Land:
Niederlande, Deutschland | Länge:
325 km
Schwierigkeit:
* | Budget:
€€ | Jahreszeit:
ganzjährig
Natur:
* | Kultur:
** | Special Interest:
Steinzeit und Renaturierung
»Mir war gar nicht klar, dass es da überhaupt Fernwanderwege gibt«, sagt meine Lektorin erstaunt, als ich ihr für dieses Buch den Hünenweg von Osnabrück bis nach Groningen vorschlage. Dabei müsste sie das eigentlich wissen, stammt sie doch aus Norddeutschland. Aber das Emsland und die Niederlande verbindet man selbst als Einheimische wohl eher mit Radfahren denn mit Wandern – was sich hoffentlich durch den Hünenweg ändern wird! Namensgeber sind die Hünengräber, also Großsteingräber aus der Jungsteinzeit. Wegen ihrer gewaltigen Abmessungen glaubte man früher, dass sie von und für hünenhafte Riesen erbaut wurden. Man findet sie in Südskandinavien und dem Norddeutschen Tiefland, von den östlichen Niederlanden bis zur Weichsel.
Mich treibt ein ganz banaler Grund hierher: Ich will jetzt im April auf diesem technisch einfachen Weg fit werden für die kommende Wandersaison und peile daher einen Tagesschnitt von 38 Kilometern an. Schließlich sind gerade mal 1300 Höhenmeter zu bewältigen – nicht etwa pro Tag, sondern auf den gesamten 325 Kilometern! Dass ich dieses Pensum nicht mal ansatzweise schaffen werde, hat einerseits mit mangelnder Fitness und durchgelatschten Schuhen zu tun, anderseits aber vor allem mit den vielen Sehenswürdigkeiten. Es beginnt schon am Anreisetag in Groningen, das ich nicht einfach ohne einen kleinen Stadtbummel verlassen kann. Ich flaniere also zwischen unzähligen Radfahrern über den betriebsamen Fischmarkt, bewundere die alten Speicher am Kanal und besichtige das ultramoderne Groninger Museum mit seiner knallbunten Fassade.
Langsam begebe ich mich dabei zum Bahnhof, wo der Hünenweg startet. Umständlich schlängelt er sich durch die Vororte, wobei er fußschonend jedes kleine Stückchen Wald oder Wiese mitnimmt. Am zweiten Wandertag verkündet ein handgeschriebenes Schild: »Welkom! Do it yourself! Free Wifi! Free Drinks!« Wird ausgerechnet in den Niederlanden, die ja nun nicht gerade für ihre Wanderkultur bekannt sind, trail magic angeboten? Da sowieso gerade ein Graupelschauer herunterkommt, folge ich neugierig dem Pfeil – und traue meinen Augen nicht.
In einem Ferienhaus wurde das gesamte Untergeschoss als Wanderrastplatz hergerichtet! Hinter einem bunten Türvorhang erwarten mich ein bequemes Sofa, ein bunt gedeckter Tisch mit Stühlen, ja sogar ein Badezimmer mit Toilette und Dusche. Kaffeemaschine und Wasserkocher laden zu einem heißen Getränk ein, daneben liegen Cracker und Toffee-Bonbons, in den Regalen stapeln sich Bücher und Zeitschriften. Über einer kleinen Spendenbox entdecke ich ein »Preisschild«: »Essen und Trinken: umsonst! Bücher und Zeitschriften: was es dir wert ist! Inspiration: unbezahlbar!« Bei klassischer Musik aus einem alten Radio schlürfe ich verzaubert eine Tasse Tee nach der anderen, da höre ich draußen plötzlich Geräusche.
»Sind Sie der Besitzer dieses wundervollen Ortes?«, frage ich den Mann, der gerade im Garten herumwerkelt und sich als Künstler entpuppt. In einem kleinen Nebenraum verkauft er seine Werke.
»Ja, im Sommer kommen täglich um die zehn Wanderer und Radfahrer vorbei«, erklärt er mir lächelnd. »Sie hätten hier sogar übernachten können.«
Diese trail magic ist nicht die einzige Überraschung in den Niederlanden, auch die platte Landschaft entpuppt sich als ziemlich abwechslungsreich. So erreiche ich als Nächstes das Zuidlaardermeer, das kein Meer, sondern ein See ist. Für Deutsche etwas verwirrend bedeutet im Niederländischen meer nämlich »See« und zee »Meer«. Entstanden ist das riesige Gewässer im Mittelalter durch Überschwemmungen des Flusses Hunze. Normalerweise tummeln sich darauf Freizeitsportler, doch bei anhaltenden Graupelschauern umrunde ich den gerade mal einen Meter tiefen See nur unter den neugierigen Blicken der vielen Vögel, die ideale Brutbedingungen vorfinden.
Der niederländische Name des Weges, Hondsrugpad, bezieht sich auf einen sandigen Höhenzug, der sagenhafte 26 Meter aufragt, die Drenther Erhebung oder Hondsrug. Dieser Geestrücken war früher von Mooren und Sümpfen umgeben und die einzige Möglichkeit, die weite Landschaft trockenen Fußes zu durchqueren. Wenn durch Überweidung oder Erosion die oberste Pflanzenschicht abgetragen wurde, lag der Sand frei und wurde zu Binnendünen verweht, wie zum Beispiel im Drouwener- oder Valtherzand. Diese Sandverwehungen bedrohten die Felder in der Umgebung und waren daher für die Bauern jahrhundertelang der absolute Horror. Heute sind diese wiederbegrünten Heideflächen ein Wanderparadies.
Der Hondsrug ist aufgrund seiner geologischen Einzigartigkeit und seiner kulturhistorischen Bedeutung ein UNESCO- Geopark, hier liegen fast alle Hünengräber der Niederlande. Die größte Konzentration der 54 erhaltenen Großsteingräber des Landes findet man rund um die Stadt Borger, weshalb der Weg auch direkt am dortigen Hunebedcentrum vorbeiführt, einem Hünengrab-Museum. Aus den nomadischen Jägern wurden in Nordeuropa um 3000 v. Chr. sesshafte Bauern, die ihre Toten in Steingräbern bestatteten. Anhand der lebensgroßen Museumsmodelle wird sofort klar, dass diese Angehörigen der sogenannten Trichterbecherkultur alles andere als Hünen waren, im Vergleich zu uns wirken sie geradezu winzig. Wie schafften sie es also, die gewaltigen Felsbrocken zu bewegen? Manche sind bis zu 1,8 Meter hoch und wiegen 25 Tonnen! Und wo bekamen sie die riesigen Steine in dieser brettflachen Gegend überhaupt her?
In der Ausstellung lerne ich, dass ihnen als »Baumaterial« Findlinge dienten, die bereits in der Saale-Eiszeit vor 200 000 Jahren mit dem Gletschereis aus Schweden oder Finnland angeliefert worden waren. Die Jungsteinzeit-Menschen mussten die Steinbrocken erst einmal ausgraben und über Rollkonstruktionen aus Baumstämmen und Hebeln zum Ort der zukünftigen Grabanlage befördern. Dort warfen sie einen Sandhügel auf, zogen die großen Decksteine hinauf und lehnten die Seitensteine dagegen. Indem sie den Sand nun wieder entfernten, entstand die »überdachte« Grabkammer, die mit Erde bedeckt wurde. Moderne Archäologen haben berechnet, dass für den Bau einer solchen Grabstätte hundert Menschen bei einem Zehnstundentag um die 110 Tage beschäftigt gewesen sein müssen! Das ist umso erstaunlicher, als in den Steinzeitsiedlungen wahrscheinlich gerade mal um die dreißig Männer, Frauen und Kinder zusammenlebten, von denen keiner älter als sechzig Jahre wurde.
Das interaktive Museum ist zu Recht ein Publikumsmagnet. Durch die nachgestellten Alltagsszenen fühlt man sich um 5000 Jahre zurückversetzt, Kinder können an Modellkästen spielerisch eigene Monumente errichten. Da ich nicht so klein bin wie die Trichterbecher-Menschen, muss ich mich ordentlich bücken, um in ein maßstabsgetreu nachgebildetes Grab hineinzuklettern. Im Freigelände wartet dann noch der Urzeitpark auf mich, der die Geschichte der letzten 150 000 Jahre im Hondsrug-Gebiet erzählt. Hier sind Dutzende von Findlingen ausgestellt, Schilder mit Landkarten weisen deren skandinavische Ursprungsgegenden aus. Daneben haben Archäologen frühgeschichtliche Behausungen vom Nomadenzelt der Neandertaler bis zum Steinzeitbauernhof rekonstruiert, und an Wochenenden versammeln sich Hobby-Urmenschen in prähistorischer Mode rund ums Lagerfeuer.
Die im wahrsten Sinne des Wortes größte Attraktion befindet sich frei zugänglich direkt neben dem Museum: das größte Hünengrab der Niederlande mit einer Länge von 22,6 Metern. Obwohl ein Schild ausdrücklich das Beklettern verbietet, posieren an diesem sonnigen Frühlingstag Jung und Alt auf den Decksteinen der Grabstätte. Das beeindruckend gut erhaltene Monument ist einfach ein zu schönes Fotomotiv.
Fast zwei Dutzend Hünengräber liegen direkt am niederländischen Teil des Weges, darunter ein Fake-Grab an der Schule von Gieten. Es dient den Schülern als Anschauungsobjekt, denn die Vorgeschichte des Landes ist fester Bestandteil des Lehrplans. Und auch die neuere Geschichte ist sehr emotional dokumentiert: Im Waldgebiet Valtherbosch entdecke ich in einer Erdgrube einen Holzverschlag. Was auf den ersten Blick wie ein gut getarnter Wanderrastplatz aussieht, diente im Zweiten Weltkrieg zwanzig jüdischen Niederländern als Versteck vor den Nazis. Albertus Zefat, Eigentümer einer Hühnerfarm in Valthe, verbarg sie erst in einem Stall, später in dieser Grube im Wald. Als er sich weigerte, den Unterschlupf preiszugeben, wurde er im Juli 1944 hingerichtet. Die Juden überlebten trotzdem, weil die Dorfbewohner sie nach Zefats Ermordung heimlich weiter versorgten.
Nachdenklich gestimmt, wandere ich weiter Richtung deutsche Grenze. Doch bevor ich sie erreiche, gehe ich in Emmen noch einmal groß einkaufen. Ich habe nämlich einen leckeren Wandersnack entdeckt, den es leider nur in den Niederlanden gibt: gevulde koeken, zu Deutsch »gefüllte Kuchen«. Eine wahre Offenbarung für Süßmäuler wie mich! Das unscheinbare runde Gebäck mit einer Mandel obendrauf ist mit einer Marzipanmasse gefüllt, pro Stück enthält es drei Teelöffel Butter und fünf Zuckerstücke. Eigentlich hätte ich so genug Energie für meinen anvisierten 38-Kilometer-Tagesschnitt, doch meine Füße schmerzen immer stärker. Das liegt zum einen am harten Untergrund des Hünenwegs, vor allem aber an meinen Schuhen, die keinerlei Dämpfung mehr aufweisen. Mehrmals täglich verfluche ich meinen Geiz, der mich dazu verleitet hat, ein abgenutztes Paar bis zum bitteren Ende tragen zu wollen.
Immerhin muss ich den Scholtenskanaal nicht zu Fuß, sondern mit Armkraft überqueren. Hier überspannt nämlich keine Brücke das Wasser, sondern eine Handseilzugfähre. Dieses seltene Gefährt ist eine Art Plattform an einem Seilzug, mit dem man sich selbst zum anderen Ufer hinüberzieht. Dort muss ich dann leider wieder auf Fußbetrieb umschalten.
Der Hünenweg führt mich nun in einer riesigen Schleife durch den grenzüberschreitenden Naturpark Bourtanger Moor, wo die Wanderwege ausnahmsweise eher zu weich als zu hart sind. Nach ausgiebigem Regen versinke ich abseits der befestigten Strecken im Schlamm. Nun gut, trockene Füße werden sowieso überbewertet …
Seit dem 18. Jahrhundert wurde im Bourtanger Moor Torf abgebaut, der in den Städten als Ersatz für die schwindenden Holzvorräte zum Feuern genutzt wurde. Dazu entwässerte man das damals größte zusammenhängende Hochmoor Westeuropas über ein System von Kanälen, Schleusen und Pumpen. Nach der Abtorfung dienten die Böden für Ackerbau und Viehzucht. Die industrielle Nutzung wurde 1992 endgültig eingestellt, das Gebiet wird nun schrittweise wieder vernässt. Kilometerlang geht es schnurgerade an den neu angelegten Deichen und Gräben entlang, vorbei an Arealen in unterschiedlichen Stadien der Renaturierung. Naturbelassene Sümpfe mit weißem Wollgras und feuchtem Torfmoos wechseln sich ab mit öden Wiesen voll vertrocknetem Gras, dazwischen immer wieder Wäldchen, deren Bäume tief im Wasser stehen. Über diesem Vogelparadies kreisen Habichte und Falken, im Wasser quaken Enten. Auf der deutschen Seite entdecke ich sogar noch die Gleise einer Schmalspurbahn für den Torfabbau aus dem 19. Jahrhundert, die ehemaligen Waggons rosten am Wegesrand vor sich hin.
Hinter der Grenze stoße ich auch auf eine Ölförderanlage, die ich eher in Texas als im Emsland vermutet hätte. Im Rühlermoor wird seit den 1940er-Jahren nach Erdöl gebohrt, die metronomartig wippenden Pferdekopfpumpen werden auf Niederländisch ganz bildlich jaknikker genannt, »Ja-Nicker«. Wer mehr über die Geschichte dieses größten deutschen Ölfeldes erfahren will, sollte einen kleinen Abstecher zum Erdöl-Erdgas-Museum im nahe gelegenen Twist machen.
Mein ehrgeiziger Zeitplan gerät durch eine unerwartete Nachricht endgültig ins Wanken. Anna Schulte, die Projektmanagerin des Hünenwegs, hat zufällig über die sozialen Medien von meiner Tour erfahren und mich spontan angeschrieben: »Darf ich Sie nach Haselünne ins Hotel einladen? Dann können wir dort gemeinsam zu Abend essen.« Angesichts meiner schmerzenden Füße beschließe ich genauso impulsiv, die morgige Etappe von 38 auf 28 Kilometer zu verkürzen und mich mit ihr zu treffen. Die Übernachtung zahle ich aber lieber selbst, denn ich lehne jegliche Art von Sponsoring ab, um bei der Wahl von Wanderstrecken und Ausrüstung komplett unabhängig zu sein.
»Wie ist der Hünenweg denn eigentlich entstanden?«, frage ich Anna, die für meine neugierigen Fragen ihren Feierabend opfert.
»Begonnen hat alles mit dem Friesenweg, der schon seit 1937 von Osnabrück bis Papenburg führt«, erklärt sie, während ich mich freudig über eine extrem fleischlastige Grillplatte hermache. »Doch der Name war irreführend, denn die Route tangierte Friesland ja gar nicht. Also wurde die Strecke 2008 in Hünenweg umbenannt.« Ich nicke kauend, denn diesen Vorläuferweg bin ich schon einmal gewandert, immer wieder entdecke ich stellenweise die alte »F«-Markierung.
»Bereits der ursprüngliche Hünenweg führte durch den UNESCO- Geopark TERRA .vita im Osnabrücker Land. Da lag es nahe, die Strecke in den niederländischen Geopark Hondsrug zu verlängern. Die 1,6 Millionen Euro Fördermittel für dieses Projekt kommen hauptsächlich aus dem europäischen Fonds für regionale Entwicklung«, erklärt Anna weiter. Bei dieser Wanderung sehe ich also quasi mein sauer verdientes Steuergeld im Einsatz.
Fast drei Stunden sitzen wir über zwei Flaschen Mineralwasser plaudernd im Lokal, als uns die Kellnerin beim Abräumen fragt: »Einen Schnaps zur Verdauung?« Unisono schütteln wir den Kopf. »Ich muss Auto fahren«, lehnt Anna ab und erklärt mir schmunzelnd: »Dabei ist Haselünne bekannt für seine drei Brennereien. Die könntest du eigentlich morgen noch besichtigen.«
Ich bin sofort begeistert, aber: »Ich will ja morgen schon früh loswandern, da haben die sicherlich noch nicht geöffnet.«
»Doch! Eine macht bereits um acht Uhr auf«, versichert mir Anna zum Abschied, und ich frage vorsichtshalber nicht nach, wer schon so früh am Morgen Schnaps einkauft. Stattdessen stehe ich am nächsten Tag selbst zu früher Stunde in der ältesten Kornbrennerei der Stadt, wo ich sogar den Besitzer höchstpersönlich antreffe. Und der ist schon deutlich länger auf den Beinen als ich. »Ich komme gerade von unseren Feldern. Wir bauen nämlich unseren eigenen Weizen an«, berichtet er. Für eine 0,7-Liter-Flasche Korn mit einem Alkoholgehalt von 32 Prozent benötigt man 600 Gramm Weizen, knapp eine Woche dauert der Herstellungsprozess, der mir im Rahmen einer Führung ausführlich erklärt wird.
»Haselünne ist ja quasi ein Paradies für Schnapstrinker«, scherze ich, als wir wieder in der Verkaufsstelle angekommen sind – und werde sofort verbessert. »Unsere Kunden sind keine Schnapstrinker, sondern Korngenießer«, ermahnt mich der Brennereibesitzer streng und gibt mir zur Erinnerung ein Probierfläschchen Likör mit. Obwohl als nächtlicher Schlummertrunk im Zelt geplant, exe ich den Inhalt bereits am Mittag, was meine Fußschmerzen zumindest zeitweise besänftigt. Und bevor Sie mich jetzt für eine Schnapstrinkerin – pardon: Korngenießerin – halten: Es handelt sich um zwanzig Milliliter!
Der mittlere Teil des Hünenwegs steht ganz im Zeichen der Hase. Dabei handelt es sich aber nicht um das Tier, sondern um einen Nebenfluss der Ems. Zum Hochwasserschutz wurde sie in den 1950er- und 60er-Jahren eingedeicht und begradigt, Flussschleifen wurden abgetrennt. Als die Hase streckenweise schon fast einem Kanal glich, zeigten sich die katastrophalen Auswirkungen auf die Umwelt: Die Artenvielfalt sank rapide, während die Verschmutzung stieg.
Die Renaturierung, eine der bundesweit größten Umweltschutzmaßnahmen, wurde 1995 ziemlich brachial mit dem Bagger begonnen. 17 Kilometer Deiche wurden abgetragen und teilweise landeinwärts neu aufgebaut, zwei Altarme wieder angeschlossen. Dazu tauschten oder verkauften um die achtzig Landwirte ihre hochwassergefährdeten Äcker, damit daraus natürliche Überschwemmungsgebiete werden konnten. Und so siedelten sich nach den Baggern auch schnell wieder Biber an.
Am Hünenweg kann ich die verschiedenen Stadien der Renaturierung gut beobachten. Teilweise wandere ich noch kurvenlos am begradigten Fluss entlang, doch viel öfter geht es durch eine urwaldartige Auenlandschaft, in der ich Silberreiher und Eisvögel sichte. Einen besonders schönen Blick über die beeindruckende Natur bietet mir der zehn Meter hohe Aussichtsturm zwischen Meppen und Haselünne. Allerdings ist diese Stahlkonstruktion ziemlich wackelig. »Haben Sie das Erdbeben gerade ausgelöst?«, fragt mich ein beleibter Herr auf der Aussichtsplattform, nachdem ich die Stufen hinaufgeklettert bin. Sprachlos über diese Charmeoffensive steige ich schnell vor ihm wieder ab, um einem Erdbeben seinerseits zuvorzukommen.
Auf dem südlichen Drittel des Weges stehen wieder die Hünengräber und einige Kultsteine mit recht skurrilen Namen im Vordergrund. Der »Näpfchenstein« bei Restrup soll ein Werk des Teufels sein, laut Sage sind die 66 Dellen in dem 1,75 Meter langen Granitfindling seine Daumen- oder Hufabdrücke. Archäologen sehen darin eher eine frühe Sternenkarte oder einen Dorfplan. Der »Deuvels Brotschrapp«, der »Brotschrank des Teufels«, steht am Hexentanzplatz, auch Maiburg genannt, weil hier die Dienerinnen des Teufels das Tanzbein geschwungen haben sollen. Die größte Konzentration an Hünengräbern befindet sich bei Giersfeld rund um einen Golfplatz. Statt Hexen auf Besen oder behuften Teufeln begegnen mir dort ausschließlich gut gekleidete Herren, bewaffnet mit Golfschlägern. Was wohl die Steinzeitmenschen dazu gesagt hätten, dass erwachsene Männer heutzutage nicht mehr Mammuts, sondern kleinen weißen Bällen nachjagen?
Zurück zu Hause werfe ich als Allererstes meine alten Schuhe in den Müll. Die sind nicht nur komplett durchgelaufen, sondern auch total verdreckt. Jetzt zu Frühlingsbeginn waren die Forstwege durch Waldarbeiten völlig zerfahren, manchmal musste ich mich durch tiefen Schlamm kämpfen oder gar über umgestürzte Bäume klettern. Doch dafür habe ich Verständnis, denn die Strecke wurde erst vor knapp fünf Monaten eröffnet. Projektmanagerin Anna Schulte hat hervorragende Arbeit geleistet, ist den Hünenweg allerdings selbst noch nicht ganz gelaufen. Dazu fehlte ihr bisher schlichtweg die Zeit, sie ist nämlich viel zu sehr mit seiner kontinuierlichen Verbesserung beschäftigt. So ist der Weg aktuell zwar durchgängig, aber noch nicht einheitlich markiert. Dafür gibt es bereits einen großartigen Wanderführer, ein umfassendes Netz an Unterkünften einschließlich Pauschalangeboten mit Gepäcktransport – und vor allem jede Menge spannender Sehenswürdigkeiten. Wenn Sie die alle besichtigen wollen, machen Sie es besser als ich und planen keinen Tagesschnitt von 38 Kilometern ein!
Für wen: