige Rebsorte und das Weingut hin. Manchmal sind sogar direkt am Weg Selbstbedienungskühlschränke mit Weinflaschen aufgestellt, bezahlt wird in eine »Kasse des Vertrauens«. Blöd nur, dass ich hier nicht am Abend, sondern meist zur Frühstückszeit vorbeikomme. Immerhin sind für diesen Fall Apfelschorle und Mineralwasser im Angebot.

Beim Heurigenbesuch habe ich anfangs ebenfalls das falsche Timing. Ich stoße zwar auf ein Dutzend »Buschenschenken«, doch die haben leider nicht ausgsteckt. Ein Buschen, also ein Büschel Zweige oder Reisig, zeigt an, ob die Schankwirtschaft geöffnet ist, und dabei wechseln sich die örtlichen Erzeugerbetriebe ab. Anschläge in den Ortschaften und der Heurigenkalender im Internet helfen bei der Planung. Mir weist erst an meinem letzten Wandertag ein Einheimischer den Weg zu einem ausgsteckten Heurigen mit passender Mittagsöffnungszeit und verhilft mir so zu einem kulinarischen Volltreffer. Buschenwirte dürfen ausschließlich selbst produzierten Wein und Most sowie kalte Speisen anbieten. Im Hof des Weingutes bestelle ich eine Winzerplatte und staune nicht schlecht, als die Wirtin einen Teller mit Bergen von Räucherschinken, Schweinebraten und Käse vor mich stellt. Die üppigen Portionen sind nicht nur ein Ausdruck österreichischer Gastfreundschaft, sondern außerdem umsatzfördernd. Das salzige Gselchte macht nämlich verdammt durstig! Als Durstlöscher bietet sich für Wanderer ein »Sommerspritzer« an. Dabei wird der Wein anders als beim normalen Gspritzten nicht zu gleichen Teilen mit Sodawasser gemischt, sondern im Verhältnis 1:3. Aber auch der hier produzierte Marillennektar schmeckt gspritzt hervorragend! Und wer das Weinangebot einmal zu stark in Anspruch genommen hat, dem sei versichert: Der Welterbesteig ist so gut mit dem weißen Logo markiert, dass man sich selbst im angeschickerten Zustand nicht verläuft …

Nachdem ich an einem besonders heißen Nachmittag schwitzend einen Berg hinaufgekeucht bin, leuchtet mir vor einem Haus am Ortseingang ein großer weißer Kühlschrank entgegen. Wahrscheinlich ein privater Weinverkauf, denke ich und will schon weiterlaufen. Da sticht mir ein aufgeklebter Zettel mit einem holprigen Reim ins Auge: »Lieber Wanderer, mach mal Rast und nimm dir, worauf du Lust hast!« Bin ich ausgerechnet im extrem touristischen Österreich auf kostenlose trail magic gestoßen? Neugierig öffne ich die Tür und starre ungläubig auf ein buntes Sortiment aus Softdrinks und süßen Snacks. Und es kommt noch besser: Im Gefrierfach erwarten mich gar mehrere Sorten Eis am Stiel! Wie hypnotisiert greife ich zu einer Flasche Apfelsaftschorle und leere sie mit langen Schlucken. Erst als mir das kühle Getränk die Kehle hinunterrinnt, bin ich sicher, dass ich keiner Fata Morgana aufgesessen bin. Vorsichtshalber esse ich aber noch ein Schokoladeneis … Bevor ich wieder aufbreche, nehme ich ein Weilchen auf der Bank im Schatten eines Nussbaums Platz und studiere das Gästebuch, das mitsamt Bleistift und einer Spendenbox im Kühlschrank ausliegt. »Hier muss ein Engel wohnen«, hat ein dankbarer Besucher am Vortag geschrieben. Ich muss schmunzeln, denn die US- amerikanischen Wanderer nennen solche hilfsbereiten Menschen am Wegesrand tatsächlich trail angels.

Neben all den landschaftlichen und kulinarischen Aspekten locken am Welterbesteig auch mehrere weltberühmte Sehenswürdigkeiten, allen voran Stift Melk, ein Barockjuwel von gigantischen Ausmaßen: Fast 500 Räume mit 1365 Fenstern werden von vier Hektar Dachfläche überwölbt, die Bibliothek beherbergt 100 000 Bücher aus mehreren Jahrhunderten. Eine halbe Million Gäste besuchen den Prunkbau an der Donau jährlich, für Wanderer gibt es sogar extragroße Schließfächer zur Aufbewahrung ihres Rucksacks.

Noch beeindruckender finde ich das etwas weniger bekannte Stift Göttweig, dessen Besuch ich mir durch einen steilen Anstieg auf den gleichnamigen Berg hart erarbeiten muss. Schweißgebadet oben angekommen, verschlägt mir die weitläufige Barockanlage den ohnehin schon kurzen Atem. Die imposante Kaiserstiege mit dem pompösen Deckenfresko wäre die Traumkulisse jeder festlichen Hochzeit; ich jedoch steige in verdreckten Wanderklamotten staunend die weißen Stufen ins Museum im Kaisertrakt hinauf.

Göttweig ist ein aktives Benediktinerkloster mit 37 Mönchen, Gäste können an drei täglichen Chorgebeten teilnehmen. Bei meinem Besuch am Sonntagabend erklingt die Vesper in der Stiftskirche sogar auf Latein. Anhand der ausliegenden Stundenbücher kann ich dem halbstündigen Choralgesang mit deutscher Übersetzung folgen und stelle voll Freude fest, dass vom großen Latinum meiner Schulzeit doch noch einiges hängen geblieben ist. Ich bedauere sehr, dass ich mir im Hoteltrakt des Klosters kein Zimmer mit Blick auf die Wachau reserviert habe, sondern jetzt am Abend weitere acht Kilometer bis zu meiner Unterkunft laufen muss.

Eine ganz andere, modernere Spiritualität erlebe ich im Kloster Maria Langegg, das sich an einer der vielen Schleifen des Welterbesteigs mitten im Dunkelsteinerwald befindet. Die Kirche »Maria, Heil der Kranken« war im 17. und 18. Jahrhundert eine der bedeutendsten Pestwallfahrten Österreichs und wird heute – ebenso wie die Stifte Melk und Göttweig – vom österreichischen Jakobsweg angesteuert, der allerdings deutlich geradliniger verläuft als meine Route. Für eine Nacht stehen hier günstige Zimmer für Pilger und Wanderer zur Verfügung.

»Besichtigung des Wallfahrtsmuseums möglich nach telefonischer Absprache«, lese ich auf einem Plakat an der Kirchenpforte. Doch als ich neugierig die angegebene Nummer anrufe, meldet sich die Mailbox. Enttäuscht stecke ich mein Handy gerade wieder in die Tasche, als ein Pater in weißer Kutte aus der Tür tritt. »Das Museum wird von Schwester Mirjam betreut. Falls ich sie im Kloster sehe, kann ich sie zu Ihnen schicken«, bietet er mir an, nachdem er von meinem Besuchswunsch gehört hat.

Tatsächlich treffe ich die schlanke Nonne schon zehn Minuten später am Museumseingang, wo sie trotz ihres bodenlangen Habits und Schleiers äußerst elegant unter der Verkaufstheke hindurchkrabbelt, um mir aus der Kasse Wechselgeld und Eintrittskarte zu geben. Mit meinen vom Wandern steifen Gliedern kann ich solche Akrobatik nur neidvoll bestaunen. »Ist das nun ein Mönchs- oder Nonnenkloster?«, frage ich die Schwester verwirrt, die genau wie der Pater in Weiß gekleidet ist.

»In Maria Langegg wohnen neben geweihten Brüdern und Schwestern auch mehrere Laien. Zu unserer erst 1973 gegründeten ›Gemeinschaft der Seligpreisungen‹ gehören sogar Ehepaare mit Kindern«, erklärt mir Schwester Mirjam und muss gleich noch ein paar Dutzend weitere Fragen zu ihrem ungewöhnlichen Orden beantworten.

»Besuchen Sie doch einfach unsere Mittagsmesse«, lädt sie mich ein, bevor sie mich schließlich in dem kleinen Wallfahrtsmuseum allein lässt. Neben der barocken Klosterbibliothek sind Ölgemälde des Kirchenstifters und Votivgaben aus mehreren Jahrhunderten zu besichtigen sowie eine Sammlung abgenutzter Krücken und sogar ein antiquierter Rollstuhl – zurückgelassen von den angeblich geheilten Kranken.

Obwohl ich schon jetzt deutlich hinter meinem Zeitplan herhinke, kehre ich beim Mittagsläuten in die Kirche zurück. Statt lateinischer Choräle werden zur Andacht moderne Lieder auf Deutsch, Englisch und Hebräisch gesungen, die Schwestern begleiten sie mit Gitarre und Bongo-Trommeln. Als ich tiefenentspannt wieder aufbreche, ist mir klar: Nicht nur landschaftlich und kulinarisch, sondern auch spirituell wird es auf dem Welterbesteig nie langweilig!

Für wen:

  • Ein absolutes Muss für Weinliebhaber! Hier werden die Topweine Österreichs angebaut und können gleich vor Ort verkostet werden, in urigen Buschenschenken mitten in den Weinbergen, direkt bei den Winzern oder ganz pragmatisch am Selbstbedienungskühlschrank.
  • Hervorragend markiert und ausgeschildert, mit unzähligen Übernachtungs- und Verpflegungsmöglichkeiten sowie einer ausgezeichneten Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr ist dieser Weg besonders anfängerfreundlich und bietet ein Höchstmaß an Flexibilität. Sie können einfach mal eine Etappe überspringen, abkürzen oder die über neunzig Kilometer lange Jauerling-Runde hinten dranhängen.
  • Auf 180 Kilometern wandern Sie durch Weinberge und Obstgärten vorbei an barocken Kirchenstiften und mittelalterlichen Burgruinen, dazu kommen jede Menge kleine und große Museen. Kurzum: Natur und Kultur lassen sich hervorragend verbinden!