Für Geschichtskenner und Weltkriegstouristen:
GR14 Sentier de l’Ardenne

Land: Belgien | Länge: 276 km
Schwierigkeit: * | Budget: €€ | Jahreszeit: ganzjährig
Natur: * | Kultur: *** | Special Interest: Weltkriegsgeschichte

 

Eigentlich wollte ich nur einen kurzen Wanderausflug ins Nachbarland Belgien machen, und der 276 Kilometer lange GR 14 oder Sentier de l’Ardenne in Grenznähe erschien mir dazu perfekt. Doch bei der Tourenplanung im Internet stoße ich immer wieder auf ein unerwartetes Stichwort: die Ardennenoffensive, Hitlers letzte große Schlacht im Westen. Ausgerechnet entlang dieses Weges fanden im Winter 1944/45 die blutigsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs statt. Und plötzlich recherchiere ich nicht mehr zu Einkaufsmöglichkeiten und Busverbindungen, sondern studiere fasziniert Geschichtsbücher und Kriegsdokumentationen …

Als ich dann Anfang Mai im ostbelgischen Malmedy aus dem Bus steige, liegt ein wunderbarer Frühlingsduft in der Luft: Strahlend blau wölbt sich der Himmel über der Stadt und den sanften Hügeln der Ardennen. Ich verstehe sofort, warum sich der Ort als idealer Ausgangspunkt für Wander- und Mountainbiketouren vermarktet. Weltbekannt ist er allerdings aus einem anderen Grund: dem Massaker von Malmedy zu Beginn der Ardennenoffensive.

Hitlers Ziel war die Einnahme von Antwerpen, über dessen Hafen die Alliierten versorgt wurden. Ab dem 16. Dezember 1944 stießen 200 000 deutsche Soldaten in die Ardennen vor und überrumpelten die ausgelaugten und unerfahrenen Truppen der US- Amerikaner. Am Mittag des 17. Dezember zog die sogenannte Kampfgruppe Peiper unter Führung des gleichnamigen SS- Standartenführers gen Malmedy, eine Brigade der 7. US- Panzerdivision marschierte aus der Gegenrichtung genau auf sie zu. Die Einwohner von Malmedy, die von Flüchtlingen vom Vormarsch der Deutschen gehört hatten, wollten die Alliierten warnen und riefen ihnen wild gestikulierend zu: »Boches! Boches!« Doch die US- Amerikaner kannten diese abfällige Bezeichnung für die Deutschen nicht, winkten daher nur aus ihren Panzern zurück und fuhren direkt in ihr Unglück.

Drei Kilometer östlich der Stadt trafen die feindlichen Truppen an der Kreuzung von Baugnez aufeinander. Die Deutschen eröffneten sofort das Feuer und nahmen über hundert US- Amerikaner gefangen. Entgegen jeder Kriegskonvention trieben die SS- Leute die entwaffneten Soldaten auf einem Feld unweit der Straße zusammen, nahmen ihnen Uhren, Ringe, Zigaretten und Handschuhe ab und mähten sie mit Maschinengewehrsalven nieder. Während einige der Alliierten sich in den Wald retten konnten, töteten SS- Offiziere die zurückgebliebenen Verletzten per Kopfschuss, dann zogen die deutschen Truppen weiter. Sie ließen 84 Leichen zurück.

Ein kurzer Abstecher vom Weg bringt mich zum Ort des Massakers. Heute befindet sich hier eine unscheinbare Wiese, an einem Kreisverkehr erinnert eine kleine Gedenkstätte an die Gräueltat. Keine 200 Meter entfernt besuche ich Baugnez 44, ein höchst modernes Museum. Dort werden die entscheidenden Ereignisse der Ardennenoffensive und der Alltag der Soldaten mit Schaufensterpuppen in originalen Uniformen szenisch dargestellt, ergänzt durch alte Fotografien, Dokumente, Fundstücke aus der Umgebung sowie einen Dokumentarfilm.

Malmedy wurde im Zweiten Weltkrieg zweimal von den Deutschen erobert und von den Alliierten zurückgewonnen. An Weihnachten 1944 bombardierten die US- Amerikaner die Stadt dabei versehentlich, fast die Hälfte der Häuser wurde zerstört. Am Place du Châtelet erinnert eine Gedenkstätte an die Namen der getöteten 230 Zivilisten, dahinter ist eine Höhle im Fels, in der die Stadtbewohner während der Attacken Schutz suchten.

Mit schwerem Herzen wandere ich weiter auf dem GR 14 Richtung Westen entlang der Amel, auf Französisch Amblève genannt. Meine Umgebung will so gar nicht zu meinen trüben Gedanken passen. Jetzt im Mai erblüht alles in üppigem Grün, fröhliches Vogelgezwitscher begleitet mich zu den Aussichtspunkten auf den Felsen Rocher de Falize und Rocher de Warche. Von hier aus habe ich einen wunderbaren Ausblick auf die Amel und ihren Nebenfluss Warche, die unter mir im Tal in der Abendsonne glitzern wie Silberketten. Im nahe gelegenen Wald finde ich einen versteckten Zeltplatz.

Am 17. Dezember 1944 rollten die Panzer der Kampfgruppe Peiper ebenfalls am Fluss entlang Richtung Stavelot. Dessen Einwohner mussten entsetzt zusehen, wie ihre amerikanischen Befreier flohen, ohne die strategisch wichtige Brücke über die Amel zu sprengen. Die Deutschen hinterließen bei ihrem Durchzug aber nur eine kleine Besatzung und marschierten weiter nach Trois-Ponts. Schon zwei Tage später eroberten die Amerikaner Stavelot zurück, sprengten die Brücke und schnitten die deutschen Truppen dadurch vom Nachschub ab.

Der GR 14 führt direkt über dieses heiß umkämpfte Bauwerk, das nach Kriegsende neu errichtet wurde. Noch immer kann man an den Fassaden einiger Backsteinhäuser Einschusslöcher erkennen. Ein US- amerikanischer half track, ein zurückgelassenes Halbkettenfahrzeug, erinnert am Flussufer an die Kampfhandlungen, mehrere Mahnmale an die von der SS ermordeten Zivilisten.

Bei Trois-Ponts, zu Deutsch Dreibrücken, fließen die Amel und die Salm zusammen. Vom 16 Meter hohen Aussichtsturm Tour Leroux genieße ich einen beeindruckenden Panoramablick über das Tal, bevor ich steil in den Ort absteige und auf einer der drei Brücken die Salm überquere.

Sie alle waren am 18. Dezember 1944 bereits gesprengt worden, noch kurz bevor 19 deutsche Panther-Panzer den Ort um 11:15 Uhr erreichten. Wutschnaubend donnerte Peiper auf der Suche nach einem Übergang am Nordufer der Amel entlang Richtung La Gleize. Doch entweder konnten die Brücken die schweren deutschen Panzer nicht tragen, oder sie wurden von den Alliierten noch rechtzeitig zerstört. Peipers Kolonne saß schließlich in La Gleize fest und wurde langsam eingekreist, seine Männer, meist Jugendliche, waren erschöpft und halb verhungert. Die nachrückenden deutschen Truppen scheiterten an der gesprengten Brücke von Stavelot. Die Soldaten versuchten zwar, durch die eiskalte Amel zu schwimmen, wurden dabei aber von den amerikanischen Verteidigern erschossen, die sich hinterher mit ihrem »Entenschießen« brüsteten.

Am Weihnachtsabend 1944 sah der 29-jährige Peiper keine andere Möglichkeit mehr, als mit seinen Männern zu Fuß aus der Einkesselung zu flüchten – mit gerade mal vier Zwiebäcken und zwei Schluck Cognac Proviant pro Person. Ohne genaue Kenntnis der Frontlinie irrten sie in der Dunkelheit umher, wateten durch Bäche und schwammen schließlich durch die Salm – alles unter feindlichem Beschuss. Anschließend waren die Wälder um Stavelot und La Gleize voller Leichen. Nach amerikanischen Schätzungen kamen bei diesem Manöver 2500 Angehörige der Kampfgruppe Peiper ums Leben. Die Alliierten nutzten die steif gefrorenen Toten wie Sandsäcke für den Bau neuer Stellungen …

Die amerikanischen Militärrichter der Kriegsverbrecherprozesse von Dachau verurteilten Joachim Peiper 1946 zum Tode, was später in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt wurde, die nach zehn Jahren mit seiner vorzeitigen Entlassung endete. 1976 wurde Peiper in seinem Haus in Traves ermordet, zu der Tat bekannte sich das »Aktionskomitee Widerstand-Deportation«.

La Gleize ist heute mit dem regelmäßig verkehrenden Bus gut 15 Minuten von Trois-Ponts entfernt; ich mache den Abstecher entlang der Amel allerdings lieber zu Fuß. Über schlammige Wirtschaftswege wandere ich die Strecke in knapp zwei Stunden, vorbei an abgezäunten Kuhweiden, Äckern und einem künstlich angelegten Wasserfall bei Coo, über den die Amel 15 Meter in die Tiefe stürzt.

Die größte Attraktion von La Gleize ist das Museum Decembre 44, das den Ereignissen der Kriegstage gewidmet ist. Ich erkenne es schon von Weitem, denn direkt davor steht ein Königstiger 213. Ein Dorfbewohner kaufte den zurückgelassenen Panzer, als die US- Amerikaner die Gegend von altem Kriegsgerät säuberten. Preis: eine Flasche Cognac. Das Dorf hatte damit ein wenig kraftstoffsparendes Fahrzeug erworben, denn der Panzer verbrauchte 487 Liter Benzin auf 100 Kilometer und schaffte gerade mal 140 Kilometer mit einer Tankfüllung. Im Museumsshop gibt es Plastiknachbildungen des Königstigers zu kaufen, dazu Unmengen alter Naziorden und Militärabzeichen sowie andere makabre Souvenirs. Ein Sparbuch der Deutschen Reichspost wird für 25 Euro angeboten, eine Schachtel Streichhölzer der US- Army für acht.

Ähnlich wie im Baugnez 44 werden auch in La Gleize lebensgroße Puppen in Originaluniformen gezeigt oder in Bettlaken, die zur Tarnung in der verschneiten Landschaft genutzt wurden. Mehrere große Vitrinen sind mit Fundstücken aus der Umgebung gefüllt: löchrige Lederstiefel, verrostete Stahlhelme, Dutzende Rosenkränze und sogar ein Gebiss. Der Keller des Museums beherbergte damals das Feldlazarett der Deutschen, Peipers Hauptquartier befand sich ein paar Häuser weiter in einem noch gut erhaltenen Backsteingebäude.

Die Ardennenoffensive, deutscher Deckname »Wacht am Rhein«, wird im englischen Sprachraum Battle of Bulge genannt, die »Beulenschlacht« oder »Schlacht der Ausbuchtung«. Dieser eigenartige Begriff wurde von einem US- amerikanischen Kriegsreporter geprägt und bezieht sich auf die Form der Frontlinie: Die Deutschen hatten bei ihrem Vorstoß eine achtzig Kilometer breite und 110 Kilometer tiefe »Ausbuchtung« in die Stellungen der Alliierten geschlagen, die fast bis zur Maas bei Dinant reichte. Der GR 14 verläuft mitten durch diesen Keil und damit durch das Gebiet der alliierten Gegenoffensive, die den »ausgebeulten« Frontverlauf wieder begradigen sollte.

»Der Kraut hat seinen Kopf in den Fleischwolf gesteckt, und ich halte die Kurbel in der Hand«, prahlte US- General Patton am 26. Dezember 1944. Seine Männer erschossen am Neujahrstag 1945 etwa achtzig gefangene und entwaffnete Wehrmachtssoldaten in Chenogne, nur wenige Kilometer vom GR 14 entfernt. Patton wollte dieses Massaker vertuschen und notierte in sein Tagebuch: »Unglücklicherweise kam es zu einigen Erschießungen von Gefangenen. Ich hoffe, dass wir das unter der Decke halten können.« Tatsächlich wurden die Täter von Chenogne – anders als im Fall von Malmedy – nie vor Gericht gestellt und bestraft, heute erinnert keine einzige Plakette oder gar ein Gedenkstein an das Verbrechen.

Die ostbelgischen Ardennen sind nicht stark bevölkert, eine der wenigen Städte am GR 14 ist La Roche-en-Ardenne, das höchst malerisch in einer engen Schlucht an einer Schleife der Ourthe gelegen ist. Durch die Kämpfe im Winter 1944/45 wurde der Ort so stark beschädigt, dass die im Frühjahr zum Nestbau zurückkehrenden Schwalben völlig desorientiert waren. Von den 639 Häusern konnten nur noch vier bewohnt werden, 114 Zivilisten wurden getötet. Kein Wunder: Um die dortige Zufahrtsstraße zu blockieren, hatte allein die US- amerikanische Luftflotte 150 Tonnen Bomben abgeworfen. Nach dem Rückzug der Deutschen mussten amerikanische Bulldozer Schneisen in die Schuttberge räumen.

Heute ist von den Kriegszerstörungen nicht mehr viel zu sehen. Doch als ich nach meinem Provianteinkauf durch die Straßen der Kleinstadt bummele, entdecke ich gleich mehrere zurückgelassene Panzer: einen britischen Achilles am westlichen Ufer der Ourthe und einen US- amerikanischen Sherman am östlichen. La Roche besitzt ebenfalls ein Museum der Ardennenschlacht, wie üblich mit Dioramen der Kriegsereignisse, einem imposanten Waffenraum und zahlreichen Memorabilia, die von Kriegsveteranen gespendet wurden. Vor der Tür steht – man ahnt es schon – ebenfalls ein Panzer.

Bei all dieser schweren Kost bin ich froh, dass mich der GR 14 zwischen den wenigen größeren Orten stundenlang durch einsamen Wald führt. Alte Buchen, Eichenhaine und Fichtenmonokulturen wechseln sich auf dem sanften Hügelland ab, dazwischen sprudeln kleine Bäche. Bloß ein paar Kühe leisten mir tagsüber Gesellschaft, während meiner gut einwöchigen Tour treffe ich keinen einzigen anderen Wanderer. An der Landschaft kann das nicht liegen, sie ist zwar nicht spektakulär, dafür idyllisch. Und stets finde ich ein verstecktes Plätzchen für mein Zelt. Wenn ich allerdings abends im friedlichen Wald beim Kochen den Sonnenuntergang zwischen den Bäumen betrachte, kommen mir immer wieder die Bilder der Soldaten in den Kopf. Was hat sich wohl im Winter 1944/45 an genau dieser Stelle zugetragen? Stecken in den Bäumen um mich herum Granatsplitter? Oder befinden sich hier tief vergraben noch Minen? Oder sind sogar genau an dieser Stelle Menschen getötet worden?

Die deutschen Generäle rieten Hitler bereits zu Weihnachten 1944, einen Waffenstillstand anzustreben, denn: »Der Krieg ist verloren!« Doch der »Führer« weigerte sich, der Realität ins Auge zu blicken: »Wir kapitulieren nicht, niemals. Wir können untergehen. Aber wir werden eine Welt mitnehmen.« Sowohl die Deutschen als auch die Alliierten hatten durch die Ardennenoffensive circa 80 000 Tote, Verwundete oder Vermisste zu beklagen, für die US- Amerikaner war die Battle of Bulge mit fast 20 000 Gefallenen die blutigste Schlacht des Zweiten Weltkrieges.

Und dennoch ist es Hitler nicht gelungen, diese »Welt mitzunehmen«. Wo sich vor achtzig Jahren die Leichen stapelten, erblühen schon lange wieder grüne Wiesen und Wälder; wo einst die Kanonen donnerten, zwitschern heute Vögel. So betroffen ich auf dieser Wanderung oft war, diese Tatsache macht mich froh!

Für wen:

  • Wer sich für die Geschichte des Zweiten Weltkriegs interessiert, kann auf dem GR 14 der Frontlinie der Ardennenoffensive folgen. Die vielen Spezialmuseen am Weg ziehen Weltkriegstouristen und Veteranen aus aller Herren Länder an.
  • Die riesigen Wälder hingegen sind perfekt für Einsamkeitssucher. Vor ein paar Jahren wurde der Weg bis zur deutschen Grenze bei Monschau verlängert und führt nun auch durch die verlassene Moorlandschaft des Hohen Venn.
  • Belgien gilt nicht gerade als Outdoorparadies – völlig zu Unrecht! Wanderpioniere können im Nachbarland noch gänzlich unbekannte Gegenden entdecken.